150 Jahre Verein für die Geschichte Berlins – 110 Jahre Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins
Von Dr. Wolther von Kieseritzky

Die Vereinsgründer – ausschließlich Männer, Frauen waren noch nicht zugelassen – trafensich am 28. Januar vor 150 Jahren in einem heute nicht mehr vorhandenen Gebäude Unterden Linden 33, Ecke Charlottenstraße. Das Haus stammte von 1750; seit 1820 gehörte esden Kneiselschen Erben. Im Erdgeschoss befand sich das Café Royal, das damals einenlegendären Ruf als gesellschaftlicher Treffpunkt und Salon der aufstrebenden Geistesgrößen,der Künstler, Literaten und Impressarios der preußischen Hauptstadt genoss. KeinWunder, dass sich hier 1865 unter prominenter Beteiligung die Gründung des Vereins für die Geschichte Berlins vollzog.

Konkreter Anlass des schon lange unter den Bürgern diskutierten Projektes, der Beschäftigung mit der Geschichte Berlins eine organisatorische Heimstatt zu geben, war bekanntlich der Abriss der Gerichtslaube beim alten Rathaus. Dass die Wahl der Vereinsgründer auf dasCafé Royal fiel, lässt sich in diesem Zusammenhang fast schicksalhaft nennen: Nur kurze Zeit nach der Entstehung des Vereins wurden – ebenso wie der alte Stadtkern – auch die „Linden“ zur Großbaustelle. Die Zeugen des friderizianischen 18. Jahrhunderts schwanden zugunsten größerer, später auch kaiserzeitlicher Bebauung. Der Modernisierungsanspruch der nunmehr reichshauptstädtischen Stadtväter riss im Jahr der Gründung des neuen Kaiserreichs auch das Café Royal hinweg und ersetzte es durch einen Neubau – das von den Architekten Ende und Böckmann errichtete Bankhaus Samelson & Sackur.

Damit endete die 50-jährige Tradition des Café Royal – der Charme des alten Bauwerkesund seines Kaffee-Etablissements lässt sich noch heute in Heinrich Heines Schilderungendes Berliner Lebens der 1820er Jahre erspüren. In seinen Briefen aus Berlin berichtete er unter dem Datum des 26. Januar 1822 von seiner Sehnsucht nach dem Café Royal:„Sehen Sie das Gebäude an der Ecke der Charlottenstraße? Das ist das Café royal! , Bitte, laßt uns hier einkehren; ich kann nicht gut vorbeigehen, ohne einen Augenblick hineinzusehen.[…] Das freundliche Menschengesicht, das an der Türe steht, ist Beyermann. Das nenne ich einen Wirt! Kein kriechender Katzenbuckel, aber doch zuvorkommende Aufmerksamkeit; feines, gebildetes Betragen, aber doch unermüdlicher Diensteifer, kurz, eine Prachtausgabevon Wirt. Laßt uns hineingehn. Ein schönes Lokal; vorn das splendideste Kaffeehaus Berlins, hinten die schöne Restauration. Ein Versammlungsort eleganter, gebildeter Welt.

Sie können hier oft die interessantesten Menschen sehen. Bemerken Sie dort den großen breitschultrigen Mann im schwarzen Oberrock? Das ist der berühmte Kosmeli, der heut in London ist und morgen in Ispahan. So stelle ich mir den Peter Schlemihl von Chamissovor. Er hat eben ein Paradoxon auf der Zunge. Bemerken Sie den großen Mann mit der vornehmen Miene und der hohen Stirne? Das ist der Wolf, der den Homer zerrissen hat und der deutsche Hexameter machen kann. Aber dortam Tisch das kleine bewegliche Männchen mit den ewig vibrierenden Gesichtsmuskeln, mit den possierlichen und doch unheimlichen Gesten? Das ist der Kammergerichtsrat Hoffmann, der den Kater Murr geschrieben, und die hohe feierliche Gestalt, die gegen ihn über sitzt, ist der Baron von Lüttwitz, der in der Vossischen Zeitung die klassische Rezension des Katers geliefert hat. […] Aber was kümmern mich alle diese Herren, ich habe Hunger.

Garçon, la charte! Betrachten Sie mal diese Menge herrlicher Gerichte. Wie die Namen derselben melodisch und schmelzend klingen, as music on the waters! Es sind geheime Wiederaufnahme der Mitteilungen 1965.

Zauberformeln, die uns das Geisterreich aufschließen. Und Champagner dabei! Erlauben Sie, daß ich eine Träne der Rührung weine. Doch Sie, Gefühlloser, haben gar keinen Sinn für alle diese Herrlichkeit und wollen Neuigkeiten, armselige Stadtneuigkeiten. Sie sollen befriedigt werden […].“ (Heinrich Heine: Briefe aus Berlin, in: Sämtliche Werke, Bd. 2, hrsg., von Günther Häntzschel, 2. Auflg. München 1976) Im 20. Jahr seines Bestehens beschloss der Vereinsvorstand 1884, seinen bisherigen Rundschreiben über die Tätigkeit des Vereins regelmäßig erscheinende Mitteilungen hinzuzufügen.

Diese steigerten sich allmählich im Umfang und in der Themenvielfalt, enthielten Aufsätze zur Berliner Geschichte, „Kleine Mitteilungen“, Vereinsnachrichten, Berichte über die Erwerbungen und die Entwicklung der Bibliothek und des Archivs – kurz, alles das, was bis heute zum Kern der Zeitschrift gehört. Über die Jahre erweisen sich die Mitteilungenals schier unerschöpfliches Kompendium der Forschungen zur Berliner Geschichte; undsollten heute die Forschungsergebnisse selbst manches Mal als überholt gelten dürfen, sind sie gerade dann oft von besonderem wissenschaftsgeschichtlichem Wert. Da die Zentral-und Landesbibliothek Berlin dankenswerter Weise alle Ausgaben seit 1884 (derzeit bis 1997) digitalisiert und öffentlich nutzbar gemacht hat (Link auf der Webseite unseres Vereins), kann sich jeder mühelos ein eigenes Bild machen. Natürlich gingen die historischen Zäsuren weder am Verein noch an seinen Mitteilungenspurlos vorbei: Die kargen Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, insbesondere nach 1920, die terminologische und thematische Anpassung und zugleich „Nischensuche“ nach 1933, vor allem nach dem – faktisch zwangsweisen – Ausscheiden des verdienten Schriftleiters Ernst Kaeber 1936/37 oder die Einstellung der Zeitschrift während des Zweiten Weltkriegs 1943.Bei der Wiederaufnahme der Mitteilungen 1965 knüpfte der Vorstand des Vereins bewusst an die Tradition der ersten Jahrzehnte der Zeitschrift an. Gestaltung und Erscheinungsbild spiegeln – allen notwendigen Zugeständnissen an die jeweils zeitgemäße, moderne Form Titel der Mitteilungen: Erstausgabe 1884, Januar 1919, Januar 1920, 1934 zum Trotz – die mehr als ein Jahrhundert währende Kontinuität und Identität des Vereins (siehe die Titelköpfe aus den Jahren 1884, 1919, 1920, 1934, 1965 und heute). Entscheidend für die Neuauflage der Zeitschrift waren aber nicht in erster Linie Tradition oder gar rückwärtsgewandte Perspektive. Vielmehr zielte das Vorhaben auf die künftige Berlin-Forschung und deren Vermittlung sowie die Aktivitäten des Vereins und seiner Mitglieder: Die Mitteilungen sollten unterhalten und interessieren, „ein lebendiges Bild von der Arbeit und dem Wirken des Vereins vermitteln“, zugleich aber habe die Zeitschrift – so der Vorsitzende Professor Bruno Harms 1965 – noch eine darüber hinausgehende Bedeutung: Die Mitteilungen seien „Bestandteil der Geschichtsschreibung unserer Stadt“, sie vermittelten die „wissenschaftlichen Leistungen und die praktische Arbeit des Vereins“ und besäßen „hervorragende Bedeutung als Quellenmaterial für die Geschichtskunde Berlins“.Dieser Anspruch ist auch im diesmaligen Jubiläumsjahr aktuell und mag als Orientierung für die Tätigkeit des Vereins und seiner Mitteilungen dienen.

Schriftleiter der Mitteilungen 1884-2015:

  • 1884-1890 Friedrich Budczies (Redakteur), Dr. Richard Béringuier (Herausgeber)
  • 1890-1892 Dr. Richard Béringuier
  • 1892-1919 Dr. Hans Brendicke
  • 1920-1921 Dr. Ernst Kaeber
  • 1922-1931 Hans Martin
  • 1932-1936 Dr. Ernst Kaeber
  • 1937-1943 Dr. Hermann Kügler
  • (Erscheinen von 1943 bis 1965 unterbrochen)
  • 1965-1967 Dr. Joachim Lachmann
  • 1968-1971 Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm, Dr. Hans E. Pappenheim
  • 1971-1973 Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Dr. H.E. Pappenheim, Dr. Peter Lethemann
  • 1973-1974 Günter Wollschlaeger, Dr. Peter Lethemann
  • 1975 Günter Wollschlaeger, Dr. Peter Lethemann, Claus P. Mader
  • 1976-1977 Dr. Peter Lethemann, Claus P. Mader, Felix Escher
  • 1978-1982 Claus P. Mader, (Dr.) Felix Escher, Wolfgang Neugebauer
  • 1983-1985 Dr. Gerhard Kutzsch, Günter Wollschlaeger, Dr. Christiane Knop
  • 1986-1995 Günter Wollschlaeger, Dr. Christiane Knop
  • 1995-1998 Dr. Manfred Uhlitz, Dr. Christiane Knop
  • 1998-1999 Dr. Manfred Uhlitz, Dr. Christiane Knop, Dr. Gerhild Komander
  • 1999-2001 Dr. Gerhild Komander, Dr. Christiane Knop
  • 2001-2005 Dr. Gerhild Komander
  • 2005-2015 Dr. Wolther von Kieseritzky

Mit Ausnahme von Hans Brendicke, der für sein Wirken eine Aufwandsentschädigungerhielt, versahen die Schriftleiter – wie alle anderen für den Verein in Vorstand, Bibliothek oder Veranstaltungsorganisation tätigen Mitglieder – ihre Aufgabe ehrenamtlich bzw. In Ausnahmefällen mit institutioneller Unterstützung (wie zum Beispiel Ernst Kaeber als Direktor des Stadtarchivs.