Von Claudia Maria Melisch

Im Sommer 2015 erhielt ich einen Baustellenanruf aus Berlin-Schmöckwitz. Beim Abriss eines alten Bootshauses hatte man fünf Tafeln mit aus der Zeitung ausgeschnittener Nazi-Propaganda gefunden. Die Bauleute wollten von mir wissen, ob diese Objekte historisch relevant wären. Schon dass sie es für notwendig erachtet hatten, bei mir anzurufen, machte mich ziemlich neugierig. Was ich dann in Schmöckwitz zu sehen bekam, verschlug mir in mehrfacher Hinsicht den Atem.

Die Arbeiter hatten auf dem Boden des Bootshauses insgesamt fünf Tafeln mit antisemitischer Hetze gefunden. Das üble, faschistische Gedankengut, welches dem Betrachter aus diesen Tafeln entgegen schreit, ist schwer auszuhalten. Eigentlich war es mein initiales Bedürfnis dieses Material zu vernichten, damit es keinen Schaden mehr anrichten könne. Dank der Gnade meiner späten Geburt habe ich diese grauenhafte Zeit glücklicherweise nicht miterleben müssen! Es schauert einen, sich das überhaupt in der gesamten Tragweite vorzustellen!

stuermerkasten abb1
Abbildung 1: Die Tafeln aus Berlin-Schmöckwitz kurz nach der Bergung im Juli 2015 (Fotos: C. M. Melisch)

Doch zurück zu den Fundobjekten. Nach dem vorsichtigen Reinigen zeigte sich, wie gut die Tafeln noch erhalten waren. Zwei der Tafeln bestehen aus dem dunkelrot gestrichenem Sperrholz und sind auf der Rückseite jeweils mit einem Leistenrahmen verstärkt. Die Sperrholztafeln gehören nebeneinander und zeigen neun antisemitischen Karikaturen und mittig ein handgeschriebenes Spottlied [1]. Die auf die Sperrholz-Tafeln geklebten Karikaturen und Beschriftungen hatten sich besser erhalten als die Zeitungsausschnitte auf den gefundenen, drei rot umrandeten Papptafeln. Auf die drei Papptafeln sind Zeitungsausschnitte aufgeklebt, die aus dem Stürmer im Frühsommer 1934 stammen. [2]
Ein kleiner Zeitungsausschnitt am Rande der einen Tafel verrät, was es mit dieser fürchterlichen Wandzeitung auf sich hat. Es handelt sich um einen sogenannten „Stürmer-Kasten“. Die Stürmer-Kästen wurden öffentlich aufgestellt, um die antisemitische Hetze noch weiter in die Bevölkerung verteilen zu können [3].
Die Papptafeln sind mit mehreren Lagen Papier beklebt. Die zuoberst klebenden Zeitungsartikel sind teilweise eingerissen und aufgebogen. An diesen Stellen erkennt man, dass die Untergrund-Pappe früher ein Filmplakat mit dem Konterfei Adolf Hitlers gewesen ist. Das Filmplakat ist später zerteilt und im Stürmerkasten noch einmal verwendet worden.

stuermerkasten abb2
Abbildung 2: Die Tafeln aus Berlin-Schmöckwitz kurz nach der Bergung im Juli 2015 (Fotos: C. M. Melisch)

Ich hatte den Bauarbeitern bei der Bergung versprochen, dass ich mich bemühen würde, das Objekt in die richtigen Hände weiterzuleiten, damit es gut erhalten und weiter erforscht wird.

Der richtige Ort war mit dem Haus der Wannsee-Konferenz schnell gefunden. Das Haus besitzt eine große Sammlung von politischen Objekten und verfügt vor allem über die notwendige Ausstattung zur Lagerung und Erhaltung von Papier.4 Herr Dr.Jasch, der Direktor des Hauses, übernahm die Objekte aus Schmöckwitz persönlich. Durch den freundlichen Hinweis unseres Vorstandsmitgliedes Herrn Mende erfuhr ich im Frühjahr 2017, dass der Stürmerkasten aus Schmöckwitz in der Sonderausstellung „Berlin 1937“ der Stiftung Stadtmuseum zu sehen ist und dass bei einer Führung mein Name im Zusammenhang mit der Auffindung der Tafeln fiel.

stuermerkasten abb3Ich habe mir die Ausstellung dann gleich im Rahmen einer Kuratorenführung von Gernot Schaulinski angeschaut und war besonders auf die Präsentation und die wissenschaftliche Erklärung zu dem Objekt gespannt. Ich muss sagen, dass ich von beidem richtig begeistert war. In der Ausstellung werden die beiden Sperrholztafeln gezeigt und eine Papptafel (Abb.3).

Abbildung 3: Ausgewählte Tafeln in der Sonderausstellung „Berlin 1937“ im Märkischen Museum, hier bei einer Führung im Juli 2017 mit G. Schaulinksi (Foto: C. M. Melisch)

Sowohl deren unaufdringliche Hängung übereinander, leicht oberhalb der Augenhöhe, als auch die Verblendung mit Glas, nehmen den Objekten einiges von ihrer plumpen Agressivität. Auf einem daneben angebrachten Tablet-PC werden Fotos von Details der Tafeln mit zusätzlichen Informationen verschnitten.

Somit wird den Hetz-Tafeln nicht allein die Bühne überlassen, sondern vielmehr eine zweite Präsentationsebene geschaffen, welche die Objekt kommentiert und erläutert. Das ist eine gute Technik mit diesen schwierigen Objekten umzugehen und ihre verachtenden Wirkung einzugrenzen.
Der „Stürmerkasten aus Schmöckwitz“ ist ein wichtiger historischer Beleg für die trivialste Form der Volksverhetzung, mit der die Nationalsozialisten Deutschland im vergangenen Jahrhundert überzogen haben. Die Auffindungsgeschichte der Objekte und der Horror, der alle beim Anblick der Tafeln ergriff, nährte bei mir die Hoffnung, dass solche Art menschenverachtender Propaganda niemals mehr in unsere Gesellschaft zurückkehren kann. Deshalb kann man die Objekte im Rahmen eines wissenschaftlich soliden Ausstellungskontext wie er in der Sonderausstellung „Berlin 1937 - Im Schatten von morgen“ ohne Zweifel gegeben ist, heute zeigen, ohne Gefahr zu laufen, alte Wunden wieder aufzureißen. Die Ausstellung im Märkischen Museum läuft noch bis zum 25. Februar 2018.

Anmerkungen:

  1. C. Kreuzmüller, E. Weber: Stürmer-Tafel aus Berlin-Schmöckwitz, Mitte der 1930er Jahre, In; Berlin 1937.. Im Schatten von morgen. Begleitkatalog zur gleichnamigen Ausstellung im Märkischen Museum, Stiftung Stadtmuseum Berlin, S. 74.
  2. Ebenda
  3. Ebenda
  4. Ebenda