Die Entwicklung des heimischen Brauwesens
Am 7. Februar 1921 hielt Herr Richard Knoblauch einen Vortrag mit Lichtbildern über die Entwicklung des heimischen Brauwesens. Er führt aus, daß schon vor Erscheinen des Menschen in der freien Natur Braustätten bestanden hätten, deren alkoholisches Produkt bei der Lebewelt der Insekten reichen Absatz fand. Noch heute können wir beobachten, wie der aus Baumwunden ausgeschiedene süße Zellsaft, von Hefen zur Gärung gebracht, vielen geflügelten und ungeflügelten Gästen ein begehrter Rauschtrank ist. Auch im Menschen lebte von je das Verlangen nach Reizstoffen in der Nahrung. Der Zusatz wilden Honigs zum Trinkwasser und die in diesem bald eingetretene Selbstgärung haben ihn vielleicht zuerst mit dem Alkohol bekannt gemacht.

Das Biervolk des Altertums waren die Ägypter. Sie kannten schon das Mälzen. Sie wußten, daß nach einem Keimungsprozeß des Kornes das Stärkemehl desselben sich leicht verzuckern läßt. Unseren Vorfahren, den alten Germanen, wird diese Kunst wohl fremd gewesen sein. Vielleicht haben sie sich mit ausgewachsenem Korn beholfen. Wir können annehmen, daß sie ihr Bier in Kochgruben brauten, in Gruben, die durch Stein oder Holz abgedichtet waren, und daß sie durch Einwerfen erhitzter Steine in den verdünnten Mehlbrei diesen auf die Wärmegrade brachten, in denen sich die Verzuckerung vollziehen mußte. Hefen- und Milchsäurebakterien führten dann bei der langsamen Abkühlung in gemeinsamer Arbeit, beeinflußt noch durch andere Mikroorganismen, deren sie sich nicht ganz erwehren konnten, das Gebräu in einen Trank über, der mit unserem Weißbier eine gewisse Verwandtschaft gehabt haben mag. Es wird aber viel rauher, saurer und auch stärker gewesen sein, sonst wären die Rauschwirkungen, von denen uns Tacitus berichtet, nicht möglich gewesen.

Der wichtigste Markstein in der Geschichte des Bieres ist die Einführung der Hopfenkochung (11. Jahrhundert). Das Hopfebitter wurde der Hefe ein wichtiger Bundesgenosse im Kampf gegen andere Mikroorganismen. Das Bier wurde reiner. Gegen Ausgang des Mittelalters war das Brauwesen in Norddeutschland zu hoher Blüte gelangt; besonders das Einbecker, Hamburger und Danziger Bier hatten weit verbreiteten Ruf, kaum minder auch unser Bernauer, das bei der Belagerung der Stadt durch die Hussiten seine rühmliche Rolle spielte.

Aus der Reformationszeit haben wir ein interessantes Werk von Dr. Heinrich Knaust, "Fünf Bücher von der göttlichen und edlen Gabe, der philosophisch hochgetheueren und wunderbaren Kunst, Bier zu brauen". Knaust war 1540 und 1544 Rektor des hiesigen köllnischen Gymnasiums, später Anwalt und Syndikus in Bremen und Erfurt. Er hat "Bierreisen" durch ganz Norddeutschland unternommen und uns nicht weniger als 133 verschiedene Biere, zum Teil auch ihre Herstellungsart beschrieben. Wir erhalten einen guten Einblick in das damals hochentwickelte Brauwesen.

Der Dreißigjährige Krieg führte auch für das Braugewerbe einen völligen Niedergang herbei. Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große bemühten sich sehr, dasselbe zu stützen, da es durch Tee- und Kaffee-Import viel zu leiden hatte. Mit Bezug hierauf sagte Friedrich der Große, die Leute sollen doch wieder an Bier gewöhnt werden, er selbst sei mit Biersuppe aufgezogen, die sei viel gesünder als Kaffee. Das Weißbier finden wir seit dem 17. Jahrhundert in Berlin. Es war aber schon vorher in Hamburg, Hannover und Halberstadt bekannt. Die Napoleonischen Soldaten nannten es "Champagne du nord". Im übrigen war die Qualität der heimischen Biere weit zurückgegangen, 1806 wurde mehr Korn für Schnaps als für Bier verarbeitet.

Eine neue Ära brachte die Einführung der untergärigen, bayrischen Brauart: 1838 wurde auf dem Tempelhofer Berg der erste Betrieb nach bayrischem Vorbild errichtet. Die wichtigste Stufe in der Weiterentwicklung war die Erkenntnis der Bedeutung der Naturwissenschaft. Die Nutzanwendung der Physik brachte die Mechanisierung der Betriebsmittel. Chemie und Biologie führten den Brauer in all die verwickelten Vorgänge ein, die sich beim Mälzen, beim Darren, im Maischprozeß und bei der Gärung vollziehen, und befähigten ihn, seine Aufgaben in bezug auf Ausbeutung der Rohstoffe und auf Geschmacks- und Haltbarkeitsbeeinflussung in ganz anderer Weise als bisher zu beherrschen. Die Lenkung der enzymatischen Prozesse ist heute die wichtigste und schwierigste Aufgabe des technischen Betriebsleiters. Gleichwertig der Wissenschaft bleibt aber immer noch die praktische Erfahrung, und nur durch Ergänzung der einen durch die andere wird ein sicherer Erfolg gewährleistet.

An der Hand eines reichen Lichtbildermaterials schilderte Herr K. den Werdegang des Bieres im modernen Braubetrieb. Ausführlicher behandelte er das biologische Gebiet. Das Gärungsprodukt Alkohol ist kein körperfremder Stoff. Alkohol kann nach Lindner zum Aufbau lebender Substanz oder zur Umwandlung in Fett bei Luftgegenwart leicht verwertet werden. Durch Verfettung der Hefen und anderer Mikroorganismen mittels Alkohol kann deren Fortpflanzungsfähigkeit gelähmt werden. Damit wäre eine neue Perspektive zur Bekämpfung gewisser Krankheitserreger geschaffen.

Herr K. ging dann schließlich noch auf die Frage näher ein, welche Rolle das Bier für unsere Ernährung spielt. Durch unsere Ernährungsphysiologen Rubner, Zuntz und Völz wurde festgestellt, das etwa 60% der Energiewerte der Gerste im Bier wieder erscheinen, während bei Verwendung der Gerste als menschliche Nahrung in Form von Graupen auch nicht mehr als 60% nutzbar gemacht werden. Bei der Verfütterung der Gerste an unsere Haustiere wird nur eine Nutzwirkung von 45 bis 50% erzielt. Es wird gewöhnlich außer acht gelassen, welch hohen Nährwert die Nebenprodukte als Futtermittel für unsere Tiere haben; besonders für die Milcherzeugung sind die Treber unschätzbar. Durch die Nebenprodukte werden weitere 27 bis 28% des Energiegehalts der Gerste verwertet, so daß im ganzen 86 bis 87% der nutzbaren Kalorien zur Geltung kommen. Eine Nährstoffvergeudung findet also bei maßvollem Biertrinken nicht statt. Unsere heutigen Vollbiere haben nur eine Stammwürze von 8%, eine Rauschwirkung ist ausgeschlossen, denn der Alkoholgehalt beträgt nur 2 bis 2 1/4 %, also noch weniger als im früheren Weißbier. Aufgabe muß es sein, auch bei niederem Alkoholgehalt den Genußwert des Bieres so zu erhöhen, daß es den Schnaps wieder aus dem Felde zu schlagen vermag. Damit hätte es eine hohe Kulturmission.

Aus: "Mitteilungen" 38, 1921, S. 10-11. Redaktion: Gerhild H. M. Komander 12/2003