Die Besichtigung der St.-Nikolai-Kirche

Am Dienstag, 10. Mai 1921, nachmittags 4 Uhr, veranstaltete der Verein für seine Mitglieder und Freunde eine Besichtigung der St.-Nikolai-Kirche, bei der Herr Pfarrer Gustav Göhrke einen eingehenden Vortrag über die Geschichte dieser ältesten Pfarrkirche Berlins hielt, aus der uns der Geist längst vergangener Jahrhunderte entgegenweht.

Als im 13. Jahrhundert die beiden Nachbarorte Berlin und Kölln Cölln Stadtrechte erhielten, haben sowohl die Nikolaikirche als auch die Marienkirche, die ihr im Alter am nächsten kommt, schon bestanden, eng verknüpft mit dem Ursprung Berlins; schon 1292 wurden beide Kirchen gleichzeitig erwähnt. Viele Geschlechter haben an der Nikolaikirche gebaut, die um 1240 als ein einfaches schlichtes Gotteshaus in Form einer Basilika mit einem Turm errichtet wurde. Der Brand vom 10. August 1380 hatte gewaltige Spuren an ihr hinterlassen. Der jetzige Bau des Gewölbes und der Kapellen stammt aus der Zeit von 1460. Die reich ausgestatteten Nebenaltäre und Kapellen, die sich im Innern der Kirche befanden, wurden 1539 nach der Reformation entfernt und zu Grabesstätten umgebaut; die Kirche selbst wurde zu einer geheiligten Stätte der Vergangenheit und zu einer Predigtkirche.

Aus einem ehemals römischen Gotteshaus wurde nunmehr ein deutsches, aus einem katholischen ein evangelisches, in dem Kurfürst Joachim II. am 1. November 1539 das heilige Abendmahl empfing und in dem auch nach ihm der Rat der Stadt zum evangelischen Glauben übertrat. Bauliche Erweiterungen und Erneuerungen wurden in späteren Jahren noch mehrfach an der Kirche vorgenommen. Die dreischiffige Hallenkirche wird durch 23 hohe, bunte Glasfenster geschmückt, die die ganze Heiligengeschichte vom Alten bis zum Neuen Testament darstellen, Stiftungen des ersten deutschen Kaisers vom Jahre 1864 und des nachmaligen Kaisers Friedrich III. und seiner Gemahlin vom Jahre 1879.

Der mit reichem Schmuckwerk versehene silberne Abendmahlskelch ist ein Geschenk des Großen Kurfürsten [Friedrich Wilhelm]. Das aus Zinn gegossene verzierte Taufbecken stammt aus dem Jahre 1563, die im Barockstil gehaltene Kanzel aus dem Jahre 1680. 1715 wurde für den alten verbrannten katholischen Altar ein neuer errichtet. Im Innern der Nikolaikirche befinden sich zahlreiche Gedenktafeln, Grabsteine, Trophäen, Familienwappen, Gemälde, Statuen, Erbbegräbnisse usw., versehen mit reichem Schmuck und in künstlerischer Ausführung hergestellt, die eine Sehenswürdigkeit und eine Zierde dieses alten Gotteshauses bilden, wie sie kein anderes aufzuweisen hat.

Aus der großen Fülle seien hier nur herausgegriffen die Bilder und Erbbegräbnisse des Schöpfers des Kirchenliedes Paul Gerhardt, der von 1657 bis 1666 an der Nikolaikirche als Prediger wirkte, des Berliner Propstes Spalding, der beiden kurfürstlichen Kanzler Weinleben und Lamprecht Distelmeyer sowie des Schindlerschen Ehepaares, der Begründer des nach ihnen benannten Waisenhauses. Die Begräbnisstätten dieser und anderer Persönlichkeiten, die hier im letzten Schlafe ruhen, wurden 1878 geschlossen. Hinter dem Altar ist u. a. ein Grabstein errichtet für den Propst Dr. Thomas Brendicke (+ 1576). Vgl. Dr. J. Kurth, Die Altertümer der St.-Nikolai-, St. Marien- und Kloster-Kirche zu Berlin, mit 12 Bildertafeln und 12 Textabbildungen. Berlin 1911. 156 S.

H. Bock

Aus: "Mitteilungen" 38, 1921, S. 23. Redaktion: Gerhild H. M. Komander 12/2003