Das Borsighaus
Von Diether Ontrup
Es ist überaus reizvoll, sich mit der wechselvollen Geschichte der Firma Borsig, der hundertjährigen Vergangenheit des Verwaltungsgebäudes - erbaut 1899 - und mit dem im 19. Jahrhundert in der äußeren Friedrich-Wilhelm-Stadt vor dem Oranienburger Tor gegründeten Industriestandort zu beschäftigen.
Noch weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein war Berlin von einer Stadtmauer umgeben, die mit ihren 18 Toren der Eintreibung der "Akzise" diente, einer seit dem 13. Jahrhundert in Deutschland üblichen Verbrauchs- und Verkehrssteuer. Ein Abschnitt dieser Mauer verlief südlich der Torstraße bis zu dem von Gontard 1788 erbauten Oranienburger Tor und dann, den Dorotheenstädtischen, Friedhof begrenzend, weiter bis zum Neuen Tor.
Am Oranienburger Tor endete die Friedrichstraße, deren Verlängerung nach Norden die Chausseestraße bildete.
Im Jahre 1837 hatte August Borsig seine Fabrik an der Chausseestraße 1, Ecke Torstraße, gegründet, nachdem er zunächst in der 1823 gegründeten Maschinenbauanstalt von F.A. Egells beschäftigt und mit der Leitung der damit verbundenen neuen Berliner Eisengießerei betraut war. Sein früherer Arbeitgeber wurde dann sein erster Nachbar. Daran schlossen sich unter anderem die Pflug'sche Waggonfabrik, seit 1852 die Maschinenfabrik von L. Schwartzkopff und die von Wöhlert an.
Vorläufer dieser Entwicklung war die 1805 gegründete Königliche Eisengießerei am Ufer der Panke im Dreieck zwischen Invaliden- und Chausseestraße. Seit 1999 erinnert eine Gedenktafel an der Ecke Chaussee- und Tieckstraße an die bewegte Vergangenheit der Gegend, die man auch wegen der vielen qualmenden Fabrikschornsteine als Feuerland bezeichnete.
Eine anschauliche Darstellung dieser industriell geprägten Landschaft zwischen "Vogtland" und Panke findet sich in dem berühmten Roman "Leberecht Hühnchen" von Heinrich Seidel, der als junger Ingenieur in einer der dort ansässigen Maschinenbauanstalten tätig war. Unter Vogtland verstand man hauptsächlich die Gegend um Acker-, Garten- und Bergstraße etwas weiter östlich der genannten Industriequartiere.
Ursprung hierfürwar die Ansiedlung von Handwerkern aus dem Vogtland durch Friedrich den Großen[II.]. Für sie hatte er zwischen 1752 und 1770 in der Feldmark vor der Stadtmauer die Kolonie "Neu-Vogtland" anlegen lassen. Das Gebiet wurde zum Ausgangspunkt für den Bau der berühmt-berüchtigten Mietskasernen.
Schrauben und Lokomotiven
Borsigs erster Auftrag beinhaltete die Herstellung von 117.000 Schrauben für die 1838 eröffnete Eisenbahnlinie Berlin - Potsdam. Erst dann begann die Fabrikation von Lokomotiven. 1841 gewann die "Borsig l" als erste deutsche Lokomotive eine Wettfahrt gegen die englische Konkurrenz. Aber Borsig war in der Lage, mehr zu erreichen.
So baute er 1842 die Pumpanlagen für die Fontänen von Sanssouci, 1847/48 die Eisenkonstruktion , für die Kuppel der Nikolaikirche in Potsdam und 1851/52 für die Kuppel des Berliner Schlosses.
Nach der rasanten Entwicklung - 1846 wurde die hundertste Lokomotive gebaut - expandiert das Unternehmen durch Bau eines neuen Eisenwerkes und des Privathauses von August Borsig am Spreeufer in Moabit. Später wurde dazu die Maschinenbau-Anstalt der Königlichen Seehandlung in der Moabiter Kirchstraße erworben. August Borsig konnte noch die Feier zur Fertigstellung der 500. Lokomotive im Jahre 1854 erleben. Er starb kurz danach, erst fünfzigjährig, an den Folgen eines Schlaganfalles. Sein Grab befindet sich auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhof gegenüber dem Borsighaus.
In den Fußstapfen Schinkels
War A. Borsig zunächst sein eigener Baumeister, so wurde der Schinkel-Schüler beziehungsweise -mitarbeiter Johann Heinrich Strack (1805 bis 1880) mit dem weiteren Aus- und Umbau seiner Fabriken betraut. Strack war Vertreter des Berliner Spätklassizismus und zählt neben Schinkel und Stüler zu den wichtigsten Berliner Architekten des 19. Jahrhunderts. Er war nicht nur für städtische, staatliche und später auch für kaiserliche Bauten verantwortlich, sondern auch cirka 24 Jahre hindurch der Familie Borsig als Architekt verbunden.
So entwarf er unter anderem den berühmt gewordenen Uhr- und Wasserturm auf dem Werksgelände an der Chausseestraße, der einen achteckigen Turm aus dem antiken Athen des ersten vorchristlichen Jahrhunderts zitiert, den Turm der Winde mit dem Windgott Äolus als Wetterfahne. Die Antikenrezeption in der Berliner Architektur entsprach dem Zeitgeist; hier geht sie auf das 1789 publizierte Werk von Stuart und Revett "The Antiquities of Athens" zurück. Der Standort dieses Turmes mit Wetterfahne ist in dem Gemälde von Eduard Biermann mit der "Ansicht der Eisengießerei und Maschinenbau-Anstalt von A. Borsig" festgehalten.
Nachdem in Moabit fast die gesamte Produktion konzentriert war, wurde das Stammwerk in der Chausseestraße 1887 - fünfzig Jahre nach seiner Gründung - geschlossen und abgerissen. Aber auch für das Moabiter Werk schlug 1896 die letzte Stunde. Die Enkel des Firmengründers hatten sich auf der Suche nach einem größeren und verkehrstechnisch günstig gelegenen Grundstück für eine Übersiedlung nach Tegel entschieden. Die Architekten Konrad Reimer und Friedrich Körte, ersterer Schüler von Strack, entwarfen die neuen Werksanlagen.
Die Unternehmungen der Firma Borsig erstreckten sich inzwischen nicht mehr nur auf die Berliner Fabriken, sondern schlossen auch Beteiligungen und eigene Werke sowie Wohnsiedlungen, zum Beispiel in Oberschlesien, ein.
Die sich daraus ergebende Notwendigkeit zur Reorganisation der Verwaltung führte dazu, dass man fast gleichzeitig mit der Errichtung der Tegeler Anlagen daran ging, für das gesamte Unternehmen ein Verwaltungsgebäude, das sogenannte Zentralbüro, bauen zu lassen, das auf dem Gelände der um 1890 abgerissenen Wohnhäuser der ehemaligen Lokomotivfabrik in der Chausseestraße 6 (später Nr. 13) entstand.
Architekten dieses Hauses waren ebenfalls Reimer und Körte. Dieser Bau, das Borsighaus, wurde 1899 vollendet. Zur Beschreibung der äußeren Form des Borsighauses sei aus dem Architekturführer für Berlin zitiert:
"... Die Firma selbst errichtete hier zuletzt noch das Gebäude für die Zentralverwaltung des Borsigbesitzes. Es umgreift mit seinen Flügeln das ungleichseitige Viereck eines engen Hofes. Anstatt entsprechend den Funktionen einer Verwaltung rationell gegliedert zu sein, erinnert die Fassade eher an eine individuell gestaltete repräsentative Stadtvilla. Die Architekten wählten, wie schon vorher für das Haus des Ingenieurvereins, Formen einer noch gotisch geprägten deutschen Renaissance und verwendeten für die Oberflächen hart wirkende Warthauser Sandsteinquader. Die meisten Ornamente und die Fenstergewände (im ersten Obergeschoss mit Diamantquadern) sind bei Wahrung einer idealen Oberfläche skulptural aus dem Stein herausgearbeitet. Ein Gesims über dem ersten Obergeschoss markiert die Schwelle zu einem anderen Gliederungssystem. Die Mittelpartie mit unten zwei, oben vier Fenstern ist zu einem Giebel erhöht und von zweigeschossigen Erkern mit Schweifhaube eingefasst."
Lebensgroße Bronzestatue
Besondere Beachtung verdient die Darstellung eines Schmiedes an der Straßenfront des Gebäudes. Die lebensgroße Bronze steht auf einer Konsole des Schlusssteines über dem Haupteingang des Zentralbüros unter einem kupfernen Baldachin. Darunter finden sich die Initialen A.B.
Die Figur stammt von dem Berliner Bildhauer Gotthold Riegelmann und soll die Bedeutung des Handwerks symbolisieren. Auf dem südlichen Giebel des Hauses wurde der von dem abgerissenen Uhr- und Wasserturm stammende kupferne Windgott Äolus wieder aufgestellt. Diese Wetterfahne hat den Zweiten Weltkrieg nicht überstanden. In denkmalpflegerischem Sinn wäre ihre Rekonstruktion und Aufstellung auf dem Südgiebel im Zuge der Restauration sehr zu begrüßen.
Vor dem Abriß des alten Verwaltungsgebäudes an der Chausseestraße 1 hatte man verschiedene Einbauten, wie einzelne Eichentüren, Möbel und sogar Paneele ausgebaut, die nun im neuen Zentralbüro wieder Verwendung fanden. Es handelte sich dabei mit größter Wahrscheinlichkeit um Arbeiten von Johann Heinrich Strack. Die Elemente sind teilweise noch vorhanden, sie haben die Kriegs- und vor allem die Nachkriegszeit glücklich überstanden. Allerdings ist das bewegliche Mobiliar verschwunden.
Nur in einem Büro im ersten Stockwerk ist noch ein hölzerner Einbauschrank erhalten. Dieses Büro ist, wie auch das anschließende Sitzungszimmer, mit den erwähnte Paneelen und prächtigen eichenen Türen ausgestattet. Besondere Beachtung verdient das schmiedeeiserne Gitter mit dem Namenszug Borsig an der Eingangstür vom Treppenhaus zur ersten Etage.
Geradezu eine Sehenswürdigkeit ist der von drei Büroräumen begehbare Tresor. Hergestellt von der Firma "Actiongesellschaft für Geldschrank-Tresorbau und Eisen-Industrie in Berlin N" mit der Nummer 10818 F vermittelt er einen Eindruck von Solidität und Verlässlichkeit, die unsere Altvorderen auszeichneten. Das Gewicht dieser Tresoranlage macht es aus statischen Gründen unmöglich, sie aus dem Gebäude zu entfernen.
Die Leitung des neuen Zentralbüros lag von 1899 bis 1920 in den Händen von Johannes Räusch, einem langjährigen Direktor der Firma Borsig. Sein Nachfolger wurde Rudolf v. Bennigsen-Foerder, der sich nicht nur mit Conrad und Ernst v. Borsig in die Geschäftsführung teilte, sondern auch Vorstandsmitglied in verschiedenen Zweigunternehmen war.
Im Jahr 1931 musste die A. Borsig GmbH ihre Zahlungen einstellen und die Tegeler Fabrik ging an die Rheinmetall AG über. Übrig blieb unter anderem seit 1937 die A. Borsig'sche Vermögensverwaltung in der Chausseestraße 13, wo sie bis zum Ende der fünfziger Jahre ihren Sitz hatte. Darauf übersiedelte sie nach Berlin (West) und stellte 1981 endgültig ihre Tätigkeit ein.
Das Gebäude in der Chausseestraße diente danach verschiedensten Zwecken, wobei wenig Wert auf die Erhaltung der Bausubstanz gelegt wurde. Schließlich wurde es vom Versorgungswerk der Zahnärztekammer als Anlageobjekt erworben. Durch die Restaurierung des Hauses, die Sanierung der angrenzenden Gebäude an der Tieckstraße und einen geplanten Neubau auf einem angrenzenden freien Grundstück wird die Chausseestraße hundert Jahre nach der Errichtung des Borsighauses einen neuen Glanzpunkt erhalten, der auch die Historie Berlins widerspiegelt.
Aus: "Zahnärztliche Mitteilungen" 91, 2001, S. 60-63.
Die Wiedergabe erfolgt mit Genehmigung des Autoren. Dr. Diether Ontrup war von 1989 bis zu seinem Tod 2003 Mitglied im Verein für die Geschichte Berlins.
Redaktion: Gerhild H. M. Komander 12/2004
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