Eine „Baumannshöhle „ in Berlin

Die Stadt Berlin hat alte Beziehungen zum Harze: in der Urkunde des brandenburgischen Markgrafen Johann I. und Otto III., in der den im einzelnen nicht genannten Städten der Landschaften Teltow, Glin und Barnim durch die Vermittlung von Spandau brandenburgisches Stadtrecht verliehen wird und die am 7. März 1232 in Spandau ausgestellt worden ist, erscheint unter den Zeugen der Graf Conrad (II.) von Regenstein am Harze. Er war der letzte der älteren Linie dieses Geschlechtes, das reichen Besitz am Nordharz hatte, zu dem auch die, allerdings erst später entdeckte Baumannshöhle gehörte. Mit dem Namen dieser Höhle, die im 18. Jahrhundert nächst dem Brocken die größte Sehenswürdigkeit des Harzes bildete, hat die Stadt Berlin später ihre alten Beziehungen zum Harze wieder aufgenommen. Der Dichter Karl Wilhelm Ramler, der seit 1747 ununterbrochen bis zu seinem Tode 1798 als Professor an dem Kadetteninstitut in Berlin wohnte, hat uns in zwei Briefen an seinen Freund, den Dichter Gleim in Halberstadt, den Namen dieser Berliner Baumannshöhle aufbewahrt. Und dem Umstande, dass Ramler hier mit einem anderen damals in Berlin lebenden Dichter, Gotthold Ephraim Lessing, verkehrte, verdanken wir, dass Julius Rodenberg, den Berliner Spuren Lessing nachgehend, in seiner „Deutschen Rundschau" (Bd. 99, 1886) uns eine ziemlich eingehende Beschreibung von ihr gegeben hat, die es wohl verdient, der Vergessenheit entrissen zu werden.

Ramler schreibt an Gleim am 11. 4. 1759: „ Ich kann mich hier mit Herrn Lessing abrufen oder wenigstens absehen, wenn ich mit ihm Ihre Gesundheit bei Wittens [1] trinken will. Wir hängen alsdann einen roten Band aus, das ist das Signal zur Ausflucht in die Baumannshöhle; denn Sie müssen wissen, der Küper heißt Baumann! Machen Sie doch Ihre Anakreen zu Herrn Lessings großen Projekte fertig; aber vor allem Ihre eigenen Werke! Alles was Trinklieder darunter sind, sollen allda gesungen werden." In einem zweiten Briefe vom 12. 5. 1759 heißt es: „Habe ich Ihnen denn noch nicht gemeldet, dass ich bei Hegelins in der Spandauer Straße wohne, dass Sie mich in der Baumannshöhle aufsuchen müssen? Ich will, so selten ich jetzt hinzukommen pflege, doch heute dafür mit Lessing und Langemack Ihre Gesundheit trinken, und Ihnen dabei einen so schrecklichen Durst anwünschen, dass Sie es ebenso in Ihrer Domhöhle [in Halberstadt] machen sollen."

Aus diesen Briefen ersehen wir also, dass die Berliner Baumannshöhle eine Weinstube war, in der ein Küfer Baumann wirtschaftete. Sie war, wie wir nachher sehen werden, mehr ein düsterer Keller, einer Höhle wohl ähnlich. Und da liegt es nahe, dass der Dichter Ramler der Vater dieser Namensgebung, unter bewusster Beziehung auf die Harzer Baumannshöhle gewesen ist. Denn Ramler hat wiederholt den „Vater Gleim" in Halberstadt besucht und dort sicher nicht nur von der nahen Baumannshöhle im Harz gehört, sondern sie auch besucht. Und nun wollen wir auch verraten, wo diese Baumannshöhle in Berlin lag. In der Brüderstraße 27 stand damals ein kleines einstöckiges Haus von vier Fenstern Breite. Hier hatte Johann Franz Schüler 1742 eine Weinstube begründet, in der zu Ramlers und Lessings Zeiten der Küfer Baumann tätig war. Im Jahre 1768 übernahm sie Louis Ferdinand Maurer von der französischen Kolonie, dessen Familie sie später mit der Rudolph Christian Brachts, welcher 1839 eine Enkelin des Gründers geheiratet hatte, bis 1873 unter der Firma Maurer & Bracht weiter führte. In diesem Jahre wurde das Haus Brüderstraße 27 abgerissen, weil das Nachbarhaus von Rudolf Hertzog vergrößert wurde. Die Weinstube von Maurer & Bracht siedelte dann nach dem Hause Scharrenstraße 4 über.

Julius Rodenberg hat diesen Weinkeller zur Baumannshöhle noch kurz vor dem Abbruch besucht und ihn uns beschrieben, wobei er versichert, dass er noch ganz so wie zu Lessings und Ramlers Zeiten erhalten gewesen sei. „Oftmals bin ich in diesem Lokal gewesen, über dessen Eingang man jetzt den Namen Maurer & Bracht las, zuletzt an einem Sommermittag des Jahres 1872. Eine wundersame Kühle, mit Weingerüchen vermischt, wehte mich aus dem Dunkel an. Man stand wie geblendet, wenn man aus dem hellen Sonnenlichte hierher unter die Erde kam, und musste sich erst an die Dämmerung gewöhnen, bevor man sich zwischen den lagernden Fässern zurecht fand, auf deren vorderstem ein Bacchus thronte, der mir so aussah, als ob er Lessing schon gekannt. Auch Baumann, der Küfer, war nicht mehr in der Baumannshöhle, dafür machte mir ein Mann unseres Jahrhunderts die Honneurs und führte mich in den Raum nebenan, das Gastzimmer. Eine Gasflamme brannte - von der Petrikirche schlug es zwölf. Die Kreuzgewölbe der Decke waren niedrig; sie schien sehr alt, vielleicht noch aus dem 15. Jahrhundert, wo hier in der Brüderstraße ein Mönchshaus der Dominikaner stand... In einem Winkel befand sich der Stuhl Lessings, ungepolstert, ganz von Holz, mit Armlehnen, von altväterlicher Form. Er war baufällig geworden in der langen Zeit von mehr als einem Jahrhundert, und ich vermute, dass er ursprünglich seine gesunden vier Beine gehabt, obwohl er nunmehr auf dem einen nicht mehr feststand. Doch er ward in Ehren gehalten, und an der Rücklehne las man den Namen Lessing. Eine Tradition hatte sich in diesem Keller erhalten, dass er den Platz an der Treppe vorgezogen und dort regelmäßig am Eingang gesessen, wie wenn er die frische Luft nicht habe missen wollen. Auch damals noch sah ich einen kleinen Tisch an der bezeichneten Stelle." Soweit Rodenbergs Bericht.

Lessing, dieser flüchtige Besucher der Baumannshöhle, wohnte damals ganz in der Nähe, im Hause Heiligegeiststraße 42 [2] und dicht dabei in der Spandauer Straße wohnte Ramler, während Nicolai, der Dritte im Bunde, nicht weit davon in der Poststraße hauste. Später ist er bekanntlich in die Brüderstraße gezogen, sein Haus stand gerade gegenüber der Baumannshöhle. So war es denkbar bequem für die drei Freunde und Zechgenossen, sich beim Glase Wein zu treffen, Gleims Trinklieder zu singen und auf sein Wohl zu trinken.

Noch manches hat diese alte Weinstube erlebt, worüber die kleine „Geschichte der Berliner Weinstube von Maurer & Bracht 1768-1893" von Eugen Zabel berichtet. So tagte hier in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts die „Nagelbohrgesellschaft", deren Symbol ein Nagelbohrer war und der trinkfeste Männer angehörten. Der alte Lessingstuhl aus der Baumannshöhle, dessen Rodenberg gedenkt, hat noch lange in dem neuen Lokal von Maurer & Bracht in der Scharrenstraße 4 ebenso wie das alte Lessingbild einen ehrwürdigen Platz eingenommen. Jetzt steht er im Lessing-Museum als letzte Erinnerung an die Berliner Baumannshöhle.

 

Anmerkungen des Verfassers:
[1] So hieß vermutlich der damalige Pächter der Weinstube
[2] Diese Annahme ist neuerdings von Max Kirschstein in seinem Buche „Lessing und Berlin" (Berlin 1929), Seite 50 ff., mit guten Gründen bestritten worden. „Nicht weit von Herrn Lessings itziger Wohnung" schreibt Ramler selbst Gleim gegenüber von seiner neuen Behausung in der Spandauer Straße.

Dr. Friedrich Dennert


Anmerkungen des Herausgebers:
Der Text erschien in „Berlinische Blätter für Geschichte und Heimatkunde", Jahrgang 1 Nr. 16 vom 30. November 1934, herausgegeben vom Bibliothekar des Vereins für die Geschichte Berlins Felix Hasselberg. Der Verfasser Dr. Friedrich Dennert war ab 1940 Mitglied des Vereins für die Geschichte Berlins. Das Berliner Lessing-Museum, zuletzt untergebracht im Nicolai-Haus in der Brüderstraße, wurde unter dem Druck der Nationalsozialisten im Jahre 1936 geschlossen. Auf dem Grundstück der früheren Baumannshöhle steht heute der Erweiterungsbau des Kaufhauses Rudolf Hertzog aus dem Jahr 1909 und wartet auf einen Nutzer.

Martin Mende, Mai 2010