siehe auch: Der Sumarius und die Judenverfolgung 1510

Ditzs ist der warhafftig Sumarius der gerichts hendel und proceß der gehalten ist worden uff manchfaldig Indicia, aussag, unnd bekentnus eines Pawl From genant der das hochwirdig Sacrament sambt einer monstrantzien auß der kyrchen zu Knobloch gestolen.

Und auch der begangen hendell der Juden die ir thetliche hennde an das aller heiligst hochwirdigst Sacrament unnd vil unschuldige cristliche kinder torstiglich geleget unnd im zehende Jar zu Berleinn gerechtfertigt sein wordenn.

Gedruckt zu Franckfurt an der Oder durch Johann Hanau im Jahre 1511

Im Jahre 2010 jährte sich zum fünfhundertsten Mal ein Prozess gegen märkische Juden wegen angeblicher Hostienfrevel und Ritualmorde. Solche Prozesse - nicht nur religiös, sondern auch wirtschaftlich motiviert - waren im 13. - 15. Jahrhundert auch im deutschsprachigen Raum nicht selten. Der Berliner Prozess war jedoch der letzte große Schauprozess gegen die Juden, danach konnten derartige Anklagepunkte im Zeitalter der Reformation in Deutschland nicht mehr vorgebracht werden.

Im Juni 1510 wurden auf Grund falscher Aussagen eines christlichen Kirchendiebes mehr als 100 Angehörige jüdischer Familien in der Mark festgesetzt und nach peinlichen Verhören der Prozess gegen 41 von ihnen eröffnet. Das Urteil wurde am 19. Juli 1510 auf dem Neuen Markt vor der Berliner Marienkirche verkündet. 38 unschuldige Juden wurden noch am gleichen Tag auf einem Scheiterhaufen vor der Stadt verbrannt, zwei weitere am Folgetag geköpft. Anschließend mussten alle märkischen Juden auf Weisung des Kurfürsten Joachim I. unter Zurücklassung ihres Vermögens das Land verlassen. Seinem Nachfolger Joachim II. jedoch bewies Philipp Melanchthon 1539 auf dem Fürstentag in Frankfurt/Main, dass die Juden zu Unrecht beschuldigt worden waren.

Das breite öffentliche Interesse an dem Prozess wurde damals durch Druckschriften befriedigt. Diese Publikationen sollten das Geschehen rechtfertigen und waren auch geprägt von antijüdischer Polemik. Flugschriften dazu stammen bereits vom September 1510. Die ausführlichste Darstellung der Ereignisse jedoch erschien ab Februar 1511 in hoch- und niederdeutschen Fassungen bei Johann Hanau in Frankfurt/Oder unter einem sehr langen Titel, beginnend „Ditzs ist der wahrhafftig Sumarius der gerichts hendel unnd proceß ..." , heute kurz „Sumarius" genannt.

Der Sumarius ist einer der frühesten Drucke aus der Mark Brandenburg mit wenigen erhaltenen Exemplaren. 1871 erhielt die Bibliothek des Vereins für die Geschichte Berlins als private Spende einen Sumarius, leider ohne Original-Titelblatt und -Rückseite. Dieses Exemplar enthält auf 42 Seiten 24 Holzschnitte von 22 Stöcken, zwei Holzschnitte wiederholen sich also. Die Holzschnitte wurden uneinheitlich in den Text eingefügt und sind von vergleichsweise minderer Qualität, geben jedoch mannigfaltige Aufschlüsse über das Leben um 1510. Die Stiftung Stadtmuseum Berlin besitzt dagegen eine fast vollständige Ausgabe in niederdeutscher Sprache. Dieser Druck enthält zur Illustration 25 Holzschnitte von 22 Stöcken.

Mit dieser Digitalisierung und Web-Publikation will die Bibliothek des Vereins für die Geschichte Berlins das starke Interesse an seinen ältesten und wertvollsten Bestand besser befriedigen, aber auch an die Opfer von Intoleranz und Antisemitismus erinnern.

Der vollständige Sumarius im PDF-Format [4,5 MB] zum Download

 


Beschreibung der Holzschnitte des Sumarius

Die Flugschrift berichtet über den letzten großen Hostienfrevel-Prozess im Deutschen Reich im Jahre 1510 in Berlin. Im Zeitalter der Reformation und des Humanismus konnte dieser Anklagepunkt später nicht mehr glaubhaft vorgetragen werden.
Der im Eigentum des Vereins für die Geschichte Berlins befindliche Sumarius enthält 24 Holzschnitte, davon sind zwei Motive doppelt. Es sind also 22 Holzschnitte zu beschreiben. Original-Titelseite und Rückseite fehlen, sind aber durch eine Verlegeranzeige überliefert.
Bei der Betrachtung der Holzschnitte ist zu beachten, dass zeitlich aufeinanderfolgende Handlungen simultan in einer Darstellung abgebildet wurden, Akteure also häufig mehrfach erscheinen.

 

Holzschnitt 1: Dorfkirche in Knobloch am 6. Februar 1510

In der Dorfkirche von Knobloch nordwestlich von Brandenburg an der Havel steht der ambulante Kesselflicker Paul Fromm aus Bernau vor dem gewaltsam geöffneten Ciborium und entwendet eine vergoldete kupferne Monstranz und eine Messingbüchse mit zwei geweihten Hostien. Durch am Tatort zurückgelassene Objekte, Messer und Lötkolben, gerät er später unter Verdacht.

 

Holzschnitt 2: Bernau am 15. Februar 1510
Nachdem auf Fromm der Verdacht des Diebstahl gefallen war flieht er aus seiner Heimatstadt und lässt die geraubten Gegenstände zurück. Der Bernauer Bürgermeister besichtigt mit zwei Begleitern die in den Zweigen eines Baumes an der Stadtmauer hängende Monstranz, das sie einst bekrönende Kreuz liegt auf dem Boden einer Straße und wird von zwei Bürgern betrachtet.

 

Holzschnitt 3: Bernau am 3. Juni 1510
Der des Diebstahls verdächtigte Paul Fromm wird nach seiner Rückkehr vom Bernauer Stadtdiener verhaftet und räumt ohne Folteranwendung den Diebstahl ein. Da es sich um einen Kirchenraub im Havelland handelt muss der Brandenburger Bischof benachrichtigt werden.

 

Holzschnitt 4: Bernau am 9. Juni 1510
Der Brandenburger Bischof delegiert nach Bernau den Stiftshauptmann Heinrich von Betzschitz. Dieser verhört in einem Raum mit Gitterfenstern den Dieb. Er bezweifelt die Aussage Fromms, er habe beide entwendeten Hostien aufgegessen. Fromm sitzt auf einem Tisch, vor ihm der Stiftshauptmann mit einer Büchse in der Hand, hinter ihm sein Schreiber. Die gestohlene Hostienbüchse war in einem wertvolleren Behältnis, das Fromm merkwürdigerweise zurückließ. Im Hintergrund weist der Bernauer Scharfrichter mit seinen Händen auf die Folterwerkzeuge an der Wand. Schließlich behauptet Fromm, die zweite Hostie am Tage nach dem Diebstahl dem Spandauer Juden Salomon verkauft zu haben, siehe Holzschnitt 5.

 

Holzschnitt 5: Spandau am 7. Februar 1510
Im Hintergrund: Fromm verzehrt in der Dunkelheit eine Hostie in der Nähe von Staaken, die Hostie verursacht einen Lichterglanz.
Im Vordergrund: Fromm verkauft die zweite Hostie an den Juden Salomon.

 

Holzschnitt 6: Spandau
Salomon malträtiert die Hostie mit einem Messer, weil er das christliche Dogma, die Realpräsenz Christi im Sakrament, anzweifelt. Dem Laien soll verdeutlicht werden, dass die Juden nach der Kreuzigung Christi Fleisch in Form der Hostie erneut foltern wollen, der abstrakte Vorwurf des „Gottesmordes" wird greifbar gemacht. Die Hostie zerspringt schließlich in drei Teile.

 

Holzschnitt 7: Brandenburg und Stendal
Ein Drittel der Hostie sendet Salomon an den Juden Jacob in Brandenburg/Havel, ein weiteres Drittel an den Juden Marcus in Stendal. Das hatten sie vorher so abgesprochen, sollte einer von ihnen in den Besitz einer Hostie kommen. Der Holzschnitt zeigt jeweils die Übergabe des Hostiendrittels in Brandenburg und Stendal.

 

Holzschnitt 8: Spandau
Salomon versucht das ihm verbliebene Hostienteil im Hintergrund in ein Gewässer zu werfen. Im Vordergrund will er es dem Feuer überantworten. Beides gelingt ihm nicht.

 

Holzschnitt 9: Spandau
Salomon drückt das Hostiendrittel in einen Weizenteig, der Teig färbt sich zu seinem Schrecken rot. Er macht aus dem Teig einen Matzkuchen und legt ihn in einen Backofen. Wieder geschieht ein Wunder, er erblickt im Ofen hellen Glanz und über dem Kuchen ein Kind mit segnend ausgebreiteten Armen. Er resigniert und hängt den Matzkuchen in der Spandauer Synagoge auf.

 

Holzschnitt 10: Brandenburg/Havel
Rechts Verhaftung des Juden Jacob wegen Hostienfrevels, links Jacob im Gefängnis. Er behauptet, in der Nacht seien ihm Maria und acht Jungfrauen erschienen. Er bittet daher um die christliche Taufe.

 

Holzschnitt 11:
Jacob erklärte unter Folter, der Sohn des Spandauers Salomon habe ihm das Hostiendrittel überbracht, der Rabbi Sloman von Brandenburg sei von ihm in Kenntnis gesetzt worden. Auf Anordnung des Kurfürsten wird er daraufhin auf einem Wagen nach Berlin transportiert. Der Holzschnitt zeigt die Aussage des Jacob, während der Fahrt sei ihm einige Male die Jungfrau Maria erschienen und habe ihn von den Handfesseln befreit. Das Wunderzeichen bestärke ihn in dem Wunsch zum Wechsel des Glaubens.

 

Holzschnitt 12: Brandenburg/Havel
Unter Folter gesteht Jacob, in seinem Hause im Beisein des Rabbi Sloman auf das Hostienstück eingestochen zu haben.

 

Holzschnitt 13: Stendal
Der Jude Marcus gibt unter Folter zu, das ihm übersandte Hostienteil in seinem Hause im Beisein anderer Glaubensbrüder mit einem Messer malträtiert zu haben.

 

Holzschnitt 14:
Neuer Vorwurf gegenüber den inhaftierten Juden: Kauf von Kindern vor einigen Jahren, um sie zu martern und zu töten. Auf dem Holzschnitt verkauft ein bärtiger Christ für 10 Gulden einen Knaben von drei bis vier Jahren an einen Juden. Im Hintergrund deuten Gegenstände auf das Gewerbe des Juden hin, eine Pfandleihe.

 

Holzschnitt 15:
Darstellung der Marterung und Tötung eines christlichen Kindes durch Juden. In einem Keller wird ein Kind mit Nadeln gestochen, um das Blut aufzufangen. Dem Blut unschuldiger Christenkinder wurde eine heilende Wirkung bei Krankheiten nachgesagt. Im Hintergrund ist die anschließende Tötung des Kindes mittels Durchschneiden der Kehle zu sehen.

 

Holzschnitt 16: Berlin am 11. Juli 1510
Die ca. 100 nach Berlin gebrachten Juden wurden nacheinander verhört wegen des Verdachts der Hostienschändung und des Kindesmordes, zur Anklage kommt es gegen 51 Juden. Später verurteilt wurden 41 Juden, die restlichen 10 überlebten entweder die Folter nicht oder entzogen sich durch Suizid.
Paul Fromm steht vor einem Tisch, rechts unten die Juden mit spitzen Hüten.

 

Holzschnitt 17: Berlin
Vorbereitungen zum Schauprozess mit Anhörungen

 

Holzschnitt 18: Berlin Neuer Markt am 19. Juli 1510
Man sieht drei übereinander gebaute Podien, ganz oben die gelehrten Juristen, die ggf. die Richter und Schöffen auf der mittleren Ebene unterstützen sollen. Neben dem Richter Hans Brackow und den Schöffen sitzen Gerichtsschreiber, Zeugen und Fürsprecher. Auf dem untersten Podium Paul Fromm und die Juden mit spitzen Hüten, alle werden zum Tode verurteilt.

 

Holzschnitt 19: Paul Fromm wird auf einem Wagen sitzend durch Berlin und Cölln gefahren und mit glühenden Zangen misshandelt. Neben ihm ein trostspendender Geistlicher.

 

Holzschnitt 20: Berlin
Auf einem Scheiterhaufen vor der Stadt - nach Holtze an der Stelle des heutigen Strausberger Platzes - waren in Vorbereitung bereits Roste in Mannshöhe übereinander gebaut worden, belegt mit Holz, Stroh und Pech. 38 Juden wurden an den Hälsen mit Eisen fixiert und dem Feuer überantwortet. Rechts unten sieht man Paul Fromm an eine Säule gefesselt, unter ihm ein Scheiterhaufen. Ein Geistlicher kniet neben ihm.

 

Holzschnitt 21: Berlin am 20. Juli 1510
Zwei zum Christentum bekehrte Juden, Jacob von Brandenburg und Joseph aus Seehausen, werden auf dem Rabenstein vor der Stadt enthauptet. Ein weiterer zum Christentum übergetretener Jude soll wegen seiner Verdienste als Augenarzt begnadigt und freigelassen worden sein.

 

Holzschnitt 22:
Auf Weisung des Kurfürsten Joachim I. müssen alle Juden unter Zurücklassung Ihres Vermögens die Mark Brandenburg verlassen. Erst ab 1532 kamen mit Duldung des Kurfürsten wieder Juden nach Brandenburg.


Martin Mende (April 2011)