Ein Geburtsbrief

Eines der interessantesten Kapitel der deutschen Rechts- und Kulturgeschichte ist dasjenige von den ehrlosen Personen. Abgesehen von der infamia juris, die durch Richterspruch zuerkannt wurde oder eine Folge der durch Henkersband vollzogenen Tortur oder Criminalstrafe war, gab es eine infamia facti, mit welcher uneheliche Kinder, ferner gewisse Erwerbsarten (Henker, Schinder, Bärenführer, Seiltänzer, Schweineschneider, Schäfer u. s. w.) belastet waren. Merkwürdig ist es, daß ein später sehr geachtetes Gewerbe, das der Müller, erst durch die Reichspolizei-Ordnung von 1548 von der Infamie befreit wurde.

Im früheren Mittelalter (auch nach dem Sachsenspiegel) waren infamirte Personen völlig rechtslos. Ein Todtschlag an einer infamirten Person wurde nach dem Sachsenspiegel mit dem Schatten eines Mannes oder mit dem Blicke eines Kampfschildes gegen die Sonne gesühnt! Bis in die neuere Zeit hatten solche Leute vor Gericht keine Glaubwürdigkeit, sie hatten keinen Anspruch auf ehrliches Begräbniß, bei keinem ehrlichen Handwerke waren sie zugelassen.

Diese wenigen Bemerkungen werden hinreichen, um die Strenge zu erklären, mit der die Zünfte darauf hielten, daß alle Handwerks-Lehrlinge ein Zeugniß ihrer ehelichen Geburt beibrachten.

Als Beispiel möge hier der wesentliche Inhalt eines in der Lade der hiesigen Schlächter-Innung befindlichen, auch in manch' anderer Beziehung nicht uninteressanten Geburtsbriefes folgen.

Derselbe, "auff den (sic!) Friedrichswerder" 18. Februar 1682 datirt, hat in seiner ersten Hälfte folgenden Wortlaut:
"Ich Wollmar von Wrangel, Seiner Churfürstl. Durchlauchttigkeit: Zu Brandenburg Bestalter Obrister: über dero Leib Guarde zu Fuss: Bekenne etc. dass vor mich (sic!) Christian Vlrich Laniesche, Sehligen Christof Lanischen Vnd die Sehlige Mutter Barbara Christina Lorenssen nachgelassener Sohn, nebst Seinen beyden beystanden vndt Zeugen, als der Ehrbare undt Namhaffte Martin Kliepfs, Bürger vndt Stadtwachtmeister in Berlin, vndt Meister Johann Jacob Morell auch Bürger vndt Kammacher beyde glaubhaffte Menner erschienen, vndt haben vor mich (sic!) bey den Pflicht mit Entblösten Haubt, auff geräckten Fingern zu Gott geschworen vndt gestanden, das es ihm woll wissent: undt war seij, das obbemälter Christian Vlrich Lanische von Seinen (sic!) Vater Christof Lanische undt Barbara Christina Lorenssen, alss leibliche Mutter allhier in Anno 1666 den 17. Februarij in der Heyligen Geist Kirchen in Berlin zur Heiligen Tauff geschicket, daselbst er dann alss ein recht Echt Kindt ein gezeichnet worden; Wann mir dann Nun nicht anders bewust, vndt auch wahr sey, dass gedachter Christian Vlrich Lanische, vater Sehliger Christof Lanischky: aus Polen gebürdig, nebst Seinen auch Sehligen Eheweibe Barbara Christina Lorenssin unter meiner Compagnij, vor einen Muscotier gedienet vndt Sich alle mahl auffrichtig und from verhalten. Dass ich ein guttes genügen daran getragen, Hernacher wegen Leibes schwachheit seinen Ehrlichen abscheit bekommen, gedachte Eheleute sich auch Ehrlich vnft auffrichtig uerhalten, wie Ehrlichen Bieder Leutten wohl anstehet, eignet undt gebühret, Alldieweil Er aber gedachter Christian Vlrich Lanischky, ein redliches und auffrichtiges Handwerck, als ein Fleischer zu lernen vermeinet, Alss hat er Mich gantz dienstlichen, Seiner ankunft vndt Ehrlichen geburth, vmb glaubwürdige Kundtschafft vndt gezeugnüs, seiner Ehrlichen-Ehelichen geburt, gehorsamblichen gebehten, vndt unterthänigst besprochen, welches Ich ihme dann nicht verwiederen mögen ---".

Die auf Pergament geschriebene Urkunde ist von dem Obersten eigenhändig unterzeichnet und mit seinem an blauem Bande hängenden Siegel (in Holzkapsel) versehen. Die Schwäche in Bezug auf das mir und mich ist wohl nicht einem Erbfehler der Familie, sondern dem Schreiber der Urkunde zur Last zu legen. Beachtenswerth ist, daß die Persönlichkeit, zu deren Gunsten der Brief ausgestellt ist, zuerst Lanische und dann Lanischky genannt wird.

Seyler.

Aus: "Mitteilungen" 2, 1885, S.118-119. Redaktion: Gerhild H. M. Komander 12/2003