Vergangen und Vergessen? Borsig in Moabit - Industrie und Gartenkultur

Von Diether Ontrup

Der Bauboom von Berlin ist keine Erfindung unserer Tage. Es gab ihn auch um die vorige Jahrhundertwende: unwirtschaftlich gewordene Industriebauten wurden abgerissen, an andere Standorte verlegt und das nun freie Gelände mit Wohnhäusern bebaut, die keine Rückschlüsse mehr auf die Vergangenheit erlauben. So auch in Moabit: am Ufer der Spree wurde ein Stück Industrie- und Botanikgeschichte geschrieben, doch Spuren der Vergangenheit sucht man heute vergeblich.

Auf dem Gelände an der Spree, zwischen Elberfelder Straße, Alt-Moabit und Stromstraße, befanden sich, erbaut von 1847 bis 1849, Walzwerk und Kesselschmiede des Borsig'schen Unternehmens, dessen Fabrikanlagen an der Chausseestraße dringend der Erweiterung bedurften. Bald darauf (1850) erwarb August Borsig auch noch Eisengießerei und Maschinenbauanstalt der Preußischen Seehandlungs-Societät in der Kirchstraße 6. Das Werksgelände reichte östlich der Kirchstraße von der Ecke Alt-Moabit bis zur Moabiter Brücke.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Kirchstraße befand sich seit 1834 die damals schon weithin bekannte Porzellanfabrik von Johann Ferdinand Schumann, Vorreiter für die Entwicklung von Moabit zum Industriestandort.
Auf dem Grundstück an der Stromstraße zwischen Alt-Moabit und dem Spreeufer hatte August Borsig neben dem Eisenwerk einen weitläufigen Park anlegen lassen, in dem sich sein Wohnhaus und verschiedene Gewächshäuser befanden.
Als aktiver Förderer des Gartenbaues - seit 1835 war er Mitglied im "Verein zur Beförderung des Gartenbaues in den Königlich Preußischen Staaten" - betraute Borsig mit der Anlage des Parks keinen geringeren als Peter Joseph Lenné, den genialen Landschaftgestalter, während Hausarchitekt Johann Heinrich Strack sowohl für die Errichtung des Wohnhauses (erbaut 1849) als auch für die Industriebauten verantwortlich zeichnete.

Der Park mit vielen seltenen Pflanzen war zu seiner Zeit mindestens ebenso berühmt wie die Industriewerke. Selbst König Friedrich Wilhelm IV. ließ sich von dem Gartenparadies gefangennehmen und stattete dem "Borsig'schen Etablissement" nicht nur einen Besuch ab. Dabei soll er einmal geäußert haben: "So wie Sie, mein lieber Borsig, möchte ich auch mal wohnen". Die Bewunderung für das Moabiter Kleinod hegte man zu Recht, erblühte doch am 19. Juli 1852 im Gewächshaus des Geheimen Kommerzienrates August Borsig zum ersten Mal in Berlin eine Victoria Regia. Bemerkenswert auch, daß "Park- und Treibhausanlagen" dienstags und freitags der Bevölkerung gegen Entgelt zugänglich waren. Die Eintrittsgelder flossen in die Arbeiter-Invalidenkasse der Firma Borsig.

August Borsig konnte sich indes nur wenige Jahre daran und an seinem unternehmerischen Erfolg freuen. Er starb bereits 1854 im Alter von nur fünfzig Jahren an den Folgen eines Schlaganfalles. Sein Grab befindet sich auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhof, in unmittelbarer Nachbarschaft zu der Stätte, an der sein unternehmerisches Wirken begann. Sein Sohn Albert folgte dem Vater nicht nur in der Führung der Unternehmensgeschäfte, sondern auch in der Pflege und Weiterentwicklung des Moabiter Anwesens.

So ließ er von Johann Heinrich Strack 1868 bis 1870 eine Loggia im Park errichten, in der sieben auf Kupfertafeln gemalte Bilder von dem Berliner Maler Paul Meyerheim, einem Freund der Familie Borsig, Aufnahme fanden. Sechs Tafeln stellten Szenen aus der Lokomotivproduktion dar, während die siebente die Familie Borsig bei einem Erntefest auf ihrem Gut in Groß Behnitz bei Nauen zeigte.

Trotz Erweiterungen der Fabrikanlagen und Vergrößerung des Industriegeländes genügten die Produktionsstätten am Ufer der Spree schließlich nicht mehr den technischen Anforderungen. Es mußte nicht nur wegen des inzwischen herrschenden Konkurrenzdruckes kostengünstiger produziert werden, sondern auch die Rohstoffe mußten auf günstigeren Wegen herangeschafft werden.

Zwar bestand schon ein Gleisanschluß vom Güterbahnhof Moabit nahe der Putlitzstraße zum Eisenwerk in Alt-Moabit, der geradewegs durch den kleinen Tiergarten führte, doch reichte dies alles nicht aus. 1896 wurde zunächst das Gelände der Maschinenbauanstalt an der Kirchstraße verkauft. Nach Abriß der Industrieanlagen wurde die Thomasiusstraße angelegt und das gesamte Gebiet mit Wohnhäusern bebaut.

1898 begann der Umzug der noch in Moabit verbliebenen Anlagen des Eisenwerkes nach Tegel. Der folgenden Bebauung mit Wohnhäusern durch die dazu gegründete "Neue Bellevuegesellschaft" mußten nicht nur die Industrieanlagen im Spreebogen, sondern auch der Park mit Wohn- und Gewächshäusern der Borsigs weichen; 1911 erfolgte deren Abriss. Lediglich die erwähnte Loggia blieb erhalten. Sie wurde abgetragen und im Tiergarten wieder aufgebaut, wo man sie 1954 wegen kriegsbedingter Beschädigungen, ohne auch nur einen Gedanken an eine mögliche Restaurierung zu verschwenden, abgeräumt hat.

Einige der Kupfertafeln befinden sich heute im Märkischen Museum und im Deutschen Technikmuseum Berlin. Das Stadtbild ließe die bedeutende Vergangenheit nicht einmal mehr erahnen, wenn es da nicht eine kleine Eckkneipe am Bundesratufer Ecke Dortmunder Straße gegeben hätte. Sie trug seit mehr als zwanzig Jahren den Namen "Zum alten Borsigsteg".
An dieser Stelle führte nämlich von 1905 bis zu ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg eine Fußgängerbrücke, der "Borsigsteg", über die Spree zur Flensburger Straße. Die Gaststätte wurde inzwischen geschlossen, der Name befindet sich jedoch noch immer über dem alten Eingang.

Literatur
Florian von Buttlar (Hg.): Peter Joseph Lenné. Volkspark und Arkadien, Katalog zur Ausstellung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1989.
Jutta Galm: August Borsig, Stapp Verlag, Berlin 1987.
Andreas Hoffmann: Am kleinen Tiergarten, in: Tiergarten (= Geschichtslandschaft Berlin - Orte und Ereignisse, Band 2), hg. von der Historischen Kommission zu Berlin, Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1987.
Lilli Martius: Die Villa Borsig in Berlin-Moabit. Über ihren Architekten Johann Heinrich Strack und den Maler Paul Meyerheim, in: Der Bär von Berlin, 1965.
Fritz Pachtner: August Borsig. Zeit, Leben und Werk eines deutschen Industriegründers, Bernhard Sporn Verlag, Zeulenroda 1943.
Kurt Pierson: Borsig - ein Name geht um die Welt. Die Geschichte des Hauses Borsig und seiner Lokomotiven, Rembrandt Verlag, Berlin 1973.
Ulrike Wahlich: Die Borsig-Werke in Tegel, Heimatmuseum Reinickendorf, Jaron Verlag, Berlin 1998.
Klaus-Dieter Wille: Spaziergänge in Tiergarten, Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1982.

Aus: "Mitteilungen" 4/2002

Redaktion: Gerhild H. M. Komander 12/2004