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Allgemeine Fragen zur Geschichte Berlins

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Re: Ringverein "Immertreu" und "Muskel-Adolf" 24 Nov 2009 22:21 #1259097715

  • Hagen
  • Hagens Avatar Autor


07.01.1929:
Ringverein verboten


Autorin: Susanne Tölke
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Fünfeinhalb Jahre Knast, das letzte Jahr hamse Dir erlassen wegen guter Führung, und was nu? Eine Frage, die im Jahr 1890 mehrere Herren in der Berliner "Schnurrbartdiele" im Scheunenviertel erörterten. Jeder von ihnen hatte einschlägige Erfahrung und wusste, wie schwer es war, wieder Fuß zu fassen, wenn man gerade aus der Haftanstalt kam. Und so beschlossen die Ex-Häftlinge, eine solidarische Vereinigung für ihresgleichen zu gründen, den "Reichsverein ehemaliger Strafgefangener". Mitglied durfte nur werden, wer vorbestraft war. Die Schnurrbartdiele wurde zum ersten Vereinslokal erklärt, und schon bald gaben sich die Hilfesuchenden die Klinke in die Hand. Der Interessenverband funktionierte, und weil jeder Kiez einen eigenen Verein gründete, gab es nach ein paar Jahren schon zwölf davon.

Was machen zwölf Vereine mit gleichen Interessen? Sie gründen einen Dachverband. Im Jahr 1898 entstand so der "Ring Berlin", dessen Geschichte wir dem Berliner Autor Peter Feraru verdanken, der sich mit Akribie durch Kriminalakten und Gerichtsprotokolle wühlte und darüber das wunderbare Buch "Muskel-Adolf und Co" verfasste.

Der Name Ringverein hatte nichts mit dem Sport zu tun, obwohl viele Mitglieder Ringer und Boxer waren - er spielte vielmehr auf den ringförmigen Zusammenschluss an. Die einzelnen Ringvereine schmückten sich mit blumigen Namen, wie "Rolandseiche", "Deutsche Kraft" oder "Immertreu".
Die Satzung wurde verfeinert, jeder Bewerber musste jetzt mindestens zwei Jahre Zuchthaus abgesessen haben, allerdings nicht wegen Mordes oder wegen eines Sexualdelikts - damit wollten die Ringbrüder nichts zu tun haben. (Der Kandidat musste zudem zwei Bürgen vorweisen, die bereits Mitglieder des Vereins waren. Es folgte die Probezeit, in der der Bewerber bei Einbrüchen Schmiere und bei Vereinssitzungen Wache stand - als Vereinslokale wurden grundsätzlich nur Wirtschaften mit Hinterausgang gewählt.) Wenn der Bewerber sauber war, wurde er in einer feierlichen Zeremonie aufgenommen, die in nichts den Ritualen der bürgerlichen Vereine nachstand. Über dem Stammtisch von "Immertreu" prangte die Vereinsfahne mit dem Motto:
"Lass Neider neiden, Hasser hassen, was Gott uns gönnt, muss man uns lassen."

Zu Sitzungsbeginn sangen alle das Vereinslied "Ja, wir sind Brüder", dann musste der Kandidat schwören, alles geheim zu halten, was im Verein besprochen wurde und keines der Mitglieder je aufs Kreuz zu legen. Anschließend wurden die Statuten verlesen: "Der Verein hat es sich zur Pflicht gemacht, seinen Mitgliedern in Notfällen und Krankheit zu helfen und ihre Frauen und Kinder zu unterstützen." Das sah dann so aus, dass einsitzende Vereinsbrüder regelmäßig Pakete bekamen und die Ehefrau Geld für Miete und Essen erhielt, allerdings auch ab und zu den unangemeldeten Besuch eines Ringbruders. Der wollte nur mal "Tach" sagen und gucken, ob die Gattin einen heimlichen Liebhaber hatte. War das der Fall, wurde sie aus der Liste gestrichen - das verlangte die Ganovenehre. Wie es sich für einen richtigen Verein gehört, gab es Frühlingstanz, Silvesterball und Gründungsfest - in Walterchens Ballhaus, im Haus Vaterland oder im Tanzpalast Femina.

Freilich - je mehr die Ringvereine expandierten, umso mehr verloren sie den Charakter eines sozialen Hilfsvereins für Exhäftlinge. Nach dem Ersten Weltkrieg stand der Gedanke, einander zu helfen und brüderlich zu teilen, nicht mehr im Vordergrund. Stattdessen wollte man das große Geschäft machen: Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Wettbetrug. Der Ring Berlin entwickelte sich zum Syndikat. Das merkte auch die Polizei, und am 7. Januar 1929 wurde der Ringverein "Immertreu", der größte seiner Art, gerichtlich verboten - obwohl er als Verteidiger Berlins berühmteste juristische Koryphäe engagiert hatte, Dr. Erich Frey. Dem wurde übrigens während der Verhandlung der teure pelzgefütterte Mantel aus der Anwaltsgarderobe geklaut. Doch da zeigte sich, dass die alte Ganovenehre noch funktionierte: Am Heiligabend desselben Jahres wurde an Dr. Freys Wohnungstür ein Überraschungspaket abgegeben. Als er es aufmachte, fand er seinen Pelzmantel - mit hochachtungsvollen Grüßen von "Immertreu".

Re: Ringverein "Immertreu" und "Muskel-Adolf" 23 Nov 2009 13:20 #1258978840

  • Thomas Regner
  • Thomas Regners Avatar Autor
Hallo Allerseits,
gestern sah ich den interessanten Beitrag über den Ringverein Immertreu, im Vorabendprogramm.
Mich würde nun intessieren in welchem Gerichtsgebäude dieser berühmte Prozess statt fand? Insbesondere hat die in dem Beitrag zusehende Außenfassade meine Neugierde geweckt....
Kann mir jemand sage um welches Gebäude es sich hier handelte?

Vielen Dank im Voraus!
T. Regner

Re: Ringverein "Immertreu" und "Muskel-Adolf" 18 Okt 2009 15:06 #1255871218

  • Peter Feraru
  • Peter Ferarus Avatar Autor
Durch Zufall landete ich hier. Schreiben Sie mir doch ein Mail unter "Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!" und ich will sehen was zu machen ist. Ich besitze noch einige private Fotos von Ringbrüdern. Dsa Kriminalmuseum hat die Fahne, ein paar Mitgliedsbücher, auch Karrikaturen, aber das war es schon.
Saludos.

Re: Ringverein "Immertreu" und "Muskel-Adolf" 24 Sep 2009 11:06 #1253783190

  • Detlef Krenz
  • Detlef Krenzs Avatar Autor
Es gibt ein zweites Buch. Von Peter Feraru
Muskel Adolf & Co. Die Ringvereine und das organisierte Verbrechen in Berlin
erschienen bei Argon 1995 ISBN 3-87024-785-1.
Auf der Rückseite finden sie ein wunderschönes Gruppenfoto von Immertreu, darüber hinaus gibt es im Archiv des Kreuzbergmuseum eine Archivkiste zum Thema Verbrechen in Friedrichshain, wo auch Fotos von Ringvereinmitgliedern enthalten sein dürften. 030/50585234 einfach mal fragen Email angeben usw. vielleicht tut sich was.

Re: Ringverein "Immertreu" und "Muskel-Adolf" 24 Sep 2009 10:29 #1253780973

  • Martin Mende
  • Martin Mendes Avatar Autor
Der Ringverein "Immertreu" von Muskel-Adolf machte 1929 in Berlin Schlagzeilen durch den sogenannten Immertreu-Prozess nach einer Massenschlägerei in der Nacht vom 29. zum 30. Dezember 1928 in der Breslauer Straße. Der prominente Anwalt Dr. Dr. Erich Frey hatte mit Max Alsberg die Verteidigung übernommen und erreichte geringe Strafen, Muskel-Adolf kam mit 10 Monaten Gefängnis wegen "einfachen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Raufhändel" davon. Ein Foto des Ringvereins Immertreu aus dem Jahre 1928 mit Muskel-Adolf finden Sie in dem Buch von Werner W. Malzacher: Berliner Gaunergeschichten - Aus der Unterwelt 1918 - 1933, Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung Berlin 1970. Auch ein Foto vom Prozess am 12. Februar 1929 ist enthalten.
Über die Massenschlägerei wurde intensiv in den Berliner Medien berichtet. Sie können mit Sicherheit Fotografien vom Axel Springer Verlag Infopool ullstein bild erhalten, E-Mail-Adresse: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Außerdem empfehle ich eine Nachfrage beim Berliner Kriminalmuseum, Platz der Luftbrücke 6, 12101 Berlin. Tel. 030-6992801
Mit freundlichen Grüßen nach München

Martin Mende

Ringverein "Immertreu" und "Muskel-Adolf" 23 Sep 2009 11:04 #1253696684

  • Antje Hamann
  • Antje Hamanns Avatar Autor
Ich arbeite in der TV-Redaktion "Welt der Wunder" und recherchiere gerade für einen Beitrag über die Ringvereine im Berlin der 20er Jahre. Wir möchten unsere Inszenierung natürlich so authentisch wie möglich gestalten und suchen daher Bilder von Vereinsmitgliedern, ganz besonders vom Muskel-Adolf (=Adolf Leib, der Anführer). Leider brachte bis jetzt auch intensive Suche nicht den erhofften Erfolg... Kann mir jemand von Ihnen vielleicht weiterhelfen?

Vielen Dank und viele Grüße aus München,

Antje Hamann