Die Auenlandschaft der Spree in Berlin-Cölln

Von Hansjürgen Vahldiek

Leider besitzen wir keinerlei Berichte über die Entstehung von Berlin-Cölln an der Spree. Zum Glück hat uns die Archäologie Hinweise über den Beginn der Besiedlung geliefert. Nachdem Albrecht der Bär im Jahre 1150 Brandenburg vom Heveller Fürsten Pribislav übernommen hatte, kamen die ersten Kolonisten in das äußerst schwach genutzte Gebiet. Aus der Grenzburg Spandau heraus wurde das angrenzende Land mehr und mehr in Besitz genommen.

Aus den Funden der Kirchhöfe von St. Nikolai und St. Petri wissen wir, dass die Entwicklung von Berlin-Cölln zeitlich parallel verlief. Wir würden natürlich gern wissen, welche Bedingungen die Kolonisten vorfanden. Um das abschätzen zu können, haben der Vor- und Frühgeschichtler Kiekebusch und der Geologe Solger nach dem Ersten Weltkrieg erkannt, dass uns die geologischen Daten über die "Geschichte unserer Landschaft" Auskunft geben können. Diesem Gedanken wollen wir nun intensiv nachgehen.

Dabei werden wir die Geländekonturen und Vegetationsgrenzen erkennen, die sich während der eiszeitlichen Ausformungsprozesse gebildet haben. Im 19. Jahrhundert hatte man die feste Vorstellung, dass sich Berlin und Cölln auf natürlichen Inseln entwickelt hätten, diese Inseln von Spreearmen umgeben gewesen seien, und dazwischen die Spree geflossen sei. Diese Meinung wurde durch die Erste Geologische Karte von Berlin gestützt, die A.F. Lossen 1879 herausgebracht hatte (vgl. "Mitteilungen" 1/2003).

Leider wurde diese Version von der Berlin-Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg fast ausschließlich übernommen, und das, obwohl bereits 1921 Clauswitz und später Kiekebusch und Solger deutliche Zweifel äußerten. Kurz vor seinem Tode versuchte Solger 1965 das Blatt noch zu wenden. In einem Artikel zeigte er das hier zitierte Bild. Es entsprach seiner Vorstellung von der Spreeaue, die keinerlei Spreearme aufweist. Viele Indizien sprechen für diese Meinung, die Solger schon ab 1925 vorgetragen hat. Leider hat man ihn nicht ernst genommen.

Erstaunlich ist es schon, dass er ohne die Kenntnis der jetzigen "Geologischen Karte von Berlin, 423 D", das Berlin-Cöllner Gelände richtig einschätzte! Aber das ist ohne weiteres möglich, wenn man die Pegel der damals vorhandenen Gewässer zu Rate zieht. So führten die Stadtgräben das Oberwasser mit etwa 32 mNN, während der Pegel der Unterspree bei etwa 30,5 mNN lag. Setzt man diese Daten in Verbindung mit den verschiedenen Stadtansichten, als Gemälde oder Stich, so ergeben sich doch recht klare Vorstellungen über das Gelände der Spreeaue.

Anhand der neuesten geologischen Karten soll zunächst mit einer Profil-Darstellung in einem Überblick gezeigt werden, dass die These von Solger richtig ist:
1. Profil: Das Gelände des Urstromtales zwischen Teltow und Barnim war von beiden Anhöhen her abschüssig und erreichte in Berlin-Cölln den Tiefstpunkt mit etwa 34 mNN.
2. Profil: In das noch im Dauerfrost befindliche Gelände schnitten erste Schmelzwasser eine Rinne, in der heute noch die Spree fließt. Bei Cölln entstand ein Nebenarm. Beide Rinnen erreichten eine Tiefe bis zu 10 m.
3. Profil: Mit steigender Temperatur erhöhte sich die Schmelzwassermenge, so dass es in Berlin-Cölln zu einer Überflutung kam. Das Erdreich wurde teilweise weggeschwemmt, an anderen Stellen wieder abgelegt. Auch gab es Überschichtungen. Dieser Vorgang erreichte Tiefen bis zu 5 m (Altwasser). Bemerkt sei noch, dass in Berlin eine größere Talsandfläche (Marienkirche/Rathaus) und auf der Spreeinsel nur zwei kleine Talsandflächen (vor dem Dom und beim Dominikanerkloster) unberührt blieben.
4. Profil: In dem Maße, wie die Wassermassen mehr und mehr zurückwichen, unterlagen die Flussrinnen und die vertieften Geländebereiche einem generellen Verlandungsprozess. Die Vegetation breitete sich aus und es entstand eine Auenlandschaft. Die Altwasserbereiche überwucherten, lagen aber etwas tiefer als die unangetasteten Talsandbereiche.
5. Profil: Am Rande der Talsandinseln hatten sich Kolonisten in Berlin als auch in Cölln niedergelassen. Das Gelände lag einige Meter über der Spree, der späteren Unterspree, und war hochwasserfest. Die Stadtgräben konnten nur durch das angestaute, also angehobene Oberwasser der Spree gefällt und um die beiden Städte geleitet werden ("Mitteilungen" 98, 2002, S. 318 f.). Der Stau der Spree erfolgte am Mühlendamm. Die Nikolaikirche wurde am Rande, außerhalb der Talsandinsel in einem etwas abschüssigen Gebiet errichtet.

Die Geologische Karte von Berlin (423 D)

Diese Karte ist eine Fortschreibung der Lossenschen Karte von 1879. Viele tausend Bohrungen sind dazu gekommen. Die Schichtenfolgen der Bohrkerne sind nach neuesten Verfahren untersucht worden, so dass sich ein teilweise anderes Bild als bei Lossen zeigt. Demnach wurde das Gelände epochal geprägt, wobei sich Geländestrukturen ausbildeten, an denen sich die Menschen damals orientierten, um den Arbeitsaufwand zu minimieren.
So war die Zeit der Talbildung eine wichtige Epoche. Damals schnitt sich das Schmelz- und Regenwasser in die meist noch im Dauerfrost verharrende Landschaft und brachte etwa 10 m tiefe Fließtäler hervor. Neben dem Haupttal bildete sich ein Nebental. Die eiszeitliche Form der Spreeinsel war geboren. Das Nebental erhielt eine etwas bizarre Form. Durch den "Riegel" in der Mitte, an der Schleusenbrücke, war die Verlandung des Nebentals vorprogrammiert.

Dann kam die Epoche der Überflutung, als die Spree wegen des erhöhten Wasseraufkommens über die Ufer trat. Das Überflutungsgebiet lag etwa zwischen Kurstraße und Alexanderplatz. Je nach Wassermenge spielten sich chaotische, aber mehr oberflächliche Prozesse ab. Eindeutige Fließgewässer gab es nicht. Das Gelände unterlag einer ständigen Veränderung. So waren Abtragungen durch Wegschwemmen an der Tagesordnung, wiederum auch Ablagerungen und Überschichtungen von Sandmassen.

Mit fortschreitender Zeit und der Verringerung der Wassermassen trat mehr und mehr eine Vegetation hervor. Es bildeten sich auch kleine Moore, die zwischenzeitlich wiederum überflutet wurden. So kam es zu komplexen Schichtenfolgen, die dieses Gebiet zu einem problematischen, ja verhassten Bauland machten. Oberflächlich sah es gut aus, aber unter Tage befanden sich nicht tragfähige Schichten. Eine sehr tiefgehende Pfahlgründung war daher erforderlich. Wie die frühen Stadtansichten zeigen, hatte sich eine stark unebene Landschaft gebildet, was angesichts der chaotischen Prozesse wenig verwunderlich ist.

Holozän - Durch Überflutungen und Abtragungen dehnte sich das Ablagerungsgebiet humorloser Sande und Mudden aus.

Aus dieser Epoche verblieben einige Talsandflächen. Eine größere in Berlin (Marienkirche/Rathaus) und zwei kleinere auf dem Cöllner Werder (vor dem Dom und beim Dominikanerkloster). Der Talsand der Umgebung wurde weggeschwemmt (schraffierter Bereich). Trotzdem waren die späteren Siedlungsgebiete in der Landschaft als herausragende Plateaus, sogenannte Talsandinseln, sichtbar (vgl. "Mitteilungen" 1/2003). Da sie deutlich über der Spree lagen, galten sie als hochwasserfest. Ein wichtiges Ergebnis dieser Epoche ist auch, dass der eiszeitliche Spreearm verlandete.

Im Gebiet der Fischerinsel, bis hin zur Schleusenbrücke hatte sich bei der Verlandung ein etwas höheres Gelände gebildet, das nördlich der Schleusenbrücke am "Riegel" abfiel. In diese Geländestufe ließ sich später als Übergang zur Unterspree wunderbar die Kammerschleuse einpassen. Eine eiszeitliche Erscheinung sei noch erwähnt. Am Ende der Eiszeit blieben zahllose sogenannte Toteisblöcke zurück. Sie lagen bis zu 2 m, ja bis zu 10 m unter Tage.

Nach der allgemeinen Erwärmung schmolzen sie und hinterließen die sogenannten Senken, in denen sich oft Moore ansiedelten oder es entstand in einem Pfuhl eine Faulschlammschicht. Das waren die berühmten sumpfigen Stellen, in Berlin-Cölln so sehr beklagt. Besonders kritisch war die Situation auf der Museumsinsel. Unter dem jetzigen Pergamon-Museum befindet sich ein über 40 m tiefer Kolk. Unangenehmer Weise wurde er im Laufe der Zeit von Sand überschichtet. Als man dort baute, war man auf die trügerische Situation unvorbereitet. Spätestens als die Gebäude absackten, erkannte man den äußerst problematischen Baugrund.

Schlussbemerkung

Wie uns die jetzige Geologische Karte zeigt, gab es nur in der ausgehenden Eiszeit einen Spreearm, der alsbald verlandete. Daraus folgt, dass es weder eine natürliche Berliner noch eine natürliche Cöllner Insel gegeben hat, wie es in der Literatur im 19. Jahrhundert und nach dem Zweiten Weltkrieg behauptet wurde. Beide Siedlungsgebiete lagen auf erhöhtem Gelände. Um die Städte mit Stadtgräben zu umgeben, hob man die Gräben im Trockenen aus (bis Wasser kam). Nach dem Stau am Mühlendamm füllten sich die Gräben, bis der Pegel des Oberwassers von ca. 32 mNN erreicht war. Er lag also knapp 2 m über dem alten Spreestrom, wie man damals sagte. Damit die Stadtgräben auch bei Hochwasser nicht überliefen, muss das verlandete Gelände folglich ca. 33 mNN hoch gelegen haben: Ein Hinweis auf das Niveau der Altwasserpartien.

Literatur
A. F. Lossen: Der Boden der Stadt Berlin, Berlin 1879.
Berthold Schulze: Berlin und Cölln bis zum Dreißigjährigen Kriege, in: Otto-Friedrich Gandert, Berthold Schulze, Ernst Kaeber u. a.: Heimatchronik Berlin, Köln 1962.
Paul Clauswitz: Das Stadtbuch des alten Kölln an der Spree, Berlin 1921.
Friedrich Solger, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg, Nr. 50, 1965.
Paul Aßmann: Der geologische Aufbau von Berlin, Berlin 1967.
Ernst Fidicin: Die Gründung Berlins, Teil V, Berlin 1840.
Albert Kiekebusch: Die Gründung Berlins, in: Brandenburgica, Bd. 36, Berlin 1927.
J. M. E Schmidt: Historischer Atlas von Berlin, Berlin 1835.

Aus: "Mitteilungen" 2/2003