Die Siemensstadt
von Karl H. P. Bienek
Geschichte einer deutschen Industrie-, Wohn- und Naturlandschaft
Die Siemensstadt ist einer der 11 Stadtteile des Bezirks Spandau, dieser wiederum bildet einen der 12 Verwaltungsbezirke der Hauptstadt Berlin. Die Siemensstadt mit ihren zahlreichen architektonisch wie funktionell herausragenden Industriebauten und ihren 7 außergewöhnlichen Wohnsiedlungen in weiträumigen Grünanlagen bildet ein harmonisches Miteinander aus Leben, Arbeiten und Freizeit, auf das ihre Bewohner stolz und die übrigen Berliner ein wenig neidisch sein dürfen.
Die Siemensstadt ist 5,7 qkm groß. In ihr leben rund 11.320 Menschen und etwa 11.200 arbeiten hier – überwiegend bei der Firma Siemens und in einigen kleineren Firmen. Und damit fällt ein Name, ohne den die Siemensstadt nicht denkbar ist: Siemens. Siemensstadt und der „Local Global Player“ der Elektro- und Nachrichtentechnik gehören zusammen, denn ohne Siemens gäbe es die Siemensstadt nicht! Daher muss in geschichtlichen Darstellungen der Siemensstadt auch immer Siemens einbezogen werden.
Das Unternehmen Siemens ist eine Gründung des Artillerie-Leutnants und Wissenschaftlers Werner Siemens (1816-1892; seit 1888 von) und des Mechanikers Johann Georg Halske (1814-1890). Im Jahre 1847 begründeten sie in der Schöneberger Straße 19 in Kreuzberg (damals noch außerhalb Berlins gelegen) die Telegraphen-Bau-Anstalt von Siemens und Halske, eine elektromechanische Werkstatt zur Herstellung des Zeigertelegrafen, den Siemens 1846 verbessert hatte. Durch kaufmännisches Wagnis, Innovationen und Qualität avancierte der Handwerksbetrieb in wenigen Jahren zu einem national wie international geachteten Unternehmen der Nachrichten- und Elektrotechnik, das seit 1966 als Siemens AG firmiert und gegenwärtig weltweit 430.000 Menschen beschäftigt; davon 164.000 in Deutschland, in Berlin und Brandenburg etwa 14.150.
Ab dem Jahre 1852 verlagerten Siemens und Halske ihr Fertigungsprogramm in benachbarte Räumlichkeiten in Kreuzberg und ab 1872 zusätzlich in die damalige Stadt Charlottenburg (seit 1920 ein Berliner Bezirk). Der Aufschwung der Nachrichtentechnik und der beginnenden Elektrotechnik erforderten aber immer weitere Fertigungsanlagen. Daher suchten schließlich die Gründer-Nachfolger nach Expansionsmöglichkeiten, die den firmenpolitischen Erfordernissen auf lange Sicht gewachsen sein würden – damit beginnt die Geschichte der Siemensstadt.
Die Wahl fiel auf ein Gebiet der Nonnenwiesen, den so genannten Hühner-Werder, beidseits des Nonnendammes, zwischen der südlichen Jungfernheide und der Spree, das zur Stadt Spandau (seit 1920 ein Berliner Bezirk) gehörte. Im Jahre 1897 erwarb die nunmehrige Siemens & Halske AG (folgend kurz Siemens genannt) hier ein 209.560 qm großes Areal. Dieses Gelände (und später zugekaufte Flächen) war eine fast unbewohnte, verkehrstechnisch kaum erschlossene Naturlandschaft aus Wald, Wiesen, Heideland und Feuchtgebieten. Einzige Verkehrsanbindungen an Spandau, dem benachbarten Charlottenburg und Berlin waren die Spree und der unbefestigte Nonnendamm.
Ausschlaggebend für die Standortwahl waren die günstigen Bodenpreise, die Spree als Transport-Wasserweg, die Erreichbarkeit der Gegend für die hier zukünftig Beschäftigten über die kurz zuvor eröffneten Ringbahnstationen Westend und Jungfernheide sowie das Fehlen der Konkurrenz, die Arbeitskräfte hätte abwerben können. Auch wenn es anfangs nicht so schien, war es eine gute Wahl, denn diese industrielle Randwanderung Siemens´ aus Berlin bzw. Charlottenburg wirkte sich bald überaus vorteilhaft für das Unternehmen, seine Beschäftigten und letztlich die dadurch initiierte Siemensstadt aus.
Als Erstes begann Siemens auf dem neuen Standort, unmittelbar an der Spree, gegenüber dem zu Charlottenburg gehörenden Ort Fürstenbrunn, nach umfangreichen Geländearbeiten (wegen des sumpfigen Untergrundes mussten alle Bauten auf Pfahlrosten begründet werden) Ende 1898 mit dem Bau eines Kabelwerkes, das entsprechend der geografischen Lage zum Charlottenburger Villenort Westend die Bezeichnung Kabelwerk Westend erhielt. Es war das modernste Werk dieser Art auf dem europäischen Kontinent und sah mit seinen 100 x 150 m langen, fünfgeschossigen romanisch-renaissanceartigen Ziegelfassaden unter Zeltdächern in dieser Einöde wie ein „Fabrikpalast“ aus. Mit diesem Werk beginnt die Existenz der Siemensstadt, denn der Tag seiner Inbetriebnahme, der 1. August 1899, gilt offiziell als ihr „Geburtstag“. 1977 wurde der Fabrikbau (ab 1912 als Elektromotorenwerk – kurz Elmowerk – genutzt) abgebrochen und damit ein Denkmal eigener Firmengeschichte und der Siemensstadt vernichtet.
Mit dem Bau des Kabelwerkes errichtete Siemens auch alle zu dessen Betrieb benötigten Anlagen. So z.B. Anfang 1898 am vorbeiführenden Spreearm einen Verladehafen zum Transport der Baumaterialien und Fertigprodukte (den noch vorhandenen 310 m langen Siemens-Stichkanal), 1898 ein Elektrizitäts- und Heizwerk (bis 1998 in Betrieb), 1899 ein Klärwerk für die Industrieabwässer (bis 1971 in Betrieb). Die Wasserversorgung erfolgte durch die seit 1894 hier bestehenden Charlottenburger Wasserwerke. Ab 1908 lieferte Spandau Stadtgas, für dessen Zwischenspeicherung Siemens 1911 an der damaligen Grenzstraße 2 Speicher errichtete, die bis 1947 bestanden. 1908 erfolgte die Projektierung der werkseigenen Siemens-Güterbahn, die die schon bestehenden und neuen Werke sowie das Kabelwerk Gartenfeld auf der 1910 ebenfalls erworbene Insel Gartenfeld verband. Mit der Inbetriebnahme des Kabelwerk Westend arbeiteten hier 1.200 Menschen, bald waren es 3.500. Sie kamen tagtäglich aus Berlin, Charlottenburg und Spandau, denn am neuen Siemens-Standort gab es keine Wohnmöglichkeiten. Je nach Wohnsitz und der vorhandenen Verkehrsmittel brauchten sie Stunden, um hierher zu gelangen. Kamen sie z.B. an der Bahnstation Westend an, hatten sie noch einen beschwerlichen Fußweg auf dem unbefestigten Fürstenbrunner Weg vor sich, um dann an seinem Ende mit der Fähre über die Spree zu setzen. Kamen sie an der Station Jungfernheide an, oder wohnten sie in Charlottenburg, mussten sie den kaum bequemeren Nonnendamm benutzen. Nur diejenigen, die in Spandau lebten, konnten direkt mit dem von Siemens gestellten Schiffszubringer vom Lindenufer aus auf der Spree das Werk erreichen.
So war es nicht erstaunlich, dass die Arbeitskräfte nur kurz blieben – trotz der hohen Löhne, die Siemens hier zahlte, und freiwilligen Leistungen wie kürzere Arbeitszeit, Betriebsarzt, Kranken- und Invalidenkasse, Werkskantine, Einkaufsmöglichkeiten, kostenlose Ausbildung. Aus diesem Grunde musste Siemens, wollte das Unternehmen hier erfolgreich sein und expandieren, auch infrastrukturelle Leistungen erbringen. Da es Spandau als Garnisons- und Festungsstadt (die Endfestigung erfolgte 1903) finanziell nicht möglich war, die für einen prosperierenden Industriestandort notwendige verkehrs- und stadttechnische Infrastruktur zu stellen, war Siemens letztlich gezwungen, auf eigene Kosten Verkehrswege anzulegen und Wohnhäuser zu erstellen. Spandau ließ dem Unternehmen dafür bei der Errichtung der Werksanlagen weitgehend Planungsfreiheit, besaß es doch mit Siemens einen potenten Steuerzahler.
Zur Bewältigung des mit der Industrialisierung rasch zunehmenden Verkehrsaufkommens und Erleichterung für die Beschäftigten reaktivierte Siemens im Jahre 1903 die Haltestelle Fürstenbrunn der Lehrter Eisenbahn und erweiterte ab 1905 deren Bahnanlagen. Zur Überquerung der Spree errichtete Siemens (gegen den Einspruch Charlottenburgs) 1905 nahe dem Bahnhof eine Behelfsbrücke und baute sie 1913 zur Rohrdammbrücke aus. Des Weiteren ließ die Firma auf ihre Kosten bestehende Wege zu Straßen ausbauen und legte neue an, und zwar nicht nur im Hinblick auf weitere Werksbauten, sondern auch zur Vorbereitung von Wohnhausbauten. So befestigte Siemens 1901 den als Erschließungsweg bestehenden Wernerwerkdamm, 1903 folgte mit der 30 m breiten Ohmstraße die erste neue Straße und 1904/1905 (in dieser Folge) Hefnersteig, Reisstraße, Wehneltsteig, Quellweg, Voltastraße, Bödickersteig, Grammestraße, Wattstraße und Rohrdamm. Mit zunehmender Industrie- und Wohnbebauung kamen später neue Straßen um den 1909 angelegten Jugendweg bis hinauf zum (1848 begonnenen) Hohenzollernkanal. 1905 befestigte Siemens auf Spandauer Gebiet auch den Nonnendamm, den die einstigen Besitzer dieser Gegend – die „jungfräulichen“ Nonnen des Spandauer Benediktinerinnen-Klosters St. Marien – seit dem Jahre 1239 angelegt hatten, um zu ihren Ländereien in Moabit, Charlottenburg, Wedding usw. zu gelangen (daher die Namensgebung Jungfernheide, Jungfernheideweg, Jungfernsteig, Nonnendamm, Nonnendammallee; auch die Straßennamenendungen ...damm, ...weg, ...steig deuten auf die ehemals unwegsame Gegend). Bis zur Anlage der Nonnendammallee (ab 1906) bzw. des Siemensdammes (ab 1913) in ihren eindrucksvollen Breiten von 49 m war er die einzige „überregionale“ Straßenverbindung der Siemensstadt mit den Nachbarorten.
Gleichzeitig mit der Anlage der werkseigenen Güterbahn begann Siemens ab dem Jahre 1908 mit der Einrichtung der ersten Straßenbahnlinie, die von der Altstadt Spandau zur Reisstraße in Siemensstadt führte. In kurzer Zeit entstand daraus ein weit verzweigtes Straßenbahnnetz, das die Siemensstadt mit allen Nachbarorten verband und für die immer zahlreicher werdenden Bewohner und Beschäftigten eine gewaltige Erleichterung bedeutete. Der zugehörige Straßenbahnhof befand sich ab 1909 an der damaligen Grenzstraße (bis 1951 in Betrieb), an der auch die erwähnten Stadtgas-Speicher standen. 1929 folgte als letzte und größte infrastrukturelle Beteiligung der Firma die Eröffnung der von ihr fast gänzlich finanzierten S-Bahn nach Gartenfeld, ausgehend von der Ringbahnstation Jungfernheide. Diese zweigleisige, 4,5 km lange „Siemens-Bahn“
, die kriegsbedingt nicht weiter führt, wurde 1980 stillgelegt und verrottet seitdem.
Bereits im Jahre 1899 hatte Siemens am neuen Standort eine „Wohnkolonie“ für ihre Beschäftigten in Erwägung gezogen, war jedoch an den Widerständen Charlottenburgs und Spandaus gescheitert (Charlottenburg befürchtete die „Zersiedlung“ ihres noblen Villenortes
Westend und Spandau Folgekosten); Mitte 1904 erteilte Spandau dann die Ansiedlungsgenehmigung. Die im Auftrage Siemens´ tätige Märkische Bodengesellschaft erschloss das von der Firma zur Verfügung gestellte Areal und begann mit freien Architekten und Baumeistern Herbst 1904 mit dem Bau erster Wohnblöcke zwischen Ohmstraße, Hefnersteig und Reisstraße. Am 1. April 1905 waren an der Ohmstraße die ersten Mietshäuser bezugsfertig – knapp 10 Jahre später war auch die nördlich gegenüber liegende noch intakte Naturlandschaft bis auf wenige Reste verschwunden. Diese Wohnsiedlung aus vorwiegend viergeschossigen, relativ gleich großen Zeilenblöcken, die bis heute Siedlung Nonnendamm heißt, umfasste damals insgesamt 845 Wohnungen und 91 Geschäfte. Die Häuser besaßen modernsten zeitgemäßen Wohnkomfort, Mietergärten und nicht die deprimierenden Seiten- und Querflügel der Berliner (und Charlottenburger) Arbeiterquartiere. Praktisch alle damaligen Gebäude sind bis heute (nach Modernisierungen) in Benutzung. Durch die Beteiligung verschiedener Architekten entstand eine bis heute (trotz späterer Veränderungen) sehenswerte und abwechslungsreiche Fassadengestaltung der einzelnen Baugruppen.
Das neue Wohngebiet wurde nach dem ihn durchquerenden Nonnendamm Kolonie am Nonnendamm, auch Ortsteil Nonnendamm genannt. 1908 erfolgte die Eingemeindung bislang zu Charlottenburg gehörender Flächen nach Spandau und die Siemens-Werke und die Wohnsiedlung hießen nun amtlich Spandau-Nonnendamm. Im täglichen Umgang bürgerte sich bald Spandau-Siemensstadt oder nur Siemensstadt ein. Auf Beschluss der Spandauer Stadtverordnetenversammlung heißt der neue Stadtteil seit 1. Januar 1914 nach seinem Begründer folgerichtig Siemensstadt. In kaum 15 Jahren war aus der kleinen Siemens-Niederlassung in unberührter Natur eine „Elektro-Metropole“ mit riesigen Werksanlagen, schmucken Wohnhäusern, zahlreichen stadttechnischen und kommunalen Einrichtungen geworden. So errichtete Siemens nach dem Kabelwerk Westend und der Lösung dringendster Wohnungsprobleme unter anderem das Fernmeldewerk (1905; 1982 abgebrochen), das Automobilwerk (1906; seit 1927 Röhrenwerk), das Kleinbauwerk (1906; 1974 abgebrochen), das Dynamowerk (1906), die Eisengießerei (1908; 1977 abgebrochen), das Kabelwerk Gartenfeld (1911; 2002 geschlossen), das Messgerätewerk (1914). Ab 1911 entstand das repräsentative Verwaltungsgebäude, in dem man bis zur Abwanderung der Firmenzentrale nach München 1948 die gesamte Unternehmenspolitik des „Hauses Siemens“ bestimmte. 1916 kamen die Flachbauten des Schaltwerks und 1926 sein Hochhaus hinzu, das der erste nach US-amerikanischen Inspirationen konzipierte Industriehochbau Europas war. Bereits 1917 hatte Siemens mit dem fast 71 m hohen Siemensturm (ein Uhren-, Schornstein- und Wasserspeicher-Turm) des Messgerätewerkes das bis heute weithin sichtbare Wahrzeichen der (damals prosperierenden) Siemensstadt errichtet.
Lebten bei der ersten „Volkszählung“ im April 1905 hier 242 Einwohner, waren es im März 1914 schon 7.000 – die Siemens-Werke indessen beschäftigten hier 1914 über 31.700 Menschen! 1928/1929 waren bei Siemens zeitweilig 66.220 Menschen tätig; und 1941 z.B. arbeiteten hier sogar (zusammen mit Fremdarbeitern, Häftlingen, Kriegsgefangenen) 67.000 Menschen – heute sind es bei Siemens etwa 10.600. Entgegen anders lautenden Behauptungen lebten in der Siemensstadt dagegen nie mehr als etwa 15.100 Menschen – heute sind es rund 11.320. Mit großem finanziellen und planerischen Engagement, anfangs völlig unbehelligt von ökologisch motivierten Einschränkungen und kaum beeinflusst von behördlichen Vorgaben, schuf Siemens in der Siemensstadt nicht nur produktionstechnische Anlagen, sondern auch alle für ein Gemeinwesen erforderliche stadttechnische, kommunale und soziale Einrichtungen – und diese nahezu gänzlich auf eigene Kosten! Nach der ersten Wohnsiedlung kamen vor dem 1. Weltkrieg und in den Zwischenkriegsjahren weitere gemeindliche Anlagen wie die heutige Robert-Reinick-Grundschule (ab 1907), die heutige Christophoruskirche (1931; 1908 als Kapelle), die St. Josephs-Kirche (1935; 1919 als Kapelle), Sozialeinrichtungen wie Kindertagesstätten (ab 1912), mehrere Freizeitheime (ab 1913), umfangreiche Sportanlagen (ab 1911), Kleingärten (ab 1908) und vieles mehr, die für alle Beschäftigen und Bewohner offen standen.
Zur Unterbringung eines Teils der immer zahlreicheren Beschäftigten und ihrer Familienangehörigen entstanden nach dem 1. Weltkrieg weitere Wohnungsbauten. Dabei trat Siemens auch selbst als Bauherr auf und schuf mit der Siedlung Siemensstadt (Siemens-Siedlung; 1922-1932), der Siemens-Eigenheimsiedlung (1932-1934) und der Siedlung Heimat (1930-1935) bis heute vorbildliche Wohnanlagen. Die auch international als Beispiel des „Neuen Bauens“ gewürdigte Großsiedlung Siemensstadt (Ring-Siedlung; 1929-1931) entstand im Rahmen des Sozialen Wohnungsbaues der Stadt Berlin. Nach dem 2. Weltkrieg setzte der nunmehrige Bezirk Spandau den Wohnungsbau mit der Siedlung Rohrdamm (1953-1956/1967) und der Siedlung Saatwinkler Damm (1975) fort. Dazu kamen ergänzende Einrichtungen, wie z.B. die 1961 eröffnete heutige Kaufmitte Siemensstadt (Erstes Einkaufszentrum in Deutschland!) oder das 1984 eröffnete Sport- und Freizeitzentrum Siemensstadt (Modellprojekt für derartige Anlagen), die bis heute viel zur Attraktivität und Lebensqualität der Siemensstadt und Umgebung beitragen.
Erwähnt werden müssen auch die Architekten: Die Bauentwürfe für das Kabelwerk Westend und einige weitere Anlagen stammten von Carl Dihlmann (1857-1920) und Karl Janisch (1870-1946). Siemens-Vorstandsmitglied Dihlmann hatte auch für den Standort geworben und schließlich die Billigung der Geschäftsleitung erhalten. Janisch war es, der von 1902 bis 1915 als Siemens-Chefarchitekt für alle bau- und betriebstechnischen Fragen des neuen Standortes zuständig, der Siemensstadt durch seine Fabriken, Straßen und ersten Wohnhäuser Gestalt und Gesicht gab, die bis heute Bestand haben. Sein Nachfolger, Hans Christoph Hertlein (1881-1963), formte bis 1951 die Siemensstadt als „Fabrikstadt“ und „Wohnstadt“ stilistisch und schuf auch die 3 Siemens-Siedlungen. Weitere wichtige Baumeister sind die Architekten des (1926 gegründeten) Ring, Otto Bartning, Fred Forbat, Walter Gropius, Hugo Häring, Paul Rudolf Henning und Hans Scharoun. Siemens hat, wie die Beispiele zeigten, die Siemensstadt nicht als Planung angestrebt, sondern sie aufgrund eigener Erfordernisse initiiert und unternehmerischer bzw. industrieller Daseinsvorsorge ausgebaut. Das führte letztlich dazu, dass das Unternehmen Jahrzehnte hindurch in dem Stadtteil letztlich für alle und alles zuständig war! Die Siemensstadt hingegen hat bis weit in die 1960er Jahre von der wirtschaftlichen Kraft und den sozialkommunalen Aktivitäten des Unternehmens profitiert.
Die Jahre des 2. Weltkrieges mit ihren 1942 begonnenen Verlagerungen kompletter Produktionszweige heraus aus Berlin (vornehmlich nach Westdeutschland), die schweren Kriegszerstörungen, die Nachkriegszeit mit ihren politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen, die Deindustrialisierung der Stadt, die Globalisierung usw. brachten für Siemens wie für die Siemensstadt und ihre Bewohner erhebliche Einschnitte, die andauern. Deutschlands Wiedervereinigung 1990 hat in dieser Hinsicht nichts bewirkt: Verlagerte Firmenbereiche kamen nicht zurück, die seit 1974 erfolgenden Werksschließungen und der Abbau ganzer Produktionsfelder und damit Arbeitsplätze dauert unvermindert an. Neue Werksanlagen, wie die Parabelhalle des Hochspannungsprüffeldes (1958-1961), das ehemalige High-Tech-Werk für elektronische Steuerungssysteme (1985-1987) und das ehemalige Werk für Optische Komponenten (1986/1987) oder die bislang nicht sehr zahlreichen Arbeitsplätze von Fremdfirmen, die in die zu günstigen Konditionen vermieteten stillgelegten Siemens-Bauten einzogen, können die Verluste nicht kompensieren.
Trotzdem hoffen nicht nur die Einwohner der „Kleinen Stadt mit einem großen Namen“, der „Elektrostadt im Grünen“, der „Werkstadt und Wohnstadt“ – wie die Siemensstadt auch liebevoll genannt wird – dass sie weiterhin Bestand haben und ihre Anziehungskraft behalten wird. Denn wo sonst im Berliner Raum als in der Siemensstadt findet sich diese einzigartige Harmonie aus Industrie, Wohnen und Natur?!
© Karl H. P. Bienek; Berlin-Siemensstadt – Aktualisiert: 26. Juni 2007
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