Zwischen Berlin und Cölln

Von Hansjürgen Vahldiek

Einst das Herz Berlin-Cöllns – aufgrund seiner Bebauung eine äußerst belebte Geschäftsstraße – ist der Mühlendamm heute aus dem Bewusstsein der meisten Berliner verschwunden. Nur die nackte Mühlendammbrücke, in den 1960er Jahren als pfeilerlose Spannbetonbrücke mit sechs Fahrspuren ausgeführt, erinnert noch an diese Örtlichkeit. Der Bedeutung des Ortes gerecht wird das Buch von Heinrich Herzberg.i Er zeigt uns umfangreiches Bildmaterial und gibt Hinweise auf die vielen Akten vom Amt Mühlenhof. Die Abrechnungslisten der zahlreichen Schreiber sind eine Fundgrube für Informationen über das Geschehen am Mühlendamm.

Das im 13. Jh. errichtete Stauwehr unterbrach den durchgängigen Verkehr zu Wasser, den der Handel seit Jahrhunderten genutzt hatte. Durch zwei Dammstücke in der Mitte entstanden drei Durchlässe, mit denen man das Oberwasser ins Unterwasser leitete. Um das Spreewasser zu konzentrieren, wurden diese Durchlässe als Gerinne ausgeführt, so dass auf der Unterwasserseite Mühlenräder betrieben werden konnten.

Der Mühlendamm war eine Welt für sich und entwickelte sich zu einer stark frequentierten Geschäftsstrasse. Das Angebot hatte ausgezeichnete Qualität, das Sortiment war vielfältig. Direkt in der Mitte der Mühlendammbrücke zweigte die Fischerbrücke zur Fischerinsel ab. Inmitten der vielen Gebäude kam man gar nicht auf die Idee, dass man sich auf einer Brücke befand, unter der die Spree fließt. Unterhalb des quirligen Lebens, im Untergrund, arbeiteten die Müller mit ihren Gesellen und Gehilfen in den Mühlen. Der Staub aus den Lohmühlen fegte oft in das Mehl. Es gab viel Streit im täglichen Betrieb. Enge, Dunkelheit und Feuchtigkeit herrschten vor. Bis zur Mitte des 17. Jh. gab es Korn-, Walk-, Lohmühlen und Schneidemühlen, mit denen Bauholz zugeschnitten wurde. Der Brandschutz war äußerst mangelhaft, und so blieben Katastrophen nicht aus. 1838 brannten die Mühlen gänzlich ab, 15 Personen kamen ums Leben. Zunächst verbot der König den Betrieb neuer Mühlen, änderte aber seine Meinung doch noch. Anstelle der verschiedenen Mühlengebäude wurde von 1844 bis 1846 von Ludwig Persius ein großes steinernes Mühlengebäude in der Gestalt mittelalterlicher Kastellbauten errichtet. Bis 1873 waren die Mühlen staatlich verwaltet und später verpachtet. Sie stellten 1880 ihren Betrieb zugunsten einer geregelten Hochwasserabführung ein.

Vom Mühlendamm gingen immer wieder wichtige Impulse für die Entwicklung Berlins aus. Er war ein Antriebsmotor schlechthin. Vor Jahrhunderten hatte man mit der Errichtung des Stauwehrs die Pegel aller Berliner Gewässer festgelegt. Hier befanden sich die Pegelbolzen des Berliner Null (29,95 mNN), in den geologischen Karten von Lossen als Dammmühlen-Null bezeichnet. Sie wurde durch das Stauwehr bis zu einer Höhe von 2 Meter aufgestaut. Beim Bau neuer Brücken musste diese Pegeldifferenz wegen der Durchfahrtshöhe beachtet werden.

Das über das Wehr mit max. 50 m3/s schießende Wasser entsprach einer Leistung von max. 500 kW und wurde von Anfang an durch die drei Gerinne geleitet, in der sich mehrere riesige Mühlräder mit einem Durchmesser von sechs Metern befanden. Jedes lieferte zehn kW. Damit ließen sich jeweils drei Mahlgänge mit einem Mahlwerkdurchmesser von eineinhalb Meter oder ein Sägemühlenwerk betreiben.

Parallel zum Mühlendamm verlief seit 1846 der so genannte Mühlenweg zwischen Post- und Breite Straße. Eigentlich diente er als Zugang zu den Mühlen. Später verkehrte hier aus Platzmangel sogar die Pferdebahn. Im oberen, dem Berliner (später königlichen) Gerinne wurde mit einem Mühlrad seit etwa 1571 die von Johann Blankenfelde erfundene Wasserkunst betrieben. Das geförderte Wasser sammelte man in einem Wasserturm (Poststraße 16). Aus dem Leitungssystem mit Holzröhren konnte Brauchwasser entnommen werden.ii Die einfachen Kramläden und hölzernen Buden auf dem Mühlendamm unterstanden der Gerichtsbarkeit des Amtes Mühlenhof und waren diesem zur Zinszahlung verpflichtet.

Während der letzten Regierungsjahre des Kurfürsten Friedrich Wilhelm erhielt der Mühlendamm ein neues Aussehen. Er ließ die Mühlen erneuern und sechs massive Gewölbe mit einer Spannweite von 4,75 m errichten, die paarweise ein Gerinne überspannten, gegründet auf Pfahlrosten. Die Budenbesitzer wurden zur Errichtung steinerner Neubauten, den ersten festen Geschäften der Stadt, veranlasst. Vor diesen baute Arnold Nering die Kolonnaden. Die im Februar 1688 für den Verkehr freigegebene Anlage schloss auch die in der Dammmitte abgehende Fischerbrücke ein, die am Portal zwischen den Kolonnaden endete. Über dieser Friedrichspforte errichtete man einen Saal für die Kaufmannsgilde, der bis 1739 als erster Berliner Börsensaal diente. Eine Zeichnung aus dem Stridbeckschen Skizzenbuch von 1690 gibt einen Eindruck von den Kolonnaden. Deren Besitzer hatten Erbrecht. Den Händlern wurde in den Bögen ein Platz für ihre Buden angewiesen. Manchmal hatten sich bereits die Refugiés angesiedelt, weil sie keine andere Bleibe gefunden hatten.

König Friedrich I. ließ schließlich sämtliche Gerinne mit Quadern einfassen und überwölben. Zwei Inschriftensteine mit den Jahreszahlen 1701 und 1707, die auf den Fotos vom Abriss 1893 deutlich zu erkennen sind, bezeugen dies. Über die Läden am Mühlendamm schreibt 1834 Leopold Zedlitz:iii Auf beiden Seiten laufe eine Bogenlaube, unter denen sich eine lange Reihe von Kaufmannsläden oder die Eingänge zu den Mühlen befänden. Größtenteils seien es Baumwoll- und Modewarenhandlungen. Auch finde man eine Konditorei, eine Buchbinder- und Galanteriewarenhandlung, Kleiderläden, eine Lotteriekollekte und zahlreiche andere Etablissements. Fast 50 Jahre später bemerkt Herzberg Aber 1883 zeichnet sich deutlich der Verfall ab: Unter den Säulenhallen des Mühlendamms befanden sich noch die alten jüdischen Kramläden mit allen Artikeln, vorzugsweise billigen Kleidungsstücken und Kleinodien, „die keinen Probierstein in Versuchung setzten".

Die explodierende Stadt und der ständig wachsende Verkehr belasteten seit etwa 1860 auch den Mühlendamm. 1886 befuhren bereits zehn Pferdebahnlinien der Großen und der Neuen Pferdeeisenbahngesellschaft diese Strecke. Die geringe Straßenbreite von 7,5 m zwischen den Fluchten der Kolonnaden gestattete jedoch nur die Verlegung eines Gleises, das zweite zwängte sich kurvenreich über den Mühlenweg, der als zweite Zufahrt zu den Mühlen seit 1847 auf deren Nordwestseite diente. In beiden Richtungen fuhren täglich zwischen sechs und 24 Uhr 2200 Pferdebahnwagen, selbst während des Umbaus des Mühlendamms. 1888 begann ein umfangreiches Abrissprogramm, bei dem auch die Kolonnaden und das Mühlengebäude von Persius fielen. Die Säulen am Ephraim-Palais hatten den Fußgängerverkehr schon immer stark eingeengt, was zahlreiche Beschwerden beweisen. Ab 1893 baute man die Schleuse in das obere Gerinne, und als sie dann 1895 mit einer Länge von 110 m in Betrieb ging, war das Stauwehr durchbrochen. Damit war die Spree nach Jahrhunderten wieder durchgehend befahrbar. Alle beweglichen Teile der Schleusentore wurden in moderner Weise mit einer Hydraulik angetrieben, deren Einspeisung aus dem Kraftspeicher im Turm des Sparkassengebäudes erfolgte. Die Füllung des Speichers erfolgte nicht über elektrischen Antrieb, sondern wurde durch eine mit Wasserkraft betriebene 25 PS Turbine besorgt. Die Schleuse tat 50 Jahre lang ihren Dienst. Das Bankgebäude war dem Persiusbau nachempfunden. Die neue Straßenbreite betrug 15 Meter, die Gehbahnbreite je 5,8 Meter – Maße, die den Anforderungen auch des stärksten Verkehrs genügen dürften, so das Zentralblatt der Bauveraltung.iv Dass diese Feststellung nur kurze Zeit den Tatsachen entsprach, zeigt eine Denkschrift der Bauverwaltung vom November 1930, die für einen neuerlichen Umbau des Mühlendamms eine Gesamtbreite von 37 Metern vorsah.

Die größte Veränderung aber begann 1937: Das Ephraim-Palais und die gegenüber liegende Baumasse wurden gänzlich abgerissen und eine Behelfsbrücke errichtet. 40.000 Pfähle mit einer Länge bis zu 15 Metern wurden bis zu 2 m unter Wasser eingekürzt. Zwischen den Pfählen lagen noch die grossen Findlinge. Trotz des Krieges wurden die Bauarbeiten bis 1942 fortgeführt und die neue Schleusenanlage betriebsfertig erstellt. Der Neubau der pfeilerlos geplanten Mühlendammbrücke und der Abbruch der alten Schleuse aber wurden zurückgestellt. Die Brücke ist schließlich 1968 fertig gestellt worden. Erst 1976 konnten die Abbrucharbeiten beendet werden.

Es sei an den im 13. Jh. unterhalb dieser Brücke errichteten Spreestau erinnert. Das Wasser des Oberlaufs stieg so stark an, dass sich der Grundwasserpegel auf 32 mNN erhöhte. Diese Situation besteht bis zum heutigen Tage. Damit die Natur auch weiterhin mit genügend Grundwasser versorgt wird, muss der damals eingerichtete Stau aufrechterhalten werden. Die Staufunktion hat nun die Stadtschleuse übernommen.

Anschrift des Verfassers:
Hansjürgen Vahldiek, Schreberstr. 10, 14167 Berlin

Anmerkungen:

  1. Herzberg, Heinrich: Mühlen und Müller in Berlin, Berlin 1986.
  2. Voigt, F. und Fidicin E.: Urkundenbuch zur Berlinischen Chronik, Berlin 1880, Nr. CCXXXIX, Dezember 1572, Vertrag des Rates zu Berlin mit dem Gewerke der Wasserkunst.
  3. Zedlitz, Leopold, Freiherr von: Conversations- Handbuch für Berlin und Potsdamm, Berlin 1834. Baugeschichtliches vom Mühlendamm in Berlin, Zentralblatt der Bauverwaltung, 16. Juni 1894, Jahrgang XIV, Nr.24.