Vor einhundert Jahren starb in Berlin der Fabrikant und Mäzen Oskar Pintsch. Er wurde am 13. März 1844 in Berlin als Sohn des Klempnermeisters Julius Pintsch geboren. Sein Vater betrieb zu dieser Zeit eine kleine Werkstatt am Stralauer Platz 4 für die Reparatur von aus England importierten Gasmessern. 1847 konstruierte er einen eigenen verbesserten Gasmesser und legte damit den Grundstein zu einem großen Firmenimperium. Seit 1863 produzierte die Fa. Pintsch unweit vom heutigen Ostbahnhof an der Andreasstraße 71-73. Hier befanden sich ursprünglich zwei Wohnhäuser der Familie Pintsch und dahinter die Stammfabrik in einem freistehenden Quergebäude.
Das Unternehmen entwickelte sich zu einem führenden Hersteller von Produkten, die mit Gas zu tun hatten: Gaszähler, Regulatoren, Eisenbahnbeleuchtung und gasbeleuchtete Seezeichen. Zum Beispiel markierten 1869 Leuchtbojen von Pintsch das Fahrwasser des neuen Suezkanals. Der Firmengründer ernannte 1879 seine drei Söhne Richard, Julius Karl und Oskar zu Geschäftsführern. Oskar hatte bereits von 1867 bis 1872 die Niederlassung in Dresden geleitet. Er wurde 1876 Mitglied des Vereins für die Geschichte Berlins. Sechs Jahre nach dem Tod des Vaters gründeten die Gebrüder Pintsch in Fürstenwalde eine Glühbirnenfabrik.
Die Architekten Cremer & Wolffenstein bauten für Richard und Oskar Pintsch 1883-1885 ein dreigeschossiges Wohnhaus in der Tiergartenstraße 4 A. Heute befindet sich an dieser Stelle der Bus-Parkplatz vor der Philharmonie Tiergartenstraße Ecke Herbert-von-Karajan-Straße. Das gleiche Architektenbüro errichtete 1906/1907 für die Julius-Pintsch -AG ein neues Verwaltungsgebäude und erweitere Fabrikationsanlagen auf dem Gelände Andreasstraße 71-73.
Oskar Pintsch und seine Ehefrau Helene vergaßen über den geschäftlichen Erfolg nicht ihre philanthropischen Neigungen. Auf Initiative von Dr. Konrad Biesalski, dirigierender Arzt der Orthopädie des Städtischen Krankenhauses am Urban, wurde in der Wohnung des Ehepaares Pintsch Tiergartenstraße 4 A am 27. November 1905 der „Krüppel- und Fürsorgeverein für Berlin-Brandenburg e. V." mit dem Ziel gegründet, ein Heim zur Heilung und Erziehung behinderter Kinder einzurichten. Helene Pintsch übernahm den Vereinsvorsitz und ermöglichte 1906 die Anmietung einer Etagenwohnung für zunächst acht Betten. 1908 konnten im Gesundheitshaus Am Urban bereits 150 Betten bereitgestellt werden. Oskar Pintsch schenkte 1909 „angesichts des in den Betten ausgebreiteten Elends und als Ausdruck des Dankes dafür, dass Gott ihm eine gesunde Tochter beschert hatte" dem Verein eine halbe Million Mark, nach heutiger Kaufkraft ca. 2,6 Millionen Euro.
1912 starben Oskar Pintsch wie auch sein Bruder Julius Karl. In den Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 2/1912 gedachte man des verstorbenen Mitglieds wie folgt: „Am 10. Januar 1912 starb unser verehrtes, treues Mitglied Herr Fabrikbesitzer Oskar Pintsch (Mitglied seit Oktober 1876), der die Bestrebungen unseres Vereins mehrfach tatkräftig unterstützt hat und ein Freund der heimatlichen Forschung, insbesondere der brandenburgisch-preußischen Geschichte war. In seinem gastlichen Heim am Tiergarten hat er häufig Freunde und Förderer der Interessen der Mark Brandenburg um sich versammelt." Oskar Pintsch ruht auf dem Georgen-Parochial-Kirchhof I Greifswalder Straße 229.
Die Mittel aus der Oskar-Pintsch-Stiftung dienten zum Ankauf eines Forstareals auf Dahlemer Gebiet an der Grenze zur Gemeinde Zehlendorf. Am 20. April 1914 konnten 156 Patienten das dort erbaute „Oskar-Helene-Heim für Heilung und Erziehung gebrechlicher Kinder" beziehen. Die Bau- und Betriebskosten hatte ein Zweckverband, gebildet aus Berlin, Charlottenburg, Schöneberg, Wilmersdorf, Neukölln, Lichtenberg, Steglitz, Friedenau und der Provinz Brandenburg, übernommen. Helene Pintsch blieb bis zu ihrem Tode 1923 Vorsitzende des Vereins. Aus dem ursprünglich als Rehabilitationsstätte für körperbehinderte Jugendliche konzipierten Haus wurde im Laufe der Jahrzehnte ein orthopädisches Krankenhaus. Ende 1983 war es nach umfangreichen Erweiterungen auf fast 400 Betten angewachsen. Im Jahre 2000 fusionierte das Oskar-Helene-Heim mit dem Behring-Krankenhaus und der Lungenklinik Heckeshorn; der Klinikstandort wurde auf das Gelände des Behring-Krankenhauses verlagert. Die Stiftung Oskar-Helene-Heim stellte 2004 ihre operative unternehmerische Tätigkeit ein und widmet sich seitdem durch den mit 50.000 Euro dotierten jährlichen Oskar-Helene-Medizin-Preis der Förderung von Wissenschaft und Forschung.
Richard Pintsch, der letzte der drei Brüder - seit 1912 ebenfalls Mitglied im Verein für die Geschichte Berlins - starb 1919. Zu seinen Ehren wurde bereits 1913 die Straße Nr. 50 in Britz in Pintschallee umbenannt. 1944 beschäftigte der Pintsch-Konzern mehr als 11.000 Arbeitskräfte. Bombenangriffe zerstörten in Berlin und außerhalb weite Teile des Betriebes, der nach 1945 in der SBZ unter Treuhandverwaltung kam und 1949 in den VEB Mechanik Gaselan überführt wurde. Seit 1956 stellte der VEB Fahrzeugausrüstung Berlin in der Andreasstraße 71-73 Ausrüstungen für Schienenfahrzeuge her, wurde 1990 in eine GmbH umgewandelt und verlegte seinen Sitz in das Gewerbegebiet Marzahn. Das denkmalgeschützte Gebäude Andreasstraße 71-73 steht - gut sichtbar von der Stadtbahntrasse - seitdem leer.
Im Westen Deutschlands fasste 1946 die Julius Pintsch West-KG mit Sitz in Frankfurt/Main, Erkrath und Hamburg die dortigen Zweigbetriebe zusammen. 1967 wurde die nunmehr unter dem Namen PINTSCH BAMAG AG agierende Firma durch Baron Hans-Heinrich Thyssen-Bornemisza übernommen. Nach weiteren Eigentumsübertragungen hat sich der Name Pintsch mit der PINTSCH BAMAG Antrieb- und Verkehrstechnik GmbH im Besitz der Schaltbau-Holding-AG München bis heute erhalten.
Martin Mende
Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 2/2012