Von Michael Malliaris und Claudia Maria Melisch

Der Schlossplatz in Berlin-Mitte wird gern aJs repräsentativer "Zukunftsort" im Herzen der deutschen Hauptstadt wahrgenommen. Ein Grund dafür ist der modifizierte Neubau der 1950gesprengten Hohenzollernresidenz. AlsHumboldt -Forum mit museal-kultureller Nutzung soll es bald internationale Anziehungskraft erlangen. Die heftige Debatte um "Schein und Sein" des Humboldt-Forums belegt das gesteigerte öffentliche Interesse an einem Ort, dessen herausfordernde Leere bisher nur mit Vorstellungsvermögen und Geschichtskenntnissen zu füllen war. In dieser Phase sind neue Impulse durch Ausgrabungsbefunde höchst anregend. Die bis 2010 laufenden Ausgrabungen des Landesdenkmalamtes Berlin (LDA) am Schlossplatz leisten dazu ihren Beitrag. Sie eröffnen neue Einblicke in einen viel besuchten, erklärungsbedürftigen Ort.

Zahlreiche Baurnaßnahmen im Bereich des zukünftigen Humboldt-Forums erfordern großflächige archäologische Untersuchungen, die im April 2008begannen. Im Fokus der Ausgrabungen steht eine Fläche von annähernd 10.000 Quadratmetern mit im Boden erhaltenen Zeugen eines Wohnquartiers, das schon seit dem späten 12. Jahrhundert durchgehend besiedelt war. Zu Beginn des 14. Jh. wurde das Areal am Stadtrand von Cölln durch den Bau des Klosters und der Kirche der Dominikaner überformt. Der nachfolgende Bau des kurfürstlichen Schlosses im 15. Jh. verlieh ihm seine höfische Prägung.

Das auf einer Inselsituation gelegene Cölln bildete zusammen mit dem nahezu doppelt so großen Berlin den mittelalterlichen Kern der heutigen Metropole. Jeweils am Stadtrand wurden Bettelorden angesiedelt. In Berlin ließen sich schon zur Mitte des 13. Jh. die Franziskaner nieder, die ein Kloster in unmittelbarer Nähe des "Hohen Hauses" in der heutigen Klosterstraße gründeten. Der Dominikanerordenoließ sich auf einem Grundstück nahe der Cöllner Stadtmauer nieder. Auf das Jahr 1300 fällt die erste schriftliche Erwähnung des Dominikanerkonvents. Der Bettelorden errichtete um 1300 eine große, gotische Hallenkirche, die im Jahr 1536 erste Domkirche und Grablege der Hohenzollern wurde. Nördlich der Kirche schlossen sich Klausurgebäude an, die im 16. Jh. Sitz des Domstifts wurden. Südwestlich und nordöstlich der Kirche gab es zwei Friedhöfe.

Bei den archäologischen Erforschungen im vergangenen Jahr wurden die Fundamente der 64 m langen und 24 m breiten, dreischiffigen Hallenkirche ausgegraben. Die spätmit telalterliche Bausubstanz war in mehreren Lagen von Feldsteinen für die fast zwei Meter dicken Außenmauern und in Form von steinernen Punktfundamenten mit Sockeln aus klosterformatigen Ziegeln erhalten. Auf diesen Unterlagen hatten sich einst oktogonale Pfeiler erhoben, die das Kreuzgewölbe trugen. Die Fundamentgräben des Kirchenbaus und die Gräber innerhalb und außerhalb der Kirche schnitten oder überlagerten mehrere ältere Siedlungsbefunde aus der Zeit der Stadtwerdung im späten 12. bzw. frühen 13. Jahrhundert.
Mehrere Gruben enthielten mit Holzkohleresten, Tierknochen und vielen Fragmenten harter Grauware typische Haushaltsabfälle. Eine ältere Gebäudemauer mit anstreichendem Stampflehmboden belegt durch ihre von der Kirche abweichende Orientierung eine Neuausrichtung oder Neuordnung des Parzellengefüges noch im 13. Jh. Zwei partiell erhaltene, mittelalterliche Keller wiesen Wandkonstruktionen aus Spaltbohlen auf. Die Befunde lagen etwa 3,5 m unter der heutigen Geländeoberkante. Einer der Keller war abgebrannt und die dendrochronologische Untersuchung einer Spaltbohle aus Erlenholz ergab ein Fälldatum 1198 (Waldkante) für den entsprechenden Baum.
Eine Holzstruktur von ca. 2,8m x 4m mit horizontal verlegten Wandbohlen, die zunächst als Gebäudegrundriss interpretiert wurde, erwies sich als Sumpfgrube, in welcher Lehm zur weiteren Verarbeitung in Wasser eingeweicht wurde -möglicherweise zur Ziegelherstellung. Unterhalb des Vorchors der Klosterkirche konnte ein verfüllter Brunnenschacht des 13. Jahrhunderts dokumentiert werden. Die gefundenen Strukturen belegen verschiedene Nutzungen des Areals während der ersten 100 Jahre der Siedlung, bis sich um 1300 die Dominikaner dort niederließen.

Für den Dominikanerkonvent ergab sich aus dem Bau des Schlosses zur Mitte des 15. Jh. eine Aufwertung des Standorts, der nunmehr in der Nachbarschaft der Hohenzollernresidenz gelegen war -es bestanden gute Kontakte. Mit Billigung des Papstes wurde das Kloster 1536 aufgelöst. Die Räumlichkeiten dienten fortan als Sitz des Domstifts, das vorher im benachbarten Schloss untergebracht war. Die zur Domkirche umgewidmete Klosterkirche nahm seitdem das Erbbegräbnis der Hohenzollern auf. Die ehemalige Bettelordenskirche entwickelte sich zu einer prächtig ausgestatteten Hofkirche, die auch als Repräsentationsstätte eine wichtige Rolle spielte. Nach dem Übertritt des Kurfürsten Johann Sigismund zum reformierten Bekenntnis im Jahre 1613 wurden hier alsbald nur noch Angehörige des reformierten Glaubens getauft und bestattet. Im Jahre 1747 wurde die erste Dom-und Pfarrkirche Cöllns wegen Baufälligkeitabgerissen.

Bei den Ausgrabungen innerhalb der Kirche wurden bislang mehr als vierzig frühneu zeitliche Grüfte freigelegt, darunter eine begehbare Kammer im Vorchor. Die Größe der Grüfte variierte zwischen 1m bis 4m Länge. In acht Fällen konnten Adelige und Hofbeamte als Inhaber der Grüfte nachgewiesen werden. Die Räumung der Grüfte und die Überführung von 51 Angehörigen der Hohenzollernfamilie in den neu gebauten Dom war im Jahre 1749 nach dem Abriss der Kirche erfolgt. In drei jetzt freigelegten Grüften wurden trotz der damaligen Räumung ungestörte Bestattungen lokalisiert, deren Särge aufwändige Verzierungen zeigten. Auch bei den Ausgrabungen im Außenbereich der Kirche konnten zahlreiche Bestattungen geborgen werden. Der Friedhof war bis zum Anfang des 18. Jh. von der französisch-reformierten Gemeinde genutzt worden.

Im Jahre 1880 finanzierte der preußische Staat eine erste Ausgrabung an der Stelle der alten Dominikanerklosterkirche, um die Gebeine der Kurfürsten Johann Cicero (1455-1499), Joachim 1. (1484-1535) und Joachim H. (1505-1571) aufzufinden, da diese bei der Überführung der Hohenzollerngebeine im Jahr 1749 nicht geortet werden konnten. Bei dieser Ausgrabung wurden der gesamte Kirchengrundriss und die Mauerkronen der nördlich angrenzenden Klausurgebäude freigelegt. In der Kirche öffnete man alle bis dahin noch intakten Grüfte, und vor allem der Chor als vermeintlicher Ort der kurfürstlichen Gruft wurde tiefgründig umgegraben -aber vergeblich.

Trotz des Kirchenabrisses und großflächiger Altgrabungen konnten neben Siedlungsbefunden auch zahlreiche spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Gräber neben und unterhalb der frühneuzeitlichen Grüfte gefunden werden. In den kommenden Monaten werden nun die nördlich an die Kirche anschließenden Klausur-bzw. Stiftsgebäude und die Schlossfundamente ergraben werden.

Das alte Cölln ist auch im Zusammenhang mit den neuen Ausgrabungen am Petriplatz in das Bewusstsein der Stadt zurückgekehrt. Am Tag des Offenen Denkmals 2008 nahmen mehr als zweitausend Besucher an den Grabungsführungen teil und die zugehörige Ausstellung SandGut im Mitte Museum am Festungsgraben ist eine der erfolgreichsten Schauen dieses Hauses. Auch der rege Besuch der monatlichen Grabungsführungen, sowie 160 Vorträge, Veranstaltungen, Führungen und Events seit Beginn der Grabungsarbeiten im Mai 2007 sprechen für das Interesse der Berliner und ihrer Gäste an der städtischen Frühgeschichte.

Durch die jetzigen Ausgrabungen werden bedeutende historische Schauplätze erschlossen, deren eindrucksvolle Bodenerhaltung die ältesten Zeitschichten unserer Metropole verkörpert. Durch die detaillierte archäologische Freilegung vermittelt sich auch dem flüchtigen Grabungsbesucher die Exklusivität der neuen Arbeiten. Das Interesse an der städtischen Frühgeschichte war in der jüngeren Vergangenheit überblendet von der Teilung Berlins und von der Inanspruchnahme der deutschen Geschichte durch die Nationalsozialisten.

In den Sechziger und Siebzigerjahren hatte der politisch-architektonische Zeitgeist verheerende Auswirkungen auf die historische Substanz der Stadt und in der Nachwendezeit wurde die universitär angebundene Stadtgeschichtsforschung als Folge dieses Erbes strukturell nahezu vernichtet. Deshalb ist es umso erfreulicher, dass sich die Landesregierung nunmehr die Erinnerung und die Wiedergewinnung der räumlichen Erfahrbarkeit der mittelalterlichen Doppelstadt Berlin/ Cölln auf die Fahnen geschrieben hat. Die zukünftig an mehreren historischen Orten geplanten "archäologischen Fenster" sind Sinnbild dieses Umdenkens.

Auch in der archäologischen Feldforschung hat es in den letzten Jahren wesentliche methodische Veränderungen gegeben, die unter anderem zur Einbindung naturwissenschaftlicher Verfahren und Analysemethoden führten. Die vollflächigen, stratigrafischen Freilegungen am Petriplatz und am Dominikanerkloster führen Forscher wie Besucher nun physisch zum Anfang der Siedlung zurück -eine Faszination, der man sich schwerlich entziehen kann. Am Petriplatz ist so die Erstreckung des alten Kirchhofs, der schon 13 Jahre vor dem Kirchenbrand 1730 wegen Überbelegung geschlossen wurde, ergraben worden. Es wurden dabei Gebeine von etwa 4.300 Cöllner Personen in ca. 3.000 Gräbern geborgen. Die Grabdichte zeichnete sich in eindruckvollster Weise im Boden ab. Die Divergenz zwischen der Anzahl der Gräber und der Individuenzahl ergibt sich aus der Tatsache, dass in vielen Gräbern mehr als eine Person bestattet worden war. Bei diesen Mehrfachbestattungen handelte es sich nach vorläufiger anthropologischer Einschätzung hauptsächlich um Kinder aller Altersstufen bis hin zu jungen Erwachsenen. Die stratigrafischen Befunde lassen vermuten, dass diese Bestattungen frühestens im 14. Jahrhundert vorgenommen wurden.
Weitere Untersuchungen an den Gebeinen, vor allem die Altersfeststellung der Einzelindividuen und die makroskopische Beurteilung des Ernährungszustandes in Verbindung mit Laboruntersuchungen werden zur Klärung des zu Grunde liegenden Phänomens beitragen können. Außer Zweifel steht, dass bei den Arbeiten auch sehr frühe Bestattungen geborgen wurden. Es bestehen berechtigte Hoffnungen, der naturräumlichen Herkunft der frühen Siedler mit Hilfe von Isotopenuntersuchungen nachgehen zu können.

Während der Ausgrabungen am Petriplatz wurden durch glückliche Umstände auch die Fundamente der Cöllnischen Stadtmauer in der Straße Friedrichsgracht gefunden. Im Moment sind die Arbeiten auf den Bereich des ehemaligen Cöllnischen Rathauses konzentriert, um der im Boden verbliebenen Bausubstanz die einzelnen Entwicklungsphasen und deren Datierung abzuringen. Sobald der Rückbau der Straße am Petriplatz beginnt, wird das Grabungsteam alle Energie auf die Erforschung der Lage der spätgotischen St. Petri-Kirche fokussieren.

Die neuen Ausgrabungen sind nicht nur von psychologischer Bedeutung. Sie führen zu extrem komplexen Erkenntnissen an einer verloren geglaubten Substanz. Ganz entscheidend ist, die gegenwärtige Forschungschance zu erkennen und bewusst zu nutzen, denn die Stellen, an denen strukturelle Erkenntnisse zur urkundenlosen bzw. -armen Zeit der Stadtgeschichte gewonnen werden können, sind extrem rar geworden. Umso wichtiger erscheint die gelungene Relokalisierung der Cöllnischen Lateinschule am Petriplatz und die gezeigte Würdigung und Aneignung dieses Standortes durch die Berliner Bevölkerung.

Anschrift der Verfasser:
Michael Malliaris und Claudia Maria Melisch
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