Villa – Repräsentationssitz – Forschungslabor - Versteck:
Carl Friedrich von Siemens und der Heinenhof

Von Dr. Frank Wittendorfer, Siemens AG

Nach den Plänen von Otto March ließ sich Carl Friedrich von Siemens zwischen 1909 und 1910 den sogenannten „Heinenhof“ errichten. Als eines der prächtigsten Anwesen am Lehnitzsee bei Neu Fahrland erfüllte das Herrenhaus mit seinen ausgedehnten Nebengebäuden mehrere Funktionen: es war zunächst klassische Unternehmervilla und repräsentative Kulisse für geschäftliche Veranstaltungen des „Chefs des Hauses Siemens“ zugleich, bis es nach dem Tod des Hausherrn im Jahr 1941 die aus Siemensstadt verlagerte Forschungs- und Entwicklungsabteilung aufnehmen mußte und zu Kriegsende Zufluchtstätte für Teile des Siemens-Vorstands war, der dort schließlich von russischen Truppen verhaftet wurde. Lassen Sie mich Ihnen nachfolgend das Anwesen und seinen Bewohner vorstellen und einen Blick werfen auf die Planung und den Bau der ausgedehnten Anlage sowie auf die vielfältigen Rollen, in denen sie seinem industriellen Besitzer dienen mußte.

Erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entdeckten wohlhabende Berliner und Potsdamer die herrliche Umgebung an den Ufern des Lehnitz- und des Weißen Sees bei Neu Fahrland für sich und errichteten dort die ersten Villen in – wie man heute sagen würde – absoluter Bestlage. Die soziale Durchlässigkeit des sich hier etablierenden Bevölkerungssegments dürfte nicht eben sehr groß gewesen sein. Man befand sich in guter Gesellschaft. Zu den ersten herrschaftlichen Häusern zählte neben dem Heinenhof das „Haus Lehnitzsee“ des preußischen Generalleutnants Max von Diringshofen, das später von Prinz Sigismund von Preußen erworben wurde, sowie die Sommervilla von Hotelier Louis Adlon.

Wenn man das Alter und die Position, die der Bauherr bis dahin im Unternehmen erlangt hatte, dem Ausmaß, ja dem Übermaß und der gewaltigen Größenordnung des Landsitzes gegenüber stellt, so ergibt sich ein nicht ganz erklärbarer Kontrast, der sich erst in späteren Jahren auflösen sollte. Als Carl Friedrich von Siemens die Überlegungen zum Bau eines so weitdimensionierten Landhauses anstellte, 1908, war er erst 36, als er es bezog, 1910, war er 38 Jahre alt. Mit gutem Grund konnte er zwar davon ausgehen, eines Tages die Gesamtleitung des Geschäfts zu übernehmen, doch zum Zeitpunkt der Planungs- und Bauphase war dieser Fall längst noch nicht eingetreten und Carl Friedrich erst Leiter der Auslandsabteilung. Künftig oberste Führungspositionen einnehmen zu können schien ihm ungeachtet dessen ziemlich sicher, bereits im Vorfeld über eine entsprechende repräsentative Kulisse zu verfügen schien ihm geradezu notwendig zu sein. Wer war der Bauherr?

Carl Friedrich, 1872 geboren, war der jüngste von drei Söhnen des Unternehmergründers Werner von Siemens. Seine beiden Brüder Arnold, Jahrgang 1853, und Wilhelm, Jahrgang 1855, sowie sein Onkel Carl, ein Bruder von Werner von Siemens, hatten seit 1890 die Gesamtleitung der Siemens-Unternehmen inne. Carl Friedrich, deutlich jünger, war nach verschiedenen Studienaufenthalten 1899 in das Berliner Geschäft von Siemens & Halske eingetreten, in dem er nach dem Tod des Vaters gemäß testamentarischen Bedingungen inzwischen Mitinhaber geworden war. Um in dem bereits seinerzeit stark international ausgerichteten Unternehmen Auslandserfahrungen zu sammeln, übernahm er 1901 eine Leitungsfunktion bei Siemens Brothers in London.

Während seiner Londoner Zeit bewohnte Carl Friedrich mit seiner Familie „Coombe House“, bei Kingston, nicht weit weg von London und trotzdem in ländlicher Umgebung gelegen. Rasch hatte er die Vorzüge eines englischen „Manor House“ kennengelernt, also eines Herrenhauses, eines historischen, durchaus befestigten, ehemals adligen Landsitzes, und verfolgte ernsthaft den Gedanken an die Errichtung eines ähnlichen Anwesens nach seiner Rückkehr nach Deutschland, die sich seit 1907 abzuzeichnen begann. Eine wenn auch noch so großzügige Etagenwohnung kam nicht ansatzweise in Betracht und überdies verfügte ja auch jeder seiner Brüder über eine angemessene Liegenschaft. Arnold besaß ein aufwendiges Bauwerk in der Kolonie Alsen am Kleinen Wannsee, Wilhelm hingegen das Rittergut Biesdorf im Osten von Berlin, ein räumlich sehr ausgedehnter Besitz, dem eine landwirtschaftliche Domäne angeschlossen war und das sogar Platz genug ließ, um eine drehbare Halle zur Beherbergung von Luftschiffen aus Siemens-eigener Produktion zu errichten.

Kurze Zeit nach der schließlich 1908 erfolgten Rückkehr nach Berlin bemühte sich Carl Friedrich um die unmittelbare Umsetzung des noch in London gefaßten Beschlusses und begann mit der Suche nach einem geeigneten Grundstück, das unterschiedlichen Ansprüchen genügen sollte: zum einen war neben generöser Weitläufigkeit eine unmittelbare Wasserlage wünschenswert, zum anderen wurde Wert gelegt auf eine gute verkehrstechnische Anbindung an die Siemens-Betriebe in Berlin und vor allem an die zu der Zeit im Entstehen begriffene und stark wachsende Siemensstadt, die den künftigen Verwaltungssitz beherbergen und von wo aus Carl Friedrich dereinst schalten und walten sollte.

Auf Streifzügen im Gebiet der Havelseen nördlich von Potsdam hatte Carl Friedrich schließlich in der Gemarkung Nedlitz eine großteils mit Wald bestandene 12 Hektar große Halbinsel, das Stinthorn, entdeckt. Das Gelände, eingerahmt von Krampnitz- und Lehnitzsee, war Teil des sogenannten Heinenholzes, nach dem das Anwesen letztlich benannt wurde, unterstand der königlichen Domänenverwaltung und wurde von der königlichen Oberförsterei bewirtschaftet.

Die Kaufverhandlungen gestalteten sich sehr zäh, da sich die Bereitschaft sowohl der Gutsverwaltung wie der Forstbehörde zum Verkauf als vorläufig nicht sehr groß erwiesen hatte. Nachbarschaftliche Einsprüche, schrittweise preistreiberische Erhöhung des Kaufpreises und eine Reihe unangenehmer Auflagen gestalteten den Grunderwerb nicht gerade zu einem freudigen Kauferlebnis. Erst nachdem Carl Friedrich der Erstellung einer öffentlich nutzbaren Zufahrtsstraße eingewilligt und seine Vermögensverhältnisse zur Sicherung der beträchtlichen Erschließungskosten offengelegt hatte, konnten sich die Parteien Mitte 1909 endlich beim Notar einfinden.

Nach dem Kauf des Grundstücks begannen umgehend die Projektierungs- und Baumaßnahmen für die „Herrschafts- und Wirtschaftsgebäude in Neu Fahrland“, deren Errichtung durch Bauschein vom 24. Juli 1909 behördlicherseits genehmigt worden war.

Die Realisierung seiner fest umrissenen Wunschvorstellungen fand Carl Friedrich durch den Berliner Architekten Otto March am ehesten gewährleistet. Er, der sich einen Namen als Architekt großbürgerlicher Auftraggeber gemacht hatte und seit den 1890er Jahren als Exponent der als fortschrittlich angesehenen englischen Landhausarchitektur galt, wurde mit der Planungen und deren Ausführung beauftragt, während Karl Janisch, seines Zeichens Siemens-Hausarchitekt und dort verantwortlich für Planung und Ausführung sämtlicher Werksbauten, die zu erbringenden Ingenieurleistungen für die Erschließung der Landzunge sowie die Bauleitung in seine Hände gelegt sah.

Die Arbeiten vollzogen sich mit beachtlicher Geschwindigkeit, denn nur zehn Monate nach erteilter Baugenehmigung, im März 1910, unterzog die Baubehörde den riesigen Komplex einer Besichtigung, äußerte gegen die Inbetriebnahme keine Bedenken, und fand – Zitat – „sich auch sonst nichts (Negatives) zu erinnern“, so daß die Familie im Mai 1910 einziehen konnte.

Über die architekturgeschichtlichen Aspekte des Heinenhofes hat bereits Angelika Rülicke eine Arbeit vorgelegt und zugleich auch eine detaillierte Baubeschreibung vorgenommen. Der Heinenhof durfte als Ergebnis einer gelungenen Zusammenarbeit gelten zwischen einem Bauherrn, der seine erhöhten Wohn- und Repräsentationsansprüche plastisch mit viel Vorstellungskraft zu formulieren wußte, und einem Planer, der sich tief in die Lebenskultur und den daraus erwachsenden Ansprüchen eines Industriellen eindenken konnte.

So war ein Ensemble entstanden, das 1.) in seiner Naturbelassenheit und mit seinen Sportmöglichkeiten dem Naturliebhaber, Tierfreund, Segler und Tennisspieler Carl Friedrich Siemens den gewünschten Rahmen zu privater Entfaltung bot. Ein in den Park eingebetteter Sportboothafen samt Bootshaus und mehrere Tennisplätze bildeten ideale Voraussetzungen zur sportlichen Betätigung. Die von Heinrich Buchacker gestalteten Gartenanlagen mit einem zu Spaziergängen einladenden Wegenetz dienten ebenso dem Rückzug und der Erholung des Hausherrn wie eine Rosengartenanlage oder der zu Füßen des Haupttrakts liegende Rasenpark. Für den vielfältigen Tierbestand auf dem Heinenhof, an dem Carl Friedrichs besonderes Verhältnis zu Tieren abzulesen ist, wurden im Lauf der Zeit umfangreiche Einrichtungen geschaffen. Insbesondere nach der zweiten Eheschließung, nämlich mit Margarete Heck, der Tochter des damaligen Berliner Zoodirektors, verstärkte sich diese Tendenz durch die Anlage von Hühnerfarm, Wildgehege und Schildkrötenvivarium. - Ein eigener Hundefriedhof übrigens diente den treuen Gefährten als letzte Ruhestätte.

Es war zudem ein Komplex errichtet worden, der 2.) über alle erforderlichen und denkbaren infrastrukturellen Einrichtungen der Zeit zur Versorgung und Aufrechterhaltung eines privat wie gesellschaftlich verfeinerten Großhaushaltes verfügte. Die Ernennung von Carl Friedrich noch während der Planungsphase, nämlich im Jahr 1909, zum Mitglied des Vorstands der Siemens-Schuckertwerke GmbH, deutete unmißverständlich auf seinen künftigen Verantwortungsbereich und die zu erwartenden Führungsaufgaben mit ihren umfangreichen repräsentativen Verpflichtungen hin. Mit kalkulierender Vorausschau wurde dem Herrenhaus, dessen Nordteil hotellerie-ähnliche Küchen- und Anrichteräume barg, ein Wirtschaftshof mit Pferdeställen, Futter- und Getreidekammern, Remisen, Garagen und Werkstätten zur Seite gestellt, der es in seinen Abmessungen noch weit übertraf. Der Schar der Hausangestellten standen funktionsbezogene Wohnmöglichkeiten zur Verfügung: Gärtnerhaus, Pförtnerhaus, Dienerhaus, Maschinistenwohnung sowie Wohneinheiten für weiteres Personal. Daß die zum komfortablen Wohnen erforderlichen elektrischen Geräte nur aus dem eigenen Unternehmen stammen konnten, mußte sich von selbst verstehen: eine zentrale Staubsaugeranlage, ein Personenaufzug, eine hauseigene Fernsprechanlage mit 12 Nebenstellen sowie eine eigene Licht- und Kraftanlage bildeten nur einen Teil der neuzeitlichen Ausstattung.

Mit einem Wort: man war darauf vorbereitet, dereinst ohne Probleme und in voller Erfüllung, ja Übertreffung der gesellschaftlichen Erwartungen, mehrere Dutzend, ja eine dreistellige Anzahl von illustren Gästen aus Wirtschaft und Politik zu regalieren. Dabei wurde Wert auf ein gewisses Maß an Autarkie gelegt: eine 13.000 qm große Gärtnerei mit insgesamt 700 qm Gewächshäusern lieferten hinreichend Obst und Gemüse; das Pumpenhaus garantierte mit seinen zwei Tiefbrunnen stets die Frischwasserversorgung.

Beinahe wäre die Idylle solcher Hofhaltung empfindlich gestört worden, als der Kreis Osthavelland angesichts der drastischen Wohnungsnot zu Beginn der 1920er Jahre auch bei Carl Friedrich die „Hergabe von überschüssigem Wohnraum“, wie es hieß, auf dem Heinenhof forderte. Nur durch die Stiftung des stattlichen Betrags von 61.000 Mark zum Bau von Gemeindewohnungen außerhalb des Heinenhofs konnte der Hausherr die Ansprüche der öffentlichen Hand abgelten, den Einzug ungebetener Bewohner abwenden und die Durchführung von Zwangsmaßnahmen verhindern.

Als Höhepunkt in der Folge der glanzvollen Bewirtungen, für die der Heinenhof angemessene Kulisse abgegeben hatte, darf die Zweite Weltkraftkonferenz, die im Jahr 1930 in Berlin stattfand, gelten, zu der sich hochrangige Experten aus dem Bereich der Energieerzeugung und -verteilung zusammengefunden hatten. Freilich bot der Heinenhof nicht genügend Raum, um alle 4.000 internationalen Tagungsteilnehmer aufzunehmen, doch verstand es Carl Friedrich von Siemens geschickt, die 400 maßgeblichsten und einflußreichsten Repräsentanten der Energietechnik für ein Gartenfest zu sich zu bitten. „Das Hohe Lied der Kraft“ – so war dann schließlich auch der Dokumentarfilm über den Verlauf der Konferenz betitelt, der Carl Friedrich umgeben von seinen illustren Gästen zeigt, unter denen sich unter anderem auch Oskar von Miller, der Begründer des Deutschen Museums, befand. Als „Chef des Hauses Siemens“, der er 1919 durch die Übernahme des Vorsitzes der Aufsichtsräte sowohl von Siemens & Halske als auch der Siemens-Schuckertwerke geworden war, verantwortlich für eines der größten Unternehmen der Elektroindustrie mit weltweit 113.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 800 Millionen RM, konnte es sich Carl Friedrich nicht zuletzt vor dem Hintergrund der gerade einsetzenden Weltwirtschaftskrise kaum leisten, auf eine solche Gelegenheit zu verzichten, sein Netzwerk auszubauen und Siemens als den kompetenten Partner in allen Fragen rund um die Elektrotechnik darzustellen. Dazu kam, daß er den Anspruch von Siemens als innovativem Unternehmen gerecht zu werden versuchte durch die enge Fühlungnahme mit den anwesenden Wissenschaftlern und Forschern.

Ähnliche Inszenierungen mit ihrem politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichem Charakter und ihrem zur Schau gestellten und eingeforderten Führungsanwartschaft waren dieser brillantesten vorausgegangen, einige weitere sollten folgen. Oft gingen Staatsoberhäupter mit ihren Wirtschaftsdelegationen im Gefolge auf dem Heinenhof ein und aus. Für deren Wohl und für einen würdig-harmonischen Gesamtrahmen sorgte übrigens seit 1923 Carl Friedrichs Schwester Hertha, die sich nach dem Tod ihres Ehemanns auf den Heinenhof begab, um dort fortan die Leitung des Haushalts zu übernehmen. In diesem Sinne waltete auch Carl Friedrichs zweite Ehefrau Margarethe, die er 1929 geehelicht hatte. Sie widmete sich repräsentativen Aufgaben, die zu erfüllen für die Betreuung der internationalen Gästeschar erforderlich war. Mit Recht schließlich durften diese einen dem äußeren Rahmen des Hauses entsprechenden Empfang erwarten. Den Mittelpunkt hatte eine Hausherrin zu bilden, die zu jeder Zeit den verschiedenen Situationen gewachsen war und für die es eine Selbstverständlichkeit war, das zur Bedienung der Besucher erforderliche Personal, das bisweilen 250 Kräfte umfaßte, zu beaufsichtigen und anzuleiten.

In den weiteren 1930er Jahren fanden sich immer weniger Anlässe, die erlauchtes Publikum auf den Heinenhof führten. Mit den Nationalsozialisten und deren unflätigem Umfeld mochte sich der Hausherr nicht arrangieren: politisch teilte er ihre Ansichten nicht, gesellschaftlich versuchte er Kontakte nach Möglichkeit zu vermeiden. Der beginnende Krieg schränkte mit der Bewirtschaftung von Lebensmitteln die bislang geübte Art von Lebensführung ohnehin in unerfreulichem Maß ein, wenn er sie schließlich nicht ganz unmöglich machte; auch Dienstpersonal war ja nicht mehr zu bekommen. Die alten Zeiten hatten aber nicht nur damit ein abzusehendes Ende gefunden. Carl Friedrich von Siemens fand seit den ausgehenden 1930er Jahren seine Gesundheit zunehmend angegriffen, zurückzuführen neben anderen Ursachen auf die ausgesprochen hohe Arbeitsbelastung, der er unablässig und pausenlos ausgesetzt war, wohl aber auch auf die seelischen Spannungen, die die untragbaren politischen Verhältnisse in Deutschland in ihm auslösten.

Nach seinem frühen Tod im Alter von 69 Jahren am 9. Juli 1941 war den Erben das Anwesen zu groß und angesichts der unsicheren Zeiten auch zu kostspielig und aufwendig geworden. Da Carl Friedrich von Siemens überdies bereits zu Lebzeiten Verkaufsverhandlungen geführt hatte – noch 1941 hatte er das Hofgut Fremersberg bei Baden-Baden als Ruhesitz erworben –, schloß sein Sohn Ernst von Siemens, später Vorstandsmitglied und Aufsichtsratvorsitzender der Siemens & Halske AG, mit dem Unternehmen wenige Tage nach dem Tod des Vaters, am 15. Juli 1941, einen entsprechenden Vorvertrag über den Verkauf des Komplexes zur Schaffung von, wie es hieß, „Einrichtungen für Laboratoriums- und Versuchszwecke zu Erledigung dringender militärischer Aufgaben“.

Eine günstige Gelegenheit, ein Schnäppchen, war der Heinenhof für die Siemens & Halske AG nicht, auch veräußerten ihn die Erben nicht zum Freundschaftspreis. Die Preisschätzungen bewegten sich verschiedentlich zwischen 2,5 und 4,5 Millionen Reichsmark, bis nach einigen Streitereien nicht zuletzt mit dem staatlichen Preiskommissar durch notariellen Kaufvertrag am 12. Juni 1942 3,1 Millionen RM erlöst wurden. Das wären heute immerhin 15 Millionen Euro.

Im Zeichen der sich langsam abzeichnenden Luftangriffe auf Berlin und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit, wichtige Fertigungen und Forschungseinrichtungen aufs Land zu verlagern, kam Siemens der Verkaufswunsch der Familie nicht ungelegen. Man konnte noch vor Abschluß der Verkaufsverhandlungen im November 1941 Einzug halten und dort ein Entwicklungszentrum für Versuchsarbeiten auf dem Gebiet der Radartechnik errichten unter dem klangvollen Namen „Forschungsstätte Carl Friedrich von Siemens. Der Heinenhof“. In der Folgezeit gab es zahlreiche Überlegungen, andere, ebenfalls als „kriegswichtig“ eingestufte Abteilungen hier unterzubringen, zu denen auch das Laboratorium für Wasserschall zählte, das 1943 seinen Betrieb auf dem Heinenhof aufnahm mit der Aufgabe, Meßversuche auf den um den Heinenhof gelegenen Seen durchzuführen. Weitere Forschungsabteilungen fanden ebenfalls Zuflucht um ungestört ihre Experimente betreiben zu können, die sich hinter phantasievollen Bezeichnungen verbargen wie „Alpenspitze“, „Eibsee“ oder „Y-Anlage“. Zur Unterbringung der erforderlichen Arbeitskräfte errichtete man eilends ein Barackenlager, so daß der ursprünglichen Auflage der Behörde beim Übergang des Heinenhofs von der Familie auf das Unternehmen, nämlich den Waldcharakter des Anwesens unversehrt zu erhalten, kaum mehr entsprochen wurde. Auch die Anlage von Splittergräben wirkte nicht verschönernd. Weitere Behelfsheime wurden im Ort errichtet.

Zu Kriegsende sollte der Heinenhof noch einmal eine besondere Rolle spielen. Als am 20. April 1945 der Betrieb in Siemensstadt eingestellt wurde, konnte Heinrich von Buol, Vorsitzender des Vorstands der Siemens & Halske AG, nicht mehr zu seiner in Frohnau gelegenen Wohnung zurück, da dieser Vorort bereits in der Kampfzone lag. Zusammen mit seinem Hans Kerschbaum, stellvertretendes Vorstandsmitglied, suchte er der befürchteten Verhaftung in Siemensstadt zu entgehen und flüchtete auf den Heinenhof. Kerschbaum hatte nämlich beim Verkauf 1941 das aus der Verkaufsmasse herausgelöste Gärtnerhaus für sich erworben und somit Zugang zu dem Anwesen. Als die Russen den Heinenhof einige Tage später schließlich besetzten, mußten sie angesichts der vorhandenen Laboreinrichtungen in den beiden Anwesenden hochkarätige Wissenschaftler vermuten, deren Fachwissen für die Sowjetunion zunutze gemacht werden sollte. Im Anschluß an die Verbringung nach Moskau kam es bei Buol zu einer unnötigen Kurzschlußreaktion. Er zerbiß eine mitgeführte Säurekapsel aus Angst vor deren Entdeckung und wohl auch aus Furcht davor, entweder verurteilt zu werden oder als Wissensträger für die Sowjetunion arbeiten zu müssen. Wie falsch er die Lage eingeschätzt hatte, zeigt die Tatsache, daß sein Kollege Kerschbaum kurze Zeit später wieder nach Berlin zurückgeflogen und freigelassen wurde.

Damit endet die Zeit, in der der Heinenhof für die Familie bzw. das Unternehmen Siemens eine Bedeutung besaß.
Zwar stellte die Siemens & Halske AG bereits im Juni 1945 beim Gewerbeaufsichtsamt Potsdam den Antrag auf Wiederzulassung des Heinenhofs als Forschungsinstitut zur Entwicklung von Fernsehgeräten, dem wurde jedoch nach Belegung mit russischen Truppen im gleichen Monat nicht entsprochen. Eine Zeit lang fungierten die Baulichkeiten als Lazarett für sowjetische Soldaten, seit 1952 – nach vorangegangener Enteignung – als Lungenheilanstalt „Heinrich Heine-Sanatorium“ der Sozialversicherungsanstalt des Landes Brandenburg. Nach der Wende erhielt die Familie Siemens den Heinenhof zurück, bis er im Jahr 2000 für 14 Millionen DM an den Immobilienhändler Jagdfeld verkauft wurde. Der neue rigorose Besitzer obsiegte in einem Streit mit der ortsansässigen Bevölkerung, die einen öffentlichen Spazierweg am Strand wünschte, und ließ das für private Wohnzwecke erworbene Areal vollständig umzäunen und damit für die Öffentlichkeit unzugänglich machen. Damit scheint sich der Kreis geschlossen zu haben und der Heinenhof wieder zu dem geworden zu sein, was er einmal war.