Geburtstagsbesuch bei Max Liebermann
Von Rudolf Danke

Vorbemerkung: Der nachstehende Beitrag stammt aus dem Nachlaß unseres 1964 verstorbenen Mitgliedes Rudolf Danke. Seine Wiedergabe erfolgt anläßlich der 125. Wiederkehr des Geburtstages von Max Liebermann am 20. Juli.

Seitdem war abermals eine Schicksalswende der Zeit eingetreten. Berlins Bewohner hielten Umschau nach dem wenigen, was in ihren Häusern und in ihrer Stadt den apokalyptischen Sturm der Geschichte überstanden hatte. Vertraute Namen, die nun vielfach nur noch Erinnerungen an Tote auslösten - Käthe Kollwitz, Ernst Barlach, Hans Baluschek - durften wieder öffentlich genannt werden. Max Liebermanns 100. Geburtstag am 20. Juli 1947 stand bevor.
Wie hatte doch der Simplicissimus-Zeichner Olaf Gulbransson auf einem Widmungsblatt zum 80. Geburtstag Liebermanns vor 20 Jahren geschrieben - "Und die Trolls aus dem Norden wanderten nach dem Stern Max Liebermanns..."

Übrigens gehörte dieses Blatt zu den Festbeiträgen unter dem Thema " Max Liebermann im Urteil Europas", zu denen auch Albert Einstein, Heinrich und Thomas Mann, Ernst Barlach, Hugo von Hofmannsthal, der Schweizer Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin neben Vertretern der Kunst aus Frankreich, Holland, Belgien und der Tschechoslowakei Würdigungen beigesteuert hatten.

Für eine solche kontinentale Geburtstagsehrung fehlten nun alle Voraussetzungen. Aber wie diese stattliche Sympathieerklärung des europäischen Geistes war auch das Ereignis jenes festlichen Junitages 1927 unvergessen geblieben, als noch "der Stern Max Liebermanns" am Berliner Kunsthimmel strahlte.

Im großen Ausstellungssaal der Akademie der Künste hat sich das gesellschaftliche Berlin versammelt, um der Eröffnungsfeier der Ausstellung zu Ehren des 80-jährigen Präsidenten der Akademie, Prof. Dr. Max Liebermann, Ehrenbürger von Berlin, beizuwohnen. Reichskanzler Marx, Kultusminister Dr. Becker, Oberbürgermeister Böß, Albert Einstein, Richard Strauss, Max Slevogt, die diplomatischen Vertreter von zehn europäischen Staaten - an ihrer Spitze Frankreich und Rußland - sind anwesend. Eine Fülle von Köpfen, Persönlichkeiten, Gestalten. Neben dem festlich offiziellen Schwarz der Herren helle und farbige Toiletten schöner Frauen. Längst kann der Raum nicht die Schar der geladenen Gäste aufnehmen.

Fortgesetzt flammt das Blitzlicht der Reporter auf. Dann setzt das Klingler-Quartett mit Mozart, der neben Goethe zu Liebermanns Hausheiligen gehört, ein. Lothar Müthel spricht einen Prolog, der Maler Prof. Philipp Franck und Dr. Becker huldigen dem Meister. Deutsche und ausländische Museen und Kunstsammlungen haben ihre besten Liebermann-Gemälde für die "100-Werke-Ausstellung" hergeschickt. In den angrenzenden Sälen ist die Pracht dieser erstaunlichen Lebensleistung wie ein gewaltiges Panorama ausgebreitet.

Später sehe ich den gefeierten Jubilar immer wieder Hände schütteln, Glückwünsche und Worte der Verehrung entgegennehmen - man hat den Eindruck, dass es gewiß nicht leicht ist, in solcher Stellung und bei diesem Ausmaß des Ruhms "seinen Achtzigsten" zu erleben. Aber der kleine, elegante Herr im Gehrock erweist sich als so elastisch und situationsgewachsen, dass man die Tatsache seines hohen Alters als eine liebenswürdige Künstlerlegende auffassen möchte. Und die in den letzten Jahren entstandenen Bilder - die Reihe der Porträts und Selbstbildnisse, die leuchtenden Impressionen aus seinem Wannsee-Garten - sind dafür die glänzende Bestätigung.
Draußen am Pariser Platz parken ganze Kolonnen von Autos. Die Fahnen der Republik und des preußischen Staates sind vor dem Akademiegebäude aufgezogen. Ein von starken Kräften unaufhörlich bewegter Strom des Lebens flutet die Linden entlang...

Berlin 1947. - Um Max Liebermann, dem Hundertjährigen, im Geist einen Besuch zu machen, stehe ich am Pariser Platz an der Stätte, die einmal sein Haus war, an der er von 1893 bis 1935 gelebt und gewirkt hat*. Viel mehr als das Hausnummernschild, fünf Treppenstufen und die Portalpfeiler, die noch einen letzten Rest der Stuckverzierung aus nach-schinkelscher Bauzeit aufweisen, ist nicht vorhanden. Freilich, der Meister, dem der Tod in weiser, gütiger Vorahnung alles noch Kommenden 1935 die Palette aus der Hand nahm, hat das und vieles andere nicht mehr erlebt. Was er sonst ringsum jetzt sähe, würde ihn erstarren lassen: Von den Gebäuden am Pariser Platz ist nicht eines mehr erhalten. Alles Leben ist geflohen. Nichts als eine furchtbare Grimasse des Antlitzes von einst - eine bizarre Kulisse - blieb zurück.

Unter Trümmern und Verunstaltungen suche ich nach des Meisters Erdenspur. Nachdenklich, nach Entspannung von diesem Bilde verlangend, betrete ich Unter den Linden ein Antiquitätengeschäft. Und dann halte ich einen kostbaren Band "Der Narr in Christo" in der Hand mit einer kalligraphisch schönen Widmung Gerhart Hauptmanns an "den großen Meister Max Liebermann". Seltsam gespannt blicken die Augen auf den Namen und die Schrift. Und es ist wie ein Leuchten und ein Gruß von fern her, der einer Begegnung gleichkommt.

Zum feststehenden Jahresprogramm des Meisters gehörte die allsommerliche Übersiedlung in seine Wannseeresidenz. "Große Seestraße 24" (wie ehedem die Anschrift lautete) beging er in seinem mit hervorragenden Kunstwerken gefüllten Hause auch seine Geburtstage. Hier war auch inmitten einer verschwenderischen Pracht lodernder Blütenstauden die Geburtsstätte seiner berühmten Wannsee-Pastelle, und der große, zum See führende Garten fand als abwechslungsreiches Motiv immer wieder künstlerische Verwendung. Damals gehörte es zu den Gunstbeweisen Liebermanns, wenn er einem Besucher persönlich seinen Garten zeigte, wobei dann freilich oft der Reiz des Landschaftlichen der geistvoll-sprühenden Eleganz seiner Gedanken nachstand.

Nun schreite ich die Straße Am großen Wannsee entlang, um auch dieser Gedenkstätte des Meisters meine Aufwartung zu machen. Aus den dichtbelaubten Kronen der alten Kastanien schmettern die Finken. Der süße Duft frühblühender Rosen liegt in der Luft. Vieles hat sich auch hier verändert. Dann stehe ich am Portal von Liebermanns ehemaligem Grundstück, das Haus mit dem eindrucksvollen, die Fassade beherrschenden Säulenpaar liegt vor mir. Freilich - die Kunst, die einmal Adel und Inhalt dieses Hauses war, ist längst gewichen. "Krankenhaus Wannsee - Chirurgische Abteilung" lese ich auf einer Tafel. In den Zimmern stehen weiße, sachliche Betten, darin Patienten Genesung erwarten. Auch des Meisters Stolz von einst, sein Garten, kann nur noch wehmütige Erinnerungen wachrufen. Verschwunden August Gauls Fischotter-Brunnen, verschwunden das flammende Blütenparadies. Nur die weißstämmigen Birken, die er liebte, und das bezaubernde Bild des Sees, auf dem immer wieder im Verweilen seine Augen geruht haben, sind Denkmäler alter Pracht. Alles Persönliche aber, das an den so lebensfrohen Meister gemahnen könnte, ist ausgelöscht...

Um ihm dennoch zu begegnen, schlug ich die rostige, dunkeldröhnende Kapellenglocke an, durch deren Ton sich der Besucher Eingang verschaffen muß zum jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee. Der Friedhofsverwalter öffnete mir. Als ich nach Liebermanns Grab fragte, kamen wir ins Gespräch. Nein, es wird kaum jemals besucht. Einmal waren Amerikaner hier, ein Herr und eine Dame. Diese hat auch das Liebermannsche Erbbegräbnis gezeichnet. - Der Blick geht über ein einziges Trümmerfeld voller umgestürzter Grabdenkmäler - Bombenwirkung und sträflicher Fanatismus Verhetzter haben ganze Arbeit geleistet.

Max Liebermanns Grab aber ist unversehrt. Die große schwarze Marmortafel vor den beiden Grabtafeln seiner Eltern wirkt in ihrer Schlichtheit wie ein ergreifendes Monument. Unterhalb einer hebräischen Inschrift nichts als der Name: Max Liebermann, und die Lebensdaten: geb. 20. Juli 1847, gest. 8. Februar 1935. Und als Weihespruch das starke, gläubige, alttestamentarische Bibelwort: "Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. "
Der hier schläft, konnte am Ende seines Lebens des empfangenen Segens gewiß sein. Seinen Ruhm aber ließ er in der Welt zurück.

Anmerkung der Redaktion: Die Liebermann-Villa war im November 1971 vom Bezirksamt Zehlendorf dem Deutschen Unterwasserclub Berlin e. V. zugesprochen worden, der sein aus Eigenmitteln umgebautes Clubhaus am 24. Juni 1972 der Presse und der Öffentlichkeit vorstellte.
*Vgl. hierzu: Rudolf Danke, In diesem Hause wohnte Max Liebermann. Die Häuser Pariser Platz 1 und 7. In: Der Bär von Berlin, 15. Folge 1966, S. 99-132.

Aus: "Mitteilungen" 3/1972