Der Mühlendamm
Im Mittelalter war das Urstromtal zwischen Spandau und Köpenick für Kaufleute schwer zu überwinden.An seiner engsten Stelle hatten sich bei der Eisschmelze Sandinseln, kleinere trockenen Flächen, gebildet. Dort konnten die ersten Siedler des 12. Jahrhunderts den Fluss eindämmen, um einen festen Übergang zu schaffen. Die Anlage von Mühlen, das ‚Mühlregal‘, war seit jeher ein landesherrliches Privileg, das gegen Entgelt an Gemeinden oder Bürger verliehen wurde. Der Betrieb von Mühlen zum Sägen, Schneiden, Schleifen, Polieren und Kornmahlen war für eine Stadt im Mittelalter unverzichtbar. Auch für die Lederbearbeitung und zum Betrieb von Hammerwerken der Kupferschmiede brauchte es die Kraft von Mühlen. Erfahrungen im Bau von Wassermühlen auf einem Mühlendamm waren zuvor bereits in der Stadt Brandenburg gesammelt worden. Den Weg über die Spree muss man sich als Knüppel- oder Molendamm aus mehreren Schichten dicke Baumstämme mit kleinen Brücken vorstellen. Mit beweglichen Holzplatten konnte man den Wasserstand regulieren. Wegen des flachen Ufers kam es bis zum 14. Jahrhundert regelmäßig zu Hochwassern. Im Laufe der Zeit wurden zehntausende Eichen- und Kiefernstämme von bis zu 15 Metern Länge in den Boden gerammt.
Es gab einen ‚Mahlzwang‘, so dass die Mühlen ein Monopol für ein bestimmtes Gebiet hatten und reiche Einnahmen für den Landesherrn brachten. Die erste Erwähnung der Berliner Mühlen findet sich in einer Urkunde der Markgrafen Otto V. und Otto VI. vom 2. Januar 1285. Neben mehreren Getreide-Mühlen wurden bald eine Säge-, Walk- und Lohmühle gebaut. Die Abgaben waren recht hoch, von jedem Scheffel (etwa 55 l) musste eine Metze (etwa 3,5 l) abgegeben werden. Eine Amtsverwaltung mit eigener Gerichtsbarkeit, der auf der Berliner Seite gelegene ‚Mühlenhof ‘, wachte akribisch über die Einnahmen. Zum Amt gehörten u.a. die Dörfer Schöneberg, Wilmersdorf, Buchholz, Rosenthal, Tempelhof, Mariendorf, Lankwitz und Zehlendorf. Nicolai erwähnt, dass die Landesherren die Einnahmen der Mühlen häufig verpfändeten, wenn sie in Geldnot waren. Der Berliner Unwille, 1448, gab dem Landesherrn die Gelegenheit, die Mühlen endgültig wieder in seinen Besitz zu bringen.
Ein gewisser Klaus Pfennig erhielt am 5. Januar 1464 eine lebenslange Bestallung und musste dafür nicht nur die Mühlen und den Mühlendamm, sondern gleichzeitig den Schlossbau überwachen. Auf seinem Mühlenhof wurde darüber hinaus gebraut, gebacken und Schweinemast betrieben.
Der Mühlenhof war also zugleich Wirtschaftshof des Schlosses und hatte die Aufgabe, den größten Teil der Kosten für die Hofhaltung zu finanzieren. Auch das Pferdefutter kam vom Mühlenhof. Unter Kurfürst Joachim II. ist eine ‚Hofordnung‘ aus dem Jahr 1537 überliefert, die eine bis ins Kleinste von Sparsamkeit und Ordnung geregelte Betriebsvorschrift war. Das Amt des ‚Mühlenmeisters‘ entsprach somit der Stellung eines Wirschaftsinspektors der kurfürstlichen Hofhaltung. Im Jahr 1539 erhielt der kurfürstliche Rat Hans v. Thermo diese mit 150 Gulden im Jahr sehr gut bezahlte Stelle für die Dauer von 10 Jahren. Am Ende des 16. Jahrhunderts hatte sich die Einsicht durchgesetzt, den Mühlenmeister durch Provisionen prozentual am Umsatz zu beteiligen, was seinem wirtschaftlichen Interesse förderlicher gewesen sein dürfte.
Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gab es eine Wasserleitung aus ausgehöhlten Baumstämmen. Das Wasser konnte in den angeschlossenen Häusern in Hochbehälter gepumpt und von dort entnommen werden. Das erforderte viel Pflege und musste stets erneuert werden, was im folgenden Jahrhundert durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges nicht mehr unterhalten werden konnte.
Abbildung links: „Prospect des Mühlentam zwischen Cölln und Berlin“, 1690, Aus dem Skizzenbuch des Johann Stridbeck d.J., Staatsbibliothek Berlin. Blick vom Cöllnischen Fischmarkt in Richtung Molkenmarkt.
Friedrich Nicolai schildert den Mühlendamm in früherer Zeit als „schmalen unansehnlichen Gang“ mit zwei Brücken über dem „Gerönne“. Auf dem Mühlendamm waren hölzerne Verkaufsläden, „Krambuden“, die abzubauen waren, sobald an den Wassermühlen gebaut werden musste. Auch das brachte dem Mühlenhof Pachteinnahmen. Die Stadtbefestigung unter dem Großen Kurfürsten hatte auch Auswirkungen auf den Mühlbetrieb. Nach Vollendung der Befestigungsanlagen wurde der Mühlendamm aufwendig verbessert und die Mühlen modernisiert.
Auf dem Mühlendamm verlangte der Große Kurfürst aus Gründen der Feuersicherheit und der „besseren Gestalt“ wegen Bauten aus Stein. Er machte die Buden erblich und verlangte von den Inhabern Neubauten. Gleichzeitig half er den mehr als dreißig Ladenbesitzern mit Baumaterialien. 1687 wurde der Grundstein für Galerien zu beiden Seiten des Mühlendamms mit 2,5 Meter breiten Bögen und Kreuzgewölben im Inneren gelegt, so dass alle Geschäfte eine repräsentative Verbindung bekamen. Die Zeichnung Stridbecks von 1690 zeigt den gerade fertigen südlichen Bogengang. In der Mitte der Zeichnung betonte ein mit dem Brustbild des Großen Kurfürsten geschmücktes Portal den Durchgang zur Fischerbrücke, von Stidbeck „Friedrichs-Porten“ bezeichnet.
Im Obergeschoss des Torwegs war ein Saal in dem seit 1696 die kurz zuvor begründete Börse zusammenkam – bis sie 1739 ein neues Quartier am Lustgarten bezog. Die Ladenbesitzer bauten sich in den Obergeschossen Wohnungen aus, die auch durch rückwärtige Gänge erschlossen wurden. Wegen der Brandgefahr waren die Wohnungen durch ein kurfürstliches Dekret vom 29. Januar 1695 mit einer Frist von drei Wochen zu räumen. Spätere Beschwerden von Neidern deuten jedoch darauf hin, dass das Dekret nicht durchgesetzt wurde. Friedrich I. ließ den Mühlendamm mit großem Kostenaufwand durch Bögen und Gewölbe erneut verstärken, so dass Paul Jacob Marperger 1710 von einem „überaus kostbaren Gebäude“ spricht. In den „darüber gebauten Häusern und Schwiebögen“ wurden „viele kostbare Waren zum Kauf angetroffen.“ Der Soldatenkönig brauchte für seine vielen Uniformen mehr Kapazitäten zum Tuchwalken, so dass es bei den Mühlen zu Änderungen kam.
Abbildung rechts: Der Brand auf dem Mühlendamm, 8. Mai 1759, Gemälde von Bernhard Rode, Stiftung Stadtmuseum Berlin. Eine der wenigen Stadtansichten dieses vielbeschäftigten Malers, der das Geschehen von der Kavaliersbrücke aus festhielt. Im Bild stehen Schaulustige auf der Kurfürstenbrücke, der Mühlendamm ist im Feuer nicht erkennbar
Ein nie aufgeklärter großer Brand auf dem Mühlendamm am 8. Mai des Kriegsjahres 1759 wurde von Bernhard Rode eindrucksvoll festgehalten. Friedrich der Große sorgte für die verbesserte Wiederherstellung des Schadens. So durften einige Ladenbesitzer ihre Geschäfte aufstocken, mussten dafür aber Zeichnungen beim König einreichen. Die Mühlen wurden gleichzeitig verbessert und effektiver gemacht. Ohnehin bedurften sie ständiger Reparaturen durch Winterfrost und Hochwasser. Auf Nachbarn nahm man dabei ungern Rücksicht. Es gab immer wieder Klagen der Müller, wenn zum Beispiel der Wind Mehlstaub der einen Mühle auf wertvolle Tuche des Nachbarn wehte. Das Rauschen des Wassers, das Klappern der Hämmer, das Schleifen der Mühlsteine und vieles mehr machte großen Lärm. Die zum Beispiel mit der Lederherstellung verbundenen zum Teil üblen Gerüche müssen auf dem Mühlendamm deutlich wahrnehmbar gewesen sein. Die Geschäftsbesitzer verlangten vom Amt Mühlenhof, dass bei Strafandrohung darauf geachtet würde, den An- und Abtransport der Waren für die Mühlen in die Nachtstunden zu verlegen. Hinzu kam die Verschmutzung des Wassers, nicht zuletzt durch Fäkalien. Die Situation für die dort beschäftigten Arbeiter, meist wohl in nasser Kleidung, kann man sich nicht erbärmlich genug vorstellen.
Ein weiteres großes nächtliches Feuer zerstörte am 3. April 1838 nicht nur die Hälfte der Mühlen, sondern forderte fünfzehn Menschenleben. Bei der Plötzlichkeit des nächtlichen Feuers war das Löschen auf dem eng und unübersichtlich bebauten Mühlendamm kaum möglich, obwohl die Feuerwehr schnell eintraf und viele Helfer zum Wasserholen dazukamen. Auch der Kronprinz und seine Brüder halfen. Der verheerende Brand machte vielen klar, dass man hier in der größer werdenden Stadt ein fast mittelalterliches Handwerksrelikt mit hoher Brandgefahr hatte. Die Frage, ob die Mühlen überhaupt wieder aufzubauen seien, wurde jahrelang kontrovers diskutiert. Willibald Alexis beschrieb die Mühlen als „Couriosität“, die nicht in die „belebten Passagen einer Residenzstadt“ gehörten. Der Brand von 1838 böte nach seiner Meinung die Möglichkeit, den „Wünschen des Publikums“ nach dem gänzlichen Abriss der Mühlen nachzukommen. Der König dachte zunächst auch nicht an einen Wiederaufbau, änderte aber später seine Meinung.
Abbildung links: Die neuen Mühlen in Berlin, Lithographie von Fritz Meyer, um 1850. Berlin-Archiv 04032. Nachdem die beiden mittleren der vier königlichen Mühlen auf dem Mühlendamm 1838 abgebrannt waren, wurde dieses Ensemble in den Jahren 1845 bis 1850 unter Hofarchitekt Ludwig Persius errichtet. Links im Bild Damen bei der Wäsche, im Wasser vor den Gebäuden Fischkästen.
Schließlich machte Hofbaurat Ludwig Persius, der den König in allen Baufragen beriet, den Vorschlag, eine ‚Große Mühle‘ für Getreide als Ziegelrohbau mit englischem Stahl auszuführen. Die äußere Form erinnerte auf Wunsch des Königs an einen venezianischen Palast, aber wohl eher an eine „gewaltigenormännische Feste“ (Gottfried Keller). Das mitten auf dem Mühlendamm errichtete, von Wasser umflossene vierstöckige Gebäude war somit ungleich größer als alle Bauten zuvor. Vom Sommer 1845 bis Jahresende 1846 schafften es zeitweise bis zu 400 Arbeiter den Bau fertigzustellen.
Weniger als ein weiteres Jahr verging, um die technische Ausstattung einzubauen. Wiederum ein weiteres Jahr brauchte man für die daneben errichtete ‚Kleine Mühle‘. Dazu wurden am Ufer auf beiden Seiten Speichergebäude errichtet. 1850 war alles einschließlich der Kolonnaden auf dem Mühlendamm fertig. Die Mühlen wurden vom Fiskus betrieben, rechneten sich aber mit dem Fortschritt der Technik bald nicht mehr. 1875 verkaufte man die Gebäude an den Industriellen Hermann Geber, der sie als Speicher und Fabrikräume nutzte. 1885 erwarb die Stadt Grundstücke auf der Südseite des Mühlendamms, um nach deren Abriss und dem Abriss der Kolonnaden eine bessere Verbindung für die seinerzeit täglich zehntausend Wagen über die Spree hinweg zu ermöglichen. So wurde der Mühlendamm auf 26,5 Meter, einschließlich jeweils 5,75 Meter breiter Bürgersteige, verbreitert.
Abbildung rechts: Mühlendamm und Fischerbrücke im Jahr 1934, Berlin Archiv, 05011.
Schließlich kaufte die Stadt die Mühlengebäude, da der wachsenden Stadtverwaltung Büroflächen fehlten. Mit dem Um- und Erweiterungsbau schuf Stadtbaurat Hermann Blankenstein ein seinerzeit modernes Bürogebäude hinter der älteren Fassade. Dort wurden die Sparkassen- und die Armenverwaltung untergebracht. Im Rahmen der ‚Kanalisierung der Unterspree‘ wurden von 1889 bis 1893 kostspielige Umund Neubauten veranlasst, um die Vorflut- und Schifffahrtsverhältnisse zu verbessern. Auf der Aufnahme von 1934 sieht man das von einem Turm bekrönte Sparkassengebäude. Rechts dahinter die Spree-Fassade des Marstall-Gebäudes und eine Ecke des Schlosses, weiter vorne das ‚Palais Ephraim‘, das seinerzeit ebenfalls als Verwaltungsgebäude diente. Davor mit hohem Giebel ein Rest des alten Mühlenhofs, dessen Hauptgebäude 1890 abgerissen worden war. 1893 konnte die neu gebaute 110 Meter lange Schleuse eingeweiht werden, ausgelegt für täglich 250 Schiffe mit bis zu 600 Tonnen. Die Dammfunktion nahm von nun an ein Wehr mit daneben liegender Schleuse in Richtung Molkenmarkt wahr. Die Schleuse von 1893 wurde nach den Olympischen Spielen 1936 durch den heute noch bestehenden Neubau mit zwei nebeneinanderliegenden 140 Meter langen und 12 Meter breiten Kammern ersetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete die Stadtverwaltung zunächst eine Behelfs-Brücke, um sie dann 1966/68 durch die heute noch bestehende 70 Meter lange und 46 Meter breite Spannbetonbrücke mit acht Fahrbahnen zu ersetzen.
Seit der Gründung Berlins bis zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs war der Mühlendamm gleichzeitig Wirtschafts-, Geschäfts- und schließlich Verwaltungszentrum. Auch Wohnungen gab es dort. Mit diesem Beitrag sollte deutlich werden, dass die Wiederbelebung der historischen Mitte Berlins mehr ist als nur die Frage nach der Breite der Mühlendamm-Brücke. Hermann Kügler, Vorsitzender des Vereins für die Geschichte Berlins von 1930 bis 1945, schrieb 1938 nach dem Abriss des seiner Meinung nach „unschönen“ Sparkassengebäudes, dass bereits „unsere Vorväter“ den Wunsch hatten, die „verunzierenden“ Mühlen des Mühlendamms abreißen zu lassen. Alle „kunstsinnigen Berliner“ würden nun mit dem Abriss der Gebäude und der jetzt freien Sicht über die Spree zufrieden sein. Ist es abwegig, Hermann Küglers Freude über die verlorene Urbanität nicht zuzustimmen?
Manfred Uhlitz
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Literatur:
- Paul Jacob Marperger, Geographische/Historische und Mercatorische Beschreibung …, Berlin: J. W. Meyer 1710,S. 12;
- Friedrich Nicolai, Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, Berlin: Nicolai 1786, S. 127 ff. ;
- Friedrich Holtze, Das Amt Mühlenhof bis 1600, Schriften des VfdGB 30 (1893), S. 19–39;
- D. Joseph: Zur Geschichte des Mühlendammes in Berlin, Mitteilungen des VfdGB 10/1893, S. 84 f.;
- Hermann Kügler: Der Brand der Dammühlen, Zeitschrift des VfdGB, 1938, S. 7–12;
- Heinrich Herzberg unter Mitarbeit von Hans-Joachim Rieseberg, Mühlen und Müller in Berlin, Berlin: VEB Verlag für Bauwesen 1986.