Mittwoch, 07. Februar 2018, 16:00 Uhr
Workshop

Workshop: Kolonialgeschichte

Was bedeutenden die Kolonien für die deutsche Hauptstadt?

Kleiner Säulensaal der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, 10178 Berlin-Mitte, Breite Straße 36

Die Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialvergangenheit gewann in der letzten Zeit an Bedeutung. Was bedeutenden die Kolonien für die deutsche Hauptstadt? Eingebettet in eine umfassende Quellenkritik thematisiert der Arbeitskreis die Berührungspunkte der Berliner mit dem vermeintlich „Exotischen", untersucht Fremd- und Selbstbilder sowie die wirtschaftlichen Interessen und widmet sich dem Alltag der Zuwanderer aus den Kolonien. Die Teilnahme ist kostenfrei. Bitte melden Sie sich an bei Jörg Kluge, Kluge@diegeschichteberlins.de, Mobil: 0171 306 5760.

Rückblick auf die Veranstaltung
“Nur 30 Jahre lang war das heutige Namibia eine deutsche Kolonie. Und doch hat diese vergleichsweise kurze Phase der Geschichte tiefe Spuren hinterlassen.” So steht es in einer Ausstellungsbroschüre aus dem Jahr 2004. Doch Namibia, das frühere Deutsch-Südwestafrika (1884), ist nur eine, wenngleich die größte und beliebteste Übersee-Dependance des Deutschen Reichs. Des Kaisers Kolonien schließen bspw. Togoland (1884), Kamerun (1884), Deutsch-Ostafrika (1885), Deutsch-Neuginea/Samoa (1885) mit ein. Sansibar (1885) und Deutsch-Witu (Kenia, 1885) werden 1890 gegen die Nordseeinsel Helgoland getauscht, Kiautschou per Pachtvertrag von 1897 von China erworben.

Mini-Rückschau. Brandenburgische Kolonien gibt es seit 1683: Groß Friedrichsburg und Arguin (Westafrika) sowie St. Thomas (Karibik). Friedrich Wilhelm (1620 - 1688), der Große Kurfürst, begründet sie. Die dunkle Seite seiner ‘Brandenburgisch-Africanischen Compagnie’ ist der Sklavenhandel. Die defizitären Handelsterritorien werden 1720 verkauft. Knapp 150 Jahre danach wird die Frage “Deutschland als Kolonialmacht?” heftig diskutiert. Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck-Schönhausen ist da noch vollauf mit der Reichsgründung beschäftigt und hat absolut kein Gehör für das “Kolonialgeschwätz” in der Presse. Gereizt erwidert er im Februar 1871: “Ich will auch gar keine Kolonien. Die sind bloß für Versorgungsposten gut.” 1884 erfolgt die Prinzipienwende. Der Bremer Großkaufmann Adolf Lüderitz (1834 - 1886) informiert das Außenministerium darüber, an der westafrikanischen Küste eine Handelsniederlassung zu gründen. Dringend notwendig sei der konsularische Schutz des Deutschen Reiches. Bismarcks Zusage per Telegramm vom 24. April 1884 gilt bis heute als “Geburtsurkunde der deutschen Kolonialpolitik” - und Lüderitz als Begründer Deutsch-Südwestafrikas. Oft wird neben ihm Dr. Carl Peters (1856 - 1918) genannt. Der Geograph und Historiker begründet durch riesige Landaufkäufe Deutsch-Ostafrika. Der erbetene Schutzbrief wird am 26. Februar 1885 ausgestellt. Deutschland nimmt damit die beanspruchten “Plätze an der Sonne” (Bernhard von Bülow (1849 - 1929)) ein. Im Oktober 1904 verdunkelt sich der Himmel über Deutsch-Südwestafrika: der Schutztruppenchef Lothar von Trotha (1848 - 1920) entfesselt einen fatalen Vernichtungsfeldzug gegen die Hereros. Mit ihrem verzweifelten Aufstand zuvor versuchen sie, ihre zunehmende Entrechtung zu stoppen. Knapp zehn Jahre später, am 1. August 1914, erreicht die Großfunkstation Kamina (Togoland), rund 6.000 Kilometer von der Überseefunkstelle Nauen entfernt, die Warnung “an alle Schiffe vor einem Kriegsausbruch”. Mit Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages am 28. Juni 1919 verliert das Deutsche Reich sämtliche Kolonien. Die Expansionsgelüste sind damit zunächst beendet. Das NS-Regime versucht erfolglos ihre Wiederbelebung.

Dazwischen in Berlin: Die Reichsmetropole erlebt um 1900 eine grenzenlose Kolonialbegeisterung. Kolonialaktien zirkulieren an der Börse, die Kolonialzeitungen enthalten abenteuerlich verpackte Kolonialthemen. Kolonialwarenläden bieten allerlei Importwaren: bspw. neben Kaffee, Tee, Kakao, Vanille, Palmöl auch Elfenbeinschnitzereien. Die “Kolonien schienen Rohstoffe und billige Arbeitskräfte zu garantieren”. Völkerschauen sind beliebt und profitabel: “Die Sehnsucht nach der Exotik bekommt einen hohen Stellenwert.” Während der ‘Berliner Gewerbe Ausstellung’ von 1896 findet eine hoch frequentierte ‘Kolonialausstellung’ statt, in der “103 Eingeborene dörfliches Treiben” vorzuführen haben. Die ‘Deutsche Armee-, Marine- und Kolonialausstellung’ lockt 1907 gleichfalls zigtausende Besucher nach Friedenau.

Workshop-Fazit: Die interessierten Teilnehmer/Innen des gemeinsam mit der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) veranstalteten Workshops ‘Kolonialgeschichte’ gehen motiviert auf Entdeckungsreise. Mittels historischer bzw. aktueller Sachliteratur und Kartenmaterial werden Themen, wie bspw. “Die Bedeutung der Kolonien für die deutsche Hauptstadt” und “Die Berührungspunkte der Berliner mit dem vermeintlich ‘Exotischen’”, zunächst per Gruppenarbeit erörtert. Anschließend findet ein miteinander durchaus auch kontrovers geführter Meinungsaustausch über die “deutsche Kolonialvergangenheit” (Politik, Handel, Verantwortung damals wie heute) statt. Insgesamt spannend gestaltet sich ebenso die Spurensuche: “Was aus dieser Zeit, bspw. koloniale Straßennamen, Gedächtnisorte, ist bis heute in Berlin übriggeblieben?” Erfahrung und Neugier der Teilnehmer/Innen bilden eine ganz besondere Grundlage für diesen erfolgreichen Workshop. Den engagierten Initiatoren der ZLB, Jenny Porschien und Stefan Zollhauser, gebührt für dessen perfekte Durchführung ein sehr herzliches Dankeschön!

Mathias C. Tank
Pressesprecher des Vereins für die Geschichte Berlins e.V., gegr. 1865



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