Conrad Heidenreich und Paul Michel
Die Architekten des Weinhauses Huth
Von Erika Schachinger
Die beiden Architekten des 1912 erbauten Weinhaus Huth werden selten erwähnt. Zunächst ihre Lebensdaten: Conrad Heidenreich wurde am 19. Mai 1873 in Eutin/Holstein als Sohn eines Tischlermeisters geboren. Er starb am 26. Juni 1937 in Berlin nach jahrzehntelanger gemeinsamer Tätigkeit mit Paul Michel. Dieser wurde am 29. Dezember 1877 in Eilenburg bei Leipzig geboren als Sohn eines Chemikers, dessen Vater Maurermeister in Drossen/Neumark war. Paul Michel starb am 23. April 1938 in Berlin. Beide lernten sich während ihres Studiums an der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin, der Vorläufer-Institution der Technischen Universität Berlin, kennen. Ihre Freundschaft dauerte ihr ganzes Leben lang; sie umschloss auch die Frauen, die sie später heirateten.
Der etwas ältere Conrad Heidenreich hatte nach dem Abitur zunächst eine Tischler-Lehre in Hamburg absolviert, bevor er zum Studium nach Berlin ging. Da die Reste seines persönlichen Nachlasses heute in Kanada liegen, kann über den Verlauf seines Studiums nichts berichtet werden.
Paul Michel legte im März 1902 das 1. Staatsexamen für das Hochbaufach ab. Anschließend arbeitete er als Regierungsbauführer an verschiedenen Staats- und Privatbauten. Am 22. Juni 1906 bestand er das 2. Staatsexamen für das Hochbaufach und wurde am 12. Juni 1906 zum Regierungsbaumeister ernannt. Für dieses Examen wurde Paul Michel als Zulassungsarbeit sein "Entwurf zu einem Museum für Architektur und Architekturplastik in Berlin" angerechnet, für den er am 13. März 1905 mit der Schinkel-Plakette ausgezeichnet worden war. Diese Plakette mit dem Bildnis von Karl Friedrich Schinkel - ein Porträt-Relief, das David d'Angers 1834 modelliert hatte - wurde ihm während des Schinkel-Festes 1905, veranstaltet von dem Architekten-Verein zu Berlin, überreicht. Um diese Zeit war sein Freund Conrad Reichenstein Assistent an der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin. Da das Hochschularchiv im Zweiten Weltkrieg fast vollständig vernichtet wurde, kann über diese Tätigkeit von Conrad Reichenstein leider nichts weiter gesagt werden.
Am 15. August 1906 wurde Paul Michel auf seinen Wunsch aus dem preußischen Staatsdienst entlassen. Er nannte sich fortan Regierungsbaumeister a.D. Mit seinem Freund, dem Architekten Conrad Heidenreich, machte er sich um diese Zeit in Charlottenburg selbständig. Der Geschäftsname lautete: Heidenreich und Michel. Bei der Arbeitsteilung lag der Schwerpunkt des kaufmännischen Bereiches bei Conrad Heidenreich, der des künstlerischen Bereiches bei Paul Michel. In seiner freien Zeit malte und aquarellierte dieser unablässig, wie die jüngste Tochter von Paul Michel berichten kann. Sein Vorbild war Max Liebermann. 1908 verlegten die beiden Architekten-Feunde ihr gemeinsames Büro in das nach ihren Plänen erbaute - heute modernisierte - Eckgebäude Kaiserdamm 26 (mit Königin-Elisabeth-Straße 1). Dort wohnten sie auch mit ihren Familien. Es folgten u.a. weitere Wohnbauten am Kaiserdamm: Nr. 27 und Nr. 28, beide von 1909/10, stehen heute noch; Nr. 33 und Nr. 36 wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, darunter das Büro der beiden Architekten am Kaiserdamm 33, wohin sie ihren Sitz 1912 verlegten.
1910/11 ließ der Kaufmann Carl Huth von Heidenreich und Michel das Eckgrundstück Reichskanzlerplatz 10 (heute Theodor-Heuss-Platz 10) mit Reichsstraße 108 bebauen. Es folgte 1911/12 für den Kaufmann Otto Schuster die Bebauung der anschließenden Grundstücke, Reichskanzlerplatz 12 mit Kaiserdamm 39 (heute Theodor-Heuss-Platz 12 mit Heerstraße 2), wiederum von denselben Architekten, die dem Gebäudekomplex aus städtebaulichen Gründen - auf Wunsch des Magistrats der Stadt Charlottenburg - zum Platz hin eine gleichmäßig gestaltete Fassade, die man heute noch sehen kann.
Der Bauherr Carl Huth betrieb mit seinem Bruder einen Handel en gros mit Milch und Sahne auf den Grundstücken Oranienstraße 195 und 196, die ihnen gehörten. Es liegt die Vermutung nahe, dass Carl Huth ein Verwandter der Besitzerfamilie des Weinhauses Huth war, der er die beiden Architekten für den Neubau ihres Hauses empfahl. Bekanntlich wurde das Haus Huth 1912 auf dem Grundstück des Vorgängerbaus nach Plänen der beiden Architekten-Freunde, Paul Michel und Conrad Heidenreich, mit einer Eisenkonstruktion errichtet, die alle tragenden Teile miteinander verband, was in Deutschland damals noch selten war. Über diesen Gebäudekomplex Potsdamer Straße 139 (später Nr. 5) mit der Rückfront Linkstraße 45 kann man sich anhand der älteren Fachliteratur informieren. Heute existiert außerdem eine denkmalpflegerische Bestandserhebung, allerdings nicht für jedermann zugänglich. Seit 1979 steht Haus Huth unter Denkmalschutz.
Mit der Ausführung des Gebäudeschmucks für dieses Geschäftshaus, das u.a. verschiedene Restaurants bot, wurden seinerzeit die Bildhauer Ludwig Isenbeck und Johannes Hinrichsen betraut. Sie arbeiteten damals auch für andere Architekten, z. B. für Peter Jürgensen und Jürgen Bachmann, deren bekanntestes Gebäude in Berlin das Schöneberger Rathaus ist. Übrigens gehörten Peter Jürgensen und Carl Mohr, der als Architekt auf Krankenhausbau spezialisiert war, mit ihren Frauen zum Freundeskreis der Familien Heidenreich und Michel.
Heute gehört Haus Huth der Firma Daimler-Benz. Denkwürdigerweise wurden Heidenreich und Michel auch für die Firma Benz tätig: in Berlin-Charlottenburg mit Bauten am Salzufer, die dem Vertrieb von Autos, als Lager und Werkstätten dienten; ein Gelände, das sich nach wie vor im Firmenbesitz (nun Daimler-Benz) befindet, für heutige Erfordernisse neu bebaut; in Mannheim mit einer Produktionshalle für die Herstellung von Autos und einer Flugzeughalle für die Reparatur von Flugzeugen.
Die Ausführung von Aufträgen in der Mark Brandenburg durch Heidenreich und Michel kann ebenfalls erwähnt werden. Das Spektrum ihrer Tätigkeit umfasste dort Kirchen, Schulen, Gutshäuser und Villen, vor allem in der Neumark. Aber auch der Gebäudekomplex der Grube "Marga" in der Lausitz muss hier aufgeführt werden, wenn von dem Umfang ihrer Bautätigkeit berichtet wird. Weitere Bauten entstanden in Berlin.
Das Bemühen um die städtebauliche Einbindung der Bau-Vorhaben, eine wenn auch noch so geringe Dynamisierung der Fassaden und die Solidität der Ausführung zeichneten die von Heidenreich und Michel entworfenen Bauten bis zuletzt aus. Für die praktische Durchführung ihrer Projekte arbeiteten sie eng zusammen mit dem Baugeschäft des Maurermeisters Emil Schmidt, der in seinem Haus Kaiserdamm 28 wohnte und im Mai 1911 ihr Kompagnon geworden war. Emil Schmidt war also auch für den Neubau des Weinhauses Huth mit verantwortlich, und zwar für die Zimmerer- und Maurerarbeiten.
Die beiden Freunde Heidenreich und Michel starben bereits vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, aus dem ihre Söhne nicht mehr zurückkehrten, die das gemeinsame Architekten-Büro hätten weiterführen können. Es muss aber noch erwähnt werden, dass Konrad Heidenreich jun. (1912-1945) zweieinhalb Jahre zu dem Mitarbeiterstab von Werner March gehörte, als das Olympiastadion mit seinen dazugehörigen Bauten geplant und errichtet wurde. Die Waldbühne, für deren Entwurf er Studien in Griechenland geführt hatte, geht auf Pläne von Konrad Heidenreich zurück. 1939 wurde er mit einer Arbeit über das Amphitheater in Xanten am Rhein an der Technischen Hochschule Berlin promoviert. Seine Nachkommen leben heute in Kanada.
Für Hinweise danke ich Frau Susanne Kuballa sowie den Herren Gerhard von Knobelsdorff, Frank Pasche und Klaus Schenk. E.S.
Aus: Mitteilungen 4/1998
Literaturhinweis zum Weinhaus Huth:
Wolf Thieme: Das Weinhaus Huth am Potsdamer Platz. Die wechselvolle Geschichte einer Berliner Legende, Berlin: Berlin Edition 1999.
Redaktion: Gerhild H. M. Komander, 7/2003
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Die Baugenossenschaft „Freie Scholle“