Am 19. Januar 1935 feierte der Verein im Rahmen einer Festsitzung im Berliner Rathaus sein 70jähriges Bestehen.

 

05-70jahrfeier-1935

Abbildung: Großer Festsaal im Berliner Rathaus, Mitglieder und Gäste der Festsitzung am 19. Januar 1935 zum siebzigjährigen Bestehen des Vereins. Sichtbar ist die Nordseite des Festsaals.
Fotograf: Martin Höhlig, Bellevuestr. 21, Mitglied des Vereins

Der Vorsitzende Dr. Kügler sitzt in der 2. Reihe von unten in der Mitte hinter einer Dame auf dem Boden, eingerahmt von seiner Ehefrau (links) und Frau Doht (rechts), daneben Dr. Walter Doht. Neben der linken Tür steht ganz hinten Küglers Stellvertreter Dr. Eberhard Faden. An der linken unteren Ecke des Hindenburg-Gemäldes ist zwischen Bilderrahmen und Säule Dr. Ernst Kaeber zu erkennen. In der 3. Reihe von unten sieht man unterhalb einer Dame Willibald Meyer neben Eduard Brandt (mit Schnauzbart). In der ersten Reihe auf dem Fußboden als 3. von links der Fotograf Heinrich Lichte, als 5. von links Erich Hammer (mit Bart), als 8. von links Kurt Brockerhoff. Vor dem rechten Türflügel der rechten Tür steht Felix Hasselberg (erkennbar an Brille und Fliege).

Der Festsaal des Berliner Rathauses brannte beim ersten Großangriff auf Berlin am 22./23. November 1943 völlig aus. 1944 und 1945 folgten weitere Zerstörungen des Festsaals durch Vernichtung der Kassettendecke, während die Wandarchitektur mit Arkaden und Galerie erhalten blieb. Beim Umbau des Festsaals zum Stadtverordnetensaal nach 1952 wurde der Raum einschneidend verändert und die Raumhöhe um das ursprünglich von der Galerie gebildete dritte Geschoss reduziert. Eine neue Rabitzdecke wurde in entsprechender Höhe eingehängt. Die Pfeiler und Säulen an den Saalwänden verschwanden unter einer Rabitzverkleidung.

Mit Prof. Robert Mielke (Mitglied seit 1889) wurde ein Volkskundeforscher zum Ehrenmitglied ernannt, der in seinen Schriften vor den Gefahren einer „Blutverschlechterung durch Vermischung mit ungeeigneten Elementen" warnte. Nationale Kultur könne nur auf rassischem Boden entstehen, so eine seiner Thesen.[14] Zusammen mit Ernst Friedel gab er vier Bände einer „Landeskunde der Provinz Brandenburg" heraus. Mielke starb noch im Jahr der Ehrung am 30. August 1935. Auf der Festsitzung nahm Kügler aus der Hand seines Stellvertreters „auf Bitte des Führerrats" die bronzene und silberne Fidicin-Medaille entgegen. Die Mitglieder erhielten als Festgabe im März 1935 einen Nachdruck des Schultzschen Planes von 1688 mit einer Erläuterungsschrift von Hans Jahn.[15]

Am 23. März. sprach der seit dem 27. Dezember 1934 amtierende Bürgermeister des Bezirks Mitte, Wilhelm Lach (Mitglied seit 1933), auf einer öffentlichen Sitzung des Vereins über die geschichtliche Sendung der Berliner Innenstadt. Er erklärte es für unmöglich, dass statt der „Linden" der Kurfürstendamm die Lebensnote angebe. Nach seiner Ansicht konnte das nur geschehen „unter einer marxistisch-liberalistischen Verwaltung, die ohne Verständnis für die Traditionen, nicht erkannte, dass die Innenstadt der substantiell wertvollste Teil von Berlin ist und bleiben muss."[16] Der 1901 geborene Lach wurde wenige Monate später Opfer eines Verkehrsunfalls.

Am 20. Mai 1935 informierte Kügler den Führerrat, dass er in Zukunft als Vorsitzender statt als Vereinsführer zeichne und auf der nächsten Hauptversammlung über sich die Vertrauensfrage stellen wolle. In der Vereinszeitschrift 3/1935 wurden als verstorbene Mitglieder aufgeführt: Hans Ullstein, Franz von Mendelssohn und der Kaufmann Berthold Israel. Berthold Israel (Mitglied seit 1912) war der Enkel des Warenhausgründers Nathan Israel. Sein Nobel-Kaufhaus in der Spandauer Straße gegenüber dem Berliner Rathaus galt mit seinen 2000 Angestellten seinerzeit als das „Harrods von Berlin". Es wurde am 9. Februar 1939 als letztes großes Warenhaus „arisiert". Heute erinnern nur noch zwei „Stolpersteine" auf dem Bürgersteig des Nikolaiviertels (Spandauer Straße Ecke Rathausstraße) an die Familie Israel.[17]

Eine längere Würdigung bekam das am 27. Juni 1935 verstorbene Mitglied Dr. Albert Kiekebusch. Als Leiter der prähistorischen Sammlung des Märkischen Museums von 1919- 1935 und durch seine Lehrtätigkeit an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin übte Kiekebusch einen großen Einfluss auf den wissenschaftlichen Nachwuchs aus. Entsprechend seiner deutsch-nationalen Gesinnung hatte er das Ende der Weimarer Republik begrüßt. Durch seinen Tod kurz nach der Pensionierung kam er nicht mehr dazu, seine zahlreichen Ausgrabungen wissenschaftlich aufzuarbeiten in Ergänzung seiner ca. 180 Veröffentlichungen zur Vorgeschichte.

Auch Justizrat Paul Meyer (Mitglied seit 1915) starb 1935. Der jüdische frühere Anwalt Theodor Fontanes hatte Mitte 1934 aus Altersgründen oder unter dem Druck der Verhältnisse seine Anwaltszulassung zurückgegeben. 1892 hatte er als Notar den Schriftsteller zum Gericht in der Neuen Friedrichstraße zur Beglaubigung des Testamentes begleitet. Meyers Neffe Hans Sternheim - Fontanes Patenkind - berichtete später, der Vertreter des Amtsrichters habe sich den Namen Fontane buchstabieren lassen. Sein Onkel soll zu Fontane danach traurig geäußert haben: „Juristen lesen keine Romane."[18] Hans Sternheim selbst wurde in Auschwitz ermordet.

Alfred Sachse, Mitglied seit 1928, Nachkomme französischer Einwanderer, gründete im Obergeschoss des Französischen Domes das Berliner Hugenotten-Museum. Es wurde am 29. Oktober eingeweiht. Sachse stellte zahlreiche Leihgaben zur Verfügung und bot Führungen durch die Ausstellung an. Er starb am 3. Mai 1945.

Das Mitglied Dr. Heinrich Spiero übernahm 1935 den „Reichsverband nichtarischer Christen", ab 1936 als „Paulusbund" weitergeführt. Der Literatur- und Kulturhistoriker arbeitete als freier Schriftsteller. Als „Volljude" erhielt er bereits 1933 Redeverbot, auch seine Bücher wurden verboten. Er organisierte als Verbandsvorsitzender kulturelle Veranstaltungen, eine Kinderverschickung und ein Mitteilungsblatt für den verfolgten Personenkreis. Trotz mehrfacher Verhaftungen gelang es ihm, die Emigration jüdischer Kinder nach England zu befördern. Seine Tochter lebte in einer „ privilegierten Mischehe" und konnte ihren Vater 1943 illegal vor der Deportation bewahren, er starb 1947.

Dr. Heinrich Sahm war seit seiner Wahl zum Oberbürgermeister 1931 Mitglied des Vereins. Seit Mai 1933 teilte er seine Macht mit dem Staatskommissar Julius Lippert. Dieser veranlasste sofort die Einstellung zahlreicher arbeitsloser Nationalsozialisten. Sahm war das bürgerliche Aushängeschild der neuen Machthaber.1935 warf man ihm vor, seine Ehefrau habe in einem jüdischen Geschäft Einkäufe getätigt. Einem möglichen Amtsenthebungsverfahren kam er durch einen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand zuvor. Durch Vermittlung des Außenministers Konstantin Freiherr von Neurath wurde er 1936 Gesandter in Oslo und verstarb dort 1939. Willy Brandt stellte ihm in seiner 1982 erschienenen Autobiographie „Links und frei" ein positives Zeugnis aus, er habe die politischen Emigranten in Norwegen in Ruhe gelassen, was keinesfalls eine Selbstverständlichkeit war. Wegen seiner kurzen Mitgliedschaft in der NSDAP wurde 2005 Sahms Grab aus der Liste der Ehrengräber gestrichen. Da sein Grabstein aber auch an seinen Schwiegersohn, den Widerstandskämpfer Ulrich-Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld – 1944 in Plötzensee ermordet - erinnert, bleibt dort eine Ehrengrabstätte.