650 Jahre Mahlsdorf
Von Harald Kintscher und Dieter Winkler
Es mag gegen Ende des Jahres 1344 oder zu Beginn des Jahres 1345 gewesen sein, dass der Ritter Thyle Ryteling den Ort Malterstorp auf dem Barnim an den Ritter Otto von Kethelitz verkauft hat. Jedenfalls am 25. Januar 1345 bestätigte der damalige Markgraf Ludwig d. Ä. diesen Handel in einem Schriftstück und übertrug den Ort mit allen Rechten und Pflichten an Otto von Kethelitz. Dies ist der erste überlieferte urkundliche Nachweis von der Existenz unseres heutigen östlichsten Berliner Ortsteils Mahlsdorf.
Gegründet wurde der Ort jedoch zumindest einhundert Jahre zuvor im Zuge der Eroberung und Besiedlung des Barnims durch die Askanier bzw. Wettiner, die im Jahre 1209 im nahen Köpenick nachgewiesen sind, Zeugnis von der früheren Ortsgründung gibt heute noch die alte Pfarrkirche in der jetzigen Hönower Straße, deren Kirchenschiff um die Mitte des 13. Jahrhunderts errichtet sein muß. In einem späteren Dokument, dem Landbuch Karls IV. aus dem Jahre 1375, wurden Otto und Rüdiger von Falkenberg "seit Alters" als Herren von Malsterstorf, wie es hier bezeichnet wurde, genannt.
Mahlsdorf war damals ein Dorf mit 50 Hufen Land, von denen fünf zum Hof der Falkenbergs gehörten und vier dem Pfarrer. Außerdem wurden ein Krug und 19 Kossäten erwähnt. Von 20 Hufen gingen Pacht und Zins an den Gutsherrn von Dahlwitz, Johann Belitz, von den Falkenbergs noch Gefälle an eine Berliner Bürgerin namens Katharina Frankfurts.
Angelegt war Mahlsdorf, wie viele Dörfer in den neuen Ostgebieten, als Straßendorf. Der heutige Straßenzug Hönower Straße - Hultschiner Damm, begrenzt im Norden von der Pestalozzi- und im Süden von der Elsenstraße, dürfte auf die ursprüngliche Dorfstraße zurückgehen. Gleichzeitig führte die alte Verbindungsstraße zwischen Berlin und Frankfurt/Oder über einen Teil der alten Dorfstraße.
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts hatten sich im Ort zwei Gutswirtschaften herausgebildet, deren Eigentümer durch Kauf und Verkauf aber mehrfach wechselten. Nach der Vereinigung der beiden Gutswirtschaften unter der Familie Grieben (an Gertrud Grieben erinnert ein Grabstein aus dem Jahre 1579 in der alten Mahlsdorfer Kirche) erwarb 1573 zunächst "wiederverkäuflich", 1575 "erblich" und schließlich 1583 lehnsrechtlich verbrieft der kurbrandenburgische Kanzler Lampert Distelmeier (gelegentlich auch Distelmeyer geschrieben) das Gut. Aus der Zeit seines Sohnes und Nachfolgers als Gutsherr stammt noch ein Epitaph im Altarraum der alten Pfarrkirche in Mahlsdorf mit dem Familienwappen.
Im Dreißigjährigen Krieg wurde Mahlsdorf, wie viele seiner Nachbarorte, mehrfach heimgesucht und verwüstet. Der für den ganzen Barnim und die Mark Brandenburg verzeichnete Bevölkerungsrückgang traf auch Mahlsdorf. Anstelle von 12 besetzten Bauern- und 14 Kossätenstellen im Jahre 1624 fanden sich 1852 nur drei Bauern und drei Kossäten. Zwischenzeitlich soll Mahlsdorf sogar völlig wüst gewesen sein. In der Phase des Landesausbaus nach dem Dreißigjährigen Krieg ging das Gut 1676 in kurfürstlichen Besitz über und wurde ein Vorwerk des Amtes Köpenick bzw. später des Amtes Mühlenhof. 1696 gab es in Mahlsdorf zehn Bauern und vier Kossäten.
1753 wurde unter Friedrich II. am Südostzipfel der Mahlsdorfer Feldmark die Kolonie Kiekemal gegründet. Einwanderer aus Württemberg siedelten sich dort an. Allerdings blieb diese Einwandererkolonie mit nie mehr als sechs Feuerstellen und 55 Einwohnern vergleichsweise klein. Bis 1911 gehörte sie zum Gut Dahlwitz und wurde erst im Zuge der Parzellierung und Besiedlung der südlichen Mahlsdorfer Feldmark nach Mahlsdorf eingemeindet.
Im Ergebnis der preußischen Reformen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zur Verpachtung und 1821 zum Verkauf des königlichen Vorwerks an den Kaufmann und Fabrikanten Johann Friedrich Kaapke. Aus dem Vorwerk wurde ein selbständiges Rittergut. Nachdem im Jahre 1816 bereits die Separation der zum Vorwerk gehörenden Flächen durchgesetzt worden war, erfolgte reichlich zehn Jahre später die Separation des Grund und Bodens für die Mahlsdorfer Bauern.
Mit der gleichzeitig vollzogenen Ablösung der Bauern von den Feudallasten entstanden somit unabhängig voneinander wirtschaftende landwirtschaftliche Betriebe, was zugleich mit einer stärkeren sozialen Differenzierung im Dorf verbunden war. 1891 erfolgte schließlich die Wahl der ersten Gemeindevertretung.
Das Gut nahm eine für viele ostelbische Rittergüter typische Entwicklung, vergrößerte seinen Landbesitz, betrieb bald mit zwanzig Tagelöhnerfamilien eine umfangreiche Pflanzenproduktion, intensive Milchwirtschaft und ausgedehnte Schafhaltung, die allerdings im Jahre 1908 eingestellt wurde, sowie eine gutseigene Spiritusbrennerei. Unter den Rittergutsbesitzern zu nennen ist vor allem der jüdische Kaufmann Hermann Lachmann, der das Gut 1869 erwarb, das bereits um 1780 errichtete Gutshaus rekonstruieren und im Stil der Zeit modernisieren sowie einen Gutsgarten anlegen ließ. 1880 kaufte Hermann Schrobsdorff das Gut und ließ den Gutsgarten zu einem repräsentativen Park umgestalten.
Die nach seinem Tod das Rittergut weiterführende Witwe Renate Schrobsdorff, eine Nichte des Dichters Friedrich Rückert, förderte die Entwicklung des Ortes, stellte u.a. Land und finanzielle Zuschüsse für die Errichtung eines Haltepunktes an der Königlichen Ostbahn zur Verfügung, die seit 1867 die Mahlsdorfer Flur durchquerte, und setzte sich für die Schaffung einer Straßenbahnverbindung zwischen den Vorortbahnhöfen Köpenick und Mahlsdorf ein. Nach ihrem Tod im Jahre 1908 wurde 1912 der bisher selbständige Gutsbezirk in die Landgemeinde Mahlsdorf überführt.
Seit Mitte der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts geriet Mahlsdorf immer stärker unter den Einfluß der sich nach der Reichsgründung 1871 weit in das Umland ausdehnenden Reichshauptstadt Berlin. Die 1895 erfolgte Eröffnung des Haltepunktes Mahlsdorf an der Ostbahn sowie die Einweihung der Straßenbahnlinie (1907) beförderten diesen Prozeß ungemein. Zwischen 1895 und 1900 stieg die Einwohnerzahl von 850 auf 1054, bis 1905 auf 2107 und bis 1910 auf 3891. Mit der Parzellierung vieler landwirtschaftlicher Flächen ging eine rege Bau- und Siedlungstätigkeit einher.
Im Norden und Osten des alten Dorfkerns, insbesondere in der Bahnhofsgegend entstand ein neues vorstädtisches Wohn- und Geschäftsviertel und damit ein neues Ortszentrum. Die ersten Wohn- und Siedlungshäuser, ja auch einige Villen entstanden ebenso in den Weiten der Mahlsdorfer Feldmark, insbesondere an der Grenze zur Köpenicker Gemarkung. Vielfach neu entstehende Gaststätten orientierten sich zugleich auf Berliner Ausflügler. Mehr als 40 Gartenbaubetriebe versorgten den Berliner Osten mit Gemüse, Obst und Blumen. 1905 entstand auch eine Nutzgeflügelmastanstalt. Aus einem reinen Guts- und Bauerndorf entwickelte sich Mahlsdorf in historisch kurzer Zeit zu einem Wohn- und Siedlungsvorort Berlins und bemerkenswerten Gewerbestandort, der allerdings noch längere Zeit, wenn auch mit abnehmender Tendenz, von der Landwirtschaft mitgeprägt wurde.
Seit dem 31. Juli 1907 war Mahlsdorf wieder eine eigenständige Kirchengemeinde. 1904/05 wurde für die rasant gewachsene Schülerzahl ein neues modernes Schulgebäude errichtet, das im Jahre 1909 bereits erweitert werden mußte, und 1910/ 11 erbaute sich die aufstrebende Gemeinde ein repräsentatives Rathaus, das leider im Zweiten Weltkrieg zerstört worden ist. Vereine wie der 1898 gegründete Haus- und Grundbesitzerverein Mahlsdorf-Süd, der Sportverein "Eintracht", der Männerchor "Eintracht", beide bestehen heute noch, sowie der Theaterverein "Königstal" beförderten die Urbanisierung des ehemaligen Dorfes und formten das Bild regen gesellschaftlichen Lebens. 1905 folgte die Bildung eines sozialdemokratischen Wahlvereins und 1906 eines liberalen Bürgervereins als erste kommunalpolitische Organisationen.
Bei der Schaffung von Groß-Berlin 1920 wurde Mahldorf - es hatte mittlerweile (1919) 6118 Einwohner - Teil des Verwaltungsbezirks 17, Berlin-Lichtenberg. Nach der Inflation nahm die Bau- und Siedlungstätigkeit einen neuen Aufschwung. Hier ist insbesondere die 1920 gegründete Siedlungsgenossenschaft "Lichtenberger Gartenheim" zu nennen, die auf dem 1919 von der Stadt Lichtenberg erworbenen Rittergut 720 Parzellen in Mahlsdorf-Nord und 190 Parzellen in Mahlsdorf-Mitte schuf.
Unter maßgeblicher Betreuung durch den bekannten Architekten Bruno Taut und den späteren Stadtbaurat von Berlin, Martin Wagner, entstand seit 1924 eine größere Anzahl von Doppel- und Einzelhäusern, die vorwiegend Arbeiter- und Kriegsteilnehmerfamilien ein eigenes Heim ermöglichten. Weitere Siedlungen - Eichenhof in Mahlsdorf-Süd seit 1928/29 und Elsengrund seit 1933/34 - entstanden auf den vom Wasserwerk im Kaulsdorfer Busch trockengelegten ehemals feuchten Mahlsdorfer Wiesen südlich der Barnimkante. Mit der Errichtung eines neuen Bahnhofsgebäudes (1929-1931) und der Aufnahme des elektrischen Stadtbahnverkehrs (1930) konnte die Anbindung an das Berliner Stadtzentrum sowie an die anderen Berliner Bezirke wesentlich verbessert werden.
Auf Fotos aus der NS-Zeit drängen sich auch in diesem Teil des vormaligen "roten Ostens" von Berlin die Symbole und Erkennungszeichen des Regimes recht häufig ins Bild. In Vereinen und (nicht verbotenen) Organisationen wurden die Leitungsfunktionen zumeist durch NS-Aktivisten oder durch Mitläufer besetzt. Gleichzeitig gab es aber auch in Mahlsdorf zumindest bis Mitte der 30er Jahre einen nicht unbeträchtlichen Widerstand, insbesondere von seiten der Kommunisten. Aber auch noch später wurden Dokumente versteckt, Verfolgte verborgen.
Gleichzeitig wuchs die Wohnbevölkerung in Mahlsdorf auf 16.613 im Jahre 1933 und 19.744 im Jahre 1938. Das erforderte u. a. die Errichtung zweier Schulen, einer im nördlichen (1935-1937) und einer im südlichen Siedlungsgebiet (1937), der zwei Kirchenbauten, die Kreuzkirche 1936 in Mahlsdorf-Nord und das Theodor-Fliedner-Heim 1937 in Mahlsdorf-Süd, folgten.
Nach zahlreichen Zerstörungen durch den Bombenkrieg besetzte am 22. April 1945 die Sowjetarmee den Ort kampflos.
In den Jahren der DDR niemals ein "Zentrum des sozialistischen Aufbaus", blieb Mahlsdorf in den Jahren 1949 bis 1989 peripheres Wohn- und Siedlungsgebiet, und es fanden nur geringfügige strukturelle Verbesserungen statt: Neubau einer Schule, Ergänzungsbau einer weiteren, Errichtung einer Kinder- und Säuglingsstätte, zweier Kaufhallen, die jedoch die Auswirkungen langjähriger Mangel- und Kommandowirtschaft, der Behinderung privatwirtschaftlicher Initiativen kaum ausgleichen konnten. Fehlende Baumaterialien hemmten dazu notwendige Erhaltungsmaßnahmen an Wohn- und Geschäftshäusern sowie ebenfalls an öffentlichen Gebäuden.
Der Initiative und dem über Jahrzehnte nicht erlahmenden Einsatz von Lothar Berfelde bzw. Charlotte von Mahlsdorf ist es jedoch zu verdanken, dass das Mahlsdorfer Gutshaus bewahrt und in diesem Gebäude eine mittlerweile international bekannte Gründerzeitsammlung errichtet wurde. Die Einwohnerzahl Mahlsdorfs hatte sich seit Kriegsende wieder vermindert und belief sich im August 1990 auf 13.450.
Aus: "Mitteilungen" 3/1995
Anmerkung der Redaktion: Zur Kolonie Kiekemal gibt es ein neues Buch: Emmi Wegfraß: Die Geschichte von Kiekemal, Berlin: Selbstverlag o. J. (2003); Rezension von Gisela Langfeldt, in: "Mitteilungen" 3/2004.
Anmerkung vom 21. Januar 2023: Renate Schrobsdorff ist nach Feststellungen von Dr. Peter Bahl keine Nichte des Dichters Friedrich Rückert. Er verweist auf den Traueintrag ihres Vaters zu dessen Vater: Evangelisches Landeskirchliches Archiv Berlin, Kirchenbuch Neue Kirche Berlin, Trauungen 1836, S. 87, Nr. 82.
Martin Mende
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