Saatwinkel - Entwicklung einer Erholungslandschaft
Von ARNE HENGSBACH
Die Geschichte Saatwinkels ist zwar in Zeitungsaufsätzen verschiedentlich behandelt worden, aber diese Darstellungen sind oft umrankt von Angaben, die mehr Verwirrung als Klarheit bieten. Eine nochmalige Bearbeitung des Themas "Saatwinkel" schien daher geboten. Leider sind die Unterlagen wie die Grundbuchakten aus der Zeit vor etwa 150 und mehr Jahren nicht aufzufinden.[1]Erfreulicherweise ist aber Ersatz vorhanden: Zwei in der "Nord-Berliner Tagespost" am 19. und 20. Juli 1938 veröffentlichte, mit "J. H." unterzeichnete Aufsätze über die Entstehung und Entwicklung Saatwinkels nehmen auf die alten Grundbucheintragungen Bezug und können ausnahmsweise als zuverlässig gelten. Außerdem konnten die alten Baupolizeiakten einige Hinweise geben, und schließlich wurden auch sonstige zeitgenössische Quellen ausgewertet, so dass sich ein, wenn auch in einigen Teilen unvollkommenes Mosaik der Geschichte Saatwinkels zusammensetzen ließ.
Auf dem 1758 so genannten "Saath-Winkel"[2] war 1751 ein Holzwärterhaus errichtet worden.[3] Seine Entstehung steht in zeitlichem und funktionellem Zusammenhang mit dem Salzhof am Ostufer der Oberhavel. nordwestlich von dem nachmaligen Haselhorst. An dem 1749 aus Spandau nach hier verlegten Salzhof, auch "Salzmagazin" genannt, wurde das mit Elbkähnen aus Halle und Schönebeck kommende Salz zum Weitertransport in die kleineren Oderkähne umgeladen.[4] Das Salz wurde in Holzfässern befördert; zur Herstellung und Reparatur der Salztonnen wurde "Stabholz" benötigt, aus dem man die "Faßstäbe", die Dauben, fertigte. Da das Faßgut, das Salz, trocken war, genügte Kiefernholz für die Herstellung der Dauben.
Nördlich des Salzhofes befand sich auf den heute von dem Shell-Tanklager eingenommenen Flächen am Ufer der Oberhavel eine ausgedehnte "Stabholz-Niederlage", also ein Lager für das Stabholz. Zu dem Salzhof und dem Holzlager hat auch der 1200 bis 1500 m weiter westlich gelegene Saatwinkel gehört. Schulze erwähnt in seiner Spandauer Chronik die Stabholz-Niederlage und die "Salz-Ablage" und fährt fort[5]: "Noch etwas weiter der Saatwinkel, wo dahin gehörige Arbeiter wohnen; in beiden zusammen 14 Seelen." Mit den "beiden" können nur Salzhof und Saatwinkel gemeint sein, die auch etwa gleichzeitig entstanden waren.
Meßtischblatt um 1890 mit Haselhorst und Saatwinkel
Ganz deutlich geht die Zusammengehörigkeit aus einer Anzeige des Haupt-Steuer-Amts vom l. April 1857 im "Osthavelländischen Kreisblatt" hervor: "Das der Salzverwaltung gehörige baufällige Wärterhaus auf der Stabholz-Niederlage bei Saatwinkel im Jagen 38 der Königlich Tegelschen Forst soll. .. zum Abbruch verkauft werden." Eine "Stabholz-Ablage" in Saatwinkel nennt auch Boeckh[6]1861,ein etwa aus der gleichen Zeit stammender Plan von Berlin und Umgebung verzeichnet ebenfalls bei Saatwinkel eine Stabholz-Ablage. Eine "Holz-Ablage" - allerdings ohne nähere Angaben - bei Saatwinkel stellen schon die Karte zu den Frühjahrsmanövern 1838und die Brügnersche Karte der Gegend um Berlin von 1840dar. Die Ablage muß nach diesen Karten am Ostufer der Kleinen Malche, ungefähr in der Gegend des Lokals Saatwinkel und gegenüber der Insel Marienwerder gelegen haben.
Die Lage des Holzwärterhauses ist nicht überliefert, denkbar ist es, daß es in der Nähe des Holzplatzes gestanden hat. Auch sonst bleibt einiges offen. Es ist nicht festzustellen, wie lange das Stabholzlager in Saatwinkel betrieben worden ist. Bei den umfangreichen Holzeinlagerungen für die Herstellung der Salz-Packgefäße könnte der Betrieb einer Böttcherei am Salzhof vermutet werden, doch besteht darüber keinerlei Hinweis.[7]
Auf dem Gelände des einstigen Restaurants "Saatwinkel" ("Im Saatwinkel" 31) entstand die Meßtischblatt um 1890 mit Haselhorst und Saatwinkel zweite Ansiedlung dieser Gegend. Am 19.Januar 1819bemerkte der Landrat v. Witzleben zu einem Baugesuch: "Die von der Witwe Lange zu Saatwinkel projektierten Bauten könnten.
zwar genehmigt werden, die Lange wird aber besonders durch den Anbau der Scheune sehr beengt, und ist deshalb zu wünschen, daß dieser Anbau an einer anderen Stelle angelegt und mit dem Gartensaal ebenfalls etwas mehr in den Garten zurücktritt.. ."[8] Wahrscheinlich war das Grundstück auch schon vor diesem Zeitpunkt mit Baulichkeiten besetzt, diese Auffassung vertritt der heutige Eigentümer, Herr Gottschalk, der sich dabei auf alte Unterlagen in seinem Besitz bezieht, so habe bereits um 1817der Oekonom Meier um die Erweiterung eines Saales nachgesucht.
Dem anonymen Verfasser der oben erwähnten 1938 veröffentlichten Artikel über Saatwinkel ist davon nichts bekannt. Er zitiert aus dem Grundbuch, nach dem der Legationsrat de Faucke Borel "das im Jagen 38 des Charlottenburger Forst-Reviers dicht am Tege1er See belegene Forstgrundstück von 5 Morgen Flächeninhalt" 1821als Erbpachtgrundstück erworben habe.
Die Widersprüchlichkeiten in den verschiedenen Angaben für die frühe Geschichte des Grundstücks lassen sich nicht auflösen, für Erklärungen könnten nur Vermutungen angeführt werden.
1839 hat de Faucke Borel seinen Besitz an einen Gastwirt Lange veräußert.
Die dritte besiedelte Stelle in Saatwinkel war der "Blumeshof' ("Im Saatwinkel" 55/57). Der Königliche Opernsänger und Schauspieler Heinrich Blume hat 1835 ein ebenfalls 5 Morgen großes, im Jagen 38 und am Tegeler See belegenes Erbpachtgrundstück erworben. Dieses erhielt 1837den Namen seines Eigentümers. Am 12.Dezember wurde "dem im Niederbarnimschen Kreise belegenen, in des König!. Tegeler Forst hart am Tegeler See neu angelegten Etablissement des König!. Schauspielers Blume der Name Blumeshof beigelegt".[9] 1840 veräußerte Blume das Grundstück an den Gastwirt Schmock. Die Entstehungsgeschichte Blumeshofs ist mit ausschmückenden, romantischen, aber unzutreffenden Zutaten angereichert worden. Im Jahre 1933 richtete der damalige Eigentümer und Gastwirt von Blumeshof, Targatsch, ein fiktives hundertjähriges Jubiläum an. Der Blumeshof sei ein Jagdschloß des Königs Friedrich Wilhe1m IV. gewesen; dieses Jagdschloß habe der König dem Sänger geschenkt. 1833seider Blumeshof "alsAusflugslokal freigegeben" worden. Seitjener Zeit spukt in den meisten Veröffentlichungen jenes sagenhafte Jagdschloß herum Targatsch hatte 1933 in seinem "Jubiläums"-Prospekt geschrieben: "Die mit Jagdschloß und Marstall bezeichneten Gebäude sind die Originalgebäude, wie sie Blume als Geschenk vom König erhielt." Den Anlaß zur Entstehung dieser Jagdschloß-Anekdote könnte nach einer anderen Überlieferung folgender Sachverhalt gegeben haben: Ein Jagdpächter, ein königlicher Kammerherr, habe sich auf dem Blumeshof eingemietet und sei hier mit Kameraden und "Frauen" zusammengekommen. Auf die Wohnung des Jägers sei die Bezeichnung als "Jahgdschloß" zurückzuführen. In dieser Erklärung könnte ein Körnchen Wahrheit stecken, ebensogut aber kann sie auch als Beispiel für eine Sage neuerer Zeit angesehen werden.
Mit dem Übergang der beiden Etablissements in Saatwinkel an Gastwirte begann eine neue Entwicklung für die stille Havellandschaft, es setzte ein Funktionswandel ein, Saatwinkel wurde Ausflugsziel und Erholungsgebiet der Berliner. Davon weiter unten.
Auf ganz andere Ursprünge geht das vierte bewohnte Grundstück, das einstige "Kranhaus", seit etwa 60 Jahren als "Fährhaus" bekannt, zurück.
Der Frachtschiffahrt auf den märkischen Wasserstraßen war auf verschiedenen Strecken das Setzen von Segeln gestattet, auf anderen war es untersagt, es mußte dort getreidelt oder gestakt werden. Für das Aufrichten bzw. die Niederlegung der Maste waren fiskalische "Mastenkrane" eingerichtet, z. B. an der Einmündung der Spree in die Havel bei Spandau und an der Einmündung des Berlin-Spandauer Schiffahrtskanals in den Tegeler See in Saatwinkel.
Der Kanal war nach mehr als zehnjähriger Bauzeit Ende 1858bzw. 1859 dem Verkehr übergeben worden. Zu dieser Zeit muß auch der dortige Mastenkran fertiggestellt gewesen sein. Die in den Kanal in Richtung Berlin einfahrenden Schiffe mußten den Mast umlegen, da in der schmalen, von Brücken überquerten Wasserstraße das Segeln nicht gestattet war; wer dagegen in die Havel einlief, durfte den Mast - und damit das Segel - setzen. Der mit dem Auf- bzw. Absetzen der Masten betraute Beamte der Wasserstraßenverwaltung wohnte in dem an der Kanalmündung befindlichen Kranhaus.
Seit etwa 1880 nahm die dampfbetriebene Schleppschiffahrt immer stärker zu, so daß die Eigner der Frachtschiffe weitgehend auf die eigene mühselige Fortbewegung verzichteten und sich schleppen ließen. Zwangsläufig schrumpfte die Tätigkeit der Mastenkräne derart, daß diese Stellen stillgelegt wurden. Der Spandauer "Anzeiger für das Havelland" berichtete am 6. Juni 1882: "Der Ausschank in dem früheren Kranmeisterhause am Ende des Kanals ist nun auch eröffnet und soll hauptsächlich als Ausspannung dienen." In dem fiskalischen Dienstgebäude wurde also eine weitere Gaststätte eingerichtet.
Etwas südlich vom Kranhaus grenzte der Gutsbezirk Haselhorst im Kreis Osthavelland an Saatwinkel, das zum Gutsbezirk Tegel-Forst, Kreis Niederbarnim, gehörte. Von Gartenfeld aus schob sich der nördliche Teil des Haselhorster Gebietes bis zur westlichen Seite der Kleinen Marche vor. Nach der Anlegung des Berlin-Spandauer Schiffahrtskanals blieb östlich von diesem nur ein Streifen des Haselhorster Geländes. Auf dem am weitesten nördlich gelegenen Teil dieses Streifens wurde 1868eine Parzelle mit einem Wohnhaus bebaut, das erst Ende der siebziger Jahre wegen Baufälligkeit abgerissen werden mußte. Dieses Grundstück ist zu einer Zeit entstanden, als der damalige Eigentümer des Rittergutes Haselhorst - allerdings erfolglos versuchte, durch ParzelIierung und Veräußerung des Gutsgeländes das Terraingeschäft zu betreiben.
Anders als die benachbarten Saatwinkler Ansiedlungen lag die neue aber nicht am See, sondern an einem Landweg und gegenüber dem Forst Jungfernheide. Auch hier entstand eine Gaststätte.
Auf der vom "Touristen-Club für die Mark Brandenburg" frühestens 1888 herausgebrachten "Topographischen Karte der Jungfernheide" wird zum ersten Mal dort ein "Restaurant" verzeichnet, für das erstmalig Mal 1893der Name "Jägerhäuschen" belegt ist.[10]
Für waldnahe gelegene Gaststätten wurde diese Bezeichnung s. Z. gelegentlich gewählt. Wegen seiner Lage abseits vom Wasser hat das "Jägerhäuschen" nie die Bedeutung der anderen Saatwinkler Gaststätten erreicht.
Infolge seiner Zugehörigkeit zur Stadt Spandau, in die das Haselhorster Gebiet 1910eingemeindet wurde, nahm das "Jägerhäuschen" mit seiner Nachbarschaft eine abweichende Entwicklung.
Es geriet in den Einflußbereich der Firma Siemens, die in dem südlich angrenzenden Gartenfeld 1912ihr großes Kabelwerk in Betrieb genommen hatte. Im Jahre 1917,als dort die Kriegsfertigungen auf hohen Touren liefen, kaufte Siemens das Gelände mit dem Jägerhäuschen als Vorratsgrundstück für das Kabelwerk. Für Produktionszwecke wurde die neu erworbene Liegenschaft nicht genutzt. Sie wurde an Kleingärtner oder Wassersportler verpachtet.
Als Kuriosum sei erwähnt, daß auf dem Grundstück eine Gruppe von Wagen kästen uralter Eisenbahnpersonenwagen steht, die als Unterkunft für die Pächter um 1922aufgestellt wurde.
Erst 1938 wurde dieser Spandauer Zipfel nördlich von Gartenfeld nach Reinickendorf umbezirkt, und 1977 veräußerte Siemens den "Jägerhäuschen"-Komplex an das Bezirksamt Reinickendorf.
Was hatte den königlichen Opernsänger Blume bewogen, in dem einsamen, entlegenen Saatwinkel Aufenthalt zu nehmen') Es kann nur die unberührte Schönheit der Landschaft am Tegeler See mit dem Wechsel von Wald und Wasser, den reizvollen Durchblicken auf den See und seine Inseln gewesen sein. Und diese an abwechslungsreichen Aussichten reiche Gegend hat auch die beiden Gastwirte 1840 veranlaßt, hier am Ufer ihre Ausflugslokale einzurichten. Da aber auch die weitere Umgebung Saatwinkels nur wenig besiedelt war, mußten die Gäste, die die neuen Restaurationen beleben und füllen sollten, vor allem aus Berlin kommen. Aber das schöne Fleckchen Erde am Tegeler See hatte einen Nachteil, es lag weitab von den Verkehrsstraßen in unerschlossener Gegend, noch außerhalb der Stadtrandzonen. Nur über die Zwischenstationen Tegel, Spandau und Charlottenburg, von denen es ungefähr fünf bis acht km entfernt lag, war es zu erreichen. Am nächsten lag das Dorf Tegel, und in dem Bereich einer sich hier bildenden Erholungslandschaft für Berliner befand sich auch Saatwinkel.
In allen Berlin-Handbüchern, Stadtführern, "Wegweisern" seit dem ausgehenden 18.Jahrhundert wird Tegel erwähnt, vor allem wegen des Humboldtschen Schlosses und Parks. Die beginnende Entwicklung zum Ausflugsziel Berlins deutet schon Nicolai an [11] "Nahe beim Schlößchen, an der Landstraße, ist ein Wirtshaus, wo man speisen kann, daher oft, von Berlin aus, hierher Spazierfahrten geschehen." Auch Helling[12]vermerkt 1830: "Das Wirtshaus bei dem Schlosse wird im Sommer häufig von Berlinern besucht."
Da aber Tegel von der Berliner Innenstadt etwa 11bis 13km entfernt war, konnte es, vor allem für Familien mit Kindern, nicht zum Ziel einer Fußwanderung gemacht werden, man mußte nach Tegel fahren. Das öffentliche Verkehrsmittel des frühen 19.Jahrhunderts, der Torwagen, hatte zwar die Funktion, dem Ausflugsverkehr der Berliner in das Umland zu dienen, aber nach Tegel wurden keine Torwagen eingesetzt. Wer nach Tegel fahren wollte, mußte ein Mietfuhrwerk benutzen. Die Fuhrkosten aber verteuerten den Ausflug, so daß weniger bemittelte Bevölkerungsschichten auf eine Fahrt verzichten mußten.
Neben dem Schloß, dem Park und dem Gasthaus trat allmählich auch der Tegeler See in den Gesichtskreis der Berliner. Er wurde in das Besuchsprogramm aufgenommen, d. h. eine Spazierfahrt auf dem Wasser unternommen. Eine frühe Erwähnung findet der See 1828[13] " . . . und außerhalb [des Schlosses] übersehen wir von einem Rebenhügel einen See, der wie ein Spiegel in waldbekränzter Einfassung vor uns liegt." Gut ein Jahrzehnt später, im Jahre 1840, wird von Cosmar[14]zum ersten Mal auf einen Verkehr auf dem Tegeler See hingewiesen: "Der große Tegeler See gibt Gelegenheit zu angenehmen Wasserfahrten." Noch genauer ist Löwenberg[15] 1847: "Der nahe See ladet zur angenehmen Wasserfahrt nach Saatwinkel und Blumeshof ein." Damit sind die Beziehungen zwischen Tegel und Saatwinkel erstmals belegt.
Anfang der fünfziger Jahre hat dann Gottfried Keller Tegel und seinem See -"Fahr' auf dem Nord' sehen Geistersee" - ein literarisches Denkmal gesetzt.
Von Berlin nach Spandau mußte man auf der Chaussee über Charlottenburg etwa 14 km zurücklegen, aber zwischen beiden Nachbarstädten verkehrten seit etwa 1828 Torwagen, die für die Fahrt etwa zwei Stunden benötigten. Von Spandau aus konnte man nach Saatwinkel auf längst vergessenen Landwegen, vermutlich über Haselhorst, gelangen, wobei die Länge des Weges 5 bis 6 km betragen hat. Nachdem im Jahre 1846 die Berlin-Hamburger Eisenbahn dem Verkehr übergeben war, gelangte man vom Hamburger Bahnhof in Berlin nach Spandau in 15Minuten Fahrzeit. Seit 1848 fuhren an den Sonntagen im Sommer "Extrazüge" zu ermäßigten Fahrpreisen nach Spandau. Damit wurde die Stadt zum Ausgangspunkt für Ausflüge zu zielen an der Unter-und Oberhavel. Ein Bootsverkehr zwischen Spandau und dem Tegeler See bzw. Saatwinkel ist seit etwa 1855bezeugt, hat aber schon vorher bestanden; wann er eingeführt worden ist, kann nicht mehr festgestellt werden. Diesen Weg deutet auch Merget 1858an: "Größere Landpartien werden von den Berlinern im Sommer. .. mit Benutzung der Hamburger Eisenbahn nach dem Finkenkruge und dem Saatwinkel .. .gemacht .. ." [15a]
Der dritte Weg nach Saatwinkel führte über Charlottenburg; er war auch, was das Fahrgeld anbelangt, der billigste. Man fuhr von Berlin mit dem Torwagen bis zum Luisensplatz für 212Silbergroschen und wanderte dann jenseits der Spree durch die Nonnenwiesen und die Jungfernheide nach Saatwinkel, dabei waren etwa 7 bis 8 km zurückzulegen. Der Berliner Schriftsteller Ludwig Pietsch schildert in seinen Erinnerungen[16] einen solchen Ausflug in den fünfziger Jahren: "Immer schon in der Morgenfrühe brachen wir zu diesen Saatwinkel-Wanderungen auf. Vor dem Charlottenburger Schloßgarten überschritten wir die Spree auf der dortigen Brücke. Von da ging man entweder längs des Flußlaufes auf der von alten Weiden- und Erlenbüschen gesäumten sandigen Uferstraße oder durch den noch tieferen Sand des von kleinen Bäumchen eingefaßten Weges, der im rechten Winkel ab von dem anderen zwischen sumpfigen Wiesen und Getreidefeldern zum Walde führte. Die Lerchen tirilierten über uns höher und höher in den lichtflimmernden Äther steigend. Dumpf und matt gedämpft aus weiter Ferne drang das Brausen der großen Stadt und das rhythmische Dröhnen des Dampfhammers der Borsigschen Eisenwerke vom näheren Moabit herüber. Bald empfing uns die Schattenkühle der Heide. Ein Wald aus hohen alten Kiefern und Eichen prächtig gemischt, durch dessen Dickicht sich die unchaussierte Straße - leicht als die richtige an den großen weißen lateinischen S zu erkennen, die auf die Stämme der Bäume zu beiden Seiten gepinselt waren - bis zum Ziel wohl eine Stunde weit hin wand. Mit immer neuem Entzücken begrüßten wir die bläuliche, silbern glänzende Fläche des Sees, wenn sie endlich zwischen den Bäumen sichtbar wurde. Und dann die langen Stunden im selbstgeruderten Boot, das man in einer der beiden noch ganz primitiven Saatwinkler Wirtschaften entlieh. . . auf der weiten glatten oder windgekräuselten, noch von keinem Dampfer durchschnittenen und aufgeregten Flut, und damit abwechselnd ein Ausruhen an ihren stillen Ufern im kiefernadelduftdurchwürzten Waldesschatten oder unter den alten Linden vor dem malerischen strohgedeckten Bauern-und Fischerhause auf Valentinswerder oder vor dem auf Scharfenberg . . ."
Pietsch hat auf seinen Wanderungen nach Saatwinkel von Charlottenburg aus zunächst den heute nur noch in Bruchstücken vorhandenen -Nonnendamm oder auch den Tegeler Weg benutzt, ehe er die "Heide", die Jungfernheide, erreichte, sei es auf dem Gebiet der heutigen Siemensstadt, die damals zum größten Teil vom Wald bedeckt war, sei es auf dem Gelände des jetzigen Volksparks Jungfernheide. Dieser ist der letzte Rest des einst ausgedehnten Forstes, der von Plötzensee bis zur Haselhorster Grenze reichte.
In Zusammenhang mit der Anlegung des Berlin-Spandauer Schiffahrtskanals wurde die ihn begleitende Kana1chaussee von Plötzensee bis Saatwinkel 1864 fertiggestellt. Sie folgte der Wasserstraße von Plötzensee bis nach Haselhorst an der Südseite, in Haselhorst wechselte sie auf das Nord-bzw. Ostufer über, um schließlich am Kranhaus zu enden. Der noch vorhandene Abschnitt der alten Kana1chaussee von der Seestraße bis Haselhorst führt heute den Namen "Saatwinkler Damm". Damit war Saatwinkel, zu dem man vorher nur auf unbefestigten Waldwegen gelangen konnte, durch eine befestigte Straße erschlossen und in Verbindung mit den nordwestlichen Stadtteilen Berlins gesetzt worden. Die neue Straße kürzte den Weg vom Wedding und Moabit nach Saatwinkel ab. Nicht nur auf Waldspaziergängen oder Bootsfahrten konnte man nun nach Saatwinkel kommen, sondern auch mit den Kremsern, die sich Hausgemeinschaften, Vereine usw. mieteten. Eine Zunahme der Gäste in den Saatwinkler Lokalen nach Eröffnung der Kanalchaussee ist auf jeden Fall eingetreten. Dafür sei eine Andeutung aus dem Jahre 1866 angeführt[17]: Der "Lustort" Saatwinkel sei "sehr stark von Berliner Familien frequentiert, besonders sonntags". Und Kapp vermerkt 1873: "Beliebter Ausflugsort für Wagenbesitzer"[18]Verschiedentlich geäußerte Wünsche, öffentliche Verkehrsmittel in den Saatwinkler Damm zu legen, blieben unerflillt, dagegen waren auf den Zufahrtsstraßen bzw. -strecken nach Tegel, Charlottenburg und Spandau, von wo aus Saatwinkel erreicht werden konnte, zahlreiche Verkehrsverbesserungen durchgeführt worden. Charlottenburg war seit 1847durch den Omnibus, seit 1865durch die Pferdebahn mit Berlin verbunden.
Von 1868 an wurden nach Spandau "Localzüge" eingesetzt, die Vorläufer der späteren Vorortzüge, und schließlich wurde 1881die Pferdebahn nach Tegel eröffnet, die in den ersten Jahren allerdings sehr teuer war und nur in großen Abständen fuhr.
Von dem stärkeren Besuch, den der Ausflugsort Saatwinkel infolge der besseren Erschließung erhielt, berichtet auch Riesells: ". [19].. Früher stand da nur ein kleines Häuschen, aber ,Mutter Langen', ,die Wirtin, war jedem Berliner bekannt, der Fußpartien oder die Unmittelbarkeit der Natur liebte. ... Aber ,Mutter Lange' ist schon lange tot und gar sehr hat sich Saatwinkel verändert. Aus dem kleinen Häuschen ist ein großes Gebäude mit einem Tanzsaal geworden, und nicht weit davon steht Blumeshof, ein großes Etablissement mit sogar zwei Tanzsalons . .."
Die Eröffnung des Berlin-Spandauer Schiffahrtskanals im Jahre 1859veranlaßte einen Unternehmer, mit einem kleinen Dampfer den Ausflugsverkehr auf der neuen Kanalstrecke aufzunehmen.
Am 1.Juni 1859 zeigte die "Vossische Zeitung" an: "Das Schrauben-Dampfschiff Marie Louise fährt jeden Donnerstag und Sonntag vom Hamburger Eisenbahnhof nach Saatwinkel. Abfahrt. . . Vorm. 9 Nachm. 2 Uhr. Abfahrt von Saatwinkel Abends 8 Uhr. Preise: Schiff a Person 712sgr., Gondel a Person 5 sgr." Die Gondel war an dem Dampfer angehängt.
Auch 1860wurden derartige Fahrten ausgeführt, danach ist von dieser Verbindung nicht mehr die Rede; der Kanal wurde offensichtlich nicht regelmäßig, sondern nur sporadisch von der Fahrgastschiffahrt benutzt. Viel nachhaltiger als diese gelegentlichen Dampferfahrten auf dem Kanal aber hat die 1875 eröffnete Personenschiffahrt zwischen Spandau und Tegel auf die weitere Entwicklung der Saatwinkler Ansiedlungen eingewirkt. Der Berliner Bauunternehmer Paul Haberkern hatte die einsame Insel Valentinswerder erworben und auf ihr eine kleine Villenkolonie sowie ein Ausflugsrestaurant geschaffen. Es handelte sich um eine jener zahlreichen Landhausansiedlungen, wie sie in der Gründerzeit von 1870bis 1875überall im Berliner Umland "gegründet" worden waren. Hennes erblickte 1884 "von lieblichen Gärten umgeben, eine Reihe von geschmackvollen Villen, die alle nach dem Tegeler See hinausschauen",[20] Haberkens Gründung lag aber völlig abseits vom Verkehr und war nur lebensfähig und als Spekulationsobjekt verwertbar, wenn sie entsprechend erschlossen wurde. Das tat Haberkern, indem er am 10.Mai 1875die regelmäßig befahrene Dampfschifflinie Spandau-Tegel ins Leben rief. Die mit der Eisenbahn aus Berlin ankommenden Besucher oder Bewohner Valentinswerders konnten mit den Haberkernschen Dampfern zu der Insel fahren. Damit war die Hauptfunktion der Linie erfüllt, als zusätzliches Geschäft wurde die Bedienung des Ausflugsverkehrs nach Tegel wahrgenommen. Saatwinkel wurde in der ersten Zeit noch nicht von den Haberkernschen Dampfern angelaufen, sondern erst seit 1876. Zwei Schiffe, "Sophie" und "Eugen", hatte Haberkern angeschafft, mit dem damals meist üblichen Fassungsvermögen, die "Sophie" bot 104 Plätze. Bei starkem Andrang wurde in den ersten Jahren noch ein Schleppschiff angehängt. Dieser Schiffsverkehr wurde im Lauf der Jahre verdichtet und verbessert.
Betrieben wurde die Linie von Mai bis September, denn die Bewohner Valentinswerders hielten sich nur in den Sommermonaten dort auf. Den Saatwinkler Lokalen hat diese Dampferverbindung Scharen neuer Besucher zugeführt.
Gerade in jenen siebziger Jahren aber erlitt der Verkehr nach Saatwinkel bzw. von dort nach Tegel gewisse Einschränkungen. Der östlich von Saatwinkel gelegene Artillerie-Schießplatz sein Gelände ist im Flughafen Tegel aufgegangen - war damals an mehreren Wochentagen von Artillerie-Einheiten belegt, die hier Übungs-oder Testschießen abhielten. Da abirrende Granaten bis zum Tegeler Seefliegen konnten, wurden aus Sicherheitsgründen Wege und Teile' des Sees an Schießtagen vom Militär abgesperrt. Weil jedoch die Schießübungen canden Sonntagen, den Hauptbesuchstagen der Gaststätten in Saatwinkel, nicht stattfanden, hielten sich die Benachteiligungen für diese in Grenzen. Das "Niederbarnimer Kreisblatt" , schilderte am 24. Juli 1876diese Situation: "Die Dampfschiffahrt von Spandau nach Tegel kann während der Verkehrssperrung nur bis Saatwinkel gehen, und Tegel hat die härtesten Nachteile, um so mehr, als auch der Landweg nach Spandau durch das Schießen auf dem Artillerie-Schießplatz gefährdet und täglich versperrt ist. Es sind nämlich von dem Schießstande bis zum Tegeler See nicht ganz 6000 Schritt, und daher soll die Sperrung der betreffenden Seestrecke hinter dem Artillerie-Schießplatz geboten sein. Früher erreichten nur die Geschosse der Artillerie-Prüfungs-Commission den Tegeler See, die gezogenen Geschütze der Regimenter schicken jetzt aber ebenso weit Geschosse, denn erst am 16. d. M. schlug eine nicht krepierte Granate in der Nähe der Wasserwerke ein."
Leute wie Ludwig Pietsch und Heinrich Blume hatten Saatwinkel aufgesucht, weil sie an den noch unberührten Havelufern mit ihren wechselnden schönen Landschaftsbildern Erholung und Entspannung suchten und fanden. Für viele Berliner Ausflügler stand aber nicht das Naturerlebnis im Vordergrund, sie erwarteten vielmehr Abwechslung, Unterhaltung, Anregungen für die Sinne, kurz "Vergnügungen", wie denn auch die Lokale am Stadtrand und im Umland in dem zweiten Drittel des 19.Jahrhunderts oft als "Vergnügungsorte" bezeichnet wurden.
Es gab mancherlei verschiedene Darbietungen oder Einrichtungen: Wer körperliche Bewegung liebte, fand nicht nur in den alten "Tanztabagien", sondern auch in den Ausflugslokalen Gelegenheit zum Tanzen, sei es im Saal oder im Freien. Selbst einfacher ausgestattete Gaststätten verfügten meist über Kegelbahnen. Auch Schaukeln und Karussells - oft von Jungen geschoben - oder "Rutschbahnen" kamen den Bedürfnissen nach spielerischer, körperlicher Betätigung entgegen. Zahlreiche Gastronomen boten den Besuchern ihrer Bier-oder Kaffeegärten akustische Genüsse, Konzerte, u. a. von Militärkapellen ausgeführt, Gesangsgruppen usw. Um die Jahrhundertmitte wurden besonders die Lokale am Südrand des Tiergartens auch wegen der musikalischen Darbietungen aufgesucht. Neben dem Ohr wollte das Auge gefesselt werden. Dazu gehörte z. B. die "Illuminierung" der Wirtsgärten mit farbigen "Ballons", also bunten Lämpchen. Anspruchsvoller waren die großen Feuerwerke, wie sie der Theaterfeuerwerker Dobermont ausführte. Für das Auge waren auch die "Erntefeste" bestimmt, die vor allem in Ausflugslokalen in noch ländlichen Gegenden von den Wirten veranstaltet wurden, es waren pseudofolkloristische Umzüge. Von den Schützenfesten übernahmen die großen Lokale die Aufstellung von Buden, es gab Würfel-, Glücks-, Schau-, Schießbuden und solche, in denen allerhand Tinnef verkauft wurde. Für die Gäste mußten außerdem zahlreiche Baulichkeiten errichtet werden, z. B. verglaste Veranden zur Aufnahme der Besucher bei Regenschauern usw., ferner Kaffeeküchen ("Hier können Familien Kaffee kochen"), Buffets und dergl. Die am Ufer gelegenen Lokale nutzten die Gunst ihrer Lage aus, sie boten ihren Gästen "Wasser-Corso-Fahrten", bei denen diese in Gondeln und Kähnen, oft mit Musikbegleitung, in der Umgebung der Lokale umhergefahren wurden. So entstand im Lauf des 19.Jahrhunderts ein ziemlich umfangreiches Repertoire von publikumswirksamen Veranstaltungen; wer viele Kunden in sein Lokal ziehen wollte, mußte verschiedene dieser hier nur kurz gestreiften Leistungen und Vorführungen bieten, sonst gingen die Gäste zur Konkurrenz, die mehr anbot. In diesem Zusammenhang muß auch die Entwicklung der Saatwinkler Lokale gesehen werden.
Die Entwicklung Saatwinkels zu einem Ausflugsziel und -ort läßt sich auch anhand der Inserate verfolgen, die der Eigentümer und erste Wirt von "Blumeshof", der frühere Unteroffizier Johann Schmock, aufgab, z. B. in der "Vossischen Zeitung". Schmock mußte, wollte er sein abseits gelegenes neues Gasthaus bekannt machen und Besucher anziehen, Einfälle haben und Werbung betreiben. Das etwa gleich alte Nachbarlokal "Saatwinkel" tritt dagegen in dem Bestreben, durch Anzeigen und Anpreisungen auf sich aufmerksam zu machen, stark zurück.
Bei der zunehmenden Beliebtheit von "Blumeshof" wurden vermutlich auch dem Lokal "Saatwinkel" neue Gäste zugeführt.
Zur Eröffnung seiner Gaststätte veröffentlichte Schmock am 27. Juni 1840 folgende Ankündigung: "Blum's Hof. Neues Etablissement in Saatwinkel. Oben genanntes, romantisch am Tegeler See belegenes neue Etablissement habe ich käuflich an mich gebracht... Zugleich erlaube ich mir die ergebene Anzeige, daß ich Donnerstag, den 2.ten Juli c. mein neues Etablissement durch Concert-Musik und ein großes brillantes Feuerwerk, vom Königl. Theater-Feuerwerker Hrn, Dobermont ausgeführt, einweihen werde..." Am 6. Juni 1842 empfahl Schmock in der "Vossischen Zeitung" "den hochgeehrten Familien und Liebhabern von ländlichen Partien" sein Lokal mit dem Bemerken, daß er ,.für gute Restauration, Kegelbahnen, Billard u. dergl. wie auch für sichere Kähne zu Wasser-Spazierfahrten" Sorge getragen habe. Der Weinhändler Dupont in Charlottenburg, Berliner Straße, werde die Güte haben, "über den von dort hierher führenden Weg eine nähere Auskunft zu erteilen". Aus diesem Hinweis kann geschlossen werden, daß Blumeshofin den ersten Jahren seines Bestehens wohl hauptsächlich von Charlottenburg aus und auf Wegen durch die Jungfernheide erreicht wurde.
Auf die Möglichkeiten, die seine am Wasser belegene Gaststätte bot, hat Schmock verschiedentlich hingewiesen. Im August 1853 veranstaltete er gemeinsam mit dem Wirt des Nachbarlokals eine "Große Corso-Fahrt zu Wasser mit Musik", wie sie in jener Zeit auch in Treptow und Pichelsberg abgehalten wurden: "Unsere sämtlichen Kähne, ca. 40, stehen dem verehrlichen Publikum während der Fahrt zur Disposition." Auch 1857 zeigt Schmock an, daß "Kähne zu Spazierfahrten reichlich vorhanden" seien. Eine andere nur am Wasser mögliche Art der Beschäftigung war das Angeln. Am 25. September 1847zeigte Schmock "das Fest der Angler mit brillanter Ausschmückung" und "angemessenen Belustigungen" an, zu denen auch Erscheinen und Umzug des W'assergottes Neptun und seinem Gefolge gehörten. Schon früh, um 1840,waren in den beiden Saatwinkler Lokalen einige sogenannte Angelhäuser oder Anglerbuden vorhanden, es waren meist sehr kleine Fachwerkbauten, oft mit Lehm ausgefüllt, in denen die Angler ihre Gerätschaften verwahrten und auch übernachteten.
Derartige Anglerbuden waren auch an der Oberspree vorhanden, wo sie seit den sechziger Jahren häufiger erwähnt werden. Im Berliner Havelbereich stellen die Saatwinkler Buden frühe Belege für derartige anspruchslose Bauten dar. Ihre Verwandtschaft mit den Lauben der späteren Kleingartenkolonien ist faßbarer als eventuelle Zusammenhänge mit den höfischen "Angelhäusern", z. B. im Charlottenburger Schloßgarten.
In den vierziger und fünfziger Jahren wurden verschiedene Male "Erntefeste" veranstaltet, "in der gewöhnlichen ländlichen Art mit allerlei volkstümlichen Belustigungen", wie es 1857 Schmock ankündigte. Auch Land-und Wasser-Feuerwerke wurden abgebrannt, 1850 fand neben dem Feuerwerk ein "Festmarsch am Tegeler See, dargestellt von meinen Gästen, verknüpft mit ungeheurer Heiterkeit" statt. Die Saatwinkler Darbietungen entsprachen also durchaus denen der anderen größeren Ausflugs-und "Vergnügungsorte" in der Umgebung Berlins und auch den Erwartungen der Gäste. Mit der Verbesserung der Erschließung, z. B. durch den Bau der Kanalchaussee oder den regelmäßigen Dampferbetrieb, nahm die Zahl der Besucher immer mehr zu. Die Folge war in beiden Lokalen auch eine vermehrte Bautätigkeit, häufig wurden Um-, An-, Erweiterungs- oder Neubauten ausgeführt.
Dabei muß auf eine weitere Fußangel, die Targatsch in seinem 1933verfaßten Prospekt gelegt hatte, hingewiesen werden. Er hatte nämlich geschrieben: "Da Blumeshof zum Festungsbereich von Spandau gehörte, durften nur Fachwerkbauten ausgeführt werden." Tatsächlich wurden in Saatwinkel im 19.Jahrhundert mehrere Gebäude in Fachwerkkonstruktion, mit Ziegeln ausgemauert, erbaut. Sie ähnelten den zur gleichen Zeit in den Spandauer Vorstädten nach den Rayonvorschriften errichteten Baulichkeiten. Aber die Spandauer Festungsrayons mit ihren Baubeschränkungen erstreckten sich nicht bis Saatwinkel. In den Bauakten ist überhaupt kein Hinweis zu finden, daß die Baugesuche aus Saatwinkel militärischen Dienst stellen zur Stellungnahme vorgelegt oder Auflagen des Militärs in die Baugenehmigungen aufgenommen wurden. In ländlichen Gegenden wurde der Fachwerkbau häufig ausgeführt, auch mehrere Ausflugslokale an der Oberspree wurden in dieser anspruchsloseren Bauweise errichtet, die aber für den sommerlichen Restaurationsbetrieb völlig ausreichte.
Blumeshof,aus kleinen Anfängen hervorgegangen, war schließlich eins jener typischen groß-
Wirtsgarten in Saatwinkel um 1930
städtischen Ausflugslokale geworden, bei denen die Natur mehr und mehr zur Kulisse wurde und die Betriebsamkeit im Vordergrund stand. Der Spandauer "Anzeiger für das Havelland" schrieb am 11.April 1884über Blumeshof: ". .. Nicht nur, daß durch eine vorzügliche Küche, durch feinste Weine und reelle Lagerbiere den Bedürfnissen des Gaumens und Magens Genüge geleistet wird, es ist auch durch Schaukeln, Karousels, Schießstände, Würfelbuden, Kraftmesser, Personenwaage, Kegelbahnen, Billard usw. für die Belustigung reichlich gesorgt.
Lokal Blumeshof um 1900
Namentlich aber auch durch viele Dutzend Kähne und Gondeln, welche zu idyllischen Partien auf der Havel einladen, wird vollauf Gelegenheit zur Befriedigung auch der weitgehendsten Wünsche an ländlichen Vergnügungen geboten... Spielplätze, Lauben und wohlgepflegte Anlagen bieten Jung und Alt die genußreichsten Zerstreuungen."
Saatwinkel war auch der Zielort von Vereinen, die dort ihre Feiern begingen. Bekannt waren s. Z. die Ausflüge der Berliner Fuhrherren, sie kamen auf, nachdem die Kanalchaussee fertiggestellt war, die den Besuch mit dem Wagen ermöglichte. Eine frühe Erwähnung findet dieses Fuhrherrenfest in der "Spenerschen Zeitung" vom 12.Juni 1870: "Seit einer Reihe von Jahren vereinigen sich die Berliner Fuhrherren zu einem ländlichen Fest im Saatwinkel, und wird dasselbe ein für allemal am Freitag nach Pfingsten abgehalten. An dem am letzten Freitag stattgefundenen Vergnügtsein nahmen mehr als 150Fuhrherren mit ihren Frauen und Kindern teil, und erst gegen 3 Uhr Morgens endete das Zusammensein."
Im Lauf der Jahre nahmen immer mehr Berliner Fuhrhalter an diesen Fahrten teil, so daß schließlich 200 und mehr Fahrzeuge zusammenkamen. Hier noch eine Schilderung des "Anzeigers für das Havelland" vom 6. Juni 1882:"Am Freitag nach Pfingsten veranstalteten die Berliner Fuhrwerksbesitzer seit einer Reihe von Jahren eine Landpartie nach Saatwinkel, und getreu diesem alten Brauch hatten sich dieselben auch in diesem Jahre in einer kaum absehbaren Reihe von Kremsern, Droschken und Breaks nach dem alten beliebten Ausflugsort aufgemacht und waren im Aschbachschen Lokal [d. i. Restaurant "Saatwinkel"J abgestiegen.
Hier und in der davorliegenden Heide entwickelte sich bald ein frisches, fröhliches Treiben bei Spiel und Tanz, auch ließ sich ein großer Teil der Beteiligten nach Valentinswerder übersetzen und belebte das dortige Restaurationslokal. " Diese Fuhrmannsfeste wurden noch bis in die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg veranstaltet.
Im Zeitalter der Pferdewagen mußten die Wirte der ländlichen Ausflugslokale Stallungen für ihre Gäste bereithalten. Wer mit dem Wagen ankam, mußte seine Pferde unterstellen können.
Im Restaurant "Saatwinkel" waren nach 1900 Ställe für etwa 120 Pferde vorhanden, in Blumeshof für etwa die Hälfte. Das Vorhalten von Ställen war genau so wichtig wie heute die Ausweisung von Parkplätzen.
An den Sonntagen im Sommer herrschte zwar in den Lokalen ein lebhaftes großstädtisches Treiben, aber an den übrigen Tagen der Woche war es wesentlich stiller, und so wurde das in der so abwechslungsreichen Havellandschaft belegene Saatwinkel von erholungsbedürftigen Berlinern auch als Sommerfrische genutzt. Der Brauch, im Sommer in den Dörfern usw. der näheren und weiteren Umgebung der Stadt "Sommerwohnung" zu beziehen, war auch gegen Ende des 19.Jahrhunderts noch nicht abgestorben, und so nahm man auch in Saatwinkel Sommerwohnungen. Ihre erste Erwähnung geschieht 1883.[21]Kießling[22]führt ein Jahrzehnt später an, daß in den 4 Restaurants Logis für etwa 40 Familien zu haben sei. In dem benachbarten Tegel wurden 1891übrigens 383 Sommergäste gezählt. Das Lokal "Saatwinkel" nahm noch bis 1939 Sommergäste mit Vollpension auf, wofür 16 Zimmer zur Verfügung standen.
Der aufHebung seines neuen Etablissements bedachte Schmock hatte 1841die Errichtung von 2 "Bade-Zellen" beantragt; das Rentamt Spandau, dem Saatwinkel damals unterstand, hatte keine Bedenken, "indem weder der Schiffahrt noch auch in sittlicher Hinsicht Anstoß gegeben wird." Die königliche Regierung in Potsdam versagte jedoch die Errichtung einer Badeanstalt, "da eine solche Anstalt ein bedeutendes Zuströmen der Berliner, Spandower und Charlottenburger Einwohner veranlassen und diese den südlichen Teil des Forstreviers Tegel in allen Richtungen durchkreuzen würden, wodurch dem Wildbestand Nachteile zugefügt und mancherlei Unfug in der Forst angerichtet würde." Erst nach der Jahrhundertwende sind auch um Saatwinkel die Anfänge eines Badewesens festzustellen, und zwar hatte sich auf der Insel Blumwerder ein etwas wilder Freibadebetrieb entwickelt, den aber der Amtsvorsteher von Tegel 1909 untersagte, angeblich aus Sicherheitsgründen wegen gefährlicher Untiefen; auch das Baden an anderen Stellen war unerwünscht.
Der "Anzeiger für das Havelland" berichtete am 4. 9. 1909:"Der Freibadebetrieb an den Ufern des Tegeler Seesund der Oberhavel soll künftig schärfer beaufsichtigt werden. ..Neuerdings ist aber im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auch das Herumwandeln von Personen in Badekostümen oder in teilweise anstößiger Kleidung auf Baumwerder verboten worden; auch das Herumfahren von Booten in nacktem Zustande bzw. im Badeanzug ist untersagt, und Zuwiderhandlungen werden empfindliche Bestrafungen nach sich ziehen. . ."
Die Badestelle nördlich von Blumeshof ist in den zwanziger Jahren mehr und mehr in Aufnahme gekommen, die Rettungsstation des Arbeiter-Samariter-Bundes wurde 1928 errichtet.
An den Ufern der Gewässer gelegene Gaststätten hatten in wirtschaftlicher Hinsicht einen Vorzug: Sie wurden nicht nur im Sommer von den Berliner Wanderern aufgesucht, sondern waren - bei starkem Frost, wenn die Wasserstraßen zugefroren waren - auch Ziel der Schlittschuhläufer und Schlittenfahrer. Der Eissport auf der Oberhavel zwischen Spandau und Tegel wird bereits vor etwa 150Jahren erwähnt. Das Rent- und Polizeiamt Spandau hat schon 1837 einmal die Eisbahn "nach dem stark besuchten Vergnügungsort Tegel" angeführt und von einer großen Menge Menschen berichtet, die zu Schlitten und mit Schlittschuhen nach Tegel gegangen wären.[23]So konnten die Saatwinkler Lokale auch im Winter erreicht werden. Ihre Beliebtheit bei den Eissportlern nahm zu, als der Spandauer Schiffahrtskanal, wenn auch noch nicht in ganzer Länge, sondern erst auf großen Teilstrecken fertiggestellt war und diese Abschnitte den Schlittenfahrern und Schlittschuhläufern freigegeben wurden.
In einem Überblick über die verschiedenen Eisbahnen schrieb die "Vossische Zeitung" am 13.Januar 1857 u. a.: Es "nahmen Geübtere einen weiten Weg von dem neuen Schiffahrtskanal aus nach Tegel, Saatwinkel und Spandau, eine Tour, die viel Lohnendes hat... In Saatwinkel treffen die Bewohner der beiden Weichbilde Berlin und Spandau zusammen, und unterwegs sind Buffets mit Erfrischungen improvisiert". Einige Tage später zeigte Schmock die "große Eisbahn nach dem Saatwinkel an", die an der Fennstraße begann, und stellte "eine große Schlittschuh-Korsofahrt mit Musik" in Aussicht.
Ludwig Pietsch hat uns auch eine Schilderung vom Eislauf auf dem Kanal nach Saatwinkel überliefert[24], ebenfalls etwa aus der Zeit um 1860: "Auf unseren gelegentlichen gemeinsamen winterlichen Eispartieen nach Saatwinkel auf dem Spree-Havelkanal quer durch die Jungfernheide und weiter über den Tegeler Havelsee . . . spielte Lassalle infolge seiner Unfähigkeit zum Eislauf eine nicht eben beneidenswerte Rolle. Ein jugendlicher Held des Worts und der Feder, ein Löwe der Gesellschaft, ein vielgeliebter und gefürchteter Frauensieger und Volksführer, der sich, zwischen tüchtigen unermüdlichen und begeisterten Schlittschuhläufern und -läuferinnen im Stuhlschlitten sitzend von einem dazu gemieteten Mann über die Eisfläche schieben lassen muß!"
Mit fortschreitendem Wachstum der Stadt nahm auch der winterliche Ausflugs-und Eissportverkehr nach Saatwinkel, Tegel usw. stark zu, geprägt von großstädtischen Verhaltensweisen.
Hier eine Reportage aus dem "Berliner Volksblatt" vom 24. Februar 1886: "Leider gibt es bei Berlin nur noch eine Eisbahn für Touren, nach Saatwinkel, wie Tegel und Spandau. Hier findet sich aber auch ganz Berlin zusammen, was dem echten Schlittschuhlauf huldigt. Von Plötzensee nach Tegel, nach Valentinswerder und Spandau ziehen sich ununterbrochene Linien von Läufern. Hier begegnet man einer Truppe von richtigen Eis-Touristen im kurzen Laufkostüm mit Plaid und Rettungsleinen ausgerüstet, dort schwebt im Karree eine Gesellschaft fröhlicher Damen und Herren dahin, ihnen entgegen kommen die Spandauer mit ihren traditionellen Schnabelschlitten, in denen sie ihre ganze Familie vor sich herschieben, leichte Pinkschlitten sausen an uns vorüber, und selbst kühne Velocipedfahrer mischen sich darunter. Auf der langen Bahn sind wiederholt Erfrischungsstationen etabliert. Drehorgelspieler lassen ihre Weisen durch die Winterlandschaft ertönen und fliegende Händler bieten Würste und Pfannkuchen aus. Oben am Ufer rollen Equipagen entlang, deren Insassen sich das Leben und Treiben auf dem Eise anschauen, und in allen Wirtshäusern am Ufer des Kanals, namentlich aber im Saatwinkel, strömen die Gäste ein und aus. Quer über den See geht es dann nach Valentinswerder, in dessen Restaurant sich die Schlittschuhläufer bei Kaffee, Grog und Künstler-Konzert auswärmen. Der Abend dunkelt bereits herein, ringsum leuchten die Lampen durch die Schneelandschaft auf den Inseln und am Ufer entlang, aber immer noch gleiten die Schlittschuhläufer über die weiten Eisflächen dahin, von denen sie sich nicht trennen können."
Nach einem Bericht des "Tegeler Anzeigers" vom 26. Februar 1902war damals die Eisbahn auf dem Tege1erSee von Hunderten und Tausenden besucht. "Die Elektrische vermochte die vielen Berliner, die sich. .. zwischen Liebesinsel, Tegelort und Saatwinkel auf dem Eise tummelten, kaum zurückschaffen. .. Auch unseren Wirten brachte der Sonntag mit seinem mehr als sommerlichen Verkehr guten Verdienst..."
Eine beträchtliche Erweiterung des Erholungsgebietes am Tegeler See ist ungefähr seit 1890zu verzeichnen. Damals wurden die zur Heiligenseer Feldmark gehörigen Ufer am südöstlichen Teil des Tegeler Sees bei Tegelort und die nördlich anschließenden der Havel zugekehrten Ufer in den Bereich des Berliner Ausflugsverkehrs einbezogen. An der Südseite des nachmaligen Tegelort, zwischen Tegeler See und Havel, befand sich ein kahler Sandberg, von dem die Schiffer den Boden abfuhren, z. B. wurde ein Teil der beim Bau der Spandauer Festungsanlagen in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts benötigten Erdmassen in vielen Kahnladungen von Tegelort geholt. "Der herrliche Blick von dem scharfen Vorsprung nach Spandau und Havel aufwärts war damals nur den Anglern und Fischern sowie den Sommergästen von Saatwinkel und Valentinswerder bekannt."[25] Die erste Ansiedlung in Tegelort entstand 1872,es war eine Kneipe, die aber kaum von Ausflüglern, vielmehr von den vorbeifahrenden Schiffern aufgesucht wurde. Einiges deutet daraufhin, daß Tegelort als Ausflugsziel auch von Saatwinkel aus "entdeckt" wurde. Man konnte sich mit einer Fähre nach Valentinswerder übersetzen lassen, von dort gab es eine weitere Kahnfähre nach Tegelort. Hennes bemerkt 1884 zu Tegelort nur kurz, es werde dort eine Restauration angetroffen" und Übersetzgelegenheit zur Dampferstation Valentinswerder". [26]Zu den ersten Erkundungen der einsamen Uferlandschaften an der anderen Seite des Tegeler Sees standen zu jener Zeit nur die in Saatwinkel gemieteten Kähne bzw. diese Fährboote zur Verfügung, es sei denn, man machte eine Fußwanderung von Tegel in jene abgelegene Gegend.
In den Gesichtskreis der Berliner Ausflügler und Erholungsuchenden gerieten Tegelort, Jörsfelde und Konradshöhe allerdings erst in starkem Ausmaße, nachdem von Tegel oder Spandau ausgehende neue Dampfschiffsverbindungen verschiedender Unternehmer eröffnet worden waren, die in hervorragendem Maße zur verkehrlichen Erschließung der bis dahin unbeachtet gebliebenen Havellandschaften beitrugen. Wann diese Fährgastschiffahrt nach den neuen Ausflugszielen aufgenommen worden ist, kann nicht mehr festgestellt werden. Der älteste Hinweis findet sich im "Anzeiger für das Havelland" vom 29. April 1892[27]: "Vom 1.Mai werden nicht nur die Dampfer der Spandauer Dampfschiffahrts-Gesellschaft [d. i. die Linie Haberkerns] den Verkehr zwischen Spandau, Valentinswerder, Saatwinkel, Tege1. . .Heiligensee und Niederneuendorf täglich vermitteln, sondern noch zwei andere Unternehmer Dampfer zwischen Spandau, Wilhelmsruh, Tegelort, Waldburg (Konradshöhe) und Heiligensee laufen lassen."
Bereits ein Jahr später war dieser Schiffsverkehr ziemlich ausgebildet. Kießling26 zählt 1893 zahlreiche Fahrgelegenheiten zwischen Tegel und Tegelort usw. auf, vermerkt allerdings: "Doch werden die Zeiten nicht eingehalten." Noch eine zeigenössische Äußerung aus dem Jahre 1892[28]:"Auch das gegenüber Cd.h. von Valentinswerder) liegende Tegelort mit seinen Wirtshäusern wird viel besucht." Zwischen Verkehrserschließung und Bautätigkeit bestanden Wechselwirkungen. Der Schiffsverkehr erleichterte den Entschluß, sich hier anzubauen, die wachsende Zahl der Ansiedlungen und Gäste wiederum drängte die Reeder, ihren Linienverkehr zu verbessern. In den zahlreichen Neubauten in und um Tegelort, meist "Landhäusern", wurden von Anfang an "Sommerwohnungen" an Berliner vermietet, die hierher in die Sommerfrische zogen.
Die Zunahme des Verkehrs nach Tegelort hatte auch eine erhebliche Verbesserung des in Ost-West-Richtung abgewickelten Fährverkehrs von Saatwinkel-Valentinswerder nach Tegelort und zurück zur Folge. Der Ruderkahn wurde erstmals 1905durch ein Motorboot abgelöst, und 1907setzte der Fährmann Lahe ein Motorboot für 72 Personen ein.
Die großen Wasserbauten, die 1908-1912 den Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal zum "Großschiffahrtsweg" bzw. "Hohenzollernkanal" umgestalteten, haben auch die Örtlichkeit bei Saatwinkel verändert. Der Kanal erhielt bei Gartenfeld eine neue geradlinige Führung und eine ebenfalls neue Einmündung in die Oberhavel nördlich vom Salzhof. Die Strecke des bisherigen Spandauer Schiffahrtskanals nördlich von dem neuen Kanal bis zur bisherigen Mündung am Kranhaus wurde in etwa 200 m Länge zugeschüttet. Doch waren diese topographischen Veränderungen ohne Einfluß auf die Funktionen Saatwinkels als Ausflugs-und Erholungsgebiet.
Diese blieben auch zwischen den beiden Weltkriegen bestehen. Nach wie vor wurden die Saatwinkler Lokale von Ausflüglern, Familien, die hier "Kaffee kochten", Vereinen usw. aufgesucht, sogar die immer seltener werdenden Kremser waren noch auf der Saatwinkler Chaussee zu sehen. Auch zu den Frühkonzerten an den Pfingstfeiertagen kamen die Gäste.
Eine allmähliche grundlegende Änderung der Gewohnheiten in der Freizeitgestaltung bahnte sich seit der zweiten Hälfte der 20er Jahre an: Mit dem Aufkommen des "Weekends" - an Sonnabenden wurde nur noch bis zur Mittagszeit gearbeitet -stand für Erholung und Freizeit mehr Zeit zur Verfügung. Zu diesem Zeitgewinn kam noch hinzu, daß mit der wachsenden Motorisierung, der Einführung des elektrischen S-Bahnbetriebes auf zahlreichen Vorortstrecken, Verbesserungen der Fahrgastschiffahrt, Ausbreitung des Bootssports usw. ein Vordringen der Berliner Ausflügler usw. in das weitere Umland Berlins erleichtert und begünstigt wurde. Die einstmals noch außerhalb des Stadtrands gelegenen Erholungsgebiete wie Saatwinkel wurden bei der Ausdehnung der Berliner Außenbezirke und der Umlandgemeinden immer mehr in Stadtnähe gerückt. Der Zweite Weltkrieg sollte allerdings bald jegliche weitere Entwicklung unterbrechen, sowohl die auf weitere als auch auf näher gelegene Ziele gerichteten Ausflüge und Fahrten mußten aufgegeben werden.
Die Tanzsäle der Saatwinkler Lokale wurden in den letzten Kriegsjahren mit dienstverpflichteten Holländern belegt, die bei Siemens eingesetzt waren. Auf dem "Jägerhäuschen"-Gelände entstand ein Barackenlager für die sogenannten Fremdarbeiter. Von einigen Bombenschäden abgesehen, haben die leichten Baulichkeiten der Restaurationen den Luftkrieg leidlich überstanden.
Nach Kriegsende begann man wieder, die frühere Gastronomie aufzubauen. Das alte Lokal "Saatwinkel" wurde 1953 von einem Pächter übernommen, der eine "Prinzengarten" genannte Ausflugsgaststätte am Müggelsee bewirtschaftet hatte. Der Pächter übertrug den Namen auf das Saatwinkler Restaurant, seit 1959 führte es unter einem neuen Pächter den Namen "Prinzenhof". Im Jahre 1963wurde der Betrieb der Gastwirtschaft stark eingeschränkt und 1965 ganz aufgegeben. Seit 1963 ist das Grundstück an Camper vermietet, die ihre Fahrzeuge in dem einstigen Wirtsgarten am Ufer des Sees aufgestellt haben.
Der benachbarte Blumeshof hat seine Pforten 1973 geschlossen, auch hier sind seit dieser Zeit die Camper eingezogen und können nun den Blick auf den See genießen. Ein kleiner Ausschank "Blumeshof' hat 1985geschlossen. So ist von den Lokalen am Wasser nur noch das "Fährhaus" geblieben, wo Gäste noch am Ufer des Tegeler Sees rasten können. Eine weitere Art der Nutzung besteht darin, eine große Anzahl von Sportbooten aller Art unterzubringen bzw. zu lagern. Derartige Bootsplätze und -häuser befinden sich z. B. am "Jägerhäuschen" und beim "Fährhaus".
Diese Wandlung kam zwangsläufig, denn verschiedene Gewohnheiten der Freizeitgestaltung hatten sich grundlegend geändert. Von dem Brauch, sich das Kaffeewasser kochen zu lassen, war man nach dem Krieg abgekommen, die Aufwendungen der Gastwirte für das Personal stiegen immer mehr, es war auch schwer, geeignete Mitarbeiter zu bekommen; ein verregneter Sommertag konnte zu einem Verlustgeschäft werden. Dazu kam, daß die Schiffe, die früher die Fahrgäste zur Mittagszeit oder zum Kaffeetrinken an den Gaststätten abgesetzt hatten, nun selbst Kuchen bzw. Buffet an Bord hatten, so daß die Fahrgäste ihren Bedarf an Erfrischungen auf dem Schiff befriedigen konnten.
Die Vermietung der Grundstücke an Camper, Bootsnutzer, Vereine usw. brachte hingegen übersehbare, nicht schwankende Einnahmen, die Aufwendungen für den Betrieb der Gaststätten konnten gespart werden. So hat sich die Nutzung des Saatwinkler Gebietes zwar erheblich geändert, aber seine Funktion, der Freizeit und Erholung zu dienen, hat es doch beibehalten.
Anmerkungen:
[1] Das Grundbuchblatt von den einzelnen Besitzungen 43 (Blumeshof) ist schon 1907 geschossen worden. Sein Verbleib ließ sich nicht feststellen.
[2] Brandenburgisches Namenbuch Tl. 5. Die Ortsnamen des Bamim 1984, S. 318.
[3] B. Schulze, Statistik der brandenburgischen Ämter und Städte 1540-1800. 1935, S. 61.
[4] Dilschmann, J. L., Diplomatische Geschichte und Beschreibung der Stadt und Festung Spandow
1785, S.372. -Schulze, D. F., Zur Beschreibung und Geschichte von Spandow 1913,Bd. 1., S. 40.
[5] Bd. 1., S. 40.
[6] Boeckh, R., Ortschafts-Statistik des Regierungs-Bezirks Potsdam mit Berlin 1861,S. 88.
[7] Boeckh, a. a. 0., S.186, führt ein Wohn-und vier Gewerbegebäude auf; 1869 bei Auflösung des staatlichen Salzhofes waren da vorhanden: ein Wohnhaus, drei Salzmagazine und ein Stallgebäude.
[8] Bauakten Bezirksamt Reinickendorf.
[9] Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, Jg. 1838, Stück I, S. 6.
[10] Kießlings Wanderbücher, Wanderbuch für die Mark Brandenburg, 2. A., Tl. I. 1893, S.42.
[11] Fr. Nicolai, Beschreibung der Kgl. Residenzstädte Berlin und Potsdam, 3. A. 1786, S. H02.
[12] L. Helling, Geschichtl.-statist.-topograph. Handbuch von Berlin, 1830, S. 408. - Ähnlich auch L. v. Zedlitz, Neuestes Conversations-Handbuch f. Berlin u. Potsdam, 1834, S. 793: "Das Wirtshaus bei dem Schlosse wird im Sommer häufig besucht." Wieder anders C. J. Weber, Deutschland oder Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen, Bd. III, 1828, S. 393: "Eine Allee führt nach Tegel, an einem Havel-See, Geburtsort Humboldts, um hier den Zander zu speisen."
[13] Neuester Wegweiser durch Berlin, Potsdam und Charlottenburg, 1828, S. 21.
[14] Al. Cosmar, Neuester ... Wegweiser durch Berlin ...,4. A., 1840, S.H2.
[15] Löwenberg, Der Fremde in Berlin und Potsdam, 6. A., 1847, S. 76.
[15a] Merget. Heimatkunde f. Berlin und Umgegend. 1858, S. 298.
[16] L. Pietsch, Wie ich Schriftsteller geworden bin. 1898, S. 108.
[17] Berliner Kompaß. Wegweiser für Fremde und Hiesige. 1866, in Mitteilungen des Vereins f. d. Gesch. Berlins. Jg. 1903, S. 101. -Kapp. Berlin. Neuer... Führer durch Berlin ...,4. A., 1873, S. 211.
[18] C. Riesei, Das romantische Havelland, 1869, 11. S. 35.
[19] A. Hennes, 100 Ausflüge in die Umgegend von Berlin, 2. A., 1884, S.140.
[20] Anzeiger für das Havelland, vom 9. März 1883.
[21] Kießling, Märkische Sommerfrischen, 1893, S. 15.
[22] A. Hengsbach, Salzhof-Kühe auf Abwegen, in "Spandauer Volksblatt", Nr. 7407, v. 13. Oktober 1970.
[23] L. Pietsch, a. a. 0., S. 323/24.
[24] Anzeiger f. d. Havelland, v. 23. März 1901.
[25] Wie Anm. 19, S.134.
[26] Wie Anm. 21, S. 15.
[27] [28] J. Bloch, Rund um Berlin, 1892, Tl. 2, S. 44.
DER BAR
VON BERLIN
JAHRBUCH 1986
DES VEREINS
FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS