Die vergessene Revolution
Der 17. Juni 1953 im Gedächtnis der deutschen Nation
Von Martin Mende

Von Lenin soll die Bemerkung stammen, in Deutschland könne keine Revolution stattfinden, weil die Deutschen immer erst eine Bahnsteigkarte lösen, bevor sie einen Bahnhof stürmen.

Am 23. April 2013 wurde eine fünfteilige gemeinsame Veranstaltungsreihe „2 x Deutschland“ der Deutschen Gesellschaft e. V., der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und dem Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Berlin unter dem oben genannten Titel eröffnet. Der 17. Juni 1953 liegt 60 Jahre zurück, aber wie sind die Ereignisse von damals in die gesamtdeutsche Freiheits- und Einheitsgeschichte von 1848 bis 1989 einzuordnen?

Der Theologe und Publizist Dr. Ehrhart Neubert nahm dazu in seinem Vortrag Stellung. Er gehörte in der DDR den oppositionellen Kreisen an und zählte 1989 zu den Gründern des Demokratischen Aufbruchs. Neubert promovierte 1996 mit einer Publikation zur Geschichte der DDR-Opposition von 1949 bis 1989.

Er betonte in seinem Vortrag, in der deutschen Geschichte hätten revolutionäre Ereignisse selten ein positives Ende gefunden, sowohl 1848 als auch 1918 endeten enttäuschend. Der 17. Juni 1953 sei für ihn ein revolutionäres Ereignis gewesen, in dem es um Einheit und Freiheit ging. Die Parteien in der Bundesrepublik strebten seinerzeit übereinstimmend die Überwindung der Teilung des Landes an und bestimmten ab 1954 den 17. Juni als gesetzlichen Feiertag (Tag der deutschen Einheit). Der Publizist Klaus Harpprecht ordnete den 17. Juni 1953 auch als Teil der europäischen Revolutionsgeschichte ein. Willy. Brandt rechnete die Ereignisse von 1953  eher der Arbeiterbewegung zu und auch nach Günter Grass ging es nur um soziale Fragen, nicht um die Einheit. Bereits Ende der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts gab es Bestrebungen, den Tag der deutschen Einheit wieder abzuschaffen, scheiterten aber am Widerstand der Gewerkschaften, die auf einen arbeitsfreien Tag nicht verzichten wollten.
 1965 äußerte der Historiker Arnulf Baring in einem Buch über den 17. Juni, die Ereignisse von  1953 hätten das SED-Regime zwar erschüttert, die Feier einer Volkserhebung wäre aber unangebracht. In diesen Jahren – so Neubert – war die Bundesrepublik Deutschland sich selbst genug.  Am 17. Juni 1968 fand  erstmals keine Sondersitzung im Deutschen Bundestag mehr statt. Aus Anlass des 100. Jahrestages der Reichsgründung hinterfragte 1971 der Bundespräsident Gustav Heinemann das Verlangen nach einem einheitlichen deutschen Nationalstaat.

Unter Helmut Kohl als Bundeskanzler ab 1982 wurde die nationale Einheit als Ziel der Regierung wieder in den Vordergrund gerückt. Die Opposition war bis 1989 nur an Reformen in der DDR interessiert. Erst ab 1989 wurde der 17. Juni wieder zum Thema.

Die DDR sprach stets von einem vom Westen initiierten faschistischen Putsch. Fast alle DDR-Schriftsteller wie auch die Dissidenten in der DDR schlossen sich dieser Interpretation an. Sie wollten die Grundlagen des Staates nicht in Frage stellen. Nach Neubert war die Stabilität des Kommunismus über Jahrzehnte hinweg eine Fiktion.

In dem anschließenden Podiumsgespräch unter der Moderation von Prof. Dr. Daniela Münkel kam zunächst Klaus Gronau als Zeitzeuge zu Wort. Er beteiligte sich als sechzehnjähriger Verkaufs-Lehrling an dem Protestzug der Bauarbeiter von der Stalinallee bis zum Haus der Ministerien. Er wurde daraufhin beruflich benachteiligt und ging 1956 mit seinen Eltern nach Berlin (West).

Der zum Gespräch geladene Prof. Dr. Arnulf Baring konnte leider aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen.
Mit Prof. Dr. Ètienne François war ein excellenter Kenner der deutschen Geschichte auf dem Podium, von 1999 bis 2008 Professor für Geschichte am Frankreichzentrum der TU Berlin bzw. der FU Berlin. Auf die Frage, warum der 17. Juni in seiner zusammen mit Hagen Schulze 2001 herausgegebenen dreibändigen Publikation über „Deutsche Erinnerungsorte“ nicht besonders hervorgehoben wurde, wies er auf ein besonderes Kapitel über Freiheit hin, in dem der 17. Juni mehrfach erwähnt wurde. Die Gliederung des Werkes sei in den späten neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entworfen worden und sähe heute mit Sicherheit anders aus. Als er 1979 für die Max-Planck-Gesellschaft in Göttingen arbeitete, sei der Gedanke an einen deutschen Nationalstaat in weiten intelektuellen Kreisen tot gewesen. Die Ereignissse des 17. Juni 1953 seien in diesen Schichten eher negativ wahrgenommen worden, weil die Arbeiter die Abschaffung des Sozialismus forderten. DDR-Oppositionelle nahmen den Wechsel in der Einschätzung zur Kenntnis, lediglich in einem kleinen subversiven Bereich und auch in der Erinnerung der Familien blieb das Datum präsent. In der Öffentlichkeit war das Thema in der DDR tabuisiert.
1989 sei mit der Öffnung der Mauer die alte Deutschlandforschung zusammengebrochen. Es gäbe eine neue Sicht der Geschehnisse und neue Erkenntnisse über die Ausdehnung der Auflehnung. Die Historiker hätten sich bisher immer nur auf schriftliche Quellen gestützt und die Aussagen von Zeitzeugen vernachlässigt. Heute sei die Wahrnehmung des 17. Juni 1953 eine ganz andere. Der Zugriff auf Unterlagen der DDR-Organe mache deutlich, dass es sich um einen echten Volksaufstand im gesamten Gebiet der DDR handelte, der nur mit Unterstützung der sowjetischen Truppen unter Kontrolle gebracht werden konnte.

Nach empirischen Studien ist das Wissen über die jüngste deutsche Geschichte sehr lückenhaft.  Es ist zu erwarten, dass in 2013 anlässlich des 60. Gedenktages, der seit 1990 kein Feiertag mehr ist, an die erste Erhebung gegen die kommunistische Diktatur nach 1945 erinnert wird. Auf Antrag des Bundesministeriums der Finanzen beschloss die Bezirksverordnetenversammlung Mitte am 26. März 2013, den bundeseigenen Vorplatz an der Ecke Leipziger Straße/Wilhelmstraße künftig als „Platz  des Volksaufstandes von 1953“  zu führen.   

 

Weitere Informationen unter den folgenden Links:
http://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/17juni1953-1119.html
http://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/geschichte-3995.html
http://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/erinnerungsorte-volksaufstand-4234.html

 


 

Die Neue Zeitung
Die Amerikansche Zeitung in Deutschland, Berliner Ausgabe

In unserem Archiv haben wir Fragmente der Neuen Zeitung, der amerikanischen Militärregierung "Die Neue Zeitung", Berliner Ausgabe, zu den Ereignissen des 17. Juni 1953. Es sind die Titelseiten der Ausgaben 18. Juni, 19. Juni, 20. Juni und 23. Juni 1953. Wir möchten sie dokumentieren, wie " Die Neue Zeitung" als amerikanische Zeitung in Deutschland die Ereignisse in Ost-Berlin darstellte (Titelseite und 2. Seite der jeweiligen Ausgabe).

Die Neue Zeitung vom 18.06.1953
Auch Ostzone rebelliert gegen ihre Unterdrücker [PDF, 9,5 MB]


Weitere Informationen zu den geschichtlichen Hintergründen:
Die Neue Zeitung war eine nach dem Zweiten Weltkrieg in der amerikanischen Besatzungszone herausgegebene Zeitung. Sie war vergleichbar mit der Tageszeitung "Die Welt" in der britischen Zone und galt als die bedeutendste Zeitung im Nachkriegsdeutschland.

Die Neue Zeitung wurde am 18. Oktober 1945 [1] in München erstmals herausgegeben und erschien bis zum 30. Januar 1955 zunächst zweimal, später sechsmal wöchentlich. Als Herausgeber fungierte die Information Control Divison der amerikanischen Besatzungsmacht. Sie ließ deutsche Redakteure und Journalisten schreiben, gab aber nie die Rechte an der Zeitung ab. Dies wurde in der Titelzeile deutlich:
„Die neue Zeitung - Eine amerikanische Zeitung für die deutsche Bevölkerung"[2].
Die Neue Zeitung war von ihren amerikanischen Herausgebern auch als Mittel zur politischen Umerziehung gedacht. Sie war ein qualitativ hochwertiges Blatt, das sich aber auf dem nach 1949 wieder schnell wachsenden Zeitungsmarkt nicht halten konnte.
Seit Anfang 1947 gab es im amerikanischen Sektor Berlins eine Berliner Ausgabe der NZ. Diese Berliner Ausgabe schien sinnvoll, weil in der ehemaligen Hauptstadt der Alliierte Kontrollrat großen Einfluss hatte und die Interessen von Sowjetunion und USA bereits stark differierten (Stichwort "Frontstadt Berlin"). Es galt, die Sowjetisierung der Deutschen zu verhindern. Deshalb arbeitete die NZ in Berlin auch selbständig mit einem eigenen Chefredakteur namens Fodor. Das Feuilleton arbeitete unter der Leitung von Friedrich Luft, lange bekannt durch seine Theaterkritiken im RIAS. Ebenfalls im Feuilleton arbeitete Hans Schwab-Felisch, nach 1955 an der FAZ, später Chefredakteur des "Merkur". Freie Mitarbeiter für die Kultur waren unter anderen die Professoren Will Grohmann( Bildende Kunst) und H.H Stuckenschmidt (Musik). Von Juni 1949 an gab es auch eine Ausgabe in Frankfurt. 1951 wurden die Münchener und die Frankfurter Ausgabe in Frankfurt zusammengelegt. Von September 1953 an erschien die Neue Zeitung nur noch in Berlin. Im März 1955 wurde sie gänzlich eingestellt.

Literatur:
[1] Kurt Koszyk: Presse unter alliierter Besetzung, in: Wilke: Mediengeschichte (S.31-58), S. 39.
[2]Kurt Koszyk: Presse unter alliierter Besetzung, in: Wilke: Mediengeschichte, S. 38. Abdruck der Titelseite der Erstausgabe.
©Wikipedia

Die Auflage betrug bis zu 2.5 Millionen.

Seit 1945 war Hanz Habe der erste NZ-Chefredakteur in der Münchener Schellingstraße 39, dem ehemaligen Hause von Hitlers "Völkischem Beobachter". Am 18. Oktober 1945 hatte General Eisenhower erklärt: " Die NZ wird das Organ der amerikanischen Militär-Regierung auch dann bleiben, wenn alle anderen von der amerikanschen Armee in Deutschland herausgegebenen Zeitungen durch lizentierte, von Deutschen herausgegebenen Blätter ersetzt sein werden. "Die Neue Zeitung", obwohl in deutscher Sprache herausgegeben, beabsichtigt keinewegs eine deutsche Zeitung zu sein."

Der amerikanische Steuerzahler, laut " New York Herald Tribune" war mit 2,5 Millionen Dollar "beteiligt" zum gelingen der NZ.
Nach verschieden wechsel der Chefredakteure und Auseinandersetzungen mit den deutschen Redakteure z.B. Erich Kästner und durch gestrenge, mißverstandene Leitartikel und Artikel, verzeichneten die Vertriebsleute der NZ einen großen Auflagesturz.
Dies alles führte dazu, dass n ach 10 Jahren die NZ am 30.Januar 1955 eingestellt wurde.

Der vollständige Text ist im Spiegel vom DER SPIEGEL 6/1949
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Zusammenfassung J.Kluge,VfdGB e.V, 1. Juni 2013