Blickwechsel - Frauenbilder der Romantik
Von Astrid Reuter
Caroline von Humboldt sitzt in Gedanken versunken am Fenster. Sie hat den Kopf auf ihren Handrücken gestützt und scheint den Ausblick auf die Landschaft kaum wahrzunehmen. Angeregt ist ihr Nachdenken durch ein Buch, das sie in der Hand hält. Ein Finger liegt noch in den Seiten, als wollte sie jeden Augenblick die unterbrochene Lektüre fortsetzen. Das von Wilhelm von Schadow gemalte Bildnis entstand in Rom, wo Caroline Friederike von Humboldt, geb. Dacheröden (1766-1829), zwischen 1817 und 1819 gemeinsam mit ihren Töchtern lebte. Sie kannte die Stadt gut. Bereits wenige Jahre nach ihrer Eheschließung war sie 1802 gemeinsam mit Wilhelm von Humboldt nach Rom gegangen. Ihr Haus, der nahe der Spanischen Treppe gelegene Palazzo Tomati, galt zu dieser Zeit als ein wichtiges Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. Die Humboldts empfingen dort Literaten, Politiker und Wissenschaftler.
Einen besonders intensiven Austausch pflegte Caroline von Humboldt mit den in Rom lebenden deutschen Künstlern. Sie zeigte großes Interesse an ihrer Arbeit, vermittelte Kontakte und erwarb auch selbst ihre Werke. So entstand im Laufe der Jahre eine bedeutende Sammlung, die im Schloss Tegel, dem Haus der Familie von Humboldt in Berlin, aufgestellt wurde. Caroline von Humboldt hatte Rom 1810 verlassen und war nach Wien gegangen, wo ihr Mann als Gesandter tätig war. Als dieser 1817 nach London versetzt wurde, kehrte sie nach Italien zurück und führte dort das rege gesellschaftliche Leben fort, für das ihr Haus bekannt war. Für das Ehepaar waren solche längeren Trennungen nichts Ungewöhnliches.
Zahlreiche Briefe ersetzten in diesen Jahren das tägliche Miteinander. In einem von ihnen heißt es: "Mir kocht und brennt es gleich an allen Ecken."[1] Von solcher übersprudelnden Aktivität ist in dem Bildnis von Schadow nichts zu spüren. Caroline von Humboldt scheint in sich zurückgezogen. Das Buch in ihrer Hand wird zu einer wichtigen Beigabe. In ihm spiegeln sich die geistigen Interessen ebenso wie die Empfindsamkeit der Dargestellten wider. Wie stark solche Darstellungen zum privaten Zwiegespräch einluden, zeigt eine Äußerung Wilhelm von Humboldts zu einem früher entstandenen Bildnis seiner Frau von Gottlieb Schick. Er schreibt ihr, er verbringe viele Stunden vor dem Gemälde und habe einen Vorhang anbringen lassen, da es nicht alle seine Besucher sehen sollten.[2]
Lesen und Schreiben
Frauen wie Caroline von Humboldt öffneten nicht nur ihre Häuser, sie bauten über ihre umfangreiche Korrespondenz großflächige Netzwerke auf. Die Briefe blieben nicht auf den Privatbereich beschränkt, sondern wurden häufig herumgereicht, vorgelesen und teilweise noch zu Lebzeiten veröffentlicht. Sie enthalten Besprechungen literarischer Neuerscheinungen, Abhandlungen über Musik, Schauspielkunst, Tanz und Malerei und erscheinen so als Fortsetzung der Salongespräche. Den Briefschreiberinnen boten diese intensiven Schriftwechsel eine Möglichkeit, an den aktuellen Diskussionen teilzunehmen und diese zu bestimmen. Neben Themen von allgemeinem Interesse finden sich in ihnen lebendige Schilderungen des alltäglichen Lebens.
Rahel Varnhagen, geb. Levin (1771-1833), versah ihre Briefe mit Wetternotizen und begründet dies folgendermaßen: "Ich will nämlich: ein Brief soll ein Porträt von dem Augenblick sein, in welchem er geschrieben ist."[3] Aus diesen einzelnen Porträts entstanden in der Zusammenstellung der zahlreichen Schreiben Lebensbilder. Als ein solches publizierte Karl August Varnhagen die Briefe seiner Frau posthum. Auch Bettina von Arnim, geb. Brentano (1785-1859), veröffentlichte ihre Briefe und entwarf über diese ein Bild ihrer selbst. Ihr bekanntestes Buch, "Briefwechsel mit einem Kinde", erschien 1835. Die Autorin griff dabei nicht nur auf vorhandene Dokumente zurück, sie änderte Passagen und fügte eigene Texte ein. Das Buch zeigt sich durch die vorgenommenen Veränderungen deutlich dem Roman verpflichtet.
Bettina von Arnim trat mit ihrer Publikation in Briefform die Nachfolge ihrer Großmutter Sophie von La Roche an. Diese hatte 1771 ihren Briefroman "Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim" mit großem Erfolg veröffentlicht. Die Form des Briefromans war im 18. Jahrhundert populär geworden, da sie ein verstärktes Eingehen auf innere Konflikte und Stimmungen erlaubte. Während Sophie von La Roche ebenso wie Bettina von Arnim selbstbewusst mit ihrem Namen als Autorin auftraten, gaben zahlreiche andere Frauen ihrer Zeit ihre Bücher oder Beiträge anonym oder unter einem Pseudonym heraus. So publizierte beispielsweise Rahel Varnhagen ihre Aufsätze meist anonym beziehungsweise als "Friederike", den Namen, auf den sie 1814 getauft worden war. Dorothea Schlegel, geb. Mendelssohn (1763-1839), ließ ihren Roman "Florian" ebenso wie zahlreiche ihrer Aufsätze von ihrem Mann Friedrich Schlegel ohne Angabe der Autorin herausgeben.
Erziehung und Ausbildung
Die Bildung und Erziehung von Mädchen war seit dem 18. Jahrhundert immer wieder diskutiert worden. In Preußen wurde bereits 1717 die allgemeine Schulpflicht eingeführt, doch die Umsetzung dieses Anspruchs bereitete vielerorts Schwierigkeiten. Mädchen aus adligen und bürgerlichen Häusern boten sich besondere Möglichkeiten. Sie wurden entweder durch Gouvernanten und Hauslehrer oder in privaten Mädchenschulen unterrichtet. Besonderen Wert legte man auf die Unterweisung in Sprachen, Literatur, Erdkunde, Geschichte und Handarbeiten. Dieses Grundwissen konnte in Ausnahmefällen noch erweitert werden.
So lernte Henriette Herz, geb. de Lemos (1764-1847), als Tochter eines wohlhabenden, jüdischen Arztes Griechisch, Latein und Hebräisch und sprach später fließend Englisch, Französisch und Italienisch, studierte Sanskrit, Türkisch und Malaiisch. Caroline von Humboldt wurde von dem Hauslehrer ihres Bruders unterrichtet und las während ihrer ersten Ehejahre gemeinsam mit Wilhelm von Humboldt Homer, Herodot, Ovid, lernte Griechisch und Latein. Rahel Varnhagen zeichnete sich schon in jungen Jahren durch ein sicheres Urteilsvermögen in Bezug auf Literatur, Musik und Theater aus, trotzdem sie mehrfach beklagte, keine systematische Erziehung genossen zu haben. Zu dieser Wissensfülle gesellte sich häufig ein entsprechender gesellschaftlicher Umgang.
Rahel Varnhagen wurde im elterlichen Haus schon früh mit den namhaften Persönlichkeiten der Berliner Gesellschaft bekannt. Bettina von Arnim lebte bei ihrer Großmutter Sophie von La Roche, nachdem sie einige Jahre in einer Klosterschule erzogen worden war. Die in ihrer Kindheit empfangenen Eindrucke und ihr soziales Umfeld bildeten wichtige Grundlagen für das spätere Wirken dieser Frauen. Besonders klar tritt die Bedeutung der Herkunft in dem Empfehlungsschreiben der Bettina von Arnim hervor, mit dem sie bei ihrem ersten Besuch in Weimar um den Empfang bei Goethe bat. Darin wird sie als "Bettina Brentano, Sophiens Schwester, Maximilianens Tochter, Sophie La Roches Enkelin (...)." vorgestellt. Selbstverständlich ordnete man sie in eine weibliche Traditionslinie ein, die sie später in ihrer eigenen Tätigkeit als Autorin bewusst fortsetzte.
Ein entsprechendes familiäres Umfeld war nicht nur im Bereich der Literatur, sondern auch dem der bildenden Kunst von unschätzbarem Wert. Die Verbindung zu einer Künstlerfamilie ermöglichte Frauen den frühen Beginn der praktischen Ausbildung und sicherte die Förderung ihres Talentes. So erhielt Félicité Henriette Robert, geb. Tassaert (1766-1818), zunächst Unterricht bei ihrem Vater, dem flämischen Bildhauer Jean Pierre Antoine Tassaert, der 1775 durch Friedrich II. von Paris nach Berlin berufen worden war.
Hier beteiligte sie sich regelmäßig an den Akademieausstellungen und wurde 1787 als Ehrenmitglied in die Akademie aufgenommen. Unterstützung und künstlerischen Rat fand sie bei dem Kupferstecher Daniel Chodowiecki, der auch seine Töchter in besonderem Maße förderte. Sein Unterricht stieß bei den jungen Mädchen auf enormes Interesse. In einem Brief schreibt Chodowiecki: "Seitdem meine Tochter angefangen hat, sind verschiedene Mädchen von ihr angefeuert worden auch mahlen zu wollen, und mein Arbeitszimmer sitzt manch mahl so voll, dass ich beynahe daraus vertrieben werde."[4]
Vor allem seine Tochter Suzette Henry, geb. Chodowiecka (1763-1819), hatte als Malerin großen Erfolg. Bekannt wurde sie mit moralisierenden Bildfolgen zur Ehe und zu weiblichen Beschäftigungen, die als Kupferstiche auch in den Frauen-Almanachen der Zeit abgebildet wurden. In ihnen manifestierte sich ein häusliches Weiblichkeitsideal, dem die Künstlerin selbst nur bedingt folgte.
1789 in die Akademie der Künste in Berlin aufgenommen, gehörte sie zu den wenigen Frauen, die den Status eines ordentlichen Akademiemitglieds in dieser Zeit erlangten. Ihre Herkunft ermöglichte Suzette Henry nicht nur eine Ausbildung im häuslichen Umfeld, sie erleichterte auch die Kontaktaufnahme zu anderen Künstlern und möglichen Auftraggebern.
Die Frage der Akzeptanz ihrer Tätigkeit als Malerin scheint sich im Haus Chodowiecki nicht gestellt zu haben. Ihre spätere Schwiegertochter Louise Henry, geb. Claude (1798-1839) hingegen, musste ein Jahr lang unter Beweis stellen, dass sie ihren Lebensunterhalt mit Handarbeiten verdienen konnte, bevor der Vater ihrer künstlerischen Ausbildung zustimmte. Eine Pension in Höhe von 300 Talern, die ihr 1823 von der Akademie zugesprochen wurde, ermöglichte ihr später die Fortsetzung ihrer Studien. Mit dieser finanziellen Unterstützung verband sich die Verpflichtung, die Kunstausbildung von Frauen zu fördern. Louise Henry dürfte diese Aufgabe gern übernommen haben, war ihr doch der Wert einer sorgfältigen Anleitung aus eigener Erfahrung bewusst.
Sie selbst war zunächst von Félicité Henriette Robert (1766-1818) unterrichtet worden, arbeitete später im Atelier von Wilhelm von Schadow und hatte die Erlaubnis erhalten, nach den Gipsabgüssen der Akademie zu zeichnen. 1833 wurde sie, wie bereits über vierzig Jahre zuvor ihre Schwiegermutter Suzette Henry, Mitglied in der Akademie der Künste zu Berlin. Diese Aufnahme galt als eine öffentliche Anerkennung und hatte erhebliche Auswirkungen auf das Ansehen der Künstlerinnen.
Louise Henry betont in einem Brief an den Akademiedirektor Gottfried Schadow ihr Bemühen, dieser Auszeichnung gerecht zu werden: "Ich darf wohl sagen, daß ich mit rastlosem Fleiß, ja mit einem solchen, der meine Gesundheit untergraben, seinen [Wilhelm von Schadows] Unterricht so wohl wie den, der früher genannten Künstler benutzte, und sehr zu beklagen habe ich nur, daß jetzt wo meinem geringen Talente so große Ehre widerfährt, meine Kräfte nicht mit dem lebhaftesten Wunsche Schritt halten, durch fortgesetzte Anstrengung auf dem bescheidenen Gebiete des Porträtmahlens und des Darstellens von Szenen aus dem gewöhnlichen Leben einen würdigen Platz einzunehmen. Mein Eifer soll indeß nicht erkalten (...)."[5]
Louise Henry war durch ihre Heirat mit dem Enkel von Daniel Chodowiecki im Jahr 1826 zu einem entfernten Mitglied der Künstlerfamilie geworden. Ihre Wertschätzung des berühmten Kupferstechers brachte sie in einer Darstellung der Familie Felix du Bois-Reymond zum Ausdruck. Daniel Chodowiecki, der prominente Urgroßvater der dargestellten Familie, ist in einer Büste im Bild präsent. Sie steht auf einem Podest hinter den Eltern, die gemeinsam mit ihren Kindern am Tisch sitzen.
Die beiden Töchter sind nicht wie in zahlreichen anderen Familienbildern bei der Handarbeit gezeigt, sondern haben eine große Mappe mit Kupferstichen von Chodowiecki geöffnet. Auch die Eltern richten ihren Blick auf die Werke ihres berühmten Vorfahren. Mit großer Sorgfalt hat Louise Henry die Arbeiten Chodowieckis bis ins Detail getreu wiedergegeben. Sie lenkt die Aufmerksamkeit durch die intensive Betrachtung der beiden Mädchen nachdrücklich auf die Kupferstiche und vermittelt eine Vorstellung ihrer eigenen Wertschätzung dieser Werke.
Als Mitglied der Akademie der Künste blieb Louise Henry eine Ausnahme. Bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert wurden Frauen nur vereinzelt aufgenommen, auch wenn sie sich mit zahlreichen Werken an den Akademieausstellungen beteiligten. Ihre Ausbildung erhielten Künstlerinnen nicht an der Akademie, sondern in privaten Ateliers. So ist es für Félicité Henriette Robert, Suzette und Louise Henry und ebenfalls für die Malerin Caroline Bardua (1781-1864) überliefert.
Reisen
Neben dem Unterricht im Atelier war ein Aufenthalt in Frankreich oder Italien für die künstlerische Weiterbildung von besonderer Bedeutung. Der Wunsch, einige Zeit in Paris oder Rom zu studieren, ließ sich häufig nicht ohne Weiteres erfüllen. Die finanziellen Aufwendungen waren hoch und konnten von vielen Frauen nicht selbst getragen werden. Suzette Henry bot sich 1814 eine Gelegenheit. Sie begleitete ihren Mann nach Paris, als dieser dort über die Rückführung der von Napoleon geraubten Kunstschätze verhandeln sollte, und nutzte den Aufenthalt, um im Louvre zu kopieren.
Für Louise Henry hingegen ist eine solche Reise nicht überliefert. Auch Caroline Bardua konnte sich ihren Wunsch, nach Italien zu gehen, nicht erfüllen, da ihre Familie auf ihre Einkünfte angewiesen war. Sie verdiente in der Zeit nach den Befreiungskriegen den Unterhalt für ihre Mutter und ihre Schwester sowie die Ausbildung ihres Bruders mit ihrer Malerei. Erst 1829 war sie kurze Zeit in Paris, reiste jedoch schon bald nach Frankfurt am Main weiter, da dort die Chance auf Porträtaufträge für sie größer war.
Solche Reisen bereicherten Frauen in ihrer künstlerischen Arbeit, ermöglichten einen Austausch über die Grenzen des eigenen Landes hinaus und erweiterten ihren Horizont. Im Vergleich schärften sie auch den Blick für die eigene Situation. So zeigen es die Eindrücke, die Helmine von Chézy, geb. von Klencke (1783-1856), die Enkelin der Dichterin Anna Louise Karsch, 1805 in ihrem Buch "Leben und Kunst in Paris seit Napoleon dem Ersten" festhielt: "Die Französinnen zeigen viel Sinn für Kunst. Das Museum ist voll von Malerinnen, in Privatgesellschaften findet man Damen von seltenem musikalischen Talent, welches auch sehr gut ausgebildet ist. Auf Bällen wird getanzt, fast wie in der Oper, und in keinem dieser Fächer begnügt sich eine Französin mit der Mittelmäßigkeit. So sind die Franzosen denn reicher an Schriftstellerinnen und Künstlerinnen als andere Nationen, vielleicht bloß darum, weil die Frauen mehr auf das bürgerliche Leben zu wirken haben, als bei uns und in England."[6]
Helmine von Chézy war 1801 nach Paris gegangen. Im gleichen Jahr kam die französische Malerin Elisabeth Vigée-Lebrun (1755-1842) nach Berlin. Sie hatte im Zuge der Französischen Revolution Frankreich verlassen, einige Jahre in Italien und Österreich, Russland gelebt. In Berlin malte sie ein Porträt der preußischen Königin Luise, das sich in der Hohenzollernburg Hechingen befindet. Sie war beeindruckt von der Anmut und Mädchenhaftigkeit der Königin und beschreibt in ihren Erinnerungen den gütigen Ausdruck ihres Gesichtes, die Feinheit und Regelmäßigkeit ihrer Züge.[7]
Die Anmut und Zartheit der jung verstorbenen Königin, ihre Mütterlichkeit, die Würde, mit der sie die Niederlage gegen Napoleon trug, wurden zu einem Ideal, das zahlreiche Künstler in ihren Gemälden zum Ausdruck brachten und auch die Dichter der Romantik, wie Achim von Arnim und August Wilhelm Schlegel, in Worte fassten.[8]
Die Diskrepanz zwischen diesem Weiblichkeitsideal und dem Wesen bekannter zeitgenössischer Frauen ist unübersehbar. So hielt sich Bettina von Arnim wenig an das zurückhaltende Auftreten, das man von Frauen in der Öffentlichkeit verlangte und erregte immer wieder durch ihr impulsives Wesen Aufsehen. Unkonventionell lebte auch Rahel Varnhagen. Sie führte als alleinstehende Frau einen vielbesuchten Salon in Berlin und heiratete erst im Alter von dreiundvierzig Jahren den neunundzwanzigjährigen Karl August Varnhagen. Es scheint programmatisch, dass die Bildnisse beider Frauen meist in Zeichnungen eingefangen wurden, ein Medium, das ihrer inneren Beweglichkeit entspricht.
Ihre zahllosen Briefe werden zu einer Selbstvergewisserung, einer Standortbestimmung, derer sie als Suchende bedürfen. In einer Zeit, die durch die Ereignisse der Französischen Revolution und die Befreiungskriege geprägt war, gerieten nicht nur politische Positionen ins Wanken gerieten. Die Frauen bewegten sich immer wieder an der Grenze zwischen vertrauten und neuen Lebensformen. Ihre Briefe sprechen von ihrer Suche, und die häufigen Ortswechsel erscheinen als äußeres Bild ihrer Unruhe.
Wanderschaft
Die Lebenswanderungen dieser Frauen finden eine Entsprechung im Bild der Pilgerin. Eine Zeichnung der Künstlerin Caroline Bardua zeigt zwei Frauen auf Wanderschaft. Während sie selbst ihre Palette und den Wanderstab in Händen hält, trägt ihre Schwester Wilhelmine eine Laute über der Schulter. Ihr Arbeitsmaterial begleitet sie auf ihrer Reise. Der Weg muß jedoch erst gebahnt werden und so besteht die kleine Brücke, über die sie gehen, aus den Buchstaben ihres Namens. Caroline Bardua erinnert in ihrer Zeichnung an das romantische Motiv der Künstlerwanderung, wie es sich auch in Romanen von Friedrich Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder findet.
Für Wilhelmine und Caroline Bardua jedoch blieb die Pilgerreise nicht auf einen Lebensabschnitt beschränkt, in dem sie Neues entdecken. In ihren Erinnerungen bezeichnet Wilhelmine sich und ihre Schwester als lebenslange Pilgerinnen und verbindet damit auch ein Gefühl der Heimatlosigkeit. Bei der Ankunft in Berlin 1819, das für lange Jahre ihre Heimat werden sollte, beschreibt sie ihre Unsicherheit: "Am Fenster des Hauses saß eine Dame in seinem Morgenhäubchen und sah durch die Brille über ihre Zeitung weg nach den Reisenden und ihrem großen Paket. Wie unaussprechlich glücklich kam ihnen [den beiden Schwestern] die Dame vor, die in so gesicherter Ruhe dem bitteren Anfang zweier Pilgerinnen in der Fremde zusehen und ihre Zeitung lesen konnte!"[9]
Für Caroline Bardua wurde ihre Tätigkeit als Malerin zur Verankerung, gleichgültig ob sie sich in Berlin, Paris, Frankfurt oder Ballenstedt aufhielt, so zeigt es die Zeichnung. Wilhelmine Bardua hingegen konnte ihre Ausbildung als Sängerin nicht vervollkommnen. Die Eintragungen in ihr Tagebuch machen deutlich, wie schwierig es für eine unverheiratete Frau war, einen Platz für sich zu finden, auch ohne eine ihr gemäße Aufgabe auszuüben. Sie schreibt im Mai 1823: "Ob ich es nun vielleicht mit der Schriftstellerei versuche? Es würde eine ganz neue Lebensheiterkeit für mich aufgehen, wenn ich nur zu irgend etwas nütze wäre. Es ist zu traurig, wenn der Mensch keinen eigentlichen Beruf hat und ohne Zweck und Nutzen nur so dahinlebt."[10]
Der Wunsch nach einer ausgefüllten Existenz ist in Briefen, Tagebüchern, Erinnerungen von Frauen der Romantik immer wieder zu finden. Rahel Varnhagen schreibt an ihre Schwester, Frauen hätten: "(...) keinen Raum für ihre Füße, müssen sie nur immer da hin setzen, wo der Mann eben stand, und stehen will; und sehen mit ihren Augen die ganze bewegte Welt, wie etwa Einer, der wie ein Baum mit Wurzeln in der Erde verzaubert wäre, jeder Versuch, jeder Wunsch, den unnatürlichen Zustand zu lösen, wird Frivolität genannt; oder doch für strafwürdiges Benehmen gehalten." Und an anderer Stelle heißt es gleichsam als Antwort auf Wilhelmine Barduas Klage: "Gott! Was ist es für ein Glück, für eine Wonne, wenn einen das Schicksal auf den Ort stellt, wo man die Gaben, die einem einmal die Natur ertheilte anwenden kann (...)".[11]
Anmerkungen
1 Humboldt greift den Ausdruck in seinem Brief an Caroline vom 1.März 1819 auf. Anna von Sydow (Hrsg.): Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, 6. Band: Im Kampf mit Hardenberg. Briefe von 1807-1819, Berlin 1913, S. 500.
2 Ellen Spickernagel: Zwischen Venus und Juno, in: Städel-Jahrbuch, Band 8, 1981, S. 309-310.
3 Marie-Claire Hoock-Demarle: Die Frauen der Goethezeit, München 1990, S. 183.
4 Carola Muysers: Profession mit Tradition, in: Bärbel Kovalevski (Hrsg.): Zwischen Ideal und Wirklichkeit. Künstlerinnen der Goethe-Zeit zwischen 1750 und 1850, Ostfildern-Ruit 1999, S. 65.
5 Akademie der Künste Berlin, Personalnachrichten Bildende Kunst F-R, 27. 3. 1833. Barbara Bruderreck: Louise Henry, Manuskript. Erscheint demnächst in: Irina Hundt (Hrsg.): Vom Salon zur Barrikade. Frauen zur Heinezeit, Stuttgart 2002.
6 Helmine von Hastfer (Helmine von Chézy): Leben und Kunst in Paris seit Napoleon dem Ersten, Band 1, Weimar 1805, S. 55.
7 Claudine Herrmann (Hrsg.): Elisabeth Vigée-Lebrun: Souvenirs, Band 2, Paris 1984, S. 87.
8 Zum Mythos der Königin Luise: Günter de Bruyn: Preussens Luise. Vom Entstehen und Vergehen einer Legende, Berlin 2001.
9 Die Schwestern Bardua, aus Wilhelmine Barduas Aufzeichnungen gestaltet von Prof. Dr. Johannes Werner, Leipzig 1929, S. 65.
10 Ebenda, S. 92.
11 Zit. in: Heidi Thomann Tewarson: Rahel Levin Varnhagen, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 126, 127.
Aus: Mitteilungen 4/2002
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