Von Jürgen Wetzel
Seit einigen Jahrzehnten steht in Heckeshorn der sogenannte Flensburger Löwe. Viele vorbeikommende Besucher fragten nach seiner Bedeutung, fanden am Denkmal aber keine Erklärung. Deshalb entschloß sich das Bezirksamt Zehlendorf, eine Gedenktafel mit den wichtigsten Daten am Sockel anzubringen und in einer kleinen Zeremonie am 18.Juni 1988 zu enthüllen.
Bei dieser Gelegenheit hat der Verfasser in großen Zügen die Hintergründe erläutert, die zur Anfertigung und zur Errichtung des Flensburger Löwen führten. Dazu mußte etwas weiter ausgeholt werden, denn zum Verständnis der politischen Zusammenhänge waren zunächst einige Bemerkungen zur verwickelten Geschichte Schleswig-Holsteins nötig. Nachdem die Napoleonische Herrschaft zu Anfang des vorigen Jahrhunderts unter Mißachtung der Ideale der Französischen Revolution den Deutschen nicht die erhoffte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gebracht, sondern sie im Gegenteil in den Dienst der Eroberungs-und Unterwerfungspolitik des Diktators gestellt hatte, besannen sie sich auf ihre eigenen Kräfte, auf ihre eigene glanzvolle Geschichte des mittelalterlichen Kaiserreiches, auf ihre gemeinsame Kultur, Sprache, Brauchtum, Wissenschaft, Dichtung und Kunst, die gerade um die Jahrhundertwende einen ersten Höhepunkt erreicht hatten. Es entwickelte sich ein deutsches Nationalgefühl, das im Abwehrkampf gegen die Fremdherrschaft und dann in den Befreiungskriegen kräftige Impulse erhielt und dadurch zu einer breiten Bewegung wurde.
Dieses in allen Ländern Europas entstandene Nationalgefühl kehrte sich jedoch in den gemischt besiedelten Grenzgebieten gegeneinander, so auch in Schleswig-Holstein. Schleswig-Holstein hatte eine komplizierte staatsrechtliche Stellung. Das Herzogtum Holstein gehörte seit alters zum Deutschen Reich und im19.Jahrhundert zum Deutschen Bund. Da aber der König von Dänemark seit 1460 die Herzogsgewalt innehatte, war Holstein auch ein Teil des dänischen Staatsverbandes und wurde von Kopenhagen aus regiert. Schleswig dagegen gehörte seit dem Mittelalter zu Dänemark, war aber durch die Bestimmung im Ripener Vertrag von 1460,dat se bliven ewich tosamende ungedeelt", in einer vom dänischen König garantierten Realunion mit Holstein verbunden und zu zwei Dritteln deutsch besiedelt. Der inzwischen ebenfalls erwachte dänische Nationalismus trachtete nun danach, das mit seiner deutschen Bevölkerung und seiner Verbindung zum Deutschen Bund schwer zu integrierende Holstein auszusondern und das gemischt besiedelte Schleswig zu „redanisieren" und bis zur Eider einem zu errichtenden dänischen Nationalstaat einzuverleiben. Gegen dieses von König Friedrich VII.am 22. März1848 anerkannte Regierungsprogramm erhoben sich im Zuge der allgemeinen revolutionären Bewegungen in Europa die Schleswig-Holsteiner und kämpften mit der aus dem Ripener Vertrag entnommenen zündenden Parole „up ewich ungedeelt" um ihre Selbständigkeit. Im Auftrag des Deutschen Bundes und dann der Frankfurter Nationalversammlung kamen ihnen preußische Truppen unter General von Wrangel zu Hilfe, die bis Jütland vordrangen.
Dieser schnelle Vormarsch alarmierte England und Rußland, die aus eigennützigen Gründen und aus Gründen des europäischen Gleichgewichts nicht wollten, daß sich am „Bosporus der Ostsee" eine deutsche Großmacht, womöglich ein deutscher Nationalstaat etablierte. Sie zwangen Preußen nach zwei Waffenstillstandsperioden am 2. Juli 1850 im Berliner Frieden zum Rückzug aus Dänemark und zur Aufgabe der Herzogtümer, was alle deutschen Patrioten als Schmach empfanden. Die Schleswig-Holsteiner, nun auf sich allein gestellt, unterlagen den Dänen am 25.Juli 1850 in der blutigen Schlacht bei Idstedt - es fielen über 6000 Mann - und mußten sich wieder dem dänischen Gesamtstaat unterwerfen. Im sogenannten Londoner Protokoll von1852 garantierten die fünf Großmächte und Schweden-Norwegen den Fortbestand des dänischen Gesamtstaates unter Einschluß Schleswig-Holsteins und erkannten die auf dem weiblichen Erbrecht beruhende Erbfolge des Prinzen Christian von Glücksburg unter Mißachtung des zunächst erbberechtigten Agnaten, des Herzogs von Augustenburg, an.
Diese Regelung war erforderlich, weil das dänische Königshaus mit dem kinderlosen Friedrich VII. auszusterben drohte. Österreich und Preußen unterschrieben das Protokoll jedoch erst, nachdem Dänemark Zusicherungen für die Selbständigkeit der Herzogtümer Schleswig und Holstein innerhalb der Gesamtmonarchie gegeben hatte. Als Erinnerung an den großen Sieg über die Schleswig-Holsteiner bei Idstedt beauftragte die Regierung den damals bekanntesten dänischen Bildhauer Hermann Villem Bissen mit der Anfertigung eines Löwendenkmals aus Bronze - der Löwe ist sowohl Wappentier Dänemarks als auch Schleswigs - und ließ es 1853 auf dem Alten Kirchhof in Flensburg aufstellen. Die dänischen Nationalliberalen, die sogenannten Eiderdänen, die seit 1854 die Regierung stellten, verloren trotz der Rückschläge ihr Ziel nicht aus den Augen. In logischer Konsequenz ihrer Politik brachten sie am13.November 1863 im Folketing, dem dänischen Parlament, ein Grundgesetz durch, das ihr eiderdänisches Programm verwirklichte: Aussonderung Holsteins und Inkorporation Schleswigs in den dänischen Nationalstaat. Zu ihrem Unglück starb zwei Tage später der letzte Vertreter des regierenden Königshauses, so daß plötzlich das schwierige Verfassungsproblem mit der umstrittenen Erbfolgefrage verknüpft wurde. Als Friedrichs VII. Nachfolger, der „Protokollprinz" Christian IX., am 18.November das Grundgesetz unterzeichnete, löste er eine schwere europäische Krise aus, die zur schwersten Niederlage in der dänischen Geschichte führte.
Für den Deutschen Bund, für die deutsche Nationalbewegung sowie für die Garantiemächte des Londoner Protokolls, Österreich und Preußen, war die Unterzeichnung des Grundgesetzes eine Provokation, die sie nicht hinzunehmen gedachten. Und für den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck war das die längst ersehnte große Stunde. Bismarck, der damals wohl der am meisten gehaßte Mann Deutschlands war, sah in dem Schleswig-Holstein-Konflikt die Gelegenheit, sich aus der innenpolitischen Isolierung zu befreien und gleichzeitig dem Ziel seiner Politik, der Einigung Deutschlands, einen Schritt näher zu kommen. In einer diplomatischen Meisterleistung manövrierte er Dänemark in eine Sackgasse, neutralisierte die Großmächte und schaltete die deutsche Nationalbewegung aus,die den Herzog Friedrich von Augustenburg unterstützte, der mit dem Slogan „Mein Recht ist Eure Rettung" für die Errichtung eines selbständigen Fürstentums innerhalb des Deutschen Bundes kämpfte.Indem Bismarck zur Empörung der deutschen Nationalliberalen auf die Restaurierung der international garantierten dänischen Gesamtmonarchie drängte, wohl wissend, daß der dänische Nationalismus eine Rückkehr zum Status quo ante nicht mehr zuließ, setzte er Dänemark ins Unrecht und nahm den Großmächten die Grundlage zum Eingreifen. Sein Ziel war die Annexion der Herzogtümer für Preußen und Preußens Aufgehen in einem geeinten deutschen Nationalstaat. Er wehrte sich gegen die Errichtung eines neuen Mittelstaates unter den Augustenburgern, der ihm im Bundestag zu Frankfurt - ähnlich wie die anderen Staaten - weitere Schwierigkeiten in der Verfolgung seiner Politik gemacht hätte. Am16.Januar 1864 stellten Österreich und Preußen der dänischen Regierung das Ultimatum, die Novemberverfassung zurückzunehmen. Als sie sich weigerte, überschritten die deutschen Truppen die Eider und eröffneten die Kampfhandlungen.
Am 18. April wurden die Düppeler Schanzen und am 29. Juni die Insel Alsen erobert. Am 20.Juli mußte Dänemark um Waffenstillstand bitten und am 30. Oktober im Frieden von Wien die Herzogtümer an Österreich und Preußen abtreten. Die Erinnerung an den für Preußen und für die Einigung Deutschlands so wichtigen Krieg hielten und halten noch heute im Bezirk Zehlendorf die Namen Alsen, Colomier, Düppel und Das Denkmal des Flensburger Löwen wach. Als Dank für seine Verdienste um die Erstürmung der Düppeler Schanzen verlieh König Wilhelm 1865 dem aus Dreilinden und Neu-Zehlendorf gebildeten Besitz seines Neffen, Prinz Friedrich Karl, die Eigenschaft eines landtagsfähigen Rittergutes mit dem Namen Düppel. Und der Kaufmann Wilhelm Conrad nannte sein1870 am Wannsee errichtetes Haus „Villa Alsen". Diesen Namen übertrug 1872 auf seinen Antrag das Landratsamt des Kreises Teltow auf die seit1869 am Wannsee entstehende Villenkolonie. Auch dafür waren ähnlich wie bei Düppel patriotische Motive ausschlaggebend; denn mit dem Übergang auf die Insel Alsen war der Deutsch-Dänische Krieg entschieden worden. Die Gegend am Wannsee hatte außerdem Conrads Schwager Louis Napoleon von Colomier, der als General der Artillerie an der Erstürmung der Düppeler Schanzen beteiligt war, an die jütische Landschaft um die Insel Alsen erinnert. Sein Andenken wird übrigens mit der Colomierstraße direkt am Großen Wannsee geehrt.
Den Flensburger Löwen brachten die preußischen Truppen 1867 nach der Annexion beider Herzogtümer als Kriegsbeute nach Berlin und deponierten ihn im Hof des Zeughauses. Nach Fertigstellung der Kadettenanstalt wurde er Ende der siebziger Jahre nach Lichterfelde überführt und dort zur Erinnerung an die im ersten Gefecht mit Dänemark am 9. April 1848 bei Bau gefallenen Studenten und Freiwilligen vor dem Kommandanturhaus aufgestellt. Aus Verehrung für den siegreichen Heerführer, den Prinzen Friedrich Karl, seinen Nachbarn in Düppel, ließ der schon erwähnte Kaufmann Conrad einen Zinkabguß des Flensburger Löwen anfertigen und an der nach dem Denkmal benannten Straße zum Löwen auf einer Art Schanze als ein weithin sichtbares Sieges- und Herrschaftszeichen aufstellen. Ein 1919 gestohlenes Bronzemedaillon mit dem Bildnis Friedrich Karls am vorderen Sockel und eine Bronzetafel am hinteren Sockel mit der Inschrift: „Dem Übergang nach Alsen am 29.6.1864 siegreich vollführt von Preußens Kriegern unter dem Oberkommando des Prinzen Friedrich Karl und der Führung des Generals Herwarth von Bittenfeld zu ehrendem Gedächtnis" erinnerten an die Verdienste des Prinzen. Erst 1938, im Zuge der Neugestaltung. Das Original vor der Kadettenanstalt gaben 1945 die Amerikaner an Dänemark zurück. Es steht heute im Kopenhagener Zeughausmuseum. Der Flensburger Löwe wurde einst als Siegessymbol errichtet. Heute jedoch, nach zwei verlorenen Weltkriegen und nach dem Verlust der deutschen Einheit, ist dieses Denkmal -auch durch sein eigenes Schicksal - zu einem Mahnmal für die Wechselfälle der neueren Geschichte geworden. *
Der Verfasser ist Herrn Hans-Werner Klünner für die Ermittlung verschiedener Daten sehr verbunden.
Aus den Mitteilungen: S. 75 Flensburger Löwe in Heckeshorn (Wetzel) 4/1988