Trotz Fliegeralarm um 8.15 Uhr tagte am Nachmittag des 6. Januar die Hauptversammlung bei Landré. Auch die Feier zum 80jährigen Bestehen des Vereins am 27. Januar wurde dort von Hermann Kügler ausgerichtet. Er sprach über gemeindeutsch gewordene Berliner Wörter und Redensarten. Der Kunstmaler Wilhelm Lüdtke verfasste zum Jubiläum zwei Gedichte, eines davon lautete wie folgt:

Heute gehen wir leer, wir haben kein Heim,
durch die Trümmer quer zu dem Verein.
Der Dom zerschlagen, Archiv verbrannt,
wir müssen ertragen den Krieg im Land.
Gedanken heut jagen zum Einst zurück.
Wir dürfen nicht klagen vom zerstörten Glück.
Wir sammelten Werke in achtzig Jahren,
es war unsre Stärke für Not und Gefahren.
Ein „Dennoch" steigt in jedes Herz,
Geschichte uns zeigt den Sieg über Schmerz.

Die Deutsche Allgemeine Zeitung vom 26. Januar 1945 würdigte das Jubiläum unter der Überschrift: 80 Jahre „Geschichtsverein". Die Abhandlung endete mit dem Satz:
„Dass auch im neuen, kommenden Berlin nach siegreicher Beendigung des Krieges der Geschichtsverein an seinem Platze stehen und sein Werk fortsetzen möge, ist die Hoffnung aller, die sich der Bedeutung seiner Arbeit bewusst sind." Die Berliner Morgenpost schrieb zum gleichen Anlass über die Geschichte des Vereins und ging auch auf die Kriegsverluste ein: „Eine der ganz wenigen Kostbarkeiten, die gerettet werden konnten, ist die Autographensammlung. Die vermutlich einzig vorhandene Handschrift von Schlüter, dem großen Bildhauer, steht unter einer Quittung über den Geldbetrag bezüglich eines Bauvorhabens. E. T. A. Hoffmann ist mit Zeichnungen und Aufzeichnungen vertreten, Fontane mit so mancher ungedruckten Perle."[36]

Am 1. Febr.1945 wurde die Stadt zur Festung erklärt. Seit Anfang Februar war auch der Schatzmeister Arthur Lessing (Mitglied seit 1926) zum Volkssturm eingezogen und äußerte gegenüber Hermann Kügler resigniert, es sei ihm nunmehr alles egal. Der schwerste Luftangriff amerikanischer Bomber auf Berlin vom 3. Februar verursachte den Tod von 2600 Einwohnern und Kügler notierte am 8. Februar:

„Landré ist am 3. Febr. völlig ausgebrannt. Ich weiß noch nicht, wohin wir am 17. Febr. gehen werden. Sollte ich einen Ort gefunden haben wird er in der Presse bekannt gemacht. Heute ist Dr. Jahn auf dem Friedhof der Petri-Gemeinde bestattet worden; außer mir waren nur Kaeber, Dr. Peters vom Stadtarchiv und drei alte Damen da, die Frl. Jahn zur Seite standen. Es fehlten Leichenträger."

Der für den 17. Februar vorgesehene Vortrag von „Frl. Fürstenau" über „Fontane und die märkische Geschichtsforschung „ entfiel. Hans Martin, langjähriger Schriftführer und Herausgeber der Mitteilungen, starb im März bei einem nächtlichen Luftangriff im Alter von 62 Jahren. Seit dem Einmarsch der Russen in Ostpreußen war der Vereinsbibliothekar Hasselberg dort verschollen. Am 7. April. registrierte Dr. Kügler noch den Regierungsrat Dr. jur. Horst Arndt aus Friedenau als neues Mitglied..Am 25.April wurde der öffentliche Nahverkehr eingestellt. Der für den 28. April geplante Vortrag von Dr. Rehfeld „Der erste Verkehr von Massengütern auf der Berliner Eisenbahn" entfiel wegen der Endkämpfe in der Stadt. Dr. Conrad von Borsig wurde auf seinem Gut in Pommern erschlagen, Dietloff von Arnim-Rittgarten wählte wie viele andere beim Einmarsch der sowjetischen Truppen den Freitod. Der 2. Archivar Günther Tschöpe wollte seine Ehefrau vor Vergewaltigungen schützen und wurde von russischen Soldaten am 2. Mai erschossen. Auch der ehemalige Landrat des Kreises Niederbarnim Sigismund von Treskow kam in diesen Tagen um. Noch wenige Monate zuvor hatte Kügler dem alten Herrn von Treskow zu seinem 80. Geburtstag gratuliert. Von Treskow erlebte die Besetzung seines Schlosses in Friedrichsfelde durch die Russen, verbrachte noch einige Tage auf dem Gut seines Vetters in Dahlwitz und verstarb am 23. Mai 1945, weil kein Insulin für ihn aufzutreiben war. Auch Dr. Hans Koch (Mitglied seit 1930) überlebte die letzten Stunden des „Dritten Reiches" nicht. Von Beruf Rechtsanwalt hatte er 1937 Pastor Martin Niemöller vor dem Volksgerichtshof verteidigt und sich um dessen Freilassung bemüht.Er wurde zusammen mit seiner Frau nach dem 20. Juli1944 verhaftet und bis zum 23. April 1945 im Gestapo-Gefängnis Prinz-Albrecht-Str. verhört und misshandelt. Am Morgen des 24. April erschoss ihn ein Sonderkommando des Sicherheitsdienstes vor einem Keller in der Puttkamerstraße.

 

Nach Kriegsende 1945

In Babelsberg starb am 31. Mai kurz vor seinem 80. Geburtstag Prof. Dr. Friedrich Sarre (Mitglied seit 1913), von 1904 bis 1931 Direktor der Islamischen Abteilung der Berliner Museen und Leiter der Ausgrabungen in Samarra/Mesopotamien.

Der Verein besaß bei Kriegsende – so konstatierte es 1960 Schatzmeister Lessing – ein Vermögen in Form von Wertpapieren, Bank- und Postscheckguthaben in Höhe von etwa
40.000 Reichsmark Nach der Kapitulation bestand für alle politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vereinigungen ein Betätigungsverbot. Ernst Kaeber wurde vom Leiter der Abteilung Volksbildung Otto Winzer ab Juli 1945 als Leiter des Stadtarchivs eingesetzt. Er begann aus dem Keller des Berliner Rathauses die Karten-, Plan- und Ansichtensammlung des Stadtarchivs zu bergen und verbrachte die Bestände in das Gebäude Behrenstraße 64/65 neben dem ehem. Bischöflichen Ordinariat.

Am 23. November 1945 erschien in der CDU-Tageszeitung Neue Zeit ein Beitrag unter dem Titel „Alt-Berlin darf nicht sterben – Was wird aus dem Verein für die Geschichte Berlins?"
Ernst Kaeber hatte schon bald nach seiner Wiedereinsetzung als Stadtarchivdirektor die Fortführung des Vereins angestrebt. Über das unter der Leitung von Otto Winzer gegründete Volksbildungsamt des Magistrats von Berlin ging seine Aufforderung an die Bezirksämter:

„Seit dem Jahre 1865 besteht ein Verein für die Geschichte Berlins, der sich von Anfang an der Förderung der städtischen Behörden erfreut hat. Seine Mitglieder setzten sich aus allen Schichten der Berliner Bevölkerung, nicht nur der Innenstadt, sondern auch der ehemals selbständigen Vororte zusammen. Wie alle Vereine ist auch dieser als aufgelöst zu betrachten. Der Leiter der Abt. für Bücher- und Archivwesen beim Magistrat ist indessen der Ansicht, dass eine Wiederbelebung des Vereins durchaus wünschenswert ist und hat den unterzeichneten Leiter des Stadtarchivs ersucht, vorbereitende Schritte dafür zu tun. Es wird daher gebeten, die Bevölkerung, etwa gelegentlich von Vorträgen in Volkshochschulen und ähnlichen Bildungsanstalten auf die Wichtigkeit der Heimatgeschichte hinzuweisen und alle diejenigen, die sich dafür interessieren, zu bitten, ihre Anschriften dem Stadtarchiv mitzuteilen. Ganz besonders dankbar würde es begrüßt werden, wenn auch Mitglieder der Bezirksverwaltung ihre Kräfte der Pflege der Heimatgeschichte im weitesten Umfang, wie sie der Verein stets betrieben hat und auch in der neuen Form zweifellos betreiben wird, widmen würden."

Es sollte bis 1947 dauern, bis sich die Interessenten im Neuen Stadthaus in der Parochialstraße zusammenfanden, um eine Vereinsneugründung unter dem Namen „Verein für Zeitgeschichte" vorzubereiten. Ein Verein mit diesem Namen kam aber in Berlin nie zustande.