James Israel

02.02.1848 Berlin - 20.02.1926 Berlin

Tätigkeit: Chirurg, Nierenarzt

Lebens- und Wirkungsstätten: Berlin, verschiedene Lazarette im
Deutsch-Französischen Krieg

1870 promoviert zum Doktor
1872 Assistenzstelle am Krankenhaus der Jüdischen Gemeinde
in der Auguststraße in Berlin Mitte
1875 Chefarzt der Chirurgischen Station
1894 Professorentitel und die Befugnis, als erster jüdischer
Privatdozent an der Universität Vorlesungen zu halten
1894-1925 grundlegende Fachliteratur (s.u.)

Zum 80. Mal jährte sich in diesem Jahre der Todestag eines großen Berliner Arztes: Des „Begründer der Nierenchirurgie“, „Vater der urologischen Chirurgie“, den „Grandseigneur der Berliner Medizin“. Als der brillante Chirurg Ernst Ferdinand Sauerbruch (1875-1951) im Kolleg der Berliner Charité bei der Besprechung einer Nierenoperation hervorhob, dass diese Technik James Israel entwickelt hatte, erhob sich unter den Studenten lauter Unmut. Nachdem es wieder ruhiger wurde, antwortete Sauerbruch: „Wenn Sie alle schon vergessen sein werden, wird der Name Israel noch leuchten.“

Bedeutende Persönlichkeiten gelten nicht viel im eigenen Land; und Deutschland hatte einstmals sehr viele, die ihrem Land zur Ehre gereichten. Im renommierten und angesehenen, auch überregional bekannten „Berliner Biographischen Lexikon“ ist James Israel wenigstens mit vier kurzen Sätzen vertreten. Hier wollen wir etwas ausführlicher sein.

James Israel wurde am 2. Februar 1848 in Berlin als drittes Kind der Eheleute Adolph, geachteter Seidenfabrikant und -großhändler, und Johanna, geborene Meyer, Tochter eines Geheimen Kommerzienrates und jüdischen Kaufmannsfamilie, geboren. Nach dem Besuch des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums, an dem der außerordentlich begabte Israel bereits mit 17 Jahren das Abitur bestand, ging er an die Berliner Universität (Friedrich-Wilhelms-Universität; heute: Humboldt-Universität zu Berlin), an der er Medizin studierte. 1870 wurde Israel zum Doktor der Medizin mit einer Dissertation über der Brightschen Nierenkrankheit promoviert. Anschließend arbeitete er im Deutsch-Französischen Krieg in mehreren frontnahen Lazaretten. Nach einem Studienaufenthalt in Wien 1871/1872 erhielt Israel 1872 eine Assistenzstelle am Krankenhaus der Jüdischen Gemeinde in der Auguststraße in Berlin-Mitte.

Dieses moderne und bestens ausgestattete Krankenhaus war 1861 als Erweiterung des 1671 errichteten Hospitals in der Oranienburger Straße eröffnet worden; das heutige Jüdische Krankenhaus in der Iranischen Straße in Berlin-Wedding besteht seit 1913. Um zu ermessen, was ein Arbeitsplatz für einen jungen Arzt an diesem Krankenhaus bedeutet haben mag, mögen zwei Beispiele dienen: Das 1874 eröffnete, heutige städtische Krankenhaus Am Friedrichshain, erhielt erst 1882 einen Operationsraum, und nicht wenige Assistenzärzte mussten sich zu dieser Zeit hier – aber nicht nur an dieser Krankenanstalt – ihre Instrumente selbst anschaffen.

Am Jüdischen Krankenhaus wirkten unter anderem zwei bedeutende Universitätsprofessoren: Ludwig Louis Traube (1818-1876) und Rudolf Konrad Bernhard von Langenbeck (1810-1887). Der Mediziner Traube – „Heros der Forschung Wissenschaft und Lehre“ – war der erste Arzt, der sich als Jude an der Berliner Universität habilitieren durfte. Der Chirurg von Langenbeck ist auch interessierten Laien von uns vor allem durch seine besonderen Verdienste um die damals noch in der Entwicklung begriffene Kriegs-, Gliedmaßen und Plastische Chirurgie ein Begriff. Von beiden Ärzten hat James Israel gelernt – und beide schätzte seine wissenschaftlichen Fähigkeiten, seine medizinischen Fertigkeiten und seine diagnostische Begabung.

Als James Israel von der Antisepsis hörte (Abtötung der Krankheitserreger in der Wunde mit chemischen Mitteln), die der britische Chirurg Joseph Lister (1827-1912) in Edinburgh erfolgreich eingeführt hatte, bat er um Sonderurlaub und fuhr auf eigene Kosten nach Schottland. Hier lernte er Listers Verfahren mit der desinfizierenden Karbollösung kennen, und setzte es nach seiner Rückkehr unverzüglich bei seinen chirurgischen Eingriffen ein. Der Erfolg gab ihm Recht, doch viele seiner Kollegen brauchten etwas länger, ehe sie den unbestreitbaren Nutzen nicht nur für die Patienten zugestehen mussten.

In diese Zeit (1880) fällt auch James Israels Heirat mit Meta Goldstein, der Tochter eines Danzigers Pelzhändler. Israels Ehe wurde überaus glücklich; ihr entsprossen die Söhne Wilhelm und Arthur, die später ebenfalls bedeutende Chirurgen wurden, sowie die Töchter Charlotte und Else.

Bereits 1875 war James Israel auf Empfehlung von Langenbeck Chefarzt der Chirurgischen Station (damals „Äußere Abteilung“ genannt) des Jüdischen Krankenhauses geworden. 1880 übernahm er als Nachfolger von Langenbeck auch die Leitung der 1. Chirurgischen Abteilung. In diese Zeitspanne (1880/1881) fielen auch seine Untersuchungen über die Aktinomykose (der Strahlenpilzkrankheit), deren Abhandlungen in „Virchows Archiv“ der Nachwelt bis heute wegweisend sind. Etwa ab 1882 widmete sich Israel dann fast gänzlich der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen der Niere. Durch strikte Anwendung der Antisepsis und Verfeinerung palpatorischer (abtastender) Technik wurden Israels große Erfolge unübersehbar. Seine Fähigkeit, allein mit den Händen durch sorgfältiges Abtasten Diagnosen zu stellen, die zutrafen, wurde sprichwörtlich. Dank seines außergewöhnlichen Fingerspitzengefühls konnte Israel Angaben über die Größe der Niere, deren Oberflächenstruktur und sogar über den Herd von Tumoren sowie Steine im Nierenbecken machen. Zudem entwickelte er eine Operationsmethode, die das bis dahin fast unvermeidbare Öffnen der Bauhöhle unnötig machte, wodurch zusätzliche Komplikationen vermeidbar wurden. – In der Zeit vor der Entdeckung der Röntgenstrahlen, die am 8. November 1895 durch den Experimentalphysiker Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923) erfolgte, waren Palpation und Skalpell (zum Öffnen des Körpers) die einzigen Möglichkeiten für einigermaßen zuverlässige Diagnosen.

Bereits Anfang der 1890er Jahre war James Israels Ruf als hervorragender Nierenarzt über das Jüdische Krankenhaus hinaus, ja weit über seine Heimatstadt Berlin bekannt, und aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland kamen immer mehr Patienten – und Ärzte, die seine diagnostischen und operativen Techniken kennen lernen wollten.

Dazu eröffnete James Israel in geeigneten Räumen der nahen Oranienburger Straße eine Privatpraxis, wo er auch wissenschaftlich arbeiten konnte, und richtete im Jüdischen Krankenhaus eine eigene Schule ein, aus der viele große Mediziner hervorgingen. Bald war der Operationstisch in der Augustsraße ständig von Ärzten und Studierenden aus dem In- und Ausland umringt. Israel, der mehrere Sprachen beherrschte, gab jedem einzelnen auf seine Fragen geduldig Auskunft und diskutierte im Anschluss einer Operation die Besonderheiten des Eingriffs. Vielfach nahm er auch selbst zeitraubende Reisen, wie in die Niederlande, Türkei und nach Italien auf sich, um in schwierigen Fällen seinen Kollegen behilflich zu sein.

1892 bot das preußische Wissenschaftsministerium James Israel als führenden Vertreter der urologischen Chirurgie seiner Zeit einen Lehrstuhl an der Berliner Universität bzw. der Chirurgischen Klinik der Charité an – wenn er sich taufen ließe. Das war ein durchaus verlockendes Angebot, denn 1888 hatte unter dem fähigen Staatsbeamten Friedrich Theodor Althoff (1839-1908) die Reorganisation und Neugliederung der Charité begonnen, in deren Verlauf ihre Kliniken zum „Mekka der Medizin“ weltweit emporstiegen – seit Ende der 1940er Jahre ist davon nichts mehr spürbar. Israel war zwar kein strenggläubiger orthodoxer Jude, doch er lehnte ab, was ihn große Achtung auch seiner Kollegen eintrug. Als sich jedoch das Jüdische Krankenhaus immer mehr zu einer international geachteten Lehrstätte der urologischen Chirurgie entwickelte, erhielt Israel dann 1894 infolge Althoffs Einfluss trotzdem den Professorentitel und die Befugnis, als erster jüdischer Privatdozent an der Universität Vorlesungen abhalten zu dürfen.

Die Zurückhaltung nicht nur Preußischer Behörden gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern hat James Israels Patriotismus jedoch nicht geschmälert. Als zu Beginn des 1. Weltkrieges seine beiden Söhne zum Militärdienst einberufen wurden, kommentierte er dies mit der Bemerkung: „Ich würde mich schämen, wenn meine Söhne nicht dabei wären.“ Und auch er selbst, nahezu 70-jährig, betreute 1915 eigenhändig Verwundete in dem von ihm entworfenen speziellen Lazarettzug, der auch für Operationen während der Fahrt geeignet war. Zugleich hatte er Abteilungen im Jüdischen Krankenhaus zu Kriegslazaretten umfunktioniert.

1894 erschien James Israels grundlegendes Werk „Erfahrungen über Nierenchirurgie“. Es war die erste umfassende Arbeit dieser Disziplin. 1901 fasste er seine Kenntnisse in dem Werk „Chirurgische Klinik der Nierenkrankheiten“ zusammen. 1917 zog sich Israel aus der Arbeit im Jüdischen Krankenhaus zurück, behielt aber seine Privatpraxis bei. Kurz vor seinem Tode fasste er 1925 sein Wissen in der „Chirurgie der Niere und des Harnleiters“ noch einmal zusammen. Würdigen wir Israel als außergewöhnlichen Nierenchirurgen dürfen wir seine ebenso herausragenden Leistungen auf dem Gebiet der Plastischen Chirurgie, insbesondere der Bauch- und Nervenchirurgie, nicht außer Acht lassen, die sicherlich unter seinem Mentor von Langenbeck initiiert und gefördert wurden.

James Israel entstammte einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie, doch hat ihn Geld, außer zur Finanzierung medizinischer Aufgaben, nie interessiert. Und obschon er zahlreiche Persönlichkeiten seiner Zeit wie die Chanteuse Yvette Guilbert, die Frau August Bebels, die Fürstin Radziwill, den Diktator Cipriano Castro, den Sultan des Ottomanischen Reiches Mohammes V. und andere behandelte, war er alles andere als ein „Modearzt“ und schon gar kein Arzt der Reichen: Im Jüdischen Krankenhaus und in seiner Privatpraxis behandelte er stets auch ärmere Patienten umsonst. Auch Israels menschliche Eigenschaften dürften abweichend von der damaligen „Norm“ der medizinischen Hierarchie gewesen sein, denn er wird als „ein Herr, aber kaum je herrisch“ geschildert. „Er besaß natürliche Autorität, aber er wirkte nicht einschüchternd.“ Trotz seines ständig labilen Gesundheitszustandes – er litt häufig unter Magen- und Darmstörungen – gönnte sich Israel kaum Freizeit, und noch kurz vor seinem Tode stand er am Operationstisch.

Hoch geachtet – auch vom Staat –, der Berliner Universität, medizinischen Vereinigungen, beliebt auch bei Kollegen und Studenten, und als Mitglied zahlreicher Chirurgischen Gesellschaften des In- und Auslandes, starb James Israel nach kurzem Herzleiden am 20. Februar 1926 in Berlin. Seine Asche erhielt auf dem (bereits 1880 geschlossenen) Friedhof der Jüdischen Gemeinde in der Schönhauser Allee in Berlin-Prenzlauer Berg eine Ehrenstelle.

Keine Krankheit ist nach ihm benannt, kein chirurgisches Instrument wurde nach ihm bezeichnet, keine Operationsmethode trägt seinen Namen – alles Insignien, um in der Medizin „unsterblich“ zu werden. Und doch hat James Israel die Medizin, insbesondere die Nierenchirurgie, durch seine führenden und Bahn brechenden Arbeiten bis heute grundlegend beeinflusst. Auch daran sollten wir denken, wenn wir in einem Krankenhaus eine Urologische Abteilung – voller banger Erwartungen – aufsuchen müssen.

Literatur
Rolf Winau: „James Israel“. In „Berlinische Lebensbilder – Mediziner“; Berlin 1987
Jürgen Lange: „James Israel zum 150. Geburtstag“. Berliner Ärzteblatt;
111. Jg., S. 61; 2. Februar 1998

Karl H. P. Bienek, Berlin, den 15. Februar 2006