Besichtigung der staatlichen Porzellan-Manufaktur
Am Mittwoch, 17. August 1921, besichtigte der Verein mit etwa 120 Personen die staatliche Porzellan-Manufaktur in der Wegelystraße nach eingeholter Erlaubnis der Direktion. Seit dem letzten Besuche am 22. März 1899 hat sich vieles geändert. Besonders fiel am Eingang in die Wegelystraße eine Schaustellung in Gestalt eines Rundtempels auf, gleichsam eine Einführung in die Kostbarkeiten und das stattliche, zwei Stockwerke einnehmende Gebäude des Verkaufslagers, das zugleich viele Stücke in den zahlreichen Schränken zeigt, die man in der Jubiläums-Ausstellung der Manufaktur "1763 bis 1913" im früheren Kgl. Kunstgewerbe-Museum im Lichthofe gesehen hat.
Der 1. Vorsitzende, Herr Oberst a. D. Noël, begrüßte die Erschienenen in dem großen Vortragssaal, stellte die führenden Herren der Verwaltung vor, und Herr Dr. Moser schilderte in einem einleitenden Vortrage das Vorkommen und Bearbeiten der zur Porzellanbereitung geeigneten Rohmaterialien (Kaolin, Feldspat usw.). In vier Gruppen begaben sich die Teilnehmer sodann in die Arbeitsstätten, wo bis 4 Uhr noch voller Betrieb herrschte.
Das Zermahlen des Gesteins zwischen großen Mühlsteinen, sog. Kollergängen, das sorgfältige Schlemmen des Tones, sodann die Dreherei auf der seit Jahrtausenden bestehenden Töpferscheibe und die Formerei, die sich beide jetzt in steigendem Maße neben der Fabrikation von Kunst- und Gebrauchsporzellan mit der Herstellung von Geräten für Elektrizität, Chemie und medizinische Apparate befassen, wurden besichtigt, sodann die Porzellanöfen mit Gas-, Kohlen- und Holzfeuerung, die Glasurwerkstätten, Malerateliers und die Emaille-Farbbrennerei.
Mit der Geschichte der K. P. M. hat sich der Verein mehrfach beschäftigt, in Heft 7 "Selbstbiographie des Berliner Kaufmanns J. E. Gotzkowsky" 1873, Heft 30 Joh. Ernst Gotzkowsky von O. Hintze 1893, Heft 35 "Die Wegelysche Porzellanfabrik in Berlin" von Ed. Wintzer 1898 - Ein "Gedenkblatt zum 150jährigen Jubiläum der K. P. M., herausgegeben von der Direktion, bearbeitet von J. Erzgraber (1763-1913)" 68 S., erschien 1913 in Ecksteins Biogr. Verlag, Berlin W 62, Lützowplatz 6.
Dr. Br[endicke].
Über ein Porzellanmanufakturgericht gibt Herr Bürgermeister Dr. E. Unger uns folgende wertvolle Ergänzung: Seit dem Erwerbe der Porzellanfabrik durch Friedrich den Großen (1763) unterstanden alle Angestellten derselben mit ihren Frauen in sämtlichen bürgerlichen Rechtssachen dem besonderen Fabrikgericht. Es bestand aus einem Justitiar (meist einem Mitgliede des Berliner Stadtgerichts) als Vorsitzenden und aus zwei aus der Zahl der Fabrikangestellten gewählten Beisitzern (Gerichtsschöppen). Eine Appellation gegen ein Urteil dieses Gerichts war nur zulässig, wenn der Wert des Streitgegenstandes unter 100 Taler betrug. Bei höheren Objekten konnte beim Kammergericht appelliert werden.
In Strafsachen nahm der genannte Justitiar die Funktionen des Untersuchungsrichters wahr, und auch dies nur, sofern es sich um Fabrikdelikte (z. B. Diebstahl von Material oder Verletzung des Fabrikgeheimnisses u. a. m.) handelte. Im übrigen gehörten die Strafsachen der niederen Angestellten vor das Stadtgericht, die der höheren Angestellten (Beamten) vor das Kammergericht.
Die Oberaufsicht über die Gerichtsbarkeit dieses Gerichts stand dem Direktor der Porzellanmanufaktur zu.
Aus: "Mitteilungen" 38, 1921, S. 39. Redaktion: Gerhild H. M. Komander 12/2003
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