Das „Alte Stadthaus“ und seine Rolle im Klosterviertel
Von Susanne Kähler


Zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtete Stadtbaurat Ludwig Hoffmann im Berliner Klosterviertel einen Bau, der es seit dieser Zeit städtebaulich dominiert und die an der Klosterstraße gegenüber liegende Parochialkirche buchstäblich in den Schatten stellt. Der knapp 80 m hohe Turm des „Alten Stadthauses“ markiert das Viertel innerhalb der Berliner Stadtsilhouette. Für den Bau des Stadthauses musste ab 1898 ein gesamtes mittelalterlich strukturiertes Häuserquartier mit 32 Einzelparzellen abgerissen werden, und bis heute wurde die Frage, wie sich dieses Gebäude am vorteilhaftesten in die städtebauliche Struktur eingliedern lässt, nicht abschließend geklärt.

In den vergangenen Jahren wurde dem Stadthaus viel Aufmerksamkeit zuteil, es sind zahlreiche Publikationen erschienen, die eine ausführliche Darstellung der Baugeschichte hier erübrigen. Dem Architekten Ludwig Hoffmann (1852-1932) wurde anlässlich seines 150jährigen Geburtsjubiläums eine Ausstellung im Märkischen Museum gewidmet. Das Stadthaus selbst war Ort eines Symposions und war aufgrund der umfangreichen Restaurierungsmaßnahmen zwischen 1994 und 2001, die den Einzug des Innensenators und des Landesdenkmalamts vorbereiteten, Gegenstand von Einzelpublikationen. In der von Wolfgang Schäche herausgegebenen Stadthausmonographie wird zusammen mit zahlreichen anderen Aspekten auch der weitgehende Rückbau der beim Wiederaufbau zwischen 1950 und 1955 bzw. 1960 vorgenommenen Veränderungen geschildert. Für den Außenbau wichtigster Punkt bei der Sanierung durch den Architekten Gerhard Spangenberg war die zunächst teilweise Wiederherstellung des Mansarddaches. Der teilweise zerstörte oder an teils entlegenen Stellen abgestellte Skulpturenschmuck am Innen- und Außenbau wurde nach und nach wieder hergestellt, bzw. an die ursprünglichen Plätzen zurückgebracht. Im bildlichen Sinne der „i-Punkt“ war dann 2004 die Wiederaufstellung der nach altem Modell und historischen Fotos rekonstruierten Fortuna-Figur auf goldener Kugel auf der Turmkuppel, geschaffen von dem Bildhauer Ignatius Taschner. Erst dadurch wurde die Silhouette wieder vollständig.

Zur Klärung der Bedeutung des Baus für die Stadt und für den städtebaulichen Kontext des Klosterviertels seien hier nur die wichtigsten Daten zusammengefasst. Bereits in den 1890er Jahren bestand für den Berliner Magistrat die Notwendigkeit, das zu klein gewordene, erst 1869 nach Plänen Waesemanns fertig gestellte Rote Rathaus durch einen zusätzlichen Bau für Verwaltungs- und Repräsentationszwecke zu ergänzen. Ludwig Hoffmann begann 1902 mit dem Bau des neuen Stadthauses, 1911 wurde es fertig gestellt. Die Vierflügelanlage auf trapezförmigen Grundstück mit dem schlanken überkuppelten Turm über der Frontfassade diente zur Unterbringung von 1000 Bediensteten und eines repräsentativen Festsaales. Beteiligt an der Ausschmückung waren die Bildhauer Ignatius Taschner, Josef Rauch, Wilhelm Widemann, Georg Wrba sowie Franz Naager. Der Italienkenner Hoffmann verarbeitete sichtbar seine künstlerischen Inspirationen bei der Gestaltung der Architektur des Stadthauses. So wird der Wandaufbau des Stadthauses auf Palladios Palazzo Thiene in Vincenza zurückgeführt.

Der Bau ist ausnehmend prächtig geraten. Eine diesen Umstand berührende Frage, die bei den Planungen zum Stadthaus von Anfang an von Interesse war, ist die nach dem hierarchischen Unterschied zwischen Rotem Rathaus und Stadthaus. Im Magistrat und in der Stadtverordnetenversammlung wurde diskutiert, welcher architektonische Aufwand einem zweiten Rathaus zugebilligt werden könne. Erwogen wurde die Möglichkeit, einen reinen Zweckbau für die Verwaltung zu errichten, der auf einem nicht allzu prominenten Grundstück gelegen war – die Rede war 1894 von einem Gelände zwischen Stralauer Straße und Spree.
Angesichts der ausgeführten monumentalen Stadthausfassade wird jedoch klar, dass Hoffmann nicht Willens gewesen ist, seine eigenen Ansprüche angesichts der Konkurrenz zum Roten Rathaus zurückschrauben. Das Stadthaus ist kein zurückhaltender Verwaltungsbau, auch wenn im öffentlichen Bewusstsein das Rote Rathaus immer bei weitem prominenter geblieben ist. Hoffmann schuf etwas sehr Eigenes, das architektonisch weder konkurrierte noch sich unterordnete. Waesemann hatte sein Rathaus in Sinne der Schinkelschule in rotem Klinker gebaut, Hoffmann mit dem von ihm bevorzugten Material Muschelkalkstein. Beide Bauten haben einen Turm an der Frontseite, der eine Turm hat einen viereckigen Abschluss mit Brüstung, der andere – der unwesentlich höhere Stadthausturm – einen rundem Kuppelabschluss. Das Rote Rathaus ist jedoch ein Gebäude, das mit seiner großen Portalnische zwingend einen umgebenden Platz beansprucht. Der wichtigste Skulpturenschmuck des Rathauses ist die umlaufende, über dem Erdgeschoss angebrachte „steinerne Chronik“, die in figürlicher Darstellung und strenger chronologischer Anordnung die Geschichte der Stadt und der in ihr aktiven Gewerbe erzählt. Der wichtigste Skulpturenschmuck am Außenbau des Stadthauses befindet sich – abgesehen von den Personifikationen der Gerichtsbarkeit als Attikafiguren an der Klosterstraßenseite – dagegen am Turm und zwar ausschließlich oberhalb der es damals umgebenden Dächer. Dieser Turm ragte über das gesamte Klosterviertel hinaus. Das ikonographische Programm zur Skulpturenausstattung, das Hoffmann selbst im inhaltlichen Detail als zweitrangig bezeichnete, beinhaltet allegorisch auf die Nutzung des Gebäudes bezogene Götterdarstellungen aus der Antike und damit die Verkörperung allgemeiner Werte. Der Turm des „Alten Stadthauses“ und seine Kuppel sowie die Fortuna als höchste Freiplastik der Stadt sind von vielen Punkten der Berliner Innenstadt aus sichtbar. Hoffmann bezog sich direkt auf die Kuppeltürme Karl von Gontards auf dem Gendarmenmarkt (1780-1785) sowie die – weit entfernte – Fortuna auf dem Kuppelturm des Charlottenburger Schlosses, wo sich heute eine moderne Nachschöpfung von Richard Scheibe befindet.

Der Bezug zur Stadt Berlin ist beim „Alten Stadthaus“ durch den Turm gegeben. Der Bezug zur direkten Umgebung des Klosterviertels soll durch die umlaufende Fassade mit einer wenig akzentuierten Pilasterstruktur und den kaum variierenden Masken erzeugt werden. Eine direkte und aktive Beziehung zum Umfeld ist in der formalen Gestaltung der Fassaden aber nicht erkennbar. Diese Architektur ist monumental und klar gegliedert, verlangt aber nicht zwingend eine Freistellung. Sie drängt zwar aufgrund ihrer Dimension die Gebäude der Umgebung in die Defensive, erheischt aber nicht ihre Beseitigung. Stadtbaurat Hoffmann sah mit der Errichtung seines Stadthauses nicht das Ende der städtebaulichen Struktur des Klosterviertels vor, auch wenn man grundsätzlich geordnete Stadtbilder anstelle der seit dem Mittelalter gewachsenen haben wollte. Hoffmanns Vorbilder waren italienische Stadtpaläste der Renaissance, die sich ebenso in gewachsene Stadtstrukturen integrieren mussten. Er blieb mit seinen Planungen innerhalb eines Viertels. Ein weiter Platz vor dem Haupteingang war von Hoffmann nicht vorgesehen worden. Es gab lediglich die Option für einen kleinen Vorplatz, der aber nicht ausgeführt worden ist. Er konnte lediglich hoffen, dass das zwischen Stadthaus und Molkenmarkt befindliche Grundstück frei bleiben würde, als man sich nach Fertigstellung des Gebäudes in der Zeit um den I. Weltkrieg darum bemühte, die kleinteilige Bebauung um das Stadthaus zu ersetzen. Zwischen 1929 und 1931 wurde schließlich von der Hochbauverwaltung ein moderner Bürotrakt zwischen Rathaus und Stadthaus geplant, der dem inzwischen wieder gestiegenen Raumbedarf für die Verwaltung Rechnung tragen sollte.

Die Freistellung der Eingangsfassade des Stadthauses erfolgte schließlich in der Zeit der Nationalsozialisten, die ab 1935 den Abriss des Krögel-Blockes zugunsten einer neuen Reichsmünze vorantrieben und die Idee eines Verwaltungsforums um das Stadthaus entwickelten. Vor dem Stadthausturm sollte ein „neuer monumentaler Architekturplatz“ mit der Grundfläche von 76 mal 125 Metern entstehen. Zwei Pylone mit Adlerskulpturen sollten seitlich die Aufmarschfläche begrenzen. Zwischen ihnen stellte man sich Cantians Granitschale aus dem Lustgarten vor. Der Stadthausturm sollte in dieser Planung den Mittelpunkt bilden, ungeachtet seiner mangelnden Eignung dafür. Schließlich konnten die Planungen zu diesem Forum nicht mit Albert Speers Planungen zu einem weit größeren Verwaltungsforum der „Hauptstadt Germania“ konkurrieren und wurden daher nicht ausgeführt. Lediglich der Bau der Feuersozietät, dem späteren „Neuen Stadthaus“ an der Jüdenstraße, ist realisiert worden.
Das Freibleiben des Platzes vor dem Stadthaus stand zur Zeit der DDR, als der Ministerrat hier seinen Sitz hatte, immer außer Frage. Dass die jetzige Lösung mit der Freifläche hinter der Straßenkreuzung am Molkenmarkt unglücklich ist, ist heute weitgehend Konsens. In den jüngeren Publikationen wird die Frage, ob Vorplatz oder nicht, kontrovers diskutiert. Es gibt sowohl die Ansicht, der Bau sei mit seiner monumentalen Architektur dafür prädestiniert, einen größeren Stadtplatz zu beherrschen, als auch die Ansicht, das Gebäude sei „aus seiner Isolation zu befreien“. Der Senat sieht in seinen Planungen beide Alternativen vor. Darüber, dass Konturen für einen Platz von Nöten sind, ist man sich einig. Die Repräsentativität des Gebäudes braucht aber keinen weitläufigen Platz, diese wird durch die Ausschmückung im Inneren sowie den auch heute von vielen Punkten der Stadt aus sichtbaren Turm gewahrt.

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