4. 9. 2020
Lutz Röhrig
Bauherrin des Gebäudes, das den Namen Lortzingclub trägt, war Hertha Bartel, welche das Grundstück an der Lichtenrader Lortzingstraße im Jahr 1937 zum Zweck der Errichtung eines privaten Wohnhauses erworben hatte. Auf Grund des Berufsstandes ihres Mannes Paul Bartel – er war leitender Ingenieur der NS – Organisation Todt und hier zuständig für den Autobahnbau – war jedoch auch die Errichtung von Büro- und Repräsentationsräumen vorgesehen. Hierzu gehörten eine doppelständige Garage und ein großes Schwimmbecken im Garten des Hauses. Die offenbar vorhandene Kenntnis von den weiteren Absichten des NS – Regimes sorgten dafür, dass eine aufwendige Luftschutzanlage mit doppelter Gasschleuse und einer besonders verstärkten Massivdecke im Kellerbereich mit eingeplant und ausgeführt wurde. Errichtet wurde das Gebäude in der Zeit von Juli 1938 bis Frühjahr 1939 von dem Architekten Heinrich Sander.
Nachkriegszeit. Der russische Kinderclub
Indes konnte die Familie Bartel ihr Lichtenrader Anwesen nur wenige Jahre genießen. Zwar überstand das Gebäude den Krieg weitgehend unbeschadet und auch die Familie überlebte, doch wurde das Landhaus nach dem Ende der Kampfhandlungen von der Roten Armee beschlagnahmt. Diese richtete hier einen Kinder- und Jugendclub ein, um die größte Not unter den Heranwachsenden zu lindern und ihnen eine Betätigungsmöglichkeit zu bieten, aber natürlich auch, um auf diese in Ihrem Sinne Einfluss auszuüben. Nur wenig ist über diese nur einige Monate andauernde Zeit bekannt. Immerhin finden sich Unterlagen darüber, dass die später berühmte Malerin Ruth Baumgarte (1923 – 2013) im Club Mal- und Zeichenunterricht für Kinder abhielt. Baumgarte war die Tochter des UFA-Chefs und Mehrheitseigners der Tobis-Filmproduktionsgesellschaft, Kurt Rupli und hatte an der Berliner Hdk Kunst studiert. In Lichtenrade lebte zu diesem Zeitpunkt noch die Mutter von Ruth Baumgarte, die Schauspielerin Margret Kellner - Conrady, die durch sie gepflegt wurde.
Die Amerikaner
Drei Monate nach Kriegsende zogen die Amerikaner in Lichtenrade ein. Der russische Kinderclub wurde nun in ein Offizierskasino umgewandelt. Doch die Amerikaner beobachteten sehr genau war, was sich in den von der Sowjetunion kontrollierten Bezirken tat und welchen Einfluss dies auch auf die Jugend der westlichen Bezirke haben könnte. Zudem waren viele Kinder durch den Krieg entwurzelt, litten Not und standen mental noch immer unter dem Eindruck des NS – Regimes und deren Jugendorganisationen. Aus diesem Grund wurde von der amerikanischen Armee das „GYA – Programm“ (German Youth Activities) ins Leben gerufen. Im Gebäude wurde daher am 1. April 1948 der neue Jugendclub eröffnet, dessen Ausstattung sich, wie üblich, weitgehend an den Offiziersclubs orientierte. Vorbild hinsichtlich der Jugendarbeit war hingegen der bereits 1946 in der Zehlendorfer Stubenrauchstraße im Rahmen des GYA Programms von Earl Albers eingerichtete Jugendclub der US Armee.
Zur großen Beliebtheit des Jugendclubs an der Lortzingstraße dürfte neben der offenen Art der Amerikaner und den herbeigeholten Deutschen Lehrkräften noch etwas anderes, das im Süden Berlins damals im weiten Umkreis nicht zu finden war, beigetragen haben: Ein Schwimmbad! Wie viele Kinder hier im ehemaligen Schwimmbecken der Villa schwimmen lernten ist nicht bekannt.
Eine besondere Attraktion war der junge Alligator, welcher von 1951 – 1952 im Schwimmbad „residierte“. Da der Alligator Teil des Wappens des 6th US Infantry Regiments ist, welches im ehemaligen Telefunken – Werk in Lichterfelde (McNair-Barracks) stationiert war, hatte man im Sommer 1951 kurzerhand einen solchen vom Mississippi nach Berlin verfrachtet. Doch nach einiger Zeit mussten die amerikanischen Soldaten besorgt feststellen, dass ihr Maskottchen, das den Namen „Swampy“ erhalten hatte, das Futter verweigerte und apathisch am Schwimmbadrand lag.
Besorgt wandte man sich an Werner Schröder vom Berliner Zoo, dem damaligen kaufmännischer Direktor und Leiter des wiederaufgebauten Aquariums. Es war Februar und die Temperaturen dementsprechend kühl. Schröder nahm das entkräftete Tier mit in seine warme Wohnung, wo es sich rasch erholte. Die Soldaten mussten einsehen, dass ein Schwimmbad kein guter Ort zur Unterbringung eines Alligatoren ist. Auch musste man sich um das Wohlergehen der Kinder bei zunehmender Größe von Swampy langsam sorgen…
Da der Wiederaufbau auch der Krokodilhalle längst geplant war, behielt Schröder das Tier im Zoo. 1956 wurde dann die neue Krokodilhalle eröffnet. Ab und an wurde „Swampy“ noch zu Paraden von den Amerikanern abgeholt, dann verzichtete man angesichts seiner weiter zunehmenden Größe und Kraft hierauf. Der Alligator verstarb 1985 im Berliner Aquarium und wurde anschließend präpariert. Das Präparat des ca. 35 Jahre alten Tieres befindet sich heute im Magazin des Naturkundemuseums.
Übergabe des Clubs an das Berliner Jugendamt
1953 sahen die Amerikaner den Zeitpunkt gekommen, das GYA – Programm in Deutschland auslaufen zu lassen. Formal lief das Programm am 30. Juni 1953 aus. Doch bereits vier Tage zuvor, am 26. Juni 1953, wurde jedoch das Gebäude des späteren Lortzing–Clubs von Oberst Lynch als Beauftragten des Amerikanischen Stadtkommandanten durch den stellvertretenden Bürgermeister von Tempelhof, Stadtrat Burgemeister, übernommen. Als Starthilfe wurde dem Bezirksamt durch US-GYA-Offizier Captain O'Quinn eine großzügige Spende von 5000 DM sowie wertvolles Material für die Jugendarbeit übergeben.
Doch mit der Übernahme des Clubhauses durch das Berliner Jugendamt und damit einer deutschen Behörde trat ein Umstand ein, mit dem wohl niemand gerechnet hätte: Zwar war das ehem. Landhaus nach Kriegsende der Familie Bartel durch die Besatzungsmächte entzogen worden, doch nie formal enteignet. Paul Bartel richtete nun Mietforderungen an das Jugendamt, die von diesem auch anstandslos beglichen wurden. Doch mit den Jahren wurden diese Forderungen immer höher auf zuletzt 7200 Mark Jahresmiete, so dass dies allmählich zu einem Problem wurde. In dieser Situation unterbreitet im März 1959 die Familie Bartel dem Jugendamt eine Kaufoption.
Damit traten neue Probleme auf. Vor einem Kauf und einem Weiterbetrieb als Jugendclub durch das Jugendamt und den Bezirk mussten gemäß der Gesetzeslage die Bedenken der Anlieger gehört und nach Möglichkeit entkräftet werden. Ein nervenaufreibender Vorgang. Ende 1960 stimmten schließlich die beteiligten Behörden unter Auflagen dem Kaufersuchen des Jugendamtes zu.
Seither befindet sich das Gebäude im Eigentum des Bezirks, welcher dies mit wechselnden Trägern als Kinder- und Jugendclub bespielen lässt.
Die ausführliche Version des Artikels können Sie über nachfolgenden Link aufrufen:
https://www.zeit-fuer-berlin.de/lichtenrader-lortzingclub-teil1/