Die Entstehung der Berliner Wasserwerke und der Wasserleitung
Eine kulturhistorische Skizze - von Harry Rutz

Auch Manuskripte haben ihre Schicksale. Als unser Ehrenmitglied Karl Bullemer bei der Übergabe des Schriftführeramtes seinen Schreibtisch revidierte, fand er den nachfolgenden Aufsatz. Aus dem Begleitschreiben geht hervor, daß er verfaßt worden ist, als der Autor Dr. Rutz Ende der zwanziger Jahre als Regierungsbaurat in der ingenieurbautechnischen Abteilung des Polizeipräsidiums tätig war. Durch Berufsumstellung nach 1933 geriet die Arbeit in Vergessenheit und wurde erst wiedergefunden, als der Verfasser 1943 "aus Luftschutzgründen" seine Wohnung aufräumte. Er stellte ihn dem Verein "unentgeltlich zur Verfügung", jedoch zu einem Zeitpunkt, als das Erscheinen unseres Blattes, das von 1934 bis 1943 den Namen "Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins" trug, infolge Papiermangels eingestellt werden mußte.
Die Schriftleitung

Wasserwerke und Wasserleitung besitzt Berlin erst seit 1856. In den Jahrhunderten vorher waren die Berliner - und die Cöllner - in ihrer Versorgung mit Wasser auf die Spree und auf Brunnen angewiesen. Die Erkenntnis der Bedeutung der Brunnen für die Gesundheit der Bevölkerung und für den Feuerschutz hatte den Markgrafen zu Brandenburg, Friedrich Wilhelm, den Großen Kurfürsten, veranlaßt, am 14. August 1660 "die Brunnen- und Gassen-Ordnung beyder Residentz- und Haupt-Städte Berlin und Cölln an der Spree" zu erlassen, nach welcher jede Beschädigung und Verunreinigung öffentlicher und privater Brunnen streng mit Gefängnis oder Pranger bestraft wurde. Diese Ordnung galt bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts.

Mit dem Wachsen der beiden Städte, durch die Zunahme der Bevölkerung und Entwicklung des Gewerbes stiegen auch die Ansprüche an das Wasser. Die Sorge um die Erhaltung geordneter Zustände im Gemeinwesen und die Fortschritte der Technik ließen daher im Anfang des 19. Jahrhunderts den Plan entstehen, Berlin durch den Bau eines Wasserwerks mit fließendem Wasser in den Straßen und Häusern zu versorgen. Damals dachte man allerdings noch nicht daran, dem durch die Wasserleitung zu liefernden Wasser eine solche Beschaffenheit zu verleihen, daß es auch unbedenklich als Trinkwasser benutzt werden könnte, es sollte auf den Straßen zu deren Reinigung, insbesondere zur Spülung der mit stinkendem Unrat angefüllten Rinnsteine, für Feuerlöschzwecke und für den Hausbedarf nur als Wirtschaftswasser dienen. Die zahlreichen Entwürfe für ein solches Unternehmen gingen meist dahin, das Wasser unmittelbar dem Spreefluß zu entnehmen und durch Rohre in die Stadt zu drücken, wo es aus Quellbrunnen auf den Straßen ständig fließen sollte.

Besonders seit den dreißiger Jahren des vorvorigen Jahrhunderts wurden bei den Staats- und Stadtbehörden vielfache und weitläufige Erörterungen über eine Wasserleitung gepflogen. Der Stadt Berlin, die nach Auffassung der Staatsbehörden als erste für die Durchführung dieses Gedankens hätte eintreten müssen, fehlte jedoch die nötige Entschlußkraft, um an das Werk selbst heranzugehen oder es zu fördern. Die Mitglieder des Gemeinderats der Stadt hatten wohl Interesse für die Sache, man debattierte auf das Lebhafteste und stritt sich sogar schon über die Stärke der Rohre, zum Schluß geschah aber nichts.

Der Magistrat der Stadt verhielt sich besonders wegen der der Stadt etwa entstehenden Kosten ebenso ablehnend. Als ihm der Polizeipräsident im Jahre 1848 einen Plan zur Wasserversorgung Berlins durch einen Aquädukt vom Wandlitz- und Liepnitzsee her empfahl, ließ der Magistrat sich dahin aus: "daß wir uns aber nur insofern dabei beteiligen können, als uns dadurch keine Kosten erwachsen, zu deren Tragung es uns ganz an Mitteln fehlen würde". Die gleiche Auffassung kommt im Jahre 1851 durch die Äußerung eines Magistratsrates zum Ausdruck: "daß die Kommune sich schwerlich entschließen könne, ihre Einwilligung dazu zu geben, daß auf diese Weise im Winter das Eis auf den Straßen und damit der Aufwand für dessen Wegschaffung vermehrt werde."

Und noch Ende 1852 erkannte der damalige Oberbürgermeister Krausnick wohl die Zweckmäßigkeit einer Wasserleitung für Berlin an, jedoch nicht ihre Notwendigkeit aus gesundheitlichen Gründen, da u.a. die zahlreichen Choleraepidemien in Berlin, welche überdies stets ausnehmend milder als in anderen Städten aufgetreten wären, weder ihre Entstehung und noch weniger ihre Verbreitung in der Entbehrung einer Wasserversorgungsanlage gefunden hätten.

Es ist das Verdienst des Polizeipräsidenten zu Berlin, von Hinckeldey, den Bau einer Wasserleitung trotz aller Widerstände durchgesetzt zu haben. Von Hinckeldey hatte aus den früheren Verhandlungen seiner Amtsvorgänger mit der Stadt Berlin und auch aus den seinigen den Eindruck gewonnen, daß städtischerseits nicht die Absicht vorlag, sich an der Anlage eines Wasserwerks irgendwie zu beteiligen. Er versuchte daher, inländische Kapitalisten für ein Aktienunternehmen zu diesem Zweck zu gewinnen, jedoch ohne Erfolg.

Von Hinckeldey sah sich nunmehr im Auslande um, und es gelang ihm, mehrere englische Gesellschaften für seinen Plan zu interessieren, von denen er mit einer Londoner in nähere Verhandlungen im Jahre 1852 eintrat. Englische Technik und englischer Unternehmergeist waren damals noch führend, wurde Berlin doch bereits von einer englischen Gesellschaft mit Gas versorgt. Während seiner Unterhandlungen mit der Londoner Gesellschaft unterließ es der Polizeipräsident aber nicht, die Stadt Berlin selbst - gewissermaßen in letzter Stunde - für die Durchführung des Unternehmens zu gewinnen.

Die Schwerfälligkeit der Kommunalbehörde in der Behandlung der Angelegenheit, die wohl wie in früheren Jahren aus einer inneren Abneigung gegen den Plan begründet war, ließ den Abschluß des günstigen Vertrages mit den drängenden Engländern in Frage stellen. Um nicht wieder die Verwirklichung des für die Wohlfahrt der Einwohnerschaft als notwendig erkannten Planes scheitern zu sehen, ging von Hinckeldey jetzt mit aller Entschlossenheit vor.

Er hielt dem Handelsminister und dem Innenminister persönlich Vortrag über seine Bemühungen, Berlin mit fließendem Wasser zu versorgen, und erreichte damit, daß König Friedrich Wilhelm IV., dem der Bau einer Wasserleitung in Berlin ein Lieblingsprojekt war, ihn am 11. Dezember 1852 beauftragte, den Vertrag mit den englischen Unternehmern Sir Charles Fox und Mr. Thomas Rushell Crampton abzuschließen. Die endlich am 10. Dezember 1852 erklärte Bereitwilligkeit der Stadt Berlin, aus Kommunalmitteln 1 Million Taler zur Anlage eines Wasserwerkes unter bestimmten Bedingungen für die Ausführung und spätere Verwaltung des Werks herzugeben, fand damit ihre Erledigung.

Die Stadtverwaltung fühlte sich allerdings durch das schnelle Handeln des Polizeipräsidenten verletzt, doch glaubte sich dieser als Mann der Tat nach der jahrzehntelangen Unentschlossenheit und dem neuen Zaudern der Kommunalbehörde hierzu schließlich genötigt.

Der Vertrag zwischen dem Polizeipräsidenten von Hinckeldey und den Herren Charles Fox und Crampton wurde am 14. Dezember 1852 abgeschlossen. Letztere übernahmen es, auf ihre alleinigen Kosten Anlagen und Einrichtungen nach den vollkommensten und am meisten erprobten Methoden auszuführen, durch die Straßen, Gassen und Plätze der Stadt Berlin auf 25 Jahre, welche mit Rücksicht auf die Bauzeit vom 1. Juli 1856 zu laufen begannen, mit fließendem Wasser versorgt werden sollten.

Für die Speisung der Wasserleitung wurde von der Regierung die Spree zur Verfügung gestellt. Das zum Sprengen der Straßen, zur Reinigung der Rinnsteine und bei Feuersgefahr erforderliche Wasser mußten die Unternehmer unentgeltlich liefern, die Versorgung der Einwohnerschaft mit Wasser erfolgte jedoch gegen Bezahlung. Während der Vertragsdauer war es allein den Unternehmern gestattet, die öffentlichen Straßen, die damals noch im Eigentum des Fiskus standen, zu gleichartigen Anlagen zu benutzen.

In London wurde die "Berlin-Water-Works Company" gebildet, die zu ihrem Generalbevollmächtigten in Berlin den Geh. Admiralitätsrat z. D. Dr. Gaebler bestellte. Das Anlagekapital für das Unternehmen war im Vertrage zu 1.500.000 Taler angenommen worden. Unter der Leitung des englischen Ingenieurs Henry Gill wurde der Bau im Jahre 1853 in Angriff genommen und die Grundsteinlegung des Wasserwerksgebäudes kurz vor dem Stralauer Tor (oberhalb der heutigen Oberbaumbrücke) am Wege nach Stralau am 18. Oktober 1853 in Anwesenheit des Königs und des Prinzen Wilhelm von Preußen, des späteren Kaisers Wilhelm I., feierlich begangen.

Die Gewinnung des Wassers und seine Zuleitung in das Versorgungsgebiet erfolgte nach seinem Zweck, nur als Wirtschaftswasser zu dienen, in einfachster Weise. Das Wasser wurde am Wasserwerk Stralauer Tor aus der Spree geschöpft, in Sandfiltern gereinigt und durch Pumpen in das Rohrsystem der Stadt gedrückt. An Hähnen wurde es hier auf der Straße und in den Häusern gezapft. Auf dem Windmühlenberg vor dem Prenzlauer Tor war ein kleines Wasserreservoir zur Regelung der Bedarfsschwankungen und ein Turm mit Standrohr zum Druckausgleich errichtet worden.

Der Bau der Wasserleitung konnte in dem durch den Vertrag bestimmten Zeitraum vollendet werden, jedoch erfreute sie sich bei den Hausbesitzern zunächst keiner Beliebtheit, die ebenso wie die Kommunalbehörde der Meinung waren, daß eine derartige Anlage für Berliner Zustände keinen Wert habe. Die Hauswirte scheuten offenbar nur die Kosten, um die Wasserleitung in ihre Häuser ziehen zu lassen, auch konnten sie es wohl nicht begreifen, für - Wasser Geld zahlen zu müssen. Selbst öffentliche Gebäude wurden nicht angeschlossen.

Im März 1857 waren erst 341 Häuser, hiervon 314 Privathäuser, mit fließendem Wasser versehen. Die geringe Abnahme von Wasser hatte zur Folge, daß aus dem Unternehmen anfänglich kein Gewinn erzielt wurde, von dem ein Teil zum Bau einer Kanalisation, welcher Berlin noch entbehrte, zurückgelegt werden sollte. Die Aktien der Gesellschaft waren daher zu 50% ihres Nominalwertes zu kaufen.
Der Aufschwung trat erst ein, als die durch die Anlage geschaffene Bequemlichkeit allgemeine Anerkennung fand, und das Wasser infolge der Filtration auch zum Trinken benutzt werden konnte. So warfen die Dienstmädchen bei ihren Engagementsverhandlungen die Frage auf, "ob die Wohnung auch Wasserleitung habe?". Die Hauswirte waren dadurch gezwungen, ihre Häuser an die Wasserleitung anzuschließen, wenn sie nicht ihre Mieter verlieren wollten. Das Stadtbild selbst konnte durch Springbrunnen verschönert werden, von denen je einer auf dem Alexander-, Dönhoffs-, Hausvogtei- und Belle-Alliance-Platz und auf dem Neuen Markt aufgestellt wurden.

Die ständig fortschreitende Entwicklung Berlins ließ die Anforderungen an die Menge des Leitungswassers in einem Maße anwachsen, dem die Berliner Wasserwerke nicht gerecht wurden, auch gab die Beschaffenheit des am Stralauer Tor geschöpften Wassers zu Bedenken Anlaß, als die Besiedlung der flußaufwärts gelegenen Spreeufer zunahm. Bürgerschaft, Magistrat und Polizeipräsidium waren sich schon Ende der 1860iger Jahre über die Verbesserungsbedürftigkeit der Wasserversorgung einig. Man hatte allgemein eingesehen, daß die Wasserleitung nicht nur eine Sache des Luxus war.

Zwar vergrößerten die Berliner Wasserwerke das Leitungsnetz im Laufe der Jahre über ihre vertragliche Pflicht hinaus, sie verhielten sich jedoch im weiteren Ausbau, kaufmännisch in wohl richtiger Weise, immer zurückhaltender, je näher der 1. Juli 1881 herankam, an dem nach dem Staatsvertrage vom 14. Dezember 1852 alle ihre Anlagen gegen Zahlung des Taxwertes dem Staate zufallen sollten. So waren allmählich in den alten Stadtteilen die Rohrleitungen zu eng geworden, um bei dem ansteigenden Verbrauch genügend Wasser zuleiten zu können, und schließlich, etwa seit 1867, weigerte sich die englische Gesellschaft überhaupt, das Leitungsnetz weiter auszudehnen, so daß die neuen Stadtteile ohne Wasserversorgung blieben.

Wieder entsprang es der Initiative eines Berliner Polizeipräsidenten, des Herrn von Wurmb, daß die Wasserversorgung von Berlin nunmehr auch organisatorisch eine solche Umwandlung erfuhr, durch die sie bis zum heutigen Tage allen Ansprüchen an die Wasserbelieferung genügen konnte. Der Magistrat hielt die Beseitigung des eingetretenen Mißstandes schon für möglich, wenn die englische Gesellschaft ihren Vertragspflichten nachkam, welche er nicht voll erfüllt wähnte. Von Wurmb hingegen sah die befriedigende und endgültige Lösung dieser für das aufstrebende Berlin so ungeheuer wichtigen Frage nur in der Betriebsübernahme der Wasserleitung durch die Stadtverwaltung selbst.

Die Auffassung des Polizeipräsidenten drang bei der Kommunalbehörde durch, und, nach eingehender Prüfung aller Möglichkeiten für eine gesicherte Wasserbelieferung, entschloß sich die Stadt Berlin unter dem Oberbürgermeister Hobrecht im Jahre 1873, die Wasserversorgungsanlage der "Berlin-Water-Works-Company" schon vor Ablauf der Vertragszeit dieser Gesellschaft für 1,25 Millionen Pfund Sterling käuflich zu erwerben, nachdem der Staat dieses ihm aus dem Vertrage mit den englischen Unternehmern zustehende Recht der Stadtgemeinde zu zedieren bereit war.

Die Stadt Berlin trat am 2. Januar 1874 in die Verwaltung der nunmehr städtischen Wasserwerke ein. Zu ihrem Direktor wurde Henry Gill bestellt, der bislang der Betriebsdirektor der englischen Gesellschaft gewesen war. Der Ausbau der Wasserversorgungsanlage wurde tatkräftig aufgenommen. Seit dem Jahre 1877 mußte neben dem Stralauer Werk ein zweites Wasserwerk am Tegeler See betrieben werden, und, als im Jahre 1893 das neue, am Müggelsee errichtete Werk die Wasserförderung aufnahm, konnte das alte Wasserwerk am Stralauer Tor 1894 den Betrieb für immer einstellen.

Aus: "Mitteilungen" 3/1969