Kirchhof der Parochialkirchen-Gemeinde
Von Klaus Hennig von Krosigk
Die Evangelische Parochialkirche bildet mit dem östlich der Kirche gelegenen kleinen Kirchhof noch immer ein höchst anschauliches Ensemble eines räumlichen, aber eben auch sozial-, kultur- und sepulkralgeschichtlichen Zusammenhanges von Kirche und Bestattungsort. Dieser tief im Mittelalter wurzelnde Zusammenhang manifestiert sich bei Parochial darüber hinaus in dem erhaltenen Gruftgewölbe, das mit seiner immer noch reichen Ausstattung an Särgen und Bestattungen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts das bürgerliche Pendant zur unvergleichlichen Hohenzollerngruft im Berlin Dom darstellt.
Die im Berliner Raum einzigartige Kirche wurde ab 1695 nach Plänen von Johann Arnold Nering (1659-1695) auf vierpassförmigem Grundriss als Zentralbau mit vorgeblendeter Vorhalle und einem von Säulen getragenen Portalrisalit mit Dreiecksgiebel errichtet. Da Nering schon kurz nach der Grundsteinlegung, am 21.Obtober 1695 starb, wurde der Bau von Martin Grünberg (1655-1707) vereinfacht fortgeführt und schließlich durch Philipp Gerlach (1679-1738) mit der Fertigstellung des Glockenturmes und schließlich, nach Plänen von Jean de Bodt (1670-1745), wohl um 1717 vollendet. Durch Kriegsverluste fehlen heute jedoch nach wie vor der die Klosterstraße einst beherrschende Glockenturm sowie eine Fassung des sich noch immer unverputzt präsentierenden überwältigenden Innenraumes.
Schon 1697 wurde an Kurfürst Friedrich III. (1688-1713) ein Antrag gerichtet, Beisetzungen zu gestatten. Die Einrichtung eines solchen Begräbnisplatzes zwischen der heutigen Kloster-, Parochial- und Waisenstraße erfolgte dann – nachdem das Gelände für Kirche und Kirchhof dem bekannten Chemiker und Glasmacher Johann Kunckel abgekauft worden war – ca. 1705. Bereits 1703 war es wohl schon zu ersten Beisetzungen in den insgesamt 30 Gruftkammern des kirchlichen Gruftgewölbes gekommen; so wurden prominente „Reformirte“, hohe und höchste Staatsbeamte, wie der königliche Hof- und Cammer-Gerichts-Rath von Stosch, der Geheime Staatsrat George von Berchem oder der Großkanzler Samuel von Cocceji in aufwendigen barocken Särgen bestattet.
Gerade in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens widerspiegelt das Gemeindeleben, aber auch die Beisetzung namhafter Persönlichkeiten des königlichen Hofes, aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, Rang und Bedeutung der für die reformierte Gemeinde Berlins errichteten Parochialkirche. So fungierten als „Ober-Vorsteher“ des Presbyteriums der Gemeinde bedeutende Persönlichkeiten des Staates, wie Eberhard von Danckelmann (1643-1722), Johann Kasimir Reichsgraf Kolbe von Wartenberg (1643-1712), Christian Freiherr von Bartholdi (1668-1714), der Geheime Staatsrat Wilhelm von Humboldt (1767-1835) oder der erste Oberbürgermeister Berlins, von Gerlach.
Zahlreiche kunst- und sepulkralgeschichtlich wertvolle Epitaphien aus dem 18. Jh. sind erhalten: für den Theologen und Gelehrten Ernst Jablonski, den Wirkl. Geheimen Etats-Rat Georg von Berchem oder den Geheimen Kammer- und Kirchenrat Scultetus von Unfried. Neben den barocken Epitaphien, zahlreichen gusseisernen Grabkreuzen sowie dem Obelisken-Grabmal „Möser“, verdient jedoch das Ädikula-, bzw. Tischgrabmal für Auguste Henriette Bock (1762-1845) besondere Beachtung, zumal es Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) selbst konzipiert und der „Architekt des Königs“ Friedrich August Stüler (1800-1865) ausgeführt hat. Es entstand um 1850 im Auftrag der jüngeren Geschwister des Königs, Alexandra (Charlotte), Kaiserin von Russland, Carl, Prinz von Preußen, Alexandrine, Großherzogin von Mecklenburg-Schwerin, Louise, Prinzessin der Niederlande, und Albrecht, Prinz von Preußen, die mit diesem Tischgrabmal ihrer verehrten Erzieherin, die nach dem frühen Tod der Königin Louise den Halbwaisen – wie es in der Grabinschrift heißt – „mütterliche Führerin und Freundin“ war, ein würdiges Grab-, bzw. Erinnerungsmal setzen wollten. Schon die erhaltene Federzeichnung des Königs bildet das spätere Wandgrab ab: einen tischähnlichen Grabüberbau, dessen Seiten von Rundbogenreihen umfangen werden und eine große hoch aufgerichtete Arkade an der Stirnseite, mit eingestelltem Kreuz, in dessen Mitte ein Medaillon mit Christuskopf eingelassen ist. Das aufwendige Grabmal wurde schließlich mit den Ausführungszeichnungen von Stüler 1850 von Steinmetzmeister Wimmel gefertigt und zwar in „dauerhaften Sandstein aus Warthau“, Kreuz und Inschrifttafel aus blaugrauem Kunzendorfer Marmor, das wertvolle Christusmedaillon hingegen aus Carrarer Marmor.
Auch wenn der eigentliche Kirchhof der Parochial-Gemeinde durch den Kirchbau, aber auch die unmittelbar an den Kirchhof anrainenden bürgerlichen und adligen Wohn- und Geschäftshäuser, das gemeindeeigene Wohn- und spätere Pfarrhaus an der Klosterstraße sowie das Hospital der Parochial-Gemeinde an der Straße Hinter der Stralauer Mauer (Waisenstraße) und die ursprünglich schmale Parochial-Kirch-Gasse (Parochialstraße) von Anfang an räumlich extrem beengt war, konnte nicht zuletzt durch Mehrfachbelegungen bis weit in das 19. Jh. hinein bestattet werden. In den Totenbüchern sind übrigens 5510 Begräbnisse sowie 239 Beisetzungen in den unterirdischen Gruftanlagen nachgewiesen. Erst am 1. Juli 1854 wurde der Kirchhof offiziell geschlossen, jedoch konnte weiterhin in bestehenden Erbbegräbnissen beigesetzt werden, wie dies u.a. auch fast zeitgleich vom Dorotheenstädtischen Friedhof bekannt ist. Eine der letzten Beisetzungen fand dann 1923 statt. Hinzuweisen ist auch auf die ursprünglich zahlreich vorhandenen Mausoleen mit Grüften, vorrangig an der östlichen Einfassungsmauer, die jedoch mit Ausnahme der Mausoleen Brink und dem Mausoleum Lehmann nach 1945 vollständig abgerissen wurden. In den 1880er Jahren kam es im Übrigen zu nicht unerheblichen Flächenreduzierungen. 1884-85 wurde der Kirchhof durch die Anfügung einer Sakristei und eines Konfirmandenzimmers – im Bereich der Außenmauern des Kirchenchores – verkleinert. Diese nach den Entwürfen von Heinrich Gustav Knoblauch (1833-1916) und Hermann Wex (1842-1887) im neobarocken Stil errichteten Anbauten wurden jedoch nach 1945 vollständig beseitigt. Zeitgleich wurde 1883 zur Verbreiterung der zwischen der Kirche und dem barocken, ab 1732 der Familie des „Außenministers“ Heinrich von Podewils gehörenden Palais ein 587 qm breiter Streifen Kirchhofsgelände an den Magistrat von Berlin verkauft, um die Parochialkirch-Gasse (Parochialstraße) deutlich zu verbreitern. Diese Maßnahme geschah vermutlich im Zusammenhang mit dem 1874 erfolgten Erwerb des Podewils-Palais durch den Magistrat und die von 1881-96 durchgeführten Erweiterungsbauten für unterschiedliche Magistratsdienststellen.
In den 1930 Jahren kam es auf dem Kirchhof zu weiteren, nicht unerheblichen Umgestaltungen, die insbesondere den Bereich zwischen Gemeindehaus und Kirchhof betrafen. Die dort bestatteten zahlreichen Leichen mussten folglich umgebettet werden.
Trotz erheblicher kriegs- und nachkriegsbedingter Veränderungen und Verluste, wie der wertvollen Grabgitter, stellt der Parochialkirchhof heute auch aufgrund zahlreicher Mausoleen und Gruftbauten des 18. und frühen 19. Jahrhunderts neben dem um 1712 angelegten Sophienkirchhof den einzigen noch erhaltenen barocken Innenstadtfriedhof im Zentrum Berlins dar. Wertvolle, bis 2002 umfassend restaurierte barocke Epitaphien, repräsentative, ebenfalls sorgfältig instand gesetzte gusseiserne Grabkreuze sowie erhaltene steinerne Grabmale, ebenfalls aus dem 19. Jh., zeugen noch immer vom sepulkralgeschichtlichen reichen Erbe des Parochialkirchhofes. Im Rahmen eines lottogestützten Restaurierungsprogramms konnte die Ende der 1990er Jahre begonnene Grundinstandsetzung des Kirchhofes, einschließlich der umfassenden Restaurierung des hochbedeutenden Mausoleums Lehmann, einem kostbaren Kleinbau aus der Schinkelnachfolge, im Jahr 2005 weitgehend abgeschlossen werden. Die ebenfalls Ende der 90er Jahre durch die Archäologie erfolgte grundlegende Erfassung des Sargbestandes ergab 21 vollständige Särge, drei Steinsarkophage und 45 Kindersärge, zudem noch 25 Sargober- und 28 Sargunterteile sowie 34 Ersatzsärge. Bei der bis 2003 erfolgten Neuaufstellung der gereinigten, teilweise restaurierten und neugeordneten Särge wurde ihre möglichst allseitige Zugänglichkeit berücksichtigt, zumal das Erscheinungsbild des jeweiligen Gruftraumes dem historischen Zustand wieder möglichst nahekommen sollte. Seit 2005 ist auch wieder der Besuch der Grüfte durch angemeldete Gruppen und an ausgewählten Tagen möglich, um hier die sepulkrale Beisetzungskultur des 18. und frühen 19 Jahrhunderts in situ zu erleben Trotz mancher Verluste präsentiert sich somit der grundlegend instand gesetzte Parochialkirchhof wieder in einem erstaunlich guten und restauratorisch vorzeigbaren Zustand.
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