Zur Berliner Sittengeschichte im Dreißigjährigen Krieg [Teil 1]
[Teil 2] - [Teil 3]
Von M. Rehbock
Der Dreißigjährige Krieg, welcher über das ganze brandenburgische Land überaus vielfältige Leiden und Ungemach brachte, ließ auch unverkennbar in jenen Zeiten seine tiefen Schatten auf die Hauptstadt der Mark (damals noch Berlin und Kölln genannt) fallen; sie gewährte dazumal durchaus keinen anmutigen und erfreulichen Anblick.
Zwar hatte die kirchliche Spannung, durch welche die Regierung Johann Sigismunds oft verkümmert wurde, sich sehr gemindert; nur selten regte sich in dieser Zeit die frühere dogmatische Streitlust, und wo sie entbrannte, da blieb sie doch ohne Wirkung auf die mit der drohenden Not, mit den eigenen Drangsalen beschäftigten Gemüter des Volkes. Aber wer konnte eine besondere Freude an Vergnügungen und Festlichkeiten haben zu einer Zeit, wo von verübten Greueln und schrecklicher Verheerung der Städte und Dörfer eine Nachricht die andere drängte.
Man war in diesen Jahren natürlich mehr aufgelegt, die Predigten zu hören an den Bußtagen, welche Georg Wilhelm, der fromme Kurfürst, bereits seit dem Anfange seiner regierung an jedem Mittwoch zur Abwendung der schrecklichen "Kriegsläufte" zu halten befohlen hatte, als die erheiternden Gaukeleien und Possen der Komödianten anzusehen. Die Tage, welche zu bußfertigen Betrachtungen und andächtigen Gebeten bestimmt waren, mehrten sich mit dem Fortgange des Krieges in eben dem Maße, wie die Begebenheiten sich häuften, welche nachteilige Wirkungen für das Land besorgen ließen.
Ein jedes Ereignis, welches an sich oder doch mutmaßliche Folgen, Schrecken und Furcht erregte, hatte die Abhaltung von kirchlicher Andacht zur Folge. Als die Nachricht von dem Tode des großen Schwedenführers Gustav Adolf in die Mark gekommen war, schrieb der Kurfürst (wie der Chronist Lockel bei diesem Jahre berichtet) sogleich einen außerordentlichen Bußtag aus, welcher am 5. Dezember 1632 gefeiert wurde. Als es im Mai des folgenden Jahres 1633 bei Berlin, wie einige meldeten, Schwefel geregnet hatte, wurden in allen Kirchen der beiden Residenstädte Bußpredigten gehalten, als ob den Städten das entsetzliche Schicksal von Sodom und Gomorra bevorstände.
Auch in erfreulicheren Zeiten möchte der Kurfürst, in dessen Sinnesart ein düsterer Trübsinn vorherrschte, die Vergnügungen des Landes wenig begünstigt haben, denn jede öffentliche geräuschvolle oder mutwillige Belustigung war ihm durchaus zuwider. Vor allem haßte er die Komödien und Pickelheringsspiele, welche damals schon sehr im Schwange waren, als unverträglich mit der damaligen ernsten Zeit; und sobald er zur Regierung 1619 kam, war eine seiner ersten Sorgen, die Komödianten, Kunstreiter, Seiltänzer und andere Gaukler, welche sein Vater vordem in Dienst genommen, zu entfernen.
Doch erhielt während der Jahre 1622 bis 1625 Lassenius, ein berühmter Schauspieler seiner Zeit, einige Male, aber wahrscheinlich meistens in der Abwesenheit des Kurfürsten, die Erlaubnis, durch die Vorstellungen seiner Gesellschaft von Fest- und Lustspielen die Bewohner Berlins und Köllns [Cöllns] zu erheitern. Das letztemal, als der Kurfürst in Berlin anwesend war, erhielt Lassenius diese Erlaubnis nur auf vier Tage.
Georg Wilhelm bewunderte zwar ebenfalls seine Geschicklichkeit und belohnte ihn durch das Geschenk eines berühmten, damals in Holland herausgegebenen Werkes über die Geschichte der Religionen (welches der Beschenkte wahrscheinlich nie ansah), ermahnte ihn aber in einer längeren als eine Stunde gepflogenen (wie Plümicke in seiner Theatergeschichte von Berlin, S. 41 erzählt), höchst gnädigen Unterredung: seine dermalige Lebensart wiederum zu verlassen, wobei er ihn tatkräftigst auf die damaligen Zuchtruten Gottes, sowohl durch Pest und Krieg als Hungersnot verwies.
Sehr ungehalten zeigte er sich, als im Jahre 1623 der Rat der Residenzstädte einer Gesellschaft von fremden Gauklern erlaubte, mit Trommeln und Trompeten auf der Straße umherzuziehen und offen ihr Spiel zu treiben.
Der Rat entschuldigte sich damit, daß dieses nur auf des kurfürstlichen Trompeters Simon Froberg Antrag geschehen sei, indem dieser versichert habe, daß es Ihrer kurfürstlichen Durchlaucht Wille und Meinung wäre, jene Komödianten in die Stadt zu lassen und ihnen ihr offen Spiel auf den Tag zu verstatten; der Rat aber hätte sich eher des Himmels Einfall versehen, als daß der Trompeter ohne sonderbares Geheiß und Willen Ihrer kurfürstlichen Durchlaucht sich solches hätte unterfangen mögen. Auch sei den Komödianten weiter nichts verstattet worden; denn die Eröffnung des Rathauses zu solchem Spiele sei ohne des Rates Wissen, und auf das "Aussagen" des gedachten Trompeters, bloß durch den Werkmeister des Rates geschehen.
Ebenso untersagte der Kurfürst im Jahre 1635 (auch von Plümicke S. 43 ff. berichtet) "wegen Pest, Krieg, Verfolgung frommer unschuldiger Christen, Ergießung der Wässer, welche auf so viele Tonnen Goldes Schaden getan, Erdbeben und ungewöhnliches Donnerwetter" die Feier des Gregorius-Tages, welche damals in Berlin üblich, durch die Aufführung von Schulkomödien und anderen Spielen, sowie durch Sammeln von milden Beiträgen für die Schuldner begangen wurde.
Nachdem Georg Wilhelm auf so vielfältige Weise seine Ansicht über derartige Spiele ausgesprochen hatte, erregte es seinen heftigsten Unwillen, als der Rat den Schülern der beiden Gymnasienerlaubt hatte, am 10. September 1629 eine Schulkomödie aufzuführen; er machte daher sowohl dem Magistrate als dem Rektor, Konrektor und übrigen Kollegen der beiden Schulen in ernsten Schreiben (welche von König in der historischen Schilderung von Berlin I. S. 208 ff. mitgeteilt sind) wegen der Duldung und Veranstaltung solcher unzeitigen Possen bittere Vowürfe.
"Habt", schrieb er an den Rat, "das vorige Zulassen mit Nichts zu beschönigen; denn ihr werdet Nichts dergleichen in den Historien finden, auch nicht in den Geschichten der Heiden. Dessen aber sind die alten geistlichen Scribenten voll, daß wahre Christen bei solchen Zeiten aller Komödien vergessen, und damit es nicht auf eine Tragödie hinausliefe, Fast- und Bettage angestellt, Gott um Linderung der Strafe fleißig auch mit Thränen und mit Zähren angerufen haben; alle Ueppigkeit, Komödienspiel und was des heilloses Werkes mehr ist, aber hat von ihnen seyn müssen. Wenn die baptistischen was großes vorhaben, muß wahrlich alles Komödienspielen, wie sehr es auch sonsten bei ihnen eingerissen, feiern und aufhören und sahen sie es mit dem vierzigstündigen Gebete an. Wer ist denn unter euch mehr lüsternes Herzens gewesen, dessen Augen sich gesehnt, oder dessen Ohren gejuckt, dergleichen hölzerne Komödie, und dazu sogar zur Unzeit anzusehen und anzuhören? Sollte dieses der rechte Weg sein, den viel edlen, güldenen uns in elf Jahren versperrt gehaltenen Frieden hier wieder zu erlangen? Fürwahr, wo ihr und eure Schulgesellen das glaubet, betrüget ihr sie und euch gewaltig."
Ferner heißt es in dem Verfolge dieses Schreibens "die vielen Wunderzeichen, die allein in diesem Jahre so haufenweise im Lande gesehen worden - darunter das gewiß was sonderliches ist, daß man dasjenige Prodigenium, so am 30. Augsut wie ein Drache gestaltet gewesen, an die 24 Meilen gesehen hat, welche wol von keinem Wunderzeichen gehört haben werden, daß wir unser Gemüth und Hertze von solchen heillosen Dingen, die da Gnade bey Gott zu erlangen gar nicht dienen, abwenden könnten? Sehr ist zu fürchten, es werde darüber noch seltsam zugehen." -
Ziemlich auf gleiche Weise drückt sich der Kurfürst über diese Wunderzeichen in seinem Schreiben an die Lehrer der Schulen aus: "Meinet ihr, daß das Zeichen vom Himmel, welches sich am 30. August hat in Gestalt eines Drachen sehen lassen, darum erschienen, daß ihr darauf alsofort am 6. dieses, dem gleich, welches es oben eines ist, sie haben einen zornigen oder gnädigen Gott, mit allerhand dabey laufenden sachen, daran Gott ein Greuel hat, Komödien agiren soll? Aus, aus mit solchen Gedanken!"
Aus: "Mitteilungen" 38, 1921, S, 13-14.
Fortsetzung: Dreißigjähriger Krieg, Teil 2
Redaktion: Gerhild H. M. Komander 12/2003
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