Königin Elisabeth Christine und die Tagebücher ihres Kammerherrn
Von Gisela Langfeldt
Bei der Beschäftigung mit der Gemahlin Friedrich des Großen stößt man unweigerlich auf ihren Kammerherrn Lehndorff, dessen Tagebuchnotizen häufig zitiert werden. Eigenartigerweise wählen eine Reihe von Autoren dazu Stellen aus, die nicht gerade ein günstiges Licht auf Elisabeth Christine (1715-1797) werfen.
Mit der Zusammenstellung aller Aufzeichnungen Lehndorffs über seine Souveränin, soweit sie veröffentlicht sind, versuchten wir, im Freundeskreis der Chronik Pankow e.V. einen Einblick in die Lebensweise dieser Königin zu erhalten. Zu unserer Überraschung ergab sich das Bild einer vielseitig engagierten und gütigen Fürstin, die nicht nur zu den Mitgliedern der königlichen Familie intensive Kontakte pflegte, sondern sowohl im Berliner Schloß als auch auf ihrem Sommersitz Schloß Schönhausen Empfänge, Bälle und Konzerte gab.
"Das freundliche Benehmen der Königin und ihr stetes Bemühen, es jedermann bequem zu machen, macht den Aufenthalt in Schönhausen sehr angenehm" schreibt Lehndorff [1] im August 1763. Auch berichtet er über Besuche der Königin in Oranienburg, Friedrichsfelde und Potsdam. Elisabeth Christine war der Mittelpunkt des Berliner Hoflebens. Zu seinen oft schmähenden Äußerungen bemerkt Lehndorff später: "Heute, 1785, da ich diese Charakterbilder wieder nachlese und unparteiisch denke, finde ich, dass ich zu stark aufgetragen habe und dass mein Geist damals verbittert und von Haß erfüllt war."[2]
Reichsgraf Ernst Ahasverus Heinrich von Lehndorff (1727-1811) hatte 1746 seinen Dienst am Hofe Friedrichs II. als Legationsrat begonnen, wurde aber vom König bereits ein Jahr später zum Kammerherrn bei Elisabeth Christine bestimmt. Das war eine große Enttäuschung für den gerade 20 Jahre jungen Mann, der sich durchaus zu Höherem berufen fühlte, getreu dem Vorbild seines Großvaters. Seine Hoffnung auf eine andere Stellung erfüllt sich jedoch nicht. Er beginnt am 1. April 1750 mit seinen Tagebuch-Aufzeichnungen, die er auch nach dem Ausscheiden aus dem Hofdienst 1775 fortsetzt. Der letzte Eintrag stammt vom 8. Oktober 1806. Insgesamt hinterließ er 18 Folianten in recht gut leserlicher Schrift, abgefaßt im Französisch jener Zeit, oft recht unorthographisch und nicht leicht zu interpretieren.
Die von Karl Eduard Schmidt [3] aus Lötzen in den Jahren 1907, 1910, 1913 und 1921 herausgegebenen Übersetzungen umfassen die Jahre 1750 bis 1784. In den Mitteilungen der Literarischen Gesellschaft Masovia, dessen Vorsitzender der Geheime Studienrat Professor Dr. Schmidt war, veröffentlichte er in den Ausgaben von 1925 und 1926 noch die Tagebuch-Eintragungen bis Dezember 1787. Allerdings waren dem Herausgeber die verschiedensten Beschränkungen auferlegt, so dass die Edition lückenhaft sein mußte. Zudem hegte ich mitunter Zweifel, ob der gute Schmidt-Lötzen sich bei der Übersetzung nicht geirrt hätte. Der Satz von der "alten Kuh" war es vor allem, der mich veranlaßte, nach den Originalen zu forschen.
Zu der 1982 erschienenen Auswahl aus den Tagebüchern Lehndorffs [4] schreibt Haug von Kuenheim im Vorwort, dass die Originale verschollen sind oder vielleicht in einem polnischen Archiv schlummern. Stammsitz der Lehndorffs und auch Sterbeort des Kammerherrn war Schloß Steinort am Mauersee im heutigen Polen. Der letzte Besitzer auf Steinort, Heinrich Graf von Lehndorff (1909-1944), gehörte zur Widerstandsgruppe um Henning von Treskow. Er wurde nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 4. September 1944 in Plötzensee hingerichtet.
Bevor ich dazu kam, nach Warschau bzw. an das Archiv in Allenstein eine entsprechende Anfrage zu richten, besuchte ich einen Vortrag über ostpreußische Herrenhäuser. Der Referent, Herr Wulf Wagner [5], hatte von den Lehndorff-Nachfahren die Auskunft erhalten, dass das Inventar von Steinort vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges in einem Güterzug gen Westen bis Sachsen gekommen sei und bis heute in einem dortigen Schloß lagern solle.
Die Schlösserverwaltung des Freistaates Sachsen teilte mir auf Anfrage mit, dass sich im Staatlichen Schloßbetrieb Burg Kriebstein Teile des ehemaligen Inventars des Schlosses Steinort/Ostpreußen befinden.
Bei meinem Besuch auf der Burg erfuhr ich von Kunsthistoriker Bernd Wippert, der das Museum bzw. den Schloßbetrieb seit 1980 leitet, weitere Einzelheiten. Die 1384 erstmals urkundlich erwähnte Burg bei Waldheim war von 1825 bis 1945 in Besitz einer Familie von Arnim und wurde von ihr ab 1930 bereits schrittweise zum Museum ausgebaut. Das Inventar von Steinort war tatsächlich vor Kriegsende sorgsam verpackt nach Kriebstein gelangt. Nach dem Krieg, so berichteten ihm damalige Mitarbeiter, wurden die eingelagerten Schätze taxiert und zur Erfüllung von Reparationsverpflichtungen von der Sächsischen Landesregierung bis auf wenige Ausnahmen an die Sowjetunion übergeben. Zu den Ausnahmen gehörten einige barocke Schränke (Danziger Dielenschränke), die wohl zu "unhandlich" waren, sowie altes Schriftgut (!), das man schließlich auf einem Gutshof im Kreis Döbeln einlagerte.
Aber Herr Wippert hatte auch einen spektakulären Fund gemacht: Im Zusammenhang mit der Bauforschung entdeckte er 1986 einen wohl vor Jahrhunderten stillgelegten und inzwischen vermauerten Kaminschacht in der Mauerdicke des Wohnturms. Als er den Schacht öffnete, kamen ihm einige Kunstgegenstände entgegen, andere waren noch im Schacht verklemmt. Die Bergung war kompliziert und langwierig, wollte man doch Beschädigungen vermeiden. Zum Vorschein kamen silberne und vergoldete Leuchter, Schalen, Schmuck, Porzellan, Bücher und Wandbehänge, darunter ein 3,5 × 4,5 m großer Gobelin. Der Fund stammte eindeutig aus dem Lehndorffschen Besitz. Die Recherchen ergaben, dass der letzte Kammerdiener der Familie von Arnim kurz vor Ende des Krieges dieses Versteck angelegt hatte, offensichtlich in großer Eile, was die Schäden an der Mehrzahl der Kunstgegenstände erklärte.
Nach behutsamer Restaurierung fand der Gobelin 1992 seinen Platz im großen Festsaal. Der größte Teil der anderen Kunstgegenstände ist im Schatzgewölbe der Burg ausgestellt. Meine Hoffnung, auch ein Porträt des Kammerherrn zu entdecken, erfüllte sich allerdings nicht.
Inzwischen hatte ich aber bereits eine Spur zu den Tagebüchern gefunden. In einem Aufsatz von Detlev Schwennicke [6] zur Herkunft, Geschichte und Genealogie der heutigen Grafen Lehndorff wird in den Anmerkungen verwiesen auf Stammtafeln in Karton 12 bzw. 14 aus dem Nachlaß Lehndorff (!) in der Deutschen Zentralstelle für Genealogie Leipzig.
Wenn der Nachlaß Lehndorff in mehreren Kartons untergebracht ist, dann könnten ja vielleicht auch die Tagebücher des Kammerherrn darin enthalten sein, dachte ich mir. Eine telefonische Anfrage dort machte mir Hoffnung: Der Nachlaß Lehndorff war im Jahre 1966 der Zentralstelle für Genealogie übergeben worden und über mehrere Zwischenstationen aus der Burg Kriebstein (Stempelaufdruck) gekommen. Im Übergabeprotokoll sind u.a. Tagebuchaufzeichnungen in französischer Sprache aus dem 18. und 19. Jahrhundert erwähnt. Ansonsten schlummerte der Nachlaß unbearbeitet in über 50 Kartons.
Einen Teil davon (8 Kartons) konnte ich bei einem Besuch in der Zentralstelle durchsehen. Neben Prozeßsachen der Landschaft von allen Ständen des Herzogtums Preußen von 1566, Collegiums-Mitschriften 1716-1717 von Johann Christoph v. Wallenrodt [7], Memoiren des Christofle Burggrafen zu Dohna und anderen Akten konnte ich einige Handschriften als Tagebücher des Kammerherrn identifizieren. Sie betreffen die Zeitabschnitte 1753 (ff.), 1770-1775, 1786-1788 und 1799 (ff.), zwei weitere Notizbücher mit Aufzeichnungen um 1760 und 1784 gehören vermutlich auch dazu.
Und schließlich fand ich auch den oft zitierten und umstrittenen Satz von der "alten Kuh", den Schmidt-Lötzen verschämt in den Anmerkungen versteckte.[8] Leider wird auch eine neuerliche Übersetzung nichts daran ändern, dass Friedrich II. diese Äußerung machte. Der "Große Friedrich" charakterisiert sich damit selbst als Grobian und das weiß er auch genau. Davon zeugen seine Zeilen an die Kurfürstin Maria Antonia von Sachsen: "trotz meines Wunsches, weise zu werden, geschieht es, dass ich Bosheiten begehe, die ich nachher bereue."[9]
Inzwischen veranlaßte die Mitarbeiterin der Zentralstelle für Genealogie, Frau Martina Wermes, die Bearbeitung des gesamten Nachlasses Lehndorff. Bei der Anlage von über 500 Aktentiteln stieß die Bearbeiterin, Frau Gentsch, auch auf ein kleines Porträt des Kammerherrn.
Weitere Tagebücher fand sie allerdings bisher noch nicht. Mit einem Bestandsverzeichnis kann erst zum Jahresende gerechnet werden.
Dann jedenfalls kann man Anfragen richten an das Sächsische Staatsarchiv Leipzig, Zentralstelle für Genealogie, Schongauer Straße 1 in 04329 Leipzig, Telefon (0341) 2555551. Der Nachlaß Lehndorff hat die Magazin-Nr. 84.
Da die von Schmidt-Lötzen herausgegebenen Tagebücher des Kammerherrn Lehndorff heute nur noch in wenigen Exemplaren in unseren Bibliotheken vorhanden sind, wäre eine Neuausgabe ohnehin wünschenswert, selbst wenn sie sich nicht vollständig am Original orientieren könnte.
Ernst Ahasverus Heinrich hat uns neben sehr persönlichen und oft unter dem Eindruck erlittener Ungerechtigkeit verfaßten Tagesnotizen ein lebendiges Bild vom kulturellen Leben seiner Zeit hinterlassen. Neben den Schilderungen vom Berliner Hofleben finden wir ausführliche Beschreibungen seiner Reisen, die ihn über die deutschen Lande hinaus nach Polen und in die Schweiz führten. Sehr aktuell erscheinen seine Bemerkungen am Ende des Siebenjährigen Krieges10: "Wenn man nun aber bedenkt, welche unzähligen Opfer dieser Krieg gefordert hat, wieviel Provinzen verwüstet, wieviel Familien ruiniert worden sind, und das alles, um die Herrscher in dem status quo ante zu sehen, so möchte man über den Wahnwitz der Menschheit laut aufschreien."
E. A. H. von Lehndorff, Radierung (um 1769). Original u. Repro: Sächs. StAL, Nachlaß Lehndorff (84), Akte 524
Anmerkungen
1. Karl Eduard Schmidt-Lötzen (Hrsg.), Dreißig Jahre am Hofe Friedrichs des Großen. Aus den Tagebüchern des Reichsgrafen Ernst Ahasverus Heinrich von Lehndorff, Kammerherr der Königin Elisabeth Christine von Preußen. Nachträge, Bd. 1, Gotha 1910, S. 375.
2. Karl Eduard Schmidt-Lötzen (Hrsg.), Dreißig Jahre am Hofe Friedrichs des Großen. Aus den Tagebüchern des Reichsgrafen Ernst Ahasverus Heinrich von Lehndorff, Kammerherr der Königin Elisabeth Christine von Preußen. Gotha 1907, S. 4.
3. In "Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 1925", S. 907, ist Karl Eduard Schmidt als Dr. phil., Prof. für Altertumskunde, Oberlehrer i.R. und Geheimer Studienrat in Lötzen/Ostpreußen verzeichnet. Nachruf und kurzer Lebensabriß (1850-1927) in: Mitteilungen der Literarischen Gesellschaft Masovia, Heft 32/33 von 1928.
4. Aus den Tagebüchern des Grafen Ernst Ahasverus Heinrich von Lehndorff. Hrsg. und eingel. von Haug von Kuenheim. Verlag Severin und Siedler Berlin 1982 (enthält eine Auswahl der Jahre 1753-1767).
5. Wulf D. Wagner, Stationen einer Krönungsreise - Schlösser und Gutshäuser in Ostpreußen. Katalog zur Ausstellung (auf Schloß Demerthin), Berlin 2001.
6. Herold-Jahrbuch, Neue Folge, Bd. 3 von 1998, S. 183-196.
7. Die Mutter des Kammerherrn war eine geborene von Wallenrodt.
8. Schmidt-Lötzen (1907), S. 491, dazu Anmerkung 117 (wie Anm. 2).
9. Georg Pilz, Friedrich II. Wonach er sich zu richten hat. Berlin 1987, S. 94.
10. Schmidt-Lötzen (1907), S. 451, Eintragung Lehndorffs vom 16. 02. 1763 (wie Anm. 2).
Aus: "Mitteilungen" 1/2002
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