Ernst Kaeber
Ernst Kaeber wurde am 5. Dezember 1882 in Charlottenburg als Sohn des Direktors der Charlottenburger Wasserwerke Friedrich Kaeber geboren. Sein Vater starb bereits 1891 im Alter von 49 Jahren und die Witwe zog mit ihren sechs Kindern von der Akazienallee in Westend nach Alt-Lietzow 16 B. Ihr ältester Sohn Ernst besuchte das Städtische Realgymnasium in Charlottenburg und anschließend das Joachimsthalsche Gymnasium. Nach dem Abitur 1901 studierte er an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin Geschichte und neuere Sprachen. Für zwei Semester war er in Königsberg Schüler des Historikers Otto Krauske. Zurück in Berlin promovierte Kaeber 1906 bei Otto Hintze über „Die Idee des europäischen Gleichgewichts in der publizistischen Literatur vom 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts". Auf Empfehlung von Hintze stellte der Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive Reinhold Koser nach der mit „Sehr gut" beurteilten Promotionsprüfung Ernst Kaeber als Volontär ein. Die Prüfung für den höheren Archivdienst bestand Kaeber 1908 mit Auszeichnung. Er wirkte danach als Archivassistent in den Staatsarchiven Aurich, Düsseldorf und Magdeburg. Als der Leiter des Berliner Stadtarchivs Paul Clauswitz Ende 1912 in den Ruhestand ging, bewarb sich Kaeber und erhielt 1913 den Zuschlag. Der ab 1. April 1913 eingestellte neue Stadtarchivar trat umgehend dem Verein für die Geschichte Berlins bei. Er zog von Charlottenburg nach Berlin und wohnte zunächst im Hansaviertel (Lessingstraße) und anschließend von 1935 bis 1954 in der Dortmunder Straße 6.
Das Berliner Stadtarchiv bestand bei seinem Amtsantritt aus einem schmalen Raum im Berliner Rathaus, weitere Unterlagen befanden sich im Saal der Magistratsbibliothek, deren Mitarbeiter gelegentlich Hilfestellung leisteten. Von 1915 bis 1918 leistete Kaeber seinen Kriegsdienst und konnte sich erst ab 1919 dem Archiv widmen. Oberbürgermeister Adolf Wermuth forderte eine Geschichte der städtischen Verwaltung in den Kriegsjahren an und bekam von Kaeber das Werk „Berlin im Weltkriege- Fünf Jahre städtische Kriegsarbeit" (1921). Unter Kaebers Leitung wurde das Archiv bei Anwendung moderner Bewertungs- und Übernahmepraktiken strukturiert und durch den Aufbau einer Kartenabteilung und einer Ansichtensammlung ergänzt. Durch das Sammeln der Akten über das städtische Grundeigentum, der Stadtverordnetenversammlungen, der Baupolizei und der Schulverwaltung ermöglichte er eine erweiterte wissenschaftliche Erforschung der Stadtgeschichte.
Bereits seit November 1918 war Kaeber Mitglied der liberalen Deutschen Demokratischen Partei und engagierte sich von 1925 bis 1933 als Bezirksverordneter im Bezirk Tiergarten. 1927 begründete er die Schriftenreihe der „Berlinischen Bücher". Neben seiner umfangreichen publizistischen Tätigkeit wirkte er im Verein für die Geschichte Berlins. Dort war er seit 1926 neben Hans Martin Schriftwart und von 1932 bis Mitte 1937 alleiniger Schriftleiter für die Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, seit 1934 Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins. Kaeber heiratete 1929 Frieda Cronheim, einzige Tochter des jüdischen Textilkaufmanns Ludwig Cronheim. Nach dessen frühen Tod kam die Witwe in der Wohnung der Tochter und des Schwiegersohns in der Dortmunder Straße unter. Kaeber bekam gleich nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler berufliche Schwierigkeiten wegen seiner demokratischen Gesinnung und einiger Artikel über die Geschichte der Juden im Mittelalter. Ende 1934 gab er als Veröffentlichung der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin die wichtige Edition der Bürgerbücher und Bürgerprotokollbücher Berlins von 1701-1750 heraus. Ihm wurde bereits 1934 nahegelegt, sich von seiner jüdischen Ehefrau zu trennen. Nur bei einer Scheidung hätte er seine Stellung als Archivleiter halten können. Kaeber verweigerte eine Trennung und nahm die zwangsweise Versetzung in den Ruhestand ohne Gehalt zum 1. Oktober 1937 in Kauf. Das Ehepaar Kaeber und die bei ihnen wohnende Mutter/Schwiegermutter Paula Cronheim, geb. Ludnowski lebten von dem Cronheimschen Erbe, immer unter dem Druck eines drohenden Vermögensentzugs. Im Januar 1942 wurde die 70jährige Paula aus der Wohnung zur Deportation nach Riga abgeholt und ermordet. Von den Familien Cronheim und Ludnowsky hat nur ein Angehöriger die Verfolgungen überlebt.
Kaeber setzte in den Jahren der Unterdrückung seine wissenschaftlichen Studien fort. Er hatte nach seiner Amtsenthebung 1937 zwar seine Funktionen im Verein für die Geschichte Berlins niedergelegt, arbeitete aber weiter für den Verein und betreute zeitweise in den Jahren 1940 -1942 die umfangreiche Vereinsbibliothek. Bereits 1937 hatte ihm der Verein mit der Verleihung der Fidicin-Medaille in Silber gedankt. 1943 trat er der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg bei.
Nach Kriegsende wurde er ab dem 29. Juni 1945 wieder mit der Leitung des Stadtarchivs beauftragt. Ende 1948 kam es zur politischen Spaltung der Stadt und er wurde gebeten, im Westteil Berlins zum dritten Mal mit dem Aufbau eines Archivs zu beginnen. Nach der neuen Verfassung vom 1. September 1950 war Berlin nunmehr ein Land und das Stadtarchiv wurde zum Landesarchiv Berlin. Kaeber übernahm neben der Leitung des Landesarchivs für drei Jahre auch die Direktion der Senatsbibliothek und trat am 31. August 1955 im Alter von fast 73 Jahren in den Ruhestand.
Ernst Kaeber bemühte sich nach 1945 um die Wiederbelebung des Vereins für die Geschichte Berlins. Seit 1949 gehörte er dem Vorstand an, ab 1953 als stellvertretender Vorsitzender. 1951 gab er das erste Jahrbuch des Vereins heraus, von 1952 bis 1962 dann zusammen mit Walther G. Oschilewski. Im Jahrbuch 1957/1958 würdigte ihn zu seinem 75. Geburtstag Dr. Konrad Kettig als verdienstvollen berlinischen Historiker. Seit 1961 war Kaeber Ehrenmitglied des Vereins. Er starb am 5. Juli 1961 im Alter von 79 Jahren. Frau Kaeber hatte in ihrer Trauer den Trost, dass er die Teilung seiner Heimatstadt durch eine Mauer nicht mehr erleben musste. Die zunächst auf dem Parkfriedhof Lichterfelde beigesetzte Urne wurde nach 27 Jahren auf ihr Betreiben auf den Jüdischen Friedhof Heerstraße verbracht. Der Verstorbene war durch die Verweigerung der Scheidung zum Lebensretter seiner Frau geworden und damit aus jüdischer Sicht ein „Gerechter unter den Völkern". Nach ihrem Ableben 2001 waren sie auf dem Friedhof wieder vereint.
Am 27. September 2011 wurde am Haus Dortmunder Str. 6 eine Gedenktafel mit folgender Widmung enthüllt:
„In diesem Haus wohnte von 1935 bis 1954 der Archivar und Historiker Ernst Kaeber. 5. 12. 1882 - 5. 7. 1961. Er entwickelte das alte Berliner Stadtarchiv zu einer wissenschaftlichen Institution. In der politisch geteilten Stadt begründete Ernst Kaeber das neue „Landesarchiv Berlin". Die Geschichte Berlins war auch das zentrale Anliegen seiner landesgeschichtlichen Forschungen."
Martin Mende, erg. August 2014
Literatur:
- Konrad Kettig: Ernst Kaeber als berlinischer Historiker. Zum 75. Geburtstag, in Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins 1957/1958, S. 7-18
- Ernst Kaeber: Erinnerungen an das Stadtarchiv Berlin, in Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins 1961, S. 7-51
- Nachruf von Gerhard Küchler in: Mitteilungsblatt Nr. 38 der Landesgeschichtlichen Vereinigung vom 1. September 1961, S. 264
- Walther G. Oschilewski: Ernst Kaeber zum Gedächtnis, in Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins 1962, S. 121-122
- Werner Vogel: Ernst Kaeber - Leben und Werk, in Ernst Kaeber: Beiträge zur Berliner Geschichte, Band 14 der Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Berlin 1964, S. 377-385, Bibliographie S. 386-392
- Joachim Lachmann. Ernst Kaeber zum Gedächtnis, in Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins 1965, S. 313-324
- Konrad Kettig: Ernst Kaeber zum Gedächtnis, in Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, Heft 1/1983, S. 22-23
- Olaf Hampe: Ernst Kaeber und die Berliner Landesgeschichte, in Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1991, S. 27-44
- Vera Bendt: Ernst und Frieda Kaeber. Eine deutsch-jüdische Ehe im Nationalsozialismus, in Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 2007, S. 151-167
- André Schmitz: Ernst Kaeber zum Gedenken, in Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 4/2011, S. 611-613
- Jürgen Wetzel: Leidenschaftlicher Berliner in stürmischen Zeiten, in Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 4/2011, S. 613-618
Martin Mende (Sept. 2011)