Nikolaikirche, St. Nikolai
Die evangelische Pfarrkirche St. Nikolai am Nikolaikirchplatz in Berlin-Mitte gelegen war der erste Kirchenbau Berlins und ist ein Ort ersten Ranges für die Geschichte Berlins. Vielfach wird sie als ältestes Bauwerk Berlins bezeichnet.
Das stimmt nicht. Das trifft lediglich auf den Turmunterbau, genauer gesagt: auf die drei unteren Geschosse dieses Bauteils zu. Älter als die übrigen Teile der Nikolaikirche ist die Franziskanerklosterkirche beziehungsweise, deren Ruine. Die Kirche, ursprünglich den Heiligen Nikolaus Confessor, Martin von Tours und Katharina geweiht, ist aber der älteste Kirchenort Berlins.
Vor dem ersten Massivbau, dessen Baubeginn etwa mit der vermuteten Stadtgründung - um 1230 - gleichgesetzt wird, wird es wohl an dieser Stelle eine Holzkirche gegeben haben - wie sie für Spandau belegt ist. Zum ersten Mal erwähnt wurde die Berliner Nikolaikirche 1264. Durch die umfangreichen Ausgrabungen in der schwer beschädigten Kirche 1956-58 ist die Gestalt dieses ersten Massivbaues bekannt geworden.
Es handelte sich um eine dreischiffige, flachgedeckte Pfeilerbasilika mit Querhaus, Rechteckchor und östlichen Apsiden von ansehnlicher Größe. Erhalten blieb davon der erwähnte Westbau, breiter als das Kirchenschiff, in charakteristischer brandenburgischer Form: ohne Turmaufsätze, wie es in Havelberg heute noch zu sehen ist. Ohne gliedernde Elemente - bis auf die symmetrisch angeordneten Öffnungen - erhebt er sich, im Erdgeschoß ein spitzbogiges Portal und zwei kleine Rundfenster darüber.
Den Grundriß der romanischen Feldsteinkirche gestaltete man nach dem Vorbild der sächsischen Kirchen des 12. Jahrhunderts. Quadratische Pfeiler trugen die schweren Kreuzgratgewölbe. Von der regional bedeutenden Wirtschaftsleistung der Stadt und dem relativen Wohlstand ihrer Bürger schaft zeugt die vergleichsweise beträchtlichen Größe des Baus.
Die Bürgerschaft Berlins konnten es sich um die Mitte des 13. Jahrhunderts gar leisten, das noch intakte Langhaus abzureißen (um 1264) und unter Einbeziehung des Querhauses einen Neubau als vierjochige, gewölbte Halle mit drei gleichbreiten Schiffen und kreuzförmigen Pfeilern errichten. Die Außenwände waren, so wird vermutet, bereits aus Backstein, erhielten Strebepfeiler, den Innenraum zierte man mit Halbrunddiensten und einer Blendengliederung.
Schon in den siebziger Jahren des 14. Jahrhunderts genügte auch dieser Bau nicht mehr. Für 1379 sind Bauarbeiten an den zu diesem Zeitpunkt wohl noch romanischen Ostteilen belegt. Mit dem neuen Hallenumgangschor - versehen mit schmalen Fenstern und einem Kapellenkranz - übertraf die Nikolaikirche alle anderen derzeit bestehenden Kirchen an Modernität. Beispielhaft hatte hierbei der französische Kathedralbau gewirkt, wie zuvor an St. Marien in Frankfurt/Oder und St. Nikolai in Spandau.
Interessant ist es, dass bei Einführung der hochgotischen Formen nicht Dom-, Stifts- oder Klosterkirchen, sondern städtische Kirchen die Vorreiterrolle übernommen hatten. Noch einmal zeigt sich in der Architektur das große Selbstbewußtsein der städtischen Bevölkerung Berlins. Doch verhinderte der Stadtbrand von 1380 zunächst, daß an der Stadtpfarrkirche weiter gebaut werden konnte. Bis um das Jahr 1470 zogen sich deshalb die Bauarbeiten, die in den folgenden Jahrzehnten auch das Langhaus einbezogen, hin.
Im Gegensatz zum Chor erhielt das dreischiffige Langhaus breite Fenster mit aufwendiger Profilierung. Auf ein Querhaus verzichtete man. Den Höhenzug im Innenraum bewirken die Dienstbündel mit ihren charakteristischen Rundstabprofilen. Reich verzierte Bündelpfeiler tragen das Kreuzrippengewölbe, über dem Ostjoch ein Sterngewölbe, um den hier aufgestellten Altar hervorzuheben.
Für das Jahr 1452 ist die zweigeschossige, zum Kirchenschiff hin geöffnete Liebfrauenkapelle bezeugt. Vielleicht etwas älter war das Fresko im Orgelchor, das Julius Kurth als eine Darstellung des Jüngsten Gerichts identifizierte.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde an der Nordseite des Chores ein schlichter, zweigeschossiger Anbau angefügt, der später als Sakristei und Bibliothek genutzt wurde.
Die Generationen der folgenden Jahrhundert haben der mittelalterlichen Gestalt der Kirche große Veränderungen und Zerstörungen zugemutet. Die Auswirkungen der Reformation veränderten auch das Aussehen der Nikolaikirche nachhaltig. Die Chor- und Seitenschiffskapellen wurden für Erbbegräbnisse freigegeben. Herausragend waren die von Kötteritzsche Kapelle, das Schindlersche Erbbegräbnis, die Grabstätten von Christian und Lampert Distelmeier sowie die barocken Grabmäler für den Hofgoldschmied Daniel Männlich von Andreas Schlüter und für den Finanzminister von Kraut von Johann Georg Glume.
1715 erhielt St. Nikolai im Zuge der barocken Umgestaltung Emporen und einen neuen Altar.
1817 fand die erste Restaurierung unter Friedrich Wilhelm Langerhans statt, 1876-78 die große Renovierung unter Hermann Blankenstein. Stadtbaurat Blankenstein ließ den mittelalterlichen Südturm abtragen und statt dessen einen Doppelturmaufsatz mit spitzen Helmen errichten, wobei das vierte Geschoß des Turmunterbaus vollständig erneuert wurde (erkennbar an den eingefügten Rundbogenfenstern). Ziergiebel wurden dem Nordanbau aufgesetzt.
Den Innenraum unterzog Blankenstein einer umfassenden Regotisierung. Der Kirchenraum erhielt eine backsteinfarbene Fassung, eine neugotische massive Westempore, der Chorlaufgang eine ebensolche Brüstung.
1938 sollte unter Walter Peschke wiederum eine Restaurierung stattfinden und die Nikolaikirche zum Musikdom umgestaltet werden, kam jedoch nicht zur Ausführung.
Während des Zweiten Weltkriegs richteten die Bombardierungen große irreparable Schäden an: 1944 wurden die Turmhelme zerstört, 1945 brannte das Kirchenschiff aus, so daß bis 1949 die mittelalterlichen Gewölbe und die nördliche Pfeilerreihe einstürzten und die reichhaltige Ausstattung der Kirche großenteils zerstört wurde. Die Ruine wurde gesichert, so daß 1956-58 und 1980-82 umfangreiche Ausgrabungsarbeiten vorgenommen werden konnten, denen wir die Rekonstruktion des romanischen Grundrisses von St. Nikolai und die Entdeckung eines vorromanischen Friedhofes verdanken.
1981 wurde mit dem Wiederaufbau begonnen, in dessen Verlauf die Nikolaikirche ihre mittelalterliche Innenraumfassung zurück erhielt. 1987, zur 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin, konnten die Restaurierungsarbeiten abgeschlossen und die Kirche ihrer neuen Nutzung als Museum übergeben werden.
Die Berliner Nikolaikirche war über die Jahrhunderte ein historischer Ort des religiösen und weltlichen Lebens der Stadt. 1539 wurde sie Zeugin der Reformation: Die erste lutherische Predigt fand vor der offiziellen Anerkennung durch den Landesherrn am 14. September statt, am 2. November gab es das erste offizielle lutherische Abendmahl.
Ein Jahr später gewährte der Küster der Nikolaikirche gegen kurfürstliches Verbot Hans Kohlhase Unterkunft. 1657 bis 1666 wirkte Paul Gerhardt als Prediger hier, bis er als Gegner der vom Kurfürsten angestrebten Kirchenunion Berlin verlassen mußte.
Der Begründer des Pietismus, Philipp Jacob Spener, versah ab 1690 seinen Dienst als Propst an St. Nikolai und wurde 1705 an seinem Wirkungsort bestattet. Die Kirche erweist sich - bedenkt man die vielen zerstörten Grabmäler - als Berliner Grabstätte ersten Ranges. 1694 fand auch der Hofhistoriograph Samuel von Pufendorf hier seine letzte Ruhestätte.
Neueren Datums ist die Einsegnung der ersten Stadtverordneten Berlins im Jahr 1809.
Literatur:
Julius Kurth: Die Altertümer der St. Nikolai-, St. Marien- und Klosterkirche zu Berlin, Berlin 1911, S. 6-70.
Heinz Seyer: Berlin im Mittelalter. Die Entstehung der mittelalterlichen Stadt, Berlin 1987, S. 30-46.
Ernst Badstübner: Nikolaikirche Nikolaiviertel Berlin, Regensburg 1999.
Berlin und seine Bauten Teil VI, Sakralbauten, hg. vom Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin, Berlin 1997.
Gerhild H. M. Komander 7/2004
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