Die Berliner Aufklärung, eine Grundlage des preußischen Patriotismus
Nicolai - Rode - Sulzer
Eine der Keimzellen für die Verbindung der bürgerlichen Kräfte mit dem preußischen Patriotismus, die mit Beginn des Siebenjährigen Krieges durch literarische und künstlerische Tätigkeit für den Staat zu wirken begannen, wurde der seit 1755 bestehende literarische Freundeskreis um den Berliner Verleger und Literaten Friedrich Nicolai (1733-1811), dem auch Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) und Moses Mendelssohn (1729-1786) angehörten. Mit dem Regierungsantritt Friedrichs II. wurde der Aufschwung der Berliner Akademie der Wissenschaften schon bald durch die Kriege um Schlesien unterbrochen.
Der 1749 gegründete "Montagsclub", dessen Vorsitz Friedrich Nicolai über viele Jahre hinweg inne hatte, konnte sich als ein Zentrum der Aufklärung etablieren. Dieser gelehrten Gesellschaft, der zeitweise auch Lessing beiwohnte, gehörten der Dichter Karl Wilhelm Ramler (1725-1798), der Philosoph Johann Georg Sulzer (1720-1779) und der Popularphilosoph und Wahlbrandenburger Thomas Abbt (1738-1766) an.
Nach der Übernahme der väterlichen Buchhandlung gab Friedrich Nicolai unter Beteiligung Lessings, Mendelssohns und Abbts die "Briefe, die neueste Literatur betreffend" heraus, die ab 1759 bis zum Jahr 1765 in 24 Bänden erschienen und einen "Beitrag zu der Entwicklung des gelehrten Journalismus" lieferten.[1]
Nicolai wandte sich an literarisch und wissenschaftlich interessierte Bürger, die sich den Aufklärungsidealen und den Gedanken der bürgerlichen Emanzipation gegenüber aufgeschlossen zeigten, zugleich aber die monarchische Verfassung Brandenburg-Preußens akzeptierten und ihrem König mit patriotischen Gefühlen entgegentraten. Darüberhinaus versuchte er, durch seine verlegerische Arbeit auch diejenigen zu erreichen, zu belehren und "aufzuklären", die diesen neuen Ideen noch mit Skepsis begegneten oder sie überhaupt nicht kannten.[2]
Wie Nicolai träumte die intellektuelle Schicht Deutschlands davon, ein sowohl breites als auch homogenes Publikum zu erreichen, brannte darauf, eine nationale deutsche Geltung zu erlangen und bedauerte das Fehlen einer Nationalliteratur.
Schon damit setzten sich die Anhänger der deutschen Aufklärung in Gegensatz zu Friedrich II., der die deutsche Literatur nicht schätzte. Der König, einer geistigen Anpassung an zeitgenössische Strömungen in späteren Jahren nicht mehr fähig, blieb zeitlebens der französischen Rokokokultur und der antiken Literatur verbunden und huldigte lediglich den Anfängen der Aufklärung, dem Stand der philosophischen Erkenntnis aus seinen Rheinsberger Tagen, verschloss sich dagegen der weiteren Entwicklung der Aufklärungsideen, wie sie das Bürgertum in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts fortführte.[3]
Friedrich Nicolai, der als einer der "Wegbereiter historischer Geschichtsbetrachtung" in Deutschland betrachtet wird, stand in der Nachfolge Voltaires, dessen Geschichtsschreibung er als eine Reformation der Geschichte beurteilte.[4] In einem Artikel der ADB schrieb er: "Die allgemeine Historie der Welt war bis auf ihn [Voltaire] die Lebensgeschichte der Regenten, er machte sie zuerst zur Geschichte der Menschen."[5]
Doch Nicolai bemängelte auch die Fehler Voltaires in dessen Schriften. Er forderte nun eine wissenschaftliche Geschichtsschreibung, die mit "enzyklopädistischem Wissensdrang" die Historie erforschen sollte, da die "Komplexität der historischen Realität" sich als nicht mehr mit "einlinigen Erklärungsmodellen", wie sie in der rhetorischen Tradition der Historiographie üblich waren, erfassen ließe.[6] Daraus resultierte letztlich auch die Gleichstellung aller Epochen geschichtlicher Zeiten und aller Menschen, die eine neue Betrachtung des Mittelalters ebenso ermögliche wie den Eintritt der Untertanen in die Geschichte des Staates.
Die bürgerliche Geschichtsschreibung Nicolais und anderer Aufklärer trat insbesondere mit einer Würdigung der eigenen, der bürgerlichen Tugenden hervor, deren Übertragen auf Adel und König eine theoretische Annäherung der bisher weit voneinander entfernten Stände bewirkte. Während in den gelehrten Kreisen die gesellschaftliche Herkunft ohne Bedeutung war, nur die gemeinsame Gesinnung und Bildung zählte, verband die Mehrzahl der Aufklärer im öffentlichen Leben "das Postulat der natürlichen Gleichheit aller Menschen mit der Anerkennung ihrer faktischen gesellschaftlichen Ungleichheit, die sie in der Regel als zwangsläufig ansahen."[7]
Der Maler, Zeichner und Radierer Christian Bernhard Rode (1725-1797), der nicht direkt an den Unternehmungen Nicolais beteiligt war, wohl aber in regem Kontakt und geistigem Austausch mit diesem und den Angehörigen seines Freundeskreises stand, versuchte, die aus den Standpunkten der Aufklärung erhaltenen Anregungen in seine graphischen und malerischen Darstellungen zu integrieren.[8]
Was aber ist das "Aufgeklärte" in der Kunst Rodes? Bei chronologischer Betrachtung seines Werkes tritt zunächst die Beschäftigung mit der brandenburgischen Geschichte und dabei die Hinzunahme der mittelalterlichen Geschichte hervor, die bis dahin nicht üblich war. Hier wird der Einfluss der Aufklärung auf die bildende Kunst zum ersten Mal deutlich.
Dabei muss zuungunsten Rodes angemerkt werden, dass sein literarisches Vorbild, Friedrich II., ihm insofern voraus war, als dieser seiner Beschreibung der politischen Geschichte in den "Mémoires pour servir à l'histoire de la maison de Brandebourg" ein umfangreiches Kapitel über "Sitten, Gebräuche und Industrie" hinzufügte, indem er den "Fortschritt des Menschengeistes in den Künsten und Wissenschaften" zu untersuchen gedachte.[9] Zu diesen kulturgeschichtlichen Betrachtungen des Königs fertigte Rode weder Gemälde noch Radierungen an, wie er es für den geschichtlichen Abriss getan hatte.[10] Derartigen Themen widmete er sich erst in späteren Jahren, schöpferisch unabhängig von den "Mémoires".[11]
Treibende Kraft für das historische Engagement Rodes war der sich etablierende Patriotismus, der vor allem in Berlin das geistige Leben prägte. Der Verknüpfung von Patriotismus und Aufklärung lag das besondere Ziel der Aufklärungspädagogik zugrunde, die Nationalerziehung des Volkes, das heißt im engeren Sinne des Bürgertums. Die Förderung der deutschen Sprache, Literatur, Kunst und Geschichte durch die Berliner Gelehrten konnte schon bald einige Erfolge verbuchen.
Bernhard Rode verstand seine Kunst als einen Beitrag in dieser Hinsicht, den er in Übereinstimmung mit der Aufklärungsästhetik leisten wollte. Seine oftmals die tradierten Stilnormen verletzenden Werke stehen unter dem Einfluss der "Allgemeine(n) Theorie der Schönen Künste" von Johann Georg Sulzer, die - 1757 in der "Bibliothek der schönen Wissenschaften" angekündigt - in zwei Teilen 1771 und 1774 in Leipzig erschien.
Der Schweizer Philosoph gründete seine Kunstauffassung auf der Psychologie. Er erklärte die Mündigkeit des Bürgers und dessen gesellschaftliche Verantwortung zum Ziel einer vernunftgemäßen Erziehung und wollte sich nicht auf bestimmte Schichten der Gesellschaft beschränken.
Die Aufgabe der Kunst sah Sulzer in der Erweckung moralischer Empfindungen: "So wie Philosophie, oder Wissenschaft überhaupt, die Erkenntniß zum Endzwek hat, so zielen die schönen Künste auf Empfindung ab. Ihre unmittelbare Würkung ist, Empfindung im psychologischen Sinn zu erweken; ihr letzter Endzwek aber geht auf moralische Empfindungen, wodurch der Mensch seinen sittlichen Werth bekommt."[12]
Der deutlich erzieherische Charakter der Kunsttheorie Sulzers, der auch an vielen anderen Stellen des umfangreichen Werkes zum Ausdruck kommt, bezieht den Künstler in seiner Verantwortung für das, was er malt, zeichnet, radiert etc. mit ein. Der Künstler habe sich den Anforderungen der Nationalerziehung zu stellen und sein Kunstwerk daran auszurichten, denn "der wichtigste Dienst, den die schönen Künste den Menschen leisten können, besteht ohne Zweifel darinn, daß sie wolgeordnete herrschende Neigungen, die den sittlichen Charakter des Menschen und seinen moralischen Werth bestimmen, einpflanzen könne."[13]
Wie sich Friedrich Nicolai in eigenen moralisierenden Dichtungen dieser Verantwortung in der Literatur stellte, tat es Bernhard Rode in Malerei und Graphik. Johann Georg Sulzer lobte sein Werk, aus dem deutlich die "Empfindungen der Rechtschaffenheit und allgemeinen Redlichkeit, der wahren Ehre, der Liebe des Vaterlandes, der Freyheit, der Menschlichkeit u.f.f." spreche.[14] Aus diesen Maximen Sulzers leiteten sich die bürgerlichen Tugenden ab, die der Moral der Aufklärung Halt gaben und den Bürger - aus der Sicht der Aufklärer - gegenüber dem Adligen aufwerteten.
So zielen auch Rodes Darstellungen der "Helden" der schlesischen Kriege, die Gedenkbilder auf Schwerin, Winterfeldt, Keith und Kleist,[15] nicht auf die handelnde Person ab wie die Standbilder, die Friedrich II. seinen Offizieren auf dem Wilhelmplatz in Berlin errichten ließ,[16] sondern heben deren besondere Tugend hervor. Rode wählte nicht die Darstellung des mit der Fahne in der Hand gefallenen Schwerin, nicht den von den Feinden begrabenen Keith, sondern allegorische Verherrlichungen, die den schon zurückliegenden Tod sichtbar zum "Tod für das Vaterland" (Thomas Abbt) erhöhten. Aus dem besonderen Ereignis wurde durch den von Rode zur Anschauung gebrachten Patriotismus eine Hymne auf das Vaterland und den für dieses gefundenen Tod werden. Aus dem Besonderen konnte etwas Allgemeines entstehen, ganz im Sinne der Aufklärungsästhetik Sulzers.
Die Entwicklung einer patriotischer Kunst in Berlin geschah sowohl angesichts der Siege Friedrichs II. (der dadurch - und nicht durch seine Philosophie - "der Große" wurde) und des Heldentums seiner Offiziere und Soldaten in den schlesischen Kriege als auch auf der Grundlage der Aufklärung, insbesondere der durch Friedrich Nicolai initiierten Berliner Aufklärung und der Aufklärungsästhetik Johann Georg Sulzers.
Gleichwohl wurde diese patriotische Kunst, deren wichtigste Vertreter Christian Bernhard Rode und - sehr viel später - Daniel Nikolaus Chodowiecki (1726-1801) waren, paradoxerweise gerade von dem, dem sie galt, Friedrich II., nicht nur nicht unterstützt, sondern sogar abgelehnt. Der preußische Patriotismus wurde gleichsam zu einer neuen Moral, deren erzieherischer Auftrag das Bewusstmachen der eigenen Vergangenheit, der Bedeutung des eigenen Staates zum Ziel hatte.
Anmerkungen:
1. Horst Möller: Aufklärung in Preußen. Der Verleger, Publizist und Geschichtsschreiber Friedrich Nicolai (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 15), Berlin 1974, S. 28.
2. Vgl.: Julius Rodenberg: Die Nicolaische Buchhandlung, in: Beiträge zur Kulturgeschichte von Berlin, Berlin 1898, S. 231.
3. Vgl.: Erich Kästner: Friedrich der Große und die deutsche Literatur. Die Erwiderung auf seine Schrift "De la Littérature Allemande", Stuttgart/ Berlin 1972, S. 20-26
4. Horst Möller: Vernunft und Kritik. Die deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1986, S. 162 f.
5. ADB XXI, 2, 1774, S. 375.
6. Möller, Vernunft (wie Anm. 5), S. 165.
7. Ebenda, S. 290 f.
8. Frank Büttner erwähnt, dass Rode vermutlich schon während seines Paris-Aufenthaltes mit den Kunstauffassungen der Aufklärung in Berlin in Berührung kam. Über die Arbeit im Atelier von Carle Vanloo wird er die neuen Unterrichtsmethoden der "École royale des élèves protégés" kennengelernt haben, die den Schülern in dem Glauben, nur ein gebildeter Mensch sei ein guter Historienmaler, erstmals Unterricht in Geographie, Geschichte und Literatur zu geben gewillt waren. In: Frank Büttner u.a.: Kunst im Dienste der Aufklärung. Radierungen von Bernhard Rode 1725-1797, Katalog der Ausstellung 1986/87 in der Kunsthalle zu Kiel, hg. von Jens Christian Jensen, Kiel 1986, S. 10.
9. Werke Friedrichs des Großen, hg. von Gustav Berthold Volz, illustriert von Adolph von Menzel , Berlin 1912-1914, Bd. I.
10. Vgl. Gerhild H. M. Komander: Der Wandel des "Sehepuncktes". Die Geschichte Brandenburg-Preußens in der Graphik von 1648-1810, Münster/Hamburg 1995, S. 231-235 und 251-255.
11. Vgl.: Büttner, Geschichtsdarstellungen, bes. S. 41 f., und: Renate Jacobs, Kulturgeschichtliche Themen, in: Büttner, Aufklärung (wie Anm. 9), S. 37 ff.
12. Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der bildenden Künste, Bd. 1-4, Neudruck der 2. Auflage, Leipzig 1792, Hildehaim 1970, Bd. II, S. 53 ff.
13. Ebenda.
14. Ebenda.
15. Anna Rosenthal: Bernhard Rode. Ein Berliner Maler des 18. Jahrhunderts, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 44, 1927, S. 81-104. - Rode hatte die Bilder sowohl als Gemälde wie auch als Radierungen angefertigt. Die Gemälde schenkte er der Garnisonkirche zu Berlin, wo sie bis zur Zerstörung der Kirche im Zweiten Weltkrieg zu sehen waren. Sie gelten als Kriegsverlust Vgl.: Komander, Sehepunckt (wie Anm. 11), S. 256-264.
16. Vgl.: Lothar Lambacher: Die Standbilder preußischer Feldherren im Bodemuseum. Ein Berliner Denkmalensemble des 18. Jahrhunderts und sein Schicksal, Berlin 1990.
Gerhild H. M. Komander - 07/2003
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