„Eines der größten Wohnungsbauprojekte in Berlin“.
Zur Gründungsgeschichte des Notaufnahmelagers Marienfelde
Von Bettina Effner

Im April 1953 wurde im Süden Berlins ein neues, zentrales Aufnahmelager für Flüchtlinge aus der DDR eröffnet. In einer Zeit der wirtschaftlichen Krise und des massenhaften Flüchtlingszustroms sollte das Notaufnahmelager Marienfelde helfen, die Menschen zufriedenstellend unterzubringen und das Aufnahmeverfahren zu beschleunigen. Entscheidend war für Berlin, dass der Bund und die Länder – nach einigem Zögern und Ringen – in die Mitverantwortung für die Bewältigung der Flüchtlingsproblematik genommen werden konnten. So entstand mit Bonns finanzieller Hilfe in Marienfelde eine Wohnsiedlung, die modernen Standards der Flüchtlingsunterbringung genügen sollte.

Zuflucht auf der Insel Berlin
Zu Beginn der fünfziger Jahre war die Situation in West-Berlin prekär. Wie die meisten deutschen Städte trug auch Berlin noch schwer an den Folgen des Zweiten Weltkriegs. Dramatische Wohnungsnot, hohe Arbeitslosigkeit und die Versorgung der Vertriebenen stellten den Senat jeden Tag vor neue Schwierigkeiten. Zusätzlich sah er sich mit den Herausforderungen konfrontiert, die aus der besonderen politischen Lage der Stadt erwuchsen. 1948/49 hatte die von der Sowjetunion betriebene Abschnürung West-Berlins dem Wiederaufbau einen harten Schlag versetzt – und einem weiteren Problem Nahrung gegeben: Die Blockade verschärfte die Konfrontation zwischen Ost und West. Aus Angst, dass der Graben schnell unüberwindbar werden könnte, entschieden sich nun immer mehr politisch bedrängte oder wirtschaftlich unzufriedene Menschen, die Sowjetische Besatzungszone zu verlassen, um Zuflucht in den Westzonen und in West-Berlin zu suchen. „Seit Beginn der Blockade gibt es eine neue Art von Flüchtlingen“, berichtete „Die neue Zeitung“ Ende November 1948. „Für diese Flüchtlinge wurden Lager geschaffen, in denen sie vorübergehend ein Heim finden.“ Doch was bereitgestellt werden konnte, reichte nicht aus: Gerade Unterbringung und Eingliederung der Flüchtlinge waren wegen des anhaltenden Zustroms bald kaum mehr zu bewältigen. Allein im ersten Halbjahr 1950 musste West-Berlin rund 7.500 Zuwanderer monatlich verkraften. Angesichts dessen unternahm der Senat im Frühjahr 1951 einen Vorstoß in doppelter Richtung: Er leitete erste Schritte für den Bau eines zentralen Aufnahmelagers für DDR-Flüchtlinge ein; und er bemühte sich, die Bundesländer zur Übernahme eines Teiles der nach Berlin Geflohenen zu bewegen. Für beide Anliegen benötigte West-Berlin die Hilfe des Bundes: Die Bewältigung des Flüchtlingsproblems konnte und sollte nicht länger allein Sache des Stadtstaates sein.
Deshalb musste sich West-Berlin zunächst einmal von seiner Sondergesetzgebung in Flüchtlingsfragen verabschieden. Seit September 1950 hatte das „Gesetz über die Anerkennung politischer Flüchtlinge“ die Aufnahme von DDR-Zuwanderern in der Stadt geregelt; im Juni 1951 entschied der Deutsche Bundestag, das „Gesetz über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet“ auf West-Berlin auszudehnen. Damit wurde die Einbindung Berlins in den Flüchtlingsausgleich der Länder möglich – fortan konnte der Senat einen Großteil der Aufgenommenen ins Bundesgebiet weiterleiten. Zugleich schien der Weg frei zu sein für das zentrale Flüchtlingslager, das die Stadt auf sich gestellt schwerlich hätte finanzieren können. Nun sollte der Bund sich im Rahmen der Kriegsfolgenhilfe mit 85 Prozent an dem Bau beteiligen und außerdem die Kosten für die Versorgung der Flüchtlinge während des Notaufnahmeverfahrens übernehmen.

Tauziehen zwischen Berlin und Bonn
Also ein allgemeiner Konsens? Der Bundestag erkannte mit seinem Beschluss an, dass Hilfe für Berlin notwendig war. Dahinter stand nicht nur Einsicht in die sozialen Schwierigkeiten der Stadt, sondern auch politisches Kalkül. Denn jeder Flüchtling bezeugte durch sein Kommen die politische und wirtschaftliche Attraktivität der Bundesrepublik, während die DDR umgekehrt Ansehen verlor. Wenn der Westen aber bei der Versorgung der Ankommenden versagte, dem Osten etwa mit einer schlechten Lagersituation und Spannungen in West-Berlin Munition lieferte, konnte dies – wie der Berlin-Bevollmächtigte der Bundesregierung, Vockel, im November 1950 in einem Schreiben an Bundeskanzler Adenauer formuliert hatte – leicht zu einer politischen Gefahr werden. Das sprach für die Unterstützung Berlins und für den Bau eines großen Aufnahmelagers, das man beispielsweise auch im Bundesvertriebenenministerium befürwortet hatte.

Gleichwohl war die politische Überzeugungsarbeit noch nicht gänzlich geleistet. Dies zeigte sich ab September 1951, als die Berliner Baupläne plötzlich auf Hindernisse stießen. Schuld war der Bundesminister für Finanzen. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass der Bund keinesfalls zusätzliche Mittel für das Aufnahmelager bereitstellen werde; Berlin habe die Kosten vielmehr von den 20 Millionen DM Kriegsfolgenhilfe zu bestreiten, die für das Haushaltsjahr 1951 pauschal bewilligt worden waren. Es folgten monatelange Auseinandersetzungen, während sich die Flüchtlingsproblematik in West-Berlin noch einmal dramatisch zuspitzte. Am 26. Mai 1952 verkündete die DDR-Führung Maßnahmen zur Abriegelung der innerdeutschen Grenze, so unter anderem die Einrichtung einer fünf Kilometer breiten Sperrzone und die Zwangsumsiedlung der dort ansässigen Bevölkerung. Bestürzt beobachtete die Presse die unmittelbaren Folgen für West-Berlin: „Sämtliche 50 Flüchtlingslager sind zur Zeit überbelegt. [...] Der gesamte Flüchtlingsstrom aus der Sowjetzone hat sich in den letzten Wochen [...] nach Westberlin verlagert. Während in Berlin täglich 500 Flüchtlinge eintreffen, sind es in den Lagern Gießen und Uelzen kaum noch 40 am Tag.“ Dieser Befund war unbestreitbar, über die weitere politische Entwicklung und entsprechende Reaktionen jedoch gingen die Meinungen gänzlich auseinander. Würde die SED eine vollständige „Abschnürung der Ostzone von dem Westen“ forcieren und auch Berlin so abriegeln, dass keine Flüchtlinge mehr hineinkämen und der Bau eines zentralen Aufnahmelagers sich erübrigte? Diese Ansicht vertrat man im Bundesfinanzministerium. Berlin hielt dagegen. „Gerade in dieser angespannten politischen Situation sollte vom Bund her alles getan werden, um die Position Berlins zu stärken“, schrieb etwa die Senatsverwaltung für Sozialwesen an die SPD-Bundestagsfraktion. „Jede Verzögerung [bei dem Bau des Notaufnahmelagers] muss unbedingt bei der Berliner und Ostzonenbevölkerung den Gedanken aufkommen lassen, der Bund schreibt Berlin ab.“ Zu rechnen sei jedenfalls mit einem „verstärkten Ansturm auf Berlin“, lautete das Hauptargument.

Auf die in die Höhe geschnellten Flüchtlingszahlen berief sich auch der Berliner Regierende Bürgermeister Ernst Reuter, als er schließlich mit einem Schreiben vom 26. Juli 1952 persönlich bei Bundeskanzler Konrad Adenauer intervenierte. Während in den Monaten Februar bis April ein durchschnittlicher Zugang von rund 4.000 Personen zu verzeichnen gewesen sei, rechnete Reuter vor, seien „im Mai 5.100, im Juni bereits 7.500 und seit dem 1. Juli bis zum heutigen Tage rund 8.500 Flüchtlinge eingetroffen“. Angesichts dessen forderte Reuter die „sofortige Bewilligung“ der ausstehenden Bundesmittel für die Errichtung des zentralen Notaufnahmelagers in Berlin – und hatte Erfolg. Nach einer Kabinettssitzung in Bonn am 29. Juli, auf der die Kontrahenten noch einmal heftig diskutierten, war der Widerstand des Bundesfinanzministeriums gebrochen: Es bewilligte die Freigabe des Bundesanteils von fünf Millionen an den inzwischen auf rund 5,7 Millionen DM veranschlagten Baukosten. Die Berliner standen bereits in den Startlöchern. Drei Tage nach der Mittelfreigabe fand endlich die feierliche Grundsteinlegung für das neue zentrale Flüchtlingslager statt. „Als Standort der Siedlung“, hielt die dem Grundstein beigegebene Urkunde fest, „wurde das bundeseigene Gelände in Berlin-Mariendorf, Marienfelder Allee, zwischen Kaiserallee und Ahornstraße, im Bezirk Tempelhof bestimmt.“

Warum Marienfelde? – Standortfaktoren
Dieses Gelände war nicht die erste Wahl gewesen. Während der Berliner Senat mit Bonn über die Finanzierung des Aufnahmelagers gestritten hatte, war er gleichzeitig monatelang auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück gewesen, da ins Auge gefasste Standorte mehrfach verworfen werden mussten. Im Sommer 1951 war zunächst ein Gelände im Bezirk Tiergarten an der Beussel- und Ringbahnstraße im Gespräch, doch der beabsichtigte Bau einer Großmarkthalle verdrängte diese Pläne. So verlegte sich der Senat Anfang September 1951 auf ein Grundstück im Spandauer Ortsteil Haselhorst an der verlängerten Daumstraße, wo man anstelle der anfänglich geplanten Baracken nunmehr mehrstöckige Wohnblocks in Massivbauweise errichten wollte. Kaum lag allerdings am 3. März 1952 der entsprechende Senatsbeschluss über diesen Standort vor, wurde wiederum alles in Frage gestellt: Die vor Monaten in Haselhorst begonnenen Bodenuntersuchungen hatten mittlerweile ergeben, dass der Baugrund die projektierten drei- bis viergeschossigen Bauten nicht tragen würde. Auch hinsichtlich der vorgesehenen Erweiterung des Aufnahmelagers in einem anschließenden Bauabschnitt hatte sich das Gelände als ungeeignet erwiesen. Hinzu kam die Forderung des Bundesfinanzministeriums, das Flüchtlingslager nicht auf städtischem Gelände – wie in Spandau –, sondern auf ehemals reichseigenem Grund zu errichten. Notgedrungen begab sich der Berliner Senat ein weiteres Mal auf die Suche nach einer geeigneten Liegenschaft. „Zur Bedingung wurde dabei gemacht“, hieß es in einem Besprechungsvermerk vom 28. März 1952, „dass das Lager nicht zu hart an der Sektorengrenze liegen dürfe und nicht in dicht besiedeltem Gebiet. Nähe zum Flughafen Tempelhof ist für die Wahl nicht ausschlaggebend; [...]. Auf Erweiterungsmöglichkeit ist besonders zu achten.“

Im Süden Berlins wurde man schließlich fündig. Das ausgewählte Grundstück in Marienfelde, Marienfelder Allee 66-80, bot die gewünschten Qualitäten und verfügte – mit der Omnibuslinie 32 sowie dem nur 800 Meter entfernten S-Bahnhof – zudem über eine günstige Verkehrsanbindung. Die nun doch gegebene Flughafennähe war ein zusätzlicher Pluspunkt. Im Gegensatz zu vielen anderen Orten, die nach 1945 für die Unterbringung von Vertriebenen oder Flüchtlingen genutzt wurden, hatte das Marienfelder Gelände keine politische Vorgeschichte als Lager. Es gab auch keine Bebauung, die weiter nutzbar gewesen wäre. Das rund 45.300 Quadratmeter große Grundstück war in den dreißiger Jahren in Privatbesitz gewesen und von der Eigentümerin 1942 an das Deutsche Reich, namentlich den „Reichsfiskus (Luftfahrt)“, verkauft worden. Eine kleine Siedlung, die von der Luftwaffe auf einem Teil des Geländes errichtet worden war, war während des Krieges weitgehend zerstört worden. Mittlerweile wurde auf dem Grundstück Landwirtschaft betrieben. So gab es bei der Erschließung nicht viel zu tun: „Der bis Oktober 1952 nutzungsberechtigte Pächter wird für den Ernteausfall entschädigt“, einige Sträucher sowie Fundamentteile eines Feuerlöschteiches aus dem Jahr 1944 mussten abgetragen werden – und der Bau konnte beginnen.

Ein Flüchtlingslager als Wohnsiedlung
In einem Brief vom 11. Juli 1953 wandte sich der Parfümerieinhaber Günter Kutz an den Senator für Sozialwesen mit der Bitte „um Vermietung eines Ladens im neu erbauten Flüchtlingslager Marienfelde zum Betrieb eines Seifengeschäftes“. Sein Anliegen wurde abschlägig beschieden. Läden sollte es in Marienfelde zwar tatsächlich geben, doch griff Günter Kutz der Zeit voraus: Der Ladentrakt, antwortete ihm die Senatsverwaltung, werde „für die Dauer des Lagerbetriebs für Bürozwecke benötigt“, womit eine Vergabe gegenwärtig entfalle. Der kleine Briefwechsel verrät gleichwohl, welcher Leitlinie die gesamte Anlage des Flüchtlingslagers folgte: dem Gedanken der späteren Nutzbarkeit. Dass es dabei nicht allein um schnöde finanzielle Effizienz, sondern auch um die Hoffnung auf Wiedervereinigung ging, zeigen die emphatischen Formulierungen der Grundsteinlegungsurkunde: „In der festen Zuversicht“, hieß es dort, „dass der Kampf um die Freiheit und Einheit aller Deutschen bald endgültig gewonnen wird, errichtet Berlin dieses Notaufnahmelager in der Form einer Wohnsiedlung, die später eine Heimstätte freier und glücklicher Menschen sein soll. Die ganze Planung ist daher auf diese endgültige Verwendung abgestellt.“

Mit welchen Konsequenzen? Bis August 1953 entstanden in Marienfelde 15 dreigeschossige Wohnblocks, ein viergeschossiges Eingangsgebäude, ein Kinderhort und ein Speisesaal. In den Wohnblocks waren einige Ein- und Dreizimmerwohnungen sowie in der Mehrzahl rund 50 Quadratmeter große Zweieinhalbzimmerwohnungen untergebracht. Die pro Flüchtling kalkulierte Wohnfläche schwankte zwischen 3,7 und vier Quadratmetern. Besondere Bürogebäude gab es in Marienfelde nicht: Als das Lager bezogen wurde, nahmen die Wohnblocks sowohl die Flüchtlinge wie auch die am Aufnahmeverfahren beteiligten Behörden und Organisationen auf. Deren Bedürfnisse hinsichtlich funktionaler Räume waren dem Wohnsiedlungscharakter des Lagers von vornherein untergeordnet. So ließ sich etwa die Neuanmeldung in einem der erwähnten Ladengeschäfte im Erdgeschoss des Eingangsgebäudes nieder, dessen unpassende große Schaufenster man pragmatisch mit Gardinen verhängte. Wie bei der Ladenzeile wurde auch bezüglich anderer Räumlichkeiten in die Zukunft gedacht: Der Kinderhort könnte, gegebenenfalls nach einem Ausbau, von der Stadt übernommen werden. Und der Speisesaal ließe sich in eine Turnhalle verwandeln – diesen Plan allerdings behinderte das schmale Budget, das einen Bau in der entsprechenden Höhe und Größe aktuell nicht zuließ.

Weniger deutlich als die mehrfachen Verweise auf die spätere Nutzung sind Hinweise in den Quellen, dass mit dem Bau des Aufnahmelagers als Wohnsiedlung durchaus auch gegenwartsbezogene Überlegungen verbunden waren. Andeutungen in diesem Sinne machte der zuständige Sozialsenator Otto Bach in einem Interview, das er im Juli 1953 zu dem „in seiner Anlage völlig neuartige[n] Flüchtlingslager“ gab. „Moderne und hygienische Wohnräume“ für die Flüchtlinge sollten in Marienfelde geschaffen werden, hob Bach hervor, standardmäßig ausgestattet mit Zentralheizung und Brausebädern. Als weiterhin beachtenswert beschrieb der Senator die aufgelockerte Form des Lagers – mit Rasenflächen zwischen den Gebäuden – , den gemeinschaftlichen Essraum und besonders die Einrichtung des Hortes, um die Kinder unter der Obhut von geschultem Personal dem „Lagerleben“ fernzuhalten. Alles nichts Besonderes? Bachs Äußerungen werden aussagekräftig, wenn man sich die Flüchtlingsunterbringung in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre vor Augen führt: Die Raumnot war vorherrschend, eine Einquartierung der Flüchtlinge in Fabriken, Lagerhallen, Stallungen oder überkommenen Barackenlagern etwa des Reichsarbeitsdienstes oder der Wehrmacht die Regel – in Unterkünften also, die zumeist nur notdürftig hergerichtet waren und den Menschen kaum Privatsphäre ließen. Entsprechend pessimistisch fielen häufig die Prognosen von besorgten Zeitgenossen aus: Politiker, Geistliche, Beamte fürchteten eine „Vermassung“ der Flüchtlinge, ihr Abgleiten in die Asozialität, den Verlust der Eigeninitiative – kurz: Sie malten den „Homo Barackensis“ als erschreckendes Gegenbild zum bürgerlichen Individuum an die Wand. Diese Vision hatte nicht zuletzt auch eine deutschlandpolitische Implikation, da zu befürchten stand, dass die Flüchtlinge angesichts der Lagersituation ihre DDR-kritische Haltung einbüßen könnten. Abhilfe zu schaffen, war schwer. Marienfelde aber, so lassen sich Bachs Äußerungen interpretieren, sollte ein Schritt in die richtige Richtung sein: Orientiert an den Standards des sozialen Wohnungsbaus, bot die Anlage neben gut ausgestatteten Wohnquartieren und Gemeinschaftseinrichtungen auch eine gewisse Weiträumigkeit – Voraussetzungen, wie man meinte, für ein gutes Zusammenleben und damit für eine rasche Integration in der Bundesrepublik.

Doch auch ein Lager neuen Typs konnte seinen Lagercharakter nicht gänzlich verhehlen. Eine gewisse Isolierung der Bewohner, meinte Sozialsenator Bach, werde sich nicht verhindern lassen, „da wir für diese Menschen, die sich uns in tiefster Not anvertraut haben, verantwortlich sind. Es soll also eine Kontrolle bestehen, wer das Lager betritt oder verlässt.“ Wenn sich der hohe Zaun um das Gelände somit als Schutzmaßnahme noch vertreten ließ, machte die Realität die guten Absichten in anderer Hinsicht recht weitgehend zunichte: Marienfelde war über Jahre hinweg heillos überbelegt. In der Phase des nicht abreißenden Flüchtlingsstromes bis zum Mauerbau 1961 blieben die ursprünglich kalkulierten rund vier Quadratmeter Wohnfläche pro Person eine Utopie. Zeitweise wurden Doppelstockbetten selbst in den Küchen aufgestellt, die kleinen Bäder reichten nicht für die vielen Menschen, die in das gemeinschaftliche Badehaus ausweichen mussten. Und noch eine weitere mit der Einrichtung Marienfeldes verbundene Überlegung konterkarierte der Ansturm zunächst vollständig. Die Behörden hatten gehofft, die Flüchtlinge und sämtliche beteiligten Dienststellen in diesem Lager zusammenführen zu können, um das Aufnahmeprozedere zu beschleunigen. Doch kamen zu viele, um alle in Marienfelde unterzubringen. Auch von den Aufnahmebehörden konnte nur ein Teil einziehen, da ihre Büros sonst die Wohnfläche zu stark beschnitten hätten. Abhilfe schaffte erst die Fertigstellung des zweiten Bauabschnitts 1955, mit dem 11 neue Gebäude hinzukamen und die Unterbringungskapazität auf 2.800 Plätze erweitert wurde.

Und heute?
Eine Wohnsiedlung für die Allgemeinbevölkerung ist Marienfelde bis heute nicht geworden. Zwar wurde ein Teil des Lagers nach 1961 wegen der stark zurückgegangenen Belegung tatsächlich an eine Berliner Wohnungsbaugesellschaft übergeben. In den Gebäuden des ersten Bauabschnitts jedoch wohnen übergangsweise noch immer Menschen, die in der Hoffnung auf ein neues Leben hierher gekommen sind. Sie stammen ganz überwiegend aus Russland und anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion: Marienfelde hat sich, nachdem das Aufnahmeverfahren für Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR mit der Wiedervereinigung 1990 zu Ende gegangen war, in die Zentrale Aufnahmestelle des Landes Berlin für Aussiedler verwandelt.