100 Jahre Liniennummern bei den Omnibussen Berlin

Von Heinz-Georg Jung

Die Verkehrsgeschichte Berlins bietet viele Möglichkeiten, Jubiläen zu feiern oder sich wenigstens an wichtige Daten zu erinnern. Wir gedenken zum Beispiel der ersten Eisenbahnstrecke, der ersten Pferdebahn, der ersten elektrischen Straßenbahn, wir feiern 100 Jahre U-Bahn, soundsoviele Jahre Wannseebahn und, und, und. Manchmal sind die Anlässe nicht so bedeutend; andere Jubiläen werden dagegen übersehen. Hier soll deshalb an einen Vorgang erinnert werden, der sich vor nunmehr 100 Jahren abspielte und der sicherlich nur ganz wenigen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen bekannt sein dürfte: Im Jahre 1904 - genauer: im April 1904 - erhielten die Omnibuslinien der Allgemeinen Berliner Omnibus-Actien-Gesellschaft ihre offiziellen Liniennummern.

In einem Schreiben dieser Gesellschaft an das Verkehrs-Kommissariat der Polizei vom 4.2.1904 wird um die Genehmigung gebeten, die Scheibe der rechten Vorderlaterne der Wagen "mit der Nummer der betreffenden Linie" versehen zu dürfen. Das bisherige farbige Linienkennzeichen an der linken Vorderlaterne solle bestehen bleiben. Die Polizei hatte hiergegen nichts einzuwenden, und so stand dieser bedeutenden Neuerung nichts im Wege.

Mit dem Sommerfahrplan 1904 galten die Omnibus-Liniennummern als eingeführt. Ein Polizeiwachtmeister meldete seiner vorgesetzten Dienststelle am 30.4.04, daß die Omnibusse mit "Nummern der betreffenden Linie" versehen seien. Ob freilich alle Fahrzeuge schlagartig mit den Nummern ausgerüstet waren, kann heute nicht mit Bestimmtheit gesagt werden; das ist aber auch nicht das Wesentliche. Wesentlich ist, daß die im Fahrplan aufgeführten Nummern jetzt die offiziellen Liniennummern geworden waren. Numerierungen der Linien hatte es ja in Druckwerken, zum Beispiel in Reiseführern, schon vordem gegeben, aber die dort genannten Nummern hatten keine praktische Bedeutung, da sie ständig wechselten, in den verschiedenen Druckwerken nicht übereinstimmten und eben an den Fahrzeugen gar nicht vorhanden waren. Zwei voraufgegangene Ereignisse mögen die Direktion der Allgemeinen Berliner Omnibus-Actien-Gesellschaft zur Einführung der offiziellen Liniennummern bestimmt haben: Erstens hatte ja im Jahre 1902 die Große Berliner Straßenbahn den gleichen Schritt - und offenbar mit Erfolg - getan, und zweitens war im Juli 1903 die wichtige Vereinigung der beiden "größeren" Omnibus-Gesellschaften Berlins, die Vereinigung der Allgemeinen Omnibus-Actien-Gesellschaft mit der Neuen Berliner Omnibus-Actien-Gesellschaft zu Stande gekommen.
Erstere besaß im Juli 1903 dreizehn Linien, letztere besaß damals neun Linien. Nicht einbezogen in die Numerierung wurden - weil noch selbständigen Unternehmen gehörend - die drei Linien des Berliner Spediteur-Vereins und die vier Nachtlinien der Omnibus-Compagnie.

Im Sommerfahrplan von 1904 finden wir 24 Linien der Allgemeinen Berliner Omnibus-Actien-Gesellschaft. Bemerkenswert ist, daß die alten Linien dieser Gesellschaft, für die sich alsbald die Kurzform ABOAG durchsetzte, die Liniennummern von 1 bis 13 erhielten, die Linien der ehemaligen "Neuen" die Liniennummern 15 bis 23. Mit den Nummern 14 und 24 wurden zwei erst mit dem Sommerfahrplan 1904 eingeführte Linien bezeichnet. Unklar ist, warum die neue Linie 14 gerade zwischen alle alten Linien eingereiht wurde. Möglich ist, daß der Antrag auf ihre Konzessionierung schon vor der Vereinigung der beiden Gesellschaften gestellt worden war.

Neben der Nummer an der rechten Vorderlaterne gab es - aber wohl erst etwas später - an beiden Wagenseiten über den den Linienweg kurz beschreibenden Tafeln noch halbrunde Schilder mit aufgemalter Nummer. Obwohl es nicht direkt zu unserem Thema gehört, sei hier noch darauf hingewiesen, daß die Omnibusse des Berliner Spediteur-Vereins auf solchen Schildern eine "5" führten, die werbewirksam auf den Tarif aufmerksam machen sollte, denn in kleinerer Schrift - auf Fotos meist kaum lesbar - befand sich der Rundung des Schildes folgend der Text "Pfennige Tarif". Man möge also beim Betrachten eines Wagens dieses Unternehmens die "5" nicht für eine Liniennummer halten.

Im Laufe der nächsten Jahre vergrößerte sich das Omnibus-Netz der ABOAG noch trotz der ständig bedrohlichen Konkurrenz durch die Straßenbahn. Das Aufkommen der Kraftomnibusse berechtigte zu Optimismus. Schließlich hatte die ABOAG auch Linien mit den Nummern 46 (diese sogar als Autobuslinie), 49 und 50, aber Linien mit den Nummern 37 - 43 sind vor dem Ersten Weltkrieg nicht in Betrieb gekommen. Schließlich brachte der Erste Weltkrieg den Omnibus-Verkehr fast ganz zum erliegen. Beim Wiederaufbau in den zwanziger Jahren, nun natürlich nur mit Autobussen, entstanden viele Linien, die mit ihren "gleichnamigen" Vorläufern nichts zu tun hatten. Hierzu sei als Beispiel nur die Linie 20 genannt: 1914: Stettiner Bahnhof - Neukölln, Hermannplatz, 1926: Zehlendorf, Rathaus - Westend, Krankenhaus. Und heute? Bei der Nummernwahl für die Autobuslinien gibt es schon lange keine Tradition mehr.

Worin aber besteht nun der Nutzen, wenn an die Einführung der Liniennummern erinnert wird? Oft ist es möglich, durch genaue Betrachtung der auf alten Fotos erkennbaren Omnibusse eine genauere Bestimmung der Entstehungszeit solcher Fotos zu machen. Leider finden sich heute in Berlin-Büchern nur allzuoft falsche Datierungen. Das möge in Zukunft besser werden.

Die Berliner Omnibus-Verbindungen im Sommerfahrplan 1904. Aus: Reichs-Kursbuch, Ausgabe Juni 1904 (identisch mit Ausgabe Mai 1904).

Das gab es auch und war bis 1903 sogar die Regel: Die Omnibuslinien mit Phantasie-Nummern; hier aus dem Reiseführer "Berlin, Potsdam und Umgebungen. Praktischer Wegweiser mit neuen Karten und Plänen, Berlin 1893, Verlag Albert Goldschmidt. Bis zur Nummer 53 waren hier die Pferdebahnlinien verzeichnet.

Stirn-Liniennummern, ab April 1904: Omnibus der Linie 4 an der Weidendammerbrücke auf der Fahrt von der Chausseestraße Ecke Liesenstraße zum Halleschen Tor. Postkarte 1905: Archiv Heinz-Georg Jung.

Seitenschild-Liniennummer: Omnibus der Linie 16 an der Endhaltestelle Spittelmarkt. Postkarte: Archiv Heinz-Georg Jung.

Aus: "Mitteilungen" 4/2004