Karl Helmerding (1822-1899)
Grabstätte: Jerusalems- und Neue Kirche, Friedhof II, Abt. 2, G 4
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als im Zuge der Industrialisierung die Städte immer größer wurden und immer mehr Menschen Unterhaltung und Zerstreuung suchten, entwickelte sich neben dem literarischen, dem „seriösen“ Theater, ein Unterhaltungstheater, das im Laufe der Zeit die unterschiedlichsten Genres hervorbrachte: Posse, Schwank, Operette, Boulevardstück. Berlin war um die Jahrhundertwende die Metropole mit der größten Vergnügungsindustrie des Kontinents, sie besaß „das intakteste Lachtheater aller Zeiten“ (Günther Rühle). Eine Vielzahl von Bühnen hatte sich auf Gedeih und Verderb der Heiterkeit verschrieben.
Was Nestroy für Wien, das war für Berlin Karl Helmerding: Einen „Menzel der Schauspielkunst“ hat man ihn genannt. Denn wie sein Zeitgenosse Adolph von Menzel war auch Helmerding viel unterwegs in Berlin, trieb sich auf Wochenmärkten herum und suchte die Handwerker in ihren Werkstätten auf. Was er sah und hörte, das skizzierte er in seinem Kopf, um es für seine Rollen zu benutzen.
Helmerding war geborener Berliner. Nach einer Schlosserlehre ging er auf die Wanderschaft, spielte Liebhaber und Intriganten und soll auch als Mephisto gesehen worden sein. Im Revolutionsjahr 1848 kam er in seine Geburtsstadt Berlin zurück, um an Callenbachs Sommertheater (in der Chausseestraße) zu spielen, wo die Zuschauer an langen Tischen im Freien saßen und während der Vorstellung rauchen, Bier trinken trinken und essen durften. Diese neuartige Verbindung von Kunst und Gastronomie kam bei den Berlinern sehr gut an. An vielen Orten eröffneten Theater unter freiem Himmel.
Helmerdings komische Begabung entdeckte der Wiener Komiker Franz Wallner, der sich nach vielen theatralischen Wanderjahren in Berlin seinen Traum vom eigenen Theater erfüllte und 1864 unweit der Jannowitzbrücke sein Wallner-Theater eröffnete. Sie waren ein Dreigestirn am Berliner Possenhimmel: der Theaterdirektor Franz Wallner, der Schauspieler Karl Helmerding und der Possendichter David Kalisch, der seinem Freund Helmerding viele Rollen auf den Leib schrieb.
Kalisch (er stammte wie alle berühmten Berliner aus Breslau) hatte einige Jahre in Paris gelebt und war dort viel ins Theater gegangen. Später arbeitete er Erfolgsstücke aus Paris und Wien für Berliner Verhältnisse um, ersetzte die Gemütlichkeit der alten Berliner Lokalpossen durch großstädtisches Tempo und Selbstbewusstsein. In Stücken wie Einmal hunderttausend Taler! oder Berlin wie es weint und lacht bewahrte er den subversiven Witz der Revolutionsstücke von 1848 - soweit die Zensur es zuließ. Eingefügten und ständig aktualisierte Couplets gaben den Schauspielern Raum für Improvisation und politische Anspielungen.
Karl Helmerding war 23 Jahre lang der Stolz und der Ruhm des Wallner-Theaters gewesen. Als sein Freund Wallner 1876 starb und er mit seinem Nachfolger nicht zurechtkam, zog er sich mit 56 Jahren (also noch in der Blüte seiner Jahre) vom Theater zurück. Mit seinem Tod 1899 ging eine Ära des populären Berliner Volkstheaters zu Ende. Um die Jahrhundertwende ließ die Attraktivität des Wallner-Theaters nach und neue Formen der Unterhaltung wie Varieté, Operette und Revue begeisterten ein Massen-Publikum.
Das Grab Helmerdings © Erika Babatz 2014
Text: Gerold Ducke; Fotos: Erika Babatz
Auszug aus ihrem Vortrag „Friedhof der Schauspieler“, gehalten Im Rahmen der Vortragsreihe des Vereins für die Geschichte Berlins am 3. September 2014