Berlinisches Gymnasium zum Grauen Kloster
Von Wolfgang Krogel

Wo sich heute mahnend das Gerippe der Klosterkirche erhebt, war einst der Sitz der ersten höheren Bürgerschule in Berlin. In viel höherem Maße, als wir es heute gewohnt sind, war gerade dieses Gymnasium in das Kultur- und Geistesleben der aufstrebenden kurfürstlichen und königlichen Residenzstadt integriert.

Im Januar 1571, als Johann Georg die Regierungsgeschäfte in der Kurmark von seinem Vater übernahm, starb der letzte Franziskanermönch des säkularisierten Klosters. Das lebenslange Wohnrecht der Franziskaner in ihrem sogenannten Grauen Kloster aus dem 13. Jahrhundert war damit erloschen. Dem jungen Regenten stellte sich die Frage, was mit den Klostergebäuden geschehen sollte. Das Kapitelhaus und das angrenzende Langhaus überließ der Kurfürst umgehend seinem vielseitig begabten Leibarzt Leonhard Thurneysser, der dort im Lagerhaus seine vielbeachtete Druckerei einrichtete. Dies war offenbar ein risikoreiches Geschäft und die Eigentümer wechselten häufig. Dennoch blieb die Druckerei bis 1659 im Grauen Kloster bestehen. Dem Zeitgeist entsprechend wurden unter Friedrich Wilhelm I. seit 1716 an gleicher Stelle Uniformstoffe hergestellt. Mit Johann Gottfried Schadow und Christian Daniel Rauch zogen seit 1777 berühmte Bildhauerwerkstätten in das Lagerhaus ein.

Kurfürst Johann Georg war es jedoch, der die berühmteste Institution im „Grauen Kloster“ unterbrachte. Wie die Schulvisitation des Jahres 1573 zeigte, hatte die Zusammenlegung der Pfarrschulen von St. Marien und St. Nikolai nicht die erhoffte Hebung des schulischen Bildungsangebotes in der Residenzstadt bewirkt und der Kurfürst mußte als Oberhaupt des Kirchen- und Schulwesens für Abhilfe sorgen. Von seiner Cöllner Residenz zur Bürgerstadt hinüberblickend dekretierte Johann Georg die Errichtung einer Schule in einem Teil „unsers grauen Closters in unserer Stadt Berlin gelegen“. Am 13. Juli 1574 wurde die Anstalt feierlich eröffnet. Die Schulordnung von 1576 folgte dem vom Reformator Philipp Melanchthon für den mitteldeutschen Raum entwickelten Vorbild. Mit der Bestätigung der Ordnung wurden durch den Kurfürsten auch die Eigentümerrechte geregelt:
„Und wir der Landesfürst vereignen und perpetuiren gedachtem Raht unserer Stadt Berlin solche Kirche und Schule samt den dazu gehörigen Gebäuden, Creutz-Gängen und darin gelegenen Garten/ Beicht-Hause und Kirch-Hofe auch allein der Schulen Einkommen/ so itzo allbereit datzu seyn und künftig dazu gegeben und vereignet werden möchten/ nichts ausgenommen/ für und für zu derselben Schule ohne jemands Einrede zu gebrauchen.“

Der Landesherr stiftete damit seiner Residenzstadt ein Ratsgymnasium. Es wurde das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster. Das staatliche Pendant (Staatsgymnasium) sollte ab 1607 das Joachimsthalsche Gymnasium sein. Nach kurzer Zeit hatte die Schule 600 Schüler bei einer Bevölkerungszahl von 10.000 Einwohnern in der Doppelstadt.

Wiederaufbau und staatliche Neuorganisation brachten nach Ende des Dreißigjährigen Krieges einen langsamen Anstieg des geistigen Lebens auch nach Berlin. Die Berufungen der Lehrerschaft beschränkten sich nun nicht mehr auf Berlin. Die Lehrer kamen von wichtigen Universitäten in Sachsen und Thüringen. Mit weiteren Schulgründungen erwuchs dem Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster aber auch neue Konkurrenz: 1681 das Friedrichswerdersche Gymnasium und 1689 das Collège Français.

Nach den Anfangserfolgen wurde die Entwicklung der Schule durch den häufigen Rektorenwechsel beeinträchtigt. Es handelte sich meistens um Theologen, die es vorzogen, ihre Berufswege in den lukrativeren kirchlichen Ämtern fortzusetzen. Erst mit Gottfried Weber änderte sich dies, der 30 Jahre lang die Schule leitete. Unter seiner Leitung wurde nun ein Internat angegliedert, die „Kommunität“.

Bedeutende Unterstützung erhielt das Gymnasium 1751 durch die Stiftung eines seiner Alleven, der es zwar schulisch nur bis zur Untersekunda, wirtschaftlich aber zu großem Vermögen gebracht hatte: Sigismund Streit. Die Mittel wurden für Stipendien und Lehrerversorgung sowie den Ausbau und die Erweiterung der Schule verwendet.

Der Beginn des 19. Jahrhunderts stand auch für die Klosteraner im Zeichen der Freiheitskriege gegen die napoleonische Vorherrschaft in Europa. Ludwig Jahn war von 1810 bis 1812 Lehrer am Grauen Kloster und bewegte 134 Schüler dazu, sich im Jahre 1813 als Freiwillige zu melden.

Als erstes eigenständiges Schulgebäude wurde 1786 an der Klosterstraße ein dreigeschossiges Direktorenwohnhaus errichtet. 1831 erfolgte unter Mitwirkung von Karl Friedrich Schinkel der Umbau des Nordflügels, der eine Sternwarte und eine Aula erhielt. Die stark vernachlässigte Klosterkirche wurde ab 1840 erneuert, und zur Klosterstraße bekam das Schulgelände eine Einfassung durch den Bau eines Arkadengangs. 1848 folgten Abriß und Neubau der östlichen Seite des Nordflügels und des Gebäudeflügels an der heutigen Littenstraße. 1863 wurde der Kapitelsaal umgebaut und aufgestockt. Um 1900 entstanden ein mehrgeschossiges Lehrerwohnhaus und eine Turnhalle an der Littenstraße.

Gegen den Widerstand von älteren Schülern und der Vereinigung ehemaliger Klosteraner (VeK), aber mit Unterstützung des Magistrats und einer aufgeschlossenen Lehrerschaft gründete der Direktor Reinhold Reimann 1923 die dritte städtische Studienanstalt für Mädchen im Grauen Kloster, die bis 1941 bestand. Dies bedeutete, daß Jungen und Mädchen zwar getrennt, aber in demselben Schulkomplex unterrichtet wurden und gemeinsam an den übergreifenden Veranstaltungen teilnahmen.
Der 3. Februar 1945 war der Tag des Grauens: Schule, Kirche und Bibliothek wurden durch Bomben zerstört. 6000 Bücher aus dem Bestand rettete noch 1947 der damals 13jährige Peter Rohrlach aus den Trümmern. Zusammen mit den ausgelagerten und 1952 aus dem Wallensteinschen Schloß Friedland in Tschechien zurückgeführten Beständen wird der Rest der Bibliothek jetzt in der Zentral- und Landesbibliothek aufbewahrt.

Bei der Enttrümmerung blieben zunächst Reste der Kirche, des Kapitelsaals und des Nordflügels als Ruinen erhalten. Sie wurden aber durch den Bau eines U-Bahn-Verbindungstunnels unter dem Grundstück 1952 weiter beschädigt. 1961 erfolgten die bauliche Sicherung der Klosterkirche und der Abriß des Nordflügels. Schließlich fielen im Juni 1968 auch die letzten Reste des mittelalterlichen Kapitelsaals dem Bau der Grunerstraße zum Opfer. Nur die Ruine der Klosterkirche blieb erhalten. Nach einer weiteren baulichen Sicherung diente sie gelegentlich für Ausstellungen. 2005 erfolgte die grundlegende Sicherung der verbliebenen Bausubstanz.

Das Gymnasium selbst zog nach dem Zweiten Weltkrieg mehrmals um: 1945 in das ehemaligen Rektorenhaus der Friedrichswerderschen Oberrealschule in der Weinmeisterstraße in Berlin-Mitte, 1949 in die Gebäude des nach Berlin-Wedding umgezogenen Französischen Gymnasiums in der Niederwallstraße. Dort wurde die Schule seit 1958 als 2. Erweiterte Oberschule bis 1982 fortgeführt. Den Namen „Graues Kloster“ übernahm das am 10. Oktober 1949 gegründete Evangelische Gymnasium mit Sitz in Wilmersdorf am 13. Februar 1963, dass die humanistischen Traditionen des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster in kirchlicher Trägerschaft bis heute fortführt. Aus diesem Kreis hat sich ein Förderverein zur Wiedererrichtung des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster im Bezirk Mitte gegründet. Dem namhaften Kreis von Initiatoren ist es zu verdanken, dass nach dem 1999 beschlossenen und bis heute geltenden „Planwerk Innenstadt“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung das Gymnasium an seinen Traditionsstandort zurückkehren soll.

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