Johann Melchior Kambly

1718 (?) Zürich - 1783 Potsdam

Tätigkeit: Bildhauer, Kunsttischler
Lebens- und Wirkungsorte: Zürich, Potsdam

Gedenkorte in Berlin: Kunstgewerbemuseum SM PK
Gedenkorte außerhalb Berlins: Schloß Sanssouci, Neues Palais, Chinesisches Haus und Neue
Kammern in Potsdam

"Von Schildkröt und bronce d'ormoly"
Die Prunkmöbel des Bildhauers Johann Melchior Kambly
Von Gerhild H. M. Komander

Die Holzbildhauerei und die Kunsttischlerei am brandenburgisch-preußischen Hof waren wie andere künstlerische Bereiche im Lande seit dem Tod Friedrichs I. auf ein handwerklichpragmatisches Niveau gedrückt worden. Friedrich II., der zugleich mit seiner Regierungsübernahme Krieg zu führen und Schloßbauten nach eigenem Geschmack zu erstehen lassen gedachte, fand zu diesen Zwecken wohl eine vortrefflich ausgestattete Armee und einen ansehnlichen Staatsschatz vor, die Künstler aber, die dem königlichen Hof zu Beginn des Jahrhunderts Glanz verliehen hatten, waren fort oder die Werkstätten ohne Nachfolger zumindest die meisten.

Im ganzen Deutschen Reich und durch Vermittler auch über dessen Grenzen hinaus erließ Friedrich II. Aufrufe an Künstler verschiedener Sparten ergehen, um sie gen Nordosten in die Residenzstädte Berlin und Potsdam zu ziehen. Gerade im Bereich des Kunsthandwerkes konnte er nur in geringem Maße auf einheimische, in Brandenburg ansässige Künstler und Handwerker zurückgreifen.

Zu diesen wenigen, unter denen der Bildhauer Johann August Nahl, der Kunsttischler Hülßmann und der Goldschmied Kelly zu nennen sind, gesellten sich nach zähem Ringen - denn die Bezahlung war wie auch die weiteren Bedingungen für begehrte europäische Künstler kaum reizvoll - letztlich vor allem Maler, Bildhauer, Kunsthandwerker und andere der jüngeren Generation. Darunter war auch der Bildhauer Johann Melchior Kambly, der, wie viele seiner Kollegen, Anteil an der Entwicklung des in seiner künstlerischen Ausprägung einzigartigen "Friederizianischen Rokoko" haben sollte.

Der in Zürich gebürtige Kambly kam vermutlich 1744 nach Potsdam und arbeitete bis zu seinem Tod 1783 in königlichen Diensten, ausschließlich im Potsdamer Raum: für die Ausstattung der friederizianischen Schlösser und für verschiedene Bauten der Stadt Potsdam. Kambly wurde 1718 als Sohn des Schlossers und Uhrmachers Heinrich Kambly geboren und lernte bei dem Holzbildhauer Johann Konrad Speißegger, dem Stuckbildhauer Johann Jakob Schärer sowie dem Goldschmied Johann Konrad Schalch. Obwohl er als eingetragenes Mitglied der Züricher Schmiedezunft nachweisbar ist, sind aus den Schweizer Jahren des Künstlers bisher keine Werke identifiziert worden.[1] Höchst reizvoll zu denken, er habe sich nach seiner Lehrzeit in Paris aufgehalten, was Kreisel als Möglichkeit andeutet.

In der friederizianischen Residenzstadt etablierte sich der Bildhauer Kambly binnen sechs Jahren inmitten der besten der höfischen Kunsthandwerker durch die besondere Meisterschaft seiner Bronze-, Schildpatt- und Pietra-Dura-Arbeiten. Erste Aufträge verschiedener Techniken erhielt Kambly für das Weinbergschloß "Sans Souci", für dessen Außenbau er in den Jahren 1745 bis 1747 steinerne Säulen- und Pilasterkapitelle, Attikavasen und Fensterverzierungen anfertigte, Spiegelrahmen der Kavalierzimmer, Gemälderahmen für die Kleine Galerie, Sitzmöbel und vergoldete Säulen- und Pilasterkapitelle für den Marmorsaal im Innern des Neubaus herstellte.[3]

Am 14. Mai 1745, einen Monat nach erfolgter Grundsteinlegung, stellte er 264 Reichstaler für "8 Stück 3/4 Capitäller" in Rechnung, die er für den hofseitigen Risalit fertigte.[4] Gleichzeitig war Kambly an den Arbeiten für die neue Wohnung des Königs im Stadtschloß Potsdam beteiligt. Dort wurden dem "Bildhauer Kamplï" 236 Reichstaler "Vor 1. Arm Lehn Stuhl und 6. Sitz Stühle, Tischler und Bildhauer Arbeith in Printz von Preußen Zimmer" "accordiret".[5] Zu den frühen erhaltenen Potsdamer Möbeln Kamblys gehört ein ungewöhnliches Stück: die Kopie des im Schloß Sanssouci befindlichen, 1746 erworbenen Pariser Dokumentenschrankes aus Zedernholz mit vergoldeten Bronzen (1749). Nach verschiedenen Arbeiten für die Ausstattung der Friedrichswohnung im Potsdamer Stadtschloß - hervorragend die Werke im "Bronzesaal" - unter denen zum ersten Mal auch Steinschnittarbeiten von seiner Hand erfolgten, erbat Kambly die königliche Konzession, "eine in hiesigen Landen noch nicht befindliche Fabrik von Bronze d'orée Arbeit daselbst anzulegen," die er am 16. Februar 1752 erhielt. Aus dieser Werkstatt wurden in den kommenden Jahrzehnten zahlreiche Stücke in sog. "französischer Qualität" hervorgebracht.

Die ungemein vielseitige bildhauerische und kunsthandwerkliche Tätigkeit Kamblys, durch die aufwendige Lehrzeit außergewöhnlich gut vorbereitet, wurde schließlich seit 1756 um eine weitere Technik bereichert: das Schildpattfurnier in Verbindung mit zum Teil vollplastischen feuervergoldeten oder auch -versilberten Bronzen. In königlichem Auftrag schuf Melchior Kambly einen Eckschrank und einen Schreibtisch für das Schreibkabinett des Königs in dessen Potsdamer Wohnung, denen ab 1763 im Zuge der Erbauung und Einrichtung des Neuen Palais weitere, vergleichbare Stücke folgten.

Notenpulte, Schreibmöbel, Kommoden und Uhrengehäuse in dieser besonders aufwendigen Technik zierten vornehmlich die Wohnräume des Königs. Selbst ein Hängebücherbord wird erwähnt. Mit einer Ausnahme waren all die zwischen 1763 und 1770 entstandenen schildpattfurnierten Möbel für das Neue Palais bestimmt. Gleichzeitig war Kambly an den Steinmetzarbeiten am Außenbau des neuen Schlosses beteiligt. Das letzte Jahrzehnt seines Schaffens verbrachte er vor allem mit Marmor- und Pietra-Dura-Arbeiten sowohl für das Neue Palais als auch für die Neuen Kammern: Tischplatten, Kamineinfassungen und -aufsätze, Wandbekleidungen und Fußböden gestaltete er zum Teil allein, zum Teil in Gemeinschaft mit anderen Hofkünstlern.

Als 1774 die Dekorateure in Potsdam endlich ihr Ziel erreicht hatten, "einen Königlichen Freyheitsbrief zu einem geschlossenen Gewerke" zu erhalten, trat Melchior Kambly auf eigenen Wunsch und mit ausdrücklicher königlicher Billigung der neuen Zunft nicht bei.[6]

Nachdem die Arbeiten am Neuen Palais beendet worden waren, gab es naturgemäß weniger Aufträge des Hofes an die Künstler und Kunsthandwerker in der Stadt Potsdam. Kambly jedoch konnte offensichtlich seine etablierte Stellung halten. Die letzte bekannte Spur hinterließ er am Reit- und Exerzierhaus in Potsdam, wo er 1781 zusammen mit Johann Christoph Wohler und Carl Philipp Georg Sartori an der Bauplastik arbeitete.[7]

Die aus dem Werk Melchior Kamblys herausragenden Prunkmöbel für das Neue Palais Friedrichs II. nehmen auch innerhalb der gesamten Ausstattung des letzten großen Bauprojektes des Königs eine besondere Stellung ein. Wie es zur Ausführung der schildpattfurnierten Möbel kam, bleibt unklar. Über die Möglichkeiten kann lediglich spekuliert werden: Entweder äußerte der Königeinen entsprechenden Wunsch und wandte sich damit an den Künstler, oder Kambly schlug seinem Arbeitgeber diese Technik zur Probe vor und erreichte mit den ersten beiden Stücken (1756) so viel königliche Anerkennung, daß dieser ihm, gerade aus dem letzten Krieg um Schlesien heimgekehrt, ein Dutzend Möbel "von Schildkröt und bronce d'ormoly" in Auftrag gab. Friedrich, der Sparsame, dürfte begeistert gewesen sein von der Kunstfertigkeit eines nicht französischen Künstlers in seinen Diensten.

Die Anwendung des Schildpattfurniers stellt die Spannbreite der handwerklichen und stilistischen Flexibilität Kamblys geradezu unter Beweis. Es ließ sich nicht feststellen, woher Kambly die Kenntnis dieser aufwendigen Technik, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts keineswegs mehr modern war, nahm. Ein Zusammenhang mit französischen Meistern liegt nahe, doch gerade der oft beschriebene mit dem Werk Charles Boulles nicht.

Die Bruchstücke des überaus harten Schildkrötenpanzers müssen in mehreren Arbeitsgängen mit Ölen und Mehlen bis zur Transparenz geschliffen werden. Glanz, bis hin zu Spiegeleffekten, wird nur unter großem Druck und gleichzeitiger Erwärmung des Schildpatts erreicht. Restauratorische Untersuchungen haben ergeben, daß die von Kambly verwendeten Furnierstücke zinnoberrot untermalt wurden. Dadurch entsteht der warme, fast weiche Glanz der Kambly-Furniere, der in Verbindung mit Goldbronzen verstärkt wird, das kalte Licht der versilberten Bronzen wiederum schwächt. Um das Schildpatt der gewünschten Form, den gebauchten, gewölbten Flächen der Möbel anzupassen, muß es in heißem Wasser eingeweicht und mit entsprechenden Gegenformen vorgeformt werden.[8]

Die archivalisch belegten, in Potsdam-Sanssouci existierenden Solitärmöbel Melchior Kamblys belaufen sich auf fünfzehn Stücke. Schloß Sanssouci: Cartonnier für das dritte Gästezimmer (1749), Notenpult für das Konzertzimmer (1767); Stadtschloß Potsdam: Schreibtisch (1756), heute Wohnung des Prinzen von Preußen, Neues Palais, und Eckschrank (1756), heute Intarsienkabinett, Neue Kammern, Notenpult (1767), heute Konzertzimmer Friedrichs II., Neues Palais; Neues Palais, Wohnung Friedrichs II.: Standuhr (1763) und Kommode (1763/68), Blaue Kammer, Schreibtisch und Eckschrank, Schreibkabinett (1763/68), Kommode, Kleines Speisezimmer (1763/68); Neues Palais, übrige Quartiere: Standuhr (1763) und Kommode (1763/68), Tressenzimmer, Gestell mit Aufsatz für Florentiner Mosaikschrank (zw. 1763 und 1770), Damenschlafzimmer des oberen Fürstenquartiers, Schreibtisch, Obere Rote Kammern (zw. 1765 und 1770); Chinesisches Haus: Standuhr.[9] In der Mehrzahl sind die Stücke mit Schildpatt furniert - wenn nicht, mit Zedernholz -, und mit gegossenen Bronzen, vergoldet oder versilbert und stets aufwendig ziseliert, versehen. Einlegearbeiten wandte Kambly selten an.

Erst das Nebeneinander aller nachweisbaren Stücke läßt so etwas wie eine Handschrift Kamblys erkennen: Hinter der Vielfalt der Bronzeformen bleibt die architektonische Auffassung sichtbar. Die Dekoration betont die manchmal übermütigen Kurvaturen, und gewagte, filigrane Stützelemente in der Konstruktion des Möbels, die ein substantielles Element vor allem der Konsoltische in den friederizianischen Räumen bilden, werden vermieden. Auffällig und verbindend erscheint die immer nach Symmetrie strebende Einheit von Form und Dekoration. Dabei zeichnen die dekorativen Bronzen, ob als Leisten oder Blattstäbe, die Konturen des Körpers nach. Die Deckplatten von Kommoden und Schreibtischen wiederholen in ihren in der Horizontalen ausgreifenden Schwüngen jene der vertikalen Flächen und markieren durch einen Dreiviertelkreis die ausgestellten Beine. Die Bedeutung der Bronzen an den Möbelwerken Melchior Kamblys ist augenfällig. Sie resultiert selbstverständlich nicht allein aus der besonderen Fähigkeit des Meisters, sondern ebenso aus der Vorliebe Friedrichs II. für die im Vergleich mit anderen zeitgenössischen Beispielen ungewöhnlich reiche metallene Dekoration. Bereits bei der Ausstattung des königlichen Schlafzimmers im Stadtschloß Potsdam und des ebendort befindlichen Bronzesaales fanden in der dekorativen Bronzeplastik Motive Verwendung, die in den späteren Werken Kamblys wie ein kontinuierlich verfügbares Vokabular benutzt wurden.

Das grazile Erscheinungsbild des Schreibtisches aus dem Potsdamer Stadtschloß (1756) wird durch die sparsame Verwendung bronzener Applikationen unterstrichen. Sie bestehen aus profilierten Leisten, die Kanten und Felderrahmung in geraden oder gebogenen Linien bilden, aus Blattornamenten, die Tischfüße, Schloß und Griffe um- und einfassen, und aus vollplastischen Büsten, die als Eckbetonung unter der Platte hervorragen. Die Felderrahmung der Zarge und die obere Hälfte der Beine werden von Blattformen unterstützt, die als kräftige C-Bögen erscheinen. Diese Bögen mit ihren krausen Rücken aus übereinanderliegenden Blättern, die im Innern durch quergelegte, gekehlte Ovale gewölbte Blütenblätter imitieren oder - in Verbindung mit einem glatten Bogenrücken - eine Art Dreipaßöffnungen inmitten einer Muschel aneinanderreihen, liegen entweder seitlich auf der Fläche oder wölben sich entsprechend der überlagerten Kurvatur konvex und konkav, wie hier unterhalb der Büsten. Blüten-und Blattgirlanden werden auf der vorderen Zargenfläche aus einem Körbchen heraus als "Bild" entwickelt.

Der Schreibtisch für das Schreibkabinett Friedrichs II. im Neuen Palais (1763/1770) nimmt die Konstruktion des Stadtschloß-Möbels wieder auf: Auf langen, zweifach geschwungenen Beinen liegt schräg die Platte über stark eingezogenen Diagonalecken. Aber die Zarge wird auf drei Seiten herabgezogen wie bei einer Kommode, für die man das Stück in der Frontalansicht zunächst halten könnte. Auch das Dekorationsprinzip und die Motive der Dekoration werden wieder verwandt, doch treten weitere Bronzeformen hinzu: Kreuzrosettengitter, Einzelteile der Treillage-Architektur und Putti als Relief.10 Hier entdeckt man die dritte Variation der Blatt-C-Bögen an der Front links unten: aus querliegenden dreigliedrigen Blättern zwischen zwei Bogenleisten zusammengesetzt. Auffällig tritt die bildmäßige Verwendung der Treillage-Motive in Erscheinung, die nun mit spielenden Putti (oder Kinderfiguren) verbunden werden. Kambly entwickelt hier bei aller bewegten Phantasie einen architektonisch gegliederten Aufbau, innerhalb dessen die Dekoration mit den zeitüblichen Motiven des Rokoko zu spielen vermag. Es gibt kein zweites, vergleichbares Stück von der Hand Kamblys.

Die weiteren Möbelwerke Melchior Kamblys, Eckschrank, Kommoden und Standuhren, entbehren aufgrund der typentsprechenden Konstruktion der Möglichkeit, eine gleich große Fläche für ein solches "Bronzebild" zu nutzen. Da Kambly bei den für seine Hand gesicherten Stücke das beschriebene Dekorationsprinzip nicht aufgibt, ergeben sich für die einzelnen Dekorationsfelder nur kleine oder Seitenflächen: Er läßt die Bronzen nicht die Konstruktion des Möbels überlagern, d. h. die Rahmen folgen den Konturen der Türen, der Schubladen und den entstehenden Restflächen, und nur innerhalb der Rahmen bewegen sich seine "Bilder". Die Kommode für die Blaue Kammer, von gedrungener und stark gebauchter Form, enthält unter der Platte eine niedrige Schublade, darunter eine hohe Klappe, hinter der sich weitere Schübe verbergen. Dementsprechend ziert drei Viertel der Front ein breit gelagertes, dreiteiliges Gitter mit Blütengirlanden. Das Mittelmotiv zeigt zwei Knaben, der eine im Schoß des anderen ruhend, auf einem "Felsen" aus eingerollten Blättern. Die sichtbare Schublade erhielt eine zentrale Blattrahmung, deren Blüten- und Rankenmotiv im unteren Teil fortgesetzt wird. Die Eckkanten werden von sehr kräftigen C-Bögen eingefaßt, zusätzlich mit schweren, vollplastischen Blüten belegt.

Von ebenfalls gedrungener Form, aber wenig gebaucht, und ebenso kräftigem Bronzebeschlag ist die Kommode im Tressenzimmer, die auf sehr kurzen Beinen, eigentlich nur Füßen steht.[11] Deutlicher noch trennte Kambly hier die beiden Schubladenfronten und setzte wiederum das bronzene "Bild" in den unteren Teil. Es besteht aus einem Reiher, der Weintrauben nascht, und einem Kind, das nach einen Feigenzweig greift. Als auffällig in der Technik ist hier das Schleifenband in der oberen Schubladenfront, das wie ein geknicktes Metallband wirkt und so dem Motiv der Schleife entgegensteht.

1763 schuf der Bildhauer für die Ausstattung des Neuen Palais' zwei Gehäuse für Bodenstanduhren mit jeweils ganz und gar unterschiedlichem Korpus.[12] Während die Uhr in der Blauen Kammer in Anlehnung an die französische "Pendule auf hohem Sockel" gestaltet wurde, läßt die Uhr für das Tressenzimmer den Einfluß englischer Bodenstanduhren erkennen. Erstere besitzt ein Gehäuse von Schildpattfurnier auf Zedernholz und besteht aus einem abgeschrägten Sockel, einem schlanken, sich nach unten verjüngenden Korpus und einem hufeisenförmigen Kopf, auf dem drei Putti musizieren. Das Gehäuse der zweiten Uhr wurde in dem gleichen Material angefertigt.[13] Es setzt sich zusammen aus einem im Kern geraden Sockel, einem schlanken, gleichfalls geraden Korpus und einem hochrechteckigen Uhrenkopf mit gesprengtem Giebel, seitlich begleitet von zwei auf den Giebelsegmenten liegenden vollplastischen Putti. Als Blickfang der gewölbten Bekrönung präsentiert sich eine erhöht stehende Tazza, gefüllt mit Blüten und Zweigen.[14] Die bronzenen Beschläge der beiden Uhrengehäuse wiederholen das Motivvokabular der oben erwähnten Möbel.

Die Betrachtung der Standuhren Kamblys zeigt, daß die Heterogenität der konstruierten Formen seines Werkes von der Homogenität der dekorativen Plastik überlagert wird: zierliche florale Bänder, Rahmen- und Kantenleisten, Rosettengitter und gittergefüllte Kartuschen, den Treillagestücken nachgebildet, sowie die vollplastischen Putti oder Kinderfiguren schmücken beide Uhrenkörper - alles Motive der besonderen königlichen Vorliebe. Die einzelnen Flächen werden durch kräftiges Profil voneinander getrennt und durchgehend zu den Ecken hin gekehlt, so daß die betonten Kanten auf imaginäre Diagonalen verweisen - ebenso die Ränder der vorderen Seitenflächen.

Während die meisten von Kambly benutzten Dekorationsformen dem allgemeinen Formengut des Rokoko zuzurechnen sind, fällt aber die häufige Verwendung einiger dieser Formen auf: Die immer wiederkehrende Anbringung eines starken Blatt-C-Bogens in den Eckmulden unterhalb der Platten, die vollplastischen Putti und die großformatigen Treillagemotive und Kreuzrosettengitter. Die C-Bögen in ihren beschriebenen Variationen und die Verwendung der Treillagearchitektur als Dekorationsdetail an sich gehen in dieser Prägung unzweifelhaft auf den Formenschatz der Gebr. Johann Michael und Johann Christian Hoppenhaupt zurück, während die naturalistischen Kinderfiguren als Erfindung Johann August Nahls gelten müssen.[15]

Die Gewinnung von "Bildern in Bronze" aus diesem reichen Motivschatz sollte als der Beitrag Melchior Kamblys angesehen werden, mit dem er die Potsdamer Möbel weit abrückt von ihren französischen Vorgängern und Zeitgenossen. Hatte Kambly zu Beginn seiner bildhauerischen Tätigkeit für die Bauten Friedrichs II. sicher die Entwürfe des königlichen Innendekorateurs Hoppenhaupt auszuführen, zeigt sein weiteres Werk, daß er sich von dessen künstlerischer Leitung emanzipierte. Die Ornamentik der Kamblyschen Möbel unterscheidet sich sichtbar von derjenigen Hoppenhaupts.

Wie schon angedeutet, wird an dieser Stelle ein lediglich kleiner Ausschnitt aus dem Werk Kambly vorgestellt. Die Zusammenarbeit mit den Brüdern Johann Friedrich und Heinrich Wilhelm Spindler gab dem Bronzebildhauer Kambly Gelegenheit, sein Werk zu mehren. Die Gebr. Spindler arbeiteten vor allem mit der Marketerie, in der sie wie Kambly nicht bloß Ornamente herstellten, sondern Bilder von unerhörter Kunstfertigkeit. Sie waren Ebenisten, Kambly aber Bildhauer, der in seiner Bronzewerkstatt möglicherweise den gesamten Metalldekor ihrer Möbel schuf.

Nach bisherigem Wissensstand existiert nur ein signiertes Werk Kamblys, die heute im Chinesischen Haus stehende Standuhr. Die Signatur befindet sich an einem Bronzedetail. Was für das Gesamtwerk gilt, trifft leider auf die Möbel ebenso zu: Wenn Werke des Kunsthandwerks nicht ausdrücklich durch Akten belegbar sind, können sie nur unter großen Schwierigkeiten und Zweifeln zugeschrieben werden. Selten sind sie signiert, noch seltener wird wohl bei Sammlungsinventar nach Signaturen gesucht.

Noch 1893 beklagte Richard Graul, daß brandenburgische Möbelwerke nicht vorhanden seien: Die Möbel Kamblys galten durchweg als französische Erzeugnisse.16 Sie waren von sogenannter "französischer Qualität", und diese traute man den einheimischen Produkten in der Mitte des 18. Jahrhunderts nicht zu. Paul Seidel, dem die "Wiederentdeckung" der friederizianischen Bronzekunst und des nachweisbaren Werkes Kamblys zu verdanken ist, konnte bei seinen Recherchen Ende des 19. Jahrhunderts noch auf einen nahezu vollständigen Bestand der Akten in Berlin und Potsdam zurückgreifen.[17]

Das vielfältige Erscheinungsbild der Möbel Kamblys und der lückenreiche Aktenbestand erschweren heute die immer noch notwendigen Zuschreibungen.[18] In der deutschsprachigen Literatur wird stets um den Anteil an Entwurf und Ausführung der Werke gestritten, und der Bildhauer Melchior Kambly muß als "Tischler" vor dem "Genie" eines Hoppenhaupt zurücktreten. Hugh Honour und John Fleming bezeichnen ihn dagegen vorbehaltlos als "einen der bedeutendsten Möbelkünstler des Rokoko," der bald seinen persönlichen Stil entwickelt und viel zur Entwicklung des friederizianischen Rokoko beigetragen habe.19 Die allgemeine Verehrung des schöpferischen Genies macht leicht vergessen, daß die beste Idee ohne ihre handwerkliche Umsetzung schlichtweg wertlos bleibt.

Während ein beträchtlicher Teil seines Gesamtwerkes heute als Kriegsverlust oder kriegsverschollen gilt, ist ein anderer, ebenso beachtlicher Kambly nicht eindeutig zuzuweisen. Ersteres betrifft in der Hauptsache die Ausstattung des Potsdamer Stadtschlosses, aber auch einzelne Stücke aus Schloß Sanssouci, den Neuen Kammern und dem Neuen Palais im Park von Sanssouci, letzteres sowohl die vielen Werke der Bauplastik derselben Schlösser als auch - keineswegs billige - "Dutzendware" wie Tafelstühle, Bilderrahmen etc. Für einen größeren Teil der von Melchior Kambly geschaffenen Möbelstücke jedoch kann seine Urheberschaft durch Akten belegt werden, ein weiterer Teil derselben wurde ihm - zu recht - zugeschrieben.

Anmerkungen
1 Die Namensschreibung Kamblys variiert in der Sekundärliteratur (Kambli, Camply). Er selbst unterzeichnete "Kambly" oder "Kamblï". Weitere biographische Details bei C(harles) F. Foerster, in: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, begr. von U. Thieme und F. Becker, hg. von Hans Vollmer, Bd. 19, Leipzig 1926, S. 493 ff.; und: Winfried Baer, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 11, Berlin 1977, S. 77 f.
2 Heinrich Kreisel, Die Kunst des deutschen Möbels, Bd. 2, München 1970, S. 246.
3 Grundsteinlegung am 14. April 1745. Der Innenausbau begann im Sommer 1746.
4 Belege und Quittungen zum Bau des Schlosses Sanssouci, Geheimes Staatsarchiv PK, I. HA. Rep. 36 Nr. 3239.
5 Belege und Quittungen zum Bau des Stadtschlosses Potsdam, Geheimes Staatsarchiv PK, I. HA. Rep. 36 Nr. 3420.
6 Heinrich Ludwig Manger, Baugeschichte von Potsdam, besonders unter der Regierung König Friedrichs des Zweiten, Berlin und Stettin 1790, Bd. 3, S. 712 ff.
7 Nach Nicolai wurden die Rosetten an der Kuppel des Turms der Französischen Kirche und die bekrönende Kolossalfigur nach Kamblys Angabe gearbeitet. Foerster jedoch bezeichnet diese als Werke des gleichfalls in Potsdam arbeitenden Sohnes Heinrich. Nicolai, Beschreibung der königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, Berlin und Stettin 1786, S. 202; Foerster, s. o. Anm. 1, S. 493.
8 Vgl. Komander, in: Das Chinesische Haus, Potsdam-Sanssouci 1993, S. 106 - 107. Diese Beobachtungen beruhen auf den Ergebnissen der Restaurierung der heute im Chinesischen Haus stehenden Standuhr durch Kurt und Jan Kallensee, Potsdam.
9 Weitere Möbelwerke Kamblys waren Tafel-, Lehn- und Sitzstühle in großer Zahl, zu denen wohl die heute im Neuen Palais, sowie die ehemals im Chinesischen Haus und in den Neuen Kammern aufgestellten Tafelstühle gehören könnten.
10 Putti als Freiplastik treten bereits an dem 1756 entstandenen Eckschrank aus dem Stadtschloß Potsdam auf.
11 Die Originalplatte gilt seit dem Zweiten Weltkrieg als Verlust.
12 Die Meisterschaft Kamblys an zwei der erwähnten Standuhren wird belegt durch eine Abschlagszahlung vom 26. Juni 1763 über zwei Uhrgehäuse von "Schild-Kröten und Dormoly Arbeit", von denen eine zu diesem Zeitpunkt bereits an den König übergeben worden war. Für die dritte, ebenfalls "von Cedernholtz mit Schilt Kröten und Dormoly Arbeit", stellte er am 18. November 1763 "4500 Thaler altgelt" dem König in Rechnung.
13 Diese Uhr steht heute im Chinesischen Haus im Park von Sanssouci. Zum veränderten Standort vgl. Komander, in: Das Chinesische Haus, Potsdam-Sanssouci 1993. Sie wurde 1992 durch Kurt und Jan Kallensee, Potsdam, restauriert.
14 Eine dritte Standuhr fertigte Melchior Kambly für das Chinesische Haus an. Sie ist in Form und Maß eine Wiederholung des für das Neue Palais bestimmten Gehäuses. Die Uhr steht heute im dortigen Tressenzimmer. Zur Geschichte dieses Stückes siehe Komander, wie Anm. 13.
15 Es gibt viele weitere Überschneidungen, Entsprechungen usw. Ich nenne hier nur die eindeutigen.
16 Richard Graul, Die Ausstellung von Kunstwerken aus dem Zeitalter Friedrichs des Großen: Das Mobiliar, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz XIV, 1893, S. 127 - 135.
17 Paul Seidel, Die Metallbildhauer Friedrichs des Großen, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, XVI, 1895, S. 48 - 60.
18 Vgl. Adolf Feulner, Kunstgeschichte des Möbels, München 1980, S. 213 ff. und Heinrich Kreisel, Die Kunst des deutschen Möbels, Bd. 2, München 1970, S. 244 ff., und den Unterschied der jeweiligen Bewertung.
19 John Fleming und Hugh Honour, Lexikon Antiquitäten und Kunsthandwerk, München 1984. Aus: „Weltkunst“ 67, 1997, Nr. 6, S. 544-547 (erweiterte Fassung).