Der eiserne Gustav - eine Berliner Chronik
"gustav ante porten"
Aus dem Lexikon eines berühmten Zeitgenossen

Von Ernst Toller

"In der Ära deutsch-französischer Verständigungspolitik bleibt Gustav Hartmann ein Gipfel. Der Bubikopf-Erfinder Antoine zog mit grüner Perücke in Berlin ein, Grasmus, das treue deutsche Pferd, auf dem Kopf ein kokettes Strohhütchen, hielt seinen Einzug in Paris. Nennen wir dreist diesen Einzug triumphal, nehmen wir ihn als Ersatz für den vor 10 Jahren von Ludendorff markig verkündeten.

Antoine begleiteten die scheelen Blicke seiner Kollegen, hinter Hartmann marschierten die Legionen Leser der Boulevardblätter. Einem On dit zufolge soll Gustav 20.000 Fr. auf die Banque de France eingezahlt haben. Der Botschafter Hoesch veranstaltete einen Galaabend, die deutsche Republik repräsentierte sich aufs würdigste, bezaubert war die Mistinguette, noch heute schleckt sich Gustav die Zunge, denkt er an ihren französischen Begrüßungskuß.

Unzufrieden war einzig die Zeitungskonkurrenz, doch sind wir an deutschen Hader gewöhnt und nehmen es nicht allzu tragisch, wenn gewisse Blätter behaupten, daß Gustav leicht gemogelt, Grasmus dreimal gegen ein anderes Pferd ausgetauscht hätte und auf dem Rückweg mit dem von Opel gestifteten Auto viele Kilometer am Volant gefahren sei, während der falsche Grasmus im Güterwagen die Reden in Genf, den Dolchstoß von hinten für Gustav verdauen mußte.

Gustav vor den Toren Berlins, meldete W.T.B. Das Haus in der Kochstraße rüstete zum feierlichen Empfang. Zehntausende waren auf den Beinen, draußen staute sich die Menge und raste vor frenetischer Begeisterung, während der Chef des Hauses bei schlichtem Berliner Eisbeinessen den Helden feierte, Henny Porten den Heimgekehrten die Reize der deutschen Frau fühlen ließ, und Alexander Moissi ihm die Palme, das Zeichen des Geistes, feierlich überreichte. Gewiß, es kam zu Zwischenfällen, der Chronist will es nicht verschweigen. Vor dem wie eine Barrikade versperrten Hauptportal beschimpften sich die zu spät eingetroffenen Manager Gustav Hartmanns und Henny Portens mit Worten, die man mir erlaube nicht wiederzugeben, doch da der eine Jud, der andere Christ war, kann man sich die Suada leicht vorstellen. Auch drinnen im Haus ging es zu.

Im Festsaal neben Gustavs Eisbeinportion lag eine Brieftasche. Gustav schaute sie sich mißtrauisch an, dachte sich "Bowel" und schielte voll Verachtung zu den Gewaltigen des Hauses. Durch freundlichen Blick belehrt, öffnete er sie, entdeckte Hundertmarkscheine darin, befeuchtete den Daumen mit Spucke, begann sachlich, sie zu zählen, nickte befriedigt, übergab die Tasche seiner Ehehälfte, tätschelte leicht Henny Portens berühmte Arme, nickte auch ihrem Gatten verständnisvoll zu, begab sich dann auf den Balkon, um sich seinem Volk, das Hoch und Hurra schrie, leutselig zu zeigen.

Den Einzug durch das Brandenburger Tor hat der Chronist nicht gesehen, doch wurde ihm berichtet, daß dreißigtausend Menschen die Hüte schwenkten, sechsundachtzig geflüsterte und geschriebene, handgeschriebene und getippte Liebesanträge Gustav erreichten. Der Chronist sah den Zug am Kurfürstendamm, voran ritten Droschkenkutscher auf Pferden, deren Mindestalter 20 Jahre betragen mußte, hell schmetterten die Fanfaren: "Was tust du mit dem Knie, lieber Hans", dann folgten in Galakaleschen Herren in Gehrock und Zylinder, die Vereinsbanner feierlich schwenkten, und schließlich kam ER. Grasmus, der echte oder der falsche, zockelte im Schritt die Straße entlang, Gustav verneigte sich nach rechts und nach links, während die Lorbeerkränze, von staatlichen und städtischen Behörden gestiftet, leise wippten. Aus dem Gebirge der Kränze ragte ein Papierfähnchen, darauf stand das seltsame Wort: Tempo. Die Zuschauer schienen zu verstehen, denn die Stimme des Volkes lautete: "So siehste aus."

Abends wurde Gustav im Lunapark gefeiert, er trank deutsches Bier, aß Würstchen mit Kartoffelsalat, schwenkte das ein wenig gichtische Tanzbein und verließ schließlich um 1/2 12, von Schupotrupps ehrfürchtig begrüßt, von seinen treuesten Anhängern begleitet, den Lunapark. Der Chronist betrat mit ihm eine kleine Bierschenke in Halensee. Gustav nahm am Tisch Platz, stellte neben sich eine 30 Pfund schwere Schachtel Konfekt, die ihm eine bekannte Schokoladenfabrik gestiftet hatte, der Kellner, devot und schwänzelnd, brachte ihm die gewohnte Weiße ohne Schuß, eine Weile herrschte Schweigen. Dann fragte ihn jemand: "Herr Hartmann, wollen Sie rauchen?"

Der Leser erinnert sich der großen Männer, die für ihre Popularität Opfer brachten. Wilhelm II. ließ sich photographieren, wie er im Felde trockenes Brot aß, Coolidge zeigte sich den Bayern des Atlantik, wie er mit aufgekrempelten Hemdsärmeln in einer Zeitungssetzerei arbeitete, Gustav Hartmann antwortete schlicht und hochdeutsch: "Ich möchte eine Zigarre rauchen, aber sie darf nicht mehr kosten als zehn Fennig." Die Kleinbürger strahlten, Gustav war einer der ihren geblieben.

Da zerriß ein Mann die feierliche Stimmung:"Wat verlangen Se denn so for eine Ansichtskarte, Herr Hartmann?" Gustavs Gesicht rötete sich: "Da müssen Sie den fragen, der wo meine Karten fälscht und se for teuret Jeld an die Leite bringt." Er zog an seiner Zigarre und setzte nach einer Weile hinzu: "Quatschkopp." Von Mund zu Mund ging dieses Wort, schon war es ein geflügeltes geworden.

Keiner traute sich zu reden, bis ein bebrillter Herr, offensichtlich ein Intellektueller, sich Gustav Hartmann zuwandte. "Pardon, Herr Hartmann, haben Sie in Paris auch die Mistinguette gesprochen?" "Jawohl, ha ick. Ich ha jefragt, wie alt biste denn, Mädchen. Da hat se jesagt, 22. Da ha ich jesagt: ein schönes Alter, ick wär nächstens och 17." Und so verging die Nachfeier. Die Herren im Zylinder saßen dekorativ herum, die Banner lagen, mit schwarzem Wachstuch umwickelt, eingerollt auf Tischen, die Schäfte standen trübselig in den Ecken. Gustav erhob sich, verließ die Budike, ging zu den Autos, die auf der andern Seite der Straße seiner harrten. Drinnen saßen strahlende, dicke Frauen, mit schwarzen Atlaskleidern aufgetakelt, Gustavs Frau, Tanten und Cousinen, und auf dem Schoß hielten sie sein Enkelchen, mit Blumen geziert.

Auf den Chauffeur des ersten Autos zu trat ein junger Herr des Empfangsstabes: "Wenn jemand Sie fragt, wen Sie fahren, dann sagen Sie nur: ich fahre Gustav Hartmann aus Wannsee, und setzen Sie gleich hinzu, Sonntag wird er in Wannsee öffentlich empfangen." Die Autos fuhren los, aber siehe da, nach einigen Minuten erhellte sich der Salon in der ersten Etage eines Hauses in der Königsallee, und man erblickte Gustav Hartmann, den echten, während der falsche heimgefahren wurde. Gustav nahm den Zylinder vom Haupte, trat ans Fenster, guckte in den nächtlichen Sternenhimmel und war allein mit seiner Seele. Eingeweihte schätzen sie auf 100.000 Mark.

"Der ist gesund uff beede Backen", sagte ein Neidischer. Viele in der Menge überlegten, wie sie ähnlichen Ruhm erlangen könnten. Ob der Plan des einen, auf dem laufenden Band Piscators nach Afghanistan zu rollen, Erfolg haben wird, werden wir ja sehen.
Der Chronist ging nachdenklich nach Hause. Er dachte über Volkshelden nach und über Massenrausch, dachte an die schon berühmt gewordenen Aussprüche Gustav Hartmanns, und wer wohl einst sein Biograph sein wird, fragte sich, ob je ein Mann des Geistes nur ein Quentchen jenes öffentlichen Interesses einheimsen würde, und versuchte sich klar zu werden über den tieferen Sinn des Ereignisses. Er kann nicht verhehlen, daß der geschäftstüchtige Gustav ihm sympathischer dünkt, als jene Helden, die Wagemut, Patriotismus und Geschäftssinn zu einem pathetischen Brei vermanschen. Er glaubte, die Erfolge jener öffentlichen Macht zu begreifen, die in Presse und Kino, in Theater und Magazinen, dem Publikum eine Welt vorgaukelt, die jenseits aller sozialen Problem, jenseits aller Klassenunterschiede, ein phantastisches Leben führt. Gustav hin und Ludendorff her, schloß er, freuen wir uns, daß diesmal Gustav gefeiert wurde zum Dank dafür, daß er Paris friedlich eroberte."

Aus: Hier schreibt Berlin. Eine Anthologie von heute, herausgegeben von Herbert Günther, Berlin: Internationale Bibliothek G.m.b.H. 1929, Umschlagzeichnung von Ernst Ullmann. Vorhanden in der Bibliothek des Vereins für die Geschichte Berlins gegründet 1865.

Redaktion: Gerhild H. M. Komander 6/2003