Die Wiederauffindung der Epitaphien der zerstörten St.Georgen-Kirche in Berlin - gerettet und beinahe vergessen
Von Alexander Langenheld und Doris Tüsselmann

Den Feuersturm der letzten Kriegstage haben viele Bauwerke von historischer Bedeutung in Berlin nicht überlebt. So ist auch eine große Anzahl von Kirchenbauten , die für die Geschichte Berlins von großer Bedeutung waren, für immer verloren gegangen. Vieles ist auch durch die Unsensibilität der Verantwortlichen im Nachkriegsberlin zerstört worden.So ist auch die St. Georgen-Kirche , die den Krieg schwer beschädigt überdauert hatte in den fünfziger Jahren abgerissen worden.

Es muss aber dennoch beherzte und in der Berliner Geschichte kenntnisreiche Personen gegeben haben, die die in einigen Kirchen vorhandenen Epitaphien und Grabdenkmäler vor der völligen Zerstörung gerettet haben. Dies offensichtlich in der Hoffnung, dass spätere Generationen sich einmal mit Feinsinnigkeit dieser überkommenen Kunst- und Kulturdenkmäler annehmen würden. So befinden sich z.B. im Sockelgeschoss des Denkmals für die Befreiungskriege auf dem Kreuzberg neben den Gipsabgüssen der Quadriga, dem Münzfries von Schadow, barocken Architekturteilen aus der Friedrichstadt auch Epitaphien, die offensichtlich aus der zerstörten Jerusalemer Kirche stammen, deren Geheimnis zu lüften uns heute aufgegeben ist. Weiterhin konnten durch die Aufmerksamkeit junger interessierter Leute einige der wertvollen Epitaphien aus der St. Georgen-Kirche aufgefunden werden. Anhand der von Ihnen angefertigten Fotos konnte die Identität der auf den Epitaphien genannten Personen durch die Arbeitsgemeinschaft für die historischen Friedhöfe und Kirchhöfe Berlins e.V. (ARGE) identifiziert werden. In der Geschichte der St. Georgen-Kirche in Berlin von E.C.G. Langbecker – erschienen 1827 in Berlin bei C.L.Oehmigke in der Poststr. 29 – sind die Texte von vier Epitaphien der Prediger vollständig wiedergegeben.

Die Epitaphien waren in den Wirren der Nachkriegszeit in einem Mausoleum auf dem St. Georgen-Parochial-Kirchhof vor der endgültigen Beseitigung der Kirchenruine sichergestellt worden.
Es handelt sich um fünf Epitaphien aus dem 18. Jahrhundert, das jüngste stammt aus dem Jahre 1759. Sie sind durchweg von hoher künstlerischer Qualität und sind in einem außerordentlich gutem Erhaltungszustand. Durch die eingemeißelten Texte erlauben sie uns einen Blick in das kirchliche und gesellschaftliche Leben Berlins im 18. Jahrhundert.

Um einen lebendigen Eindruck der damaligen Lebensumstände zu erhalten, werden nachfolgend die ungekürzten Texte zweier Epitaphien (s. Abbildungen) in der damaligen Terminologie wiedergegeben:

„Herr Johann Lysius war im Glauben christlich, im Leben unsträflich, im Lehren gründlich, im Ermahnen beweglich, im Bestraffen ernstlich, im Trösten herzlichst, in allem erbaulich. Dieß ist ein kurtzer Entwurf seines 18jährigen Lehramtes, da er das Zeugniß erlanget, daß er ein Freund Gottes und ein getreuer Knecht seiner Gemeinde in HohenFien: bei den Armen und zu St. Georgen gewesen, nachdem er 41Jahr alt worden und am 15. Oct. 1716 diese Welt verlassen, ruhet Seine Seele in der Hand Gottes, und Sein Leib überstehet hierselbst die Verwesung.“
Unten am Denkmal befindet sich ein Stundenglas mit einem Totenkopf ( Totenkopf nicht mehr vorhanden)
an der einen Seite eine verwelkte Blume (nicht mehr vorhanden), mit den Worten:
„ Er arbeitet unermüdlich“
auf der anderen Seite ist ein Hirt mit Schafen wiedergegeben dazu die Worte:
„Er hütete unverdrossen“ (Relief und Text nicht mehr vorhanden).
Unter dem Stundenglas befindet sich folgende Nachricht:
„Das hat zum Andenken setzen lassen Frau Maria Sabina Lysius geb. Schulzin, alß dessen nachgelassene Wttwe“
Johann Lysius wurde als Sohn des Assessors des schleswigschen Oberkonsistoriums, Probst und ersten Pastors am 14.10.1675 zu Flensburg geboren. Seine Mutter war Brigitta geb. Lorenz. Er besuchte die Stadtschule in Flensburg und erhielt gleichzeitig Privatunterricht. Seit 1692 besuchte er die Universität in Königsberg, kehrte aber zur Unterstützung seines kranken Vaters nach Hause zurück. Nach vollendetem Studium wurde er 1698 zunächst Prediger in Hohen-Fienow und ab 1700 Prediger an der St. Georgen-Kirche, wo er zuletzt zweiter Prediger war.

Bis auf die Zeit, da das Sterbliche die Unsterblichkeit anziehen wird, hat das Verwesliche zweier treuer Ehegatten, außerhalb den Mauern dieses Gotteshauses seine Ruhe=Stätte gefunden. Es war der, um die Saldersche Schule zu Brandenburg als Rector, um die Kirche zu Parey auch um die hiesige St. Georgen=Gemeinde als Prediger wohlverdiente Herr Levin Johan Schlicht, und Frau Bartha Aemilia Katzsch.Calbe an der Mulde gab ersterm am 23. Oct: 1681, und Altbrandenburg am 9. Sept: 1691 der letzteren das Leben. In Berlin endigten sie solches, Er den 10. Jan: 1723 und sie den 7. April: 1754. Beide waren aus Edlem Stamme entsprossen. Jener hatte Matthiam Schlicht, Archi.Diac. zu gedachten Calbe und Margarethen Elisabeth aus dem Edlen Geschlechte der Zobel, Ulrich Zobels Inspectoris zu Calbe und Anna Sophien Stutzer Tochter, diese aber Friedrich Katzsch, Königl. Preuß. Steuerrath des Zauchischen Kreyses, der Churmärckl. Landschaft, auch Staedte=CasseVerordneten BürgerMeistern und Schövven-StuhlSanorem1 zu Brandenburg, und Charlotten Marien, Adolph Vilthut, Königl.Preuß. Hof-Raths, Comitis Palat.Cas.2 Churmärkl. LandschaftRent-Meisters und ErbHerrn auf Weißensee, Detershahen und Klatschli Tochter, zu Eltern. Der GroßVater männlicher Seite hieß Gottfrid Schlicht, und derElterVater Christoph von Schlicht. Beide wohneten zu Großen-Kreutz bey Potsdam. Erster war ein RechtsConsulent: letzter Prediger allda, und wurde 110 Jahre alt. Jener hatte Annam Nadlers, dieser aber Annam Barbaram von Heyder aus Rosenbeck zur Ehe. Diese wandte sich samt ihrem Gatten von der Römisch.Cathol: zur Luth. Religion, und kamen Ao. 1592 in hiesige Lande. Der UhrElterVater Martin von Schlicht , Kaiserl. Reuter Hauptmann und dessen EheGenossin Martha von Boineburg hatten ihren Wohnsitz zwischen Constantz und Zelle in Schwaben.“

Bei den weiteren drei Epitaphien handelt es sich um die für die Pfarrer der St.Georgen-Kirche Heinrich Julius Kinderling, geb. 11.9.1656, gest. 2.8.1719 , Gottlieb Gedicke, geb. 24.6.1689, gest. 24.7.1729 und den königlich-preußischen Kriegs-Commissar Daniel Wersich, geb. 28.10.1689, gest. 17.10.1759.

Wegen Restaurierungsarbeiten an dem als Zwischenlager dienendem Mausoleum wurden die Epitaphien Ende der neunziger Jahre ausgelagert und schlichtweg für viele Jahre vergessen. Erst durch umfangreiche Recherchen der ARGE konnte im Frühjahr 2004 der jetzige Aufbewahrungsort der Epitaphien ermittelt werden. Das Mausoleum ist jedoch in Zukunft für die Epitaphien nicht geeignet.

Die ARGE bemüht sich intensiv um einen würdigen, historisch markanten und der Öffentlichkeit zugänglichen Standort für diese bedeutenden Zeugnisse Altberliner Grabmalskunst. Ideal wäre z.B. die Parochialkirche, zumal deren Innenraum völlig entkleidet ist. Die Gemeinde konnte sich bisher zu keiner positiven Entscheidung durchringen.
Die Verfasser hoffen, dass dieser Artikel die Leser dazu anregt, sie bei diesem Bemühen zu unterstützen.

Anschriften der Arbeitsgemeinschaft:
c/o Doris Tüsselmann, Curtiusstr. 63, 12205 Berlin