Die Klosterkirche
Von Jürgen Wetzel

Wer mit dem Auto über die Grunerstraße in Richtung Osten fährt, erhascht auf der rechten Seite kurz vor dem Gerichtsgebäude einen flüchtigen Blick auf die Ruine eines Kirchenschiffes. Kaum jemand der Vorbeifahrenden ahnt, welche Geschichte sich hinter diesen Mauern verbirgt.

Mitte des 13. Jahrhunderts kamen Mönche des 1209 von Franziskus von Assisi gegründeten und 1223 von Papst Honorius III. bestätigten Bettelordens mit Unterstützung der frommen Askanierfürsten Otto III. († 1267) und Johann I. († 1266) nach Berlin. Ihre Ansiedlung stand im Zusammenhang mit der landesherrlichen Politik des Ausbaus der Städte; zudem benötigten die Markgrafen ein geistliches Zentrum ihrer Herrschaft. Die Nachfolger der Fürsten, die Markgrafen Otto IV. († 1308) und Albrecht III. († 1300), stellten den Franziskanern 1271 einen Teil ihres markgräflichen Besitzes als Baugrundstück am Ostrand der Stadt zur Verfügung, auf dem sie mit Baumaterialien einer vom Ritter Jakob von Nybede gestifteten Ziegelei eine Pfeilerbasilika errichteten. Die Mönche zogen damit ins politische Zentrum Berlins, denn neben der Kirche hatten die Markgrafen zunächst bis 1316 im „alten Hof“ und danach im gegenüberliegenden „Hohen Haus“ bis zur Errichtung des Schlosses 1451 ihre Berliner Residenz.

Die Basilika mit einem dreischiffigen Langhaus und vier kreuzgewölbten Jochen galt als der älteste reine Backsteinbau Berlins. Nicht nur „durch das leuchtend rote Baumaterial“, sondern auch durch die „gebündelten Pfeiler und hohen spitzbogigen Arkaden“ sowie durch die „kapitellgeschmückten Dienste“(Badstübner) war diese Kirche als vollendeter gotischer Bau gegenüber den anderen Berliner Gotteshäusern ausgezeichnet. Dem Langhaus schloss sich in einem zweiten Bauabschnitt ein einschiffiges Chorhaus mit zwei kreuzgewölbten Jochen an, das mit einer aus sieben Seiten eines Zehnecks gebildeten Apsis den östlichen Abschluss der Kirche bildete. Ein Teil der angrenzenden Stadtmauer musste deshalb in einem Bogen um den Chor herumgeführt werden.

Die Kirche hatte dreiteilige Fenster mit äußerst feinem Maßwerk. Der Eingang befand sich auf der Westseite und bestand aus einem eleganten spitzbogigen Portal. Rechts vom Eingang befand sich später ein barocker Treppenturm. Nach den Regeln des Bettelordens war die Kirche im übrigen turmlos. Sie besaß nur einen Dachreiter. Um 1320 waren Kirche und Kloster, die durch einen Kreuzgang miteinander verbunden waren, vollendet.

Als erste „Hofkirche“ der Askanier und Wittelsbacher erlangte die Klosterkirche gegenüber den anderen Berliner Gotteshäusern früh eine herausragende Bedeutung. Sie wurde neben dem Zisterzienserkloster in Lehnin Grablage der Fürsten. In der Literatur nachgewiesen sind die Beisetzungen der Prinzessin Kunigunde († 1317), Tochter des Markgrafen Otto V., der Markgräfin Margaretha († 1340), Gemahlin Markgraf Ludwigs des Älteren und Tochter König Christoph II. von Dänemark, des Kurfürsten Ludwig der Römer († 1365), auf Grund der 1356 erlassenen Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. erster Kurfürst der Mark Brandenburg, sowie seiner Gemahlin Kunigunde von Polen († 1357). Die Minderbrüder boten bereits früh auch Adligen und Bürgern ihre Kirche als Ort der „memoria“ an, so ist die Beisetzung des Bürgermeisters Conradus von Belis († 1308) im Seitenschiff belegt. Nach der Reformation fanden weitere Bestattungen im gesamten Kirchenraum statt, u.a. von Anna Thurneysser und Angehörigen der Familie Blankenfelde. Die meisten Gedenktafeln für die Fürsten- und Bürgergräber waren schon Anfang des 19. Jahrhunderts nicht mehr vorhanden. Einige Inschriften auf den Grabtafeln sind durch Abschriften aus dem 16. Jh. erhalten. Die Forschung geht davon aus, dass die seit Jahrhunderten vermauerten und verschütteten unterirdischen Gewölbe noch zu finden sind. So konnten 2004 durch Grabungen des Landesdenkmalamtes Gruftgewölbe vor dem Hochaltar dokumentiert werden. Es wird Aufgabe der Archäologie sein, weitere Gräber zu lokalisieren und freizulegen!
Es bestand nicht nur ein gutes Verhältnis der Franziskaner zu den Landesherren, sondern auch zu den Berliner Bürgern, denen sie als Seelsorger und Beichtväter zur Verfügung standen und – wie bereits ausgeführt – ihnen Grablagen in ihrer Kirche anboten. Aus Dankbarkeit übernahm es der Rat, für die Ewige Flamme im Gotteshaus zu sorgen. Und 1436 schützte er die Minderbrüder vor den unberechtigten finanziellen Forderungen des Berliner Propstes.

Die innere Ausgestaltung der Kirche vollzog sich über mehrere Jahrhunderte. Auf beiden Seiten des Choranbaus befand sich das aus dunkelbraunem Eichenholz gefertigte Chorgestühl der Mönche mit 38 Klappsitzen, deren Dorsuale flache Reliefs mit Wappenschilden und Darstellungen der Passion Christi zeigten. An den Wänden über dem Chorgestühl hingen acht gotische Heiligenfiguren. Auf den freien Flächen gaben Inschriften Auskünfte über die Stiftung des Klosters und des Franziskanerordens. Im Boden waren Grabplatten eingelassen. Zwischen dem Choranbau und dem Langhaus befand sich ein Querbalken mit gotischem Figurenschmuck: ein Triumphkreuz und zu beiden Seiten des Gekreuzigten die Gottesmutter und Johannes der Täufer. In den Seitenschiffen befanden sich u. a. Altäre, Ölgemälde aus der Schule von Lucas Cranach sowie Votivtafeln der Berliner Bürgermeister und Patrizierfamilie Blankenfelde. Ein Epitaph erinnerte an die im Oktober 1412 im Dienste des ersten Hohenzollernfürsten in der Pommernschlacht am Kremmer Damm Gefallenen, der im übrigen einige Monate vorher in der Klosterkirche die Huldigung der Berliner Bürgerschaft entgegennahm. Nach seiner Belehnung mit der Mark Brandenburg ließ er sich 1415 am gleichen Ort von allen märkischen Ständen huldigen. Sein Sohn, Friedrich II., hielt 1441 ebenfalls in der Klosterkirche einen Hoftag ab.

Auf Befehl des Kurfürsten Joachim II. zogen nach der Reformation 1540 „Sylberknechte“ die Kirchengeräte für die kurfürstliche Schatzkammer ein und übergaben Teile dem Rat von Berlin. Die Franziskaner stellten sich gegen die Reformation, nicht so sehr aus theologischen sondern wohl eher aus wirtschaftlichen Gründen, konnten aber im Kloster bleiben bis der letzte Mönch, Bruder Peter, 1571 starb. Da die Klosterkirche nicht den Status einer Pfarrkirche erhielt – sie wurde Filialkirche von St. Nikolai –, konnte sie bis zur Zerstörung ihr mittelalterliches Aussehen im wesentlichen bewahren. Sie büßte jedoch nach der Reformation ihre einstige Bedeutung ein und drohte zu verfallen. Der Alchimist und Leibarzt des Kurfürsten Johann Georg, Leonard Thurneysser (1530-1590), der im Kloster eine Druckerei und ein Laboratorium unterhielt, rettete die Kirche vor dem weiteren Verfall, ließ sie auf eigene Kosten renovieren und stiftete ein Taufbecken aus Sandstein.

Das 1574 errichtete Gymnasium zum Grauen Kloster nutzte die Kirche fortan als Aula und Gesangssaal. Und wenn immer die Kirchen in den Nachbargemeinden geschlossen werden mussten, hielten sie ihre Gottesdienste vorübergehend in der Klosterkirche ab.

Im 17. Jh. erhielt die Kirche drei wichtige Einbauten: 1662 eine barocke Kanzel aus dunkelbraunem Eichenholz, deren Schalldecke von einem Pelikan gekrönt wurde, 1680 einen neuen Hochaltar und 1689 auf der Empore eine Orgel.
Nach einem Brand 1712 wieder restauriert, drohte die Kirche Anfang des 19. Jahrhunderts erneut zu verfallen. König Friedrich Wilhelm IV., dem kirchliche Belange besonders am Herzen lagen, sorgte 1842 bis 1844 für eine gründliche Renovierung, wobei die Hinzufügung von zwei schlanken Türmen und einer Vorhalle den Charakter der Bettelordenskirche verfälschten. Die Anbauten wurden bei einer erneuten Restaurierung von 1926 bis 1930 wieder beseitigt. So konnte die Kirche ihr mittelalterliches Aussehen bewahren bis sie und das Kloster kurz vor Kriegsende am 11. April 1945 durch eine Luftmine stark beschädigt wurden. Die im Krieg ausgelagerten wertvollen mittelalterlichen Kult- und Kunstwerke sind zum größten Teil erhalten, heute aber weit verstreut. Sie befinden sich in der Marienkirche, in St. Johannis in Moabit, den Dorfkirchen von Buckow, Schöneberg und Zehlendorf, im Kloster Heiligengrabe und im Märkischen Museum. Das erhaltene Chorgestühl fiel erst 1946 Plünderern zum Opfer.

Um die Grunerstraße zu verbreitern, ließen die DDR-Behörden im Zuge der „Stadterneuerung“ 1968 die Ruinen des Grauen Klosters abtragen, die sieben Jahre vorher mit der Klosterkirche als „Mahnmal gegen Faschismus und Kriegskatastrophen“ hergerichtet worden waren. Von der Klosterkirche blieben bis auf die Südwand nur noch die Außenmauern stehen. Evangelische Kirche, Senat und Bürger sind aufgerufen, dieses einzigartige Berliner Baudenkmal zu retten und die Sicherung der Ruine sowie den Wiederaufbau der Kirche zu überlegen.

Literatur:
Alte Berliner Kirchen, hrsg. vom Berliner Stadtsynodalverband, dem Provinzialkirchenausschuss für die Kirchenprovinz Mark Brandenburg, dem Evangelischen Konsistorium der Mark Brandenburg, dem Verband Evangelische Kirchengemeinden in der Hauptstadt Berlin, S. 24-29, Berlin o. D. Badstübner, Ernst, Badstübner-Gröger, Sibylle: Kirchen in Berlin, S. 15-17, Berlin 1987; Boeckh, Jürgen: Alt-Berliner Kirchen. Von St. Nicolai bis „Jerusalem“. Berliner Reminiszenzen Nr. 43, S. 36-45, Berlin 1975; Hach, Arno: Alt-Berlin im Spiegel seiner Kirchen, S. 48-55, Berlin 1933; Heidemann, Julius: Geschichte des Grauen Klosters zu Berlin, S. 34-43, Berlin 1874; Kurth, Julius: Die Altertümer der St. Nikolai-, St. Marien- und Klosterkirche zu Berlin, Berlin 1911; Riedel, Peter: Franziskaner, in: Brandenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte und Kommenden bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Band I, S. 146-
159, Berlin 2007.

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