Tilla Durieux (1880-1971)

Grabstätte: Waldfriedhof Heerstraße, Trakehner Allee, Feld 5-D-4-5-C4, Ehrengrab

Sie stammte aus Wien und hieß mit bürgerlichem Namen Ottilie Godeffroy. Aber ein bürgerliches Leben hat Tilla Durieux nie geführt. In ihren Lebenserinnerungen („Meine ersten neunzig Jahre“) schreibt sie:

„Mein Talent und mein Gesicht waren nicht das, was man ‚gefällig’ zu nennen pflegte.“

Auch wenn sie nicht „gefällig“ war - es gibt wohl keine Schauspielerin, die so vielen berühmten Malern Modell stand. Einer von ihnen war Auguste Renoir (1841-1919). Das war im Juli 1914, unmittelbar vor Ausbruch des  Ersten Weltkriegs. Renoir war gelähmt, saß im Rollstuhl, seine Hände waren von der Gicht gekrümmt. Aber er malte unermüdlich weiter. Und so entstand dieses wunderbare Porträt: Tilla Durieux als Eliza Doolittle in der Welturaufführung von George Bernhard Shaws „Pygmalion“. Die Rose im Haar war übrigens eine Idee Renoirs.

Nach ersten Engagements in Olmütz und Breslau kommt sie 1903 nach Berlin zu Max Reinhardt, in dessen Ensemble Gertrud Eysoldt der weibliche Star ist, die als Oscar Wildes Salome einen sensationellen Erfolg hat. Als sie plötzlich krank wird, darf Tilla Durieux einspringen. Und damit beginnt eine beispiellose Karriere. Das Publikum ist hingerissen von der neuen Salome.  Was  der Eysoldt gar nicht gefällt. Bislang war sie die unangefochtene Herrscherin in Reinhardts Reich, nun wird plötzlich diese Anfängerin die große Mode in Berlin. Beide brillieren im selben „Fach“ der Männerverschlingerinnen und beiden werfen die (männlichen) Kritker vor, sie würden mit dem Verstand statt mit dem Herzen spielen. Tilla Durieux meinte später dazu:

„Wissen Sie, ich bin eine Tänzerin. Man sagt immer von mir, ich sei eine intellektuelle Schauspielerin. Das stimmt nicht. Der Mensch, den ich darstelle, kriecht beim Lesen des Textes in mich hinein. Ich gestalte ihn aus mir heraus, nicht vom Kopf her. (…) Natürlich benutze ich auch meinen Kopf. Natürlich denke ich auch nach. Trottel, nein, also Trottel kann ich nicht spielen. Es gibt nichts Schöneres, als immer wieder ein anderes Leben anzuziehen.“

Ähnlich aufregend wie ihr Bühnenleben war auch ihr Privatleben: 1910 heiratete sie in zweiter Ehe den Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer, der in seinem Kunstsalon am Tiergarten die französischen Impressionisten und die Malerei der Moderne ausstellte.1901 veranstaltete er die erste Cèzanne-Ausstellung in Berlin. Der deutscher Kaiser sah das gar nicht gern. „Dieser Cassirer“, empörte er sich, will die „Dreckkunst aus Paris zu uns bringen.“ Die Villa des Ehepaares im Tiergarten (Viktoriastraße, heutiger Standort der Philharmonie) ist ein glanzvoller Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens in Berlin.  Paul Cassirer war ihr Schicksal. Sie schreibt in ihren Erinnerungen:

“Ich verdanke Paul Cassirer die schönsten und die bittersten Stunden, meine geistige Entwicklung, meine wachsenden Erfolge an der Bühne, eine unendliche innere Bereicherung, aber auch den tiefsten Kummer. Meine Augen haben durch ihn die Herrlichkeit der Welt gesehen, aber auch die verzweifeltsten Tränen geweint.“

Mit Cassirer erlebt sie Strindbergs Ehehöllen (die sie oft auf der Bühne gespielt hat) in der Wirklichkeit. Nach  vielen Zerwürfnissen und Versöhnungen ist sie 1926 am Ende ihrer Kräfte. Sie will sich scheiden lassen und akzeptiert alle Bedingungen. Als das Ehepaar mit seinen Anwälten die Scheidungsurkunde unterzeichnen soll, steht Cassirer plötzlich auf, murmelt eine Entschuldigung und verlässt den Raum. Sekunden später fällt im Nebenzimmer ein Schuss. Er liegt blutend auf dem Boden und ruft seiner Frau entgegen: „Nun bleibst du aber bei mir!“ Eine Tage später stirbt er im Krankenhaus und Cassirers Familie gibt ihr die Schuld an der Tragödie.

1930 heiratet sie den jüdischen Unternehmer Ludwig Katzenellenbogen. Nach der Katastrophe mit Cassirer hatte sie sich Ruhe und Sicherheit erhofft, aber das Gegenteil war der Fall. Es ist die Zeit der Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit.  Katzenellenbogens Konzern bricht zusammen und er wird wegen des Verdachts auf Wirtschaftskriminalität verhaftet und kommt als gebrochener Mann nach Hause zurück. Tilla Durieux muss jetzt viel Geld verdienen, sie unternimmt Theatertourneen durch Deutschland und überall spürt sie den wachsenden Antisemitismus. Die Hitler-Partei drängt an die Macht.

Nach der Machtübergabe an die Nazis am 30. Januar 1933 flieht sie mit ihrem Mann nach Prag, dann weiter in die Schweiz. In Kroatien, in der Nähe von Zagreb, eröffnet  das Ehepaar 1936 ein Hotel. Es läuft gut und die Zukunft sieht wieder erfreulicher aus. Aber als die Lage in Kroatien durch den Krieg immer bedrohlicher wird, muss das Hotel aufgelöst werden. Vergeblich versucht sie ihren Mann zur Ausreise in die USA zu bewegen. Er wird nach der Invasion Jugoslawiens nach Berlin verschleppt und stirbt im jüdischen Krankenhaus. Tilla Durieux schließt sich der Untergrundbewegung an, den Partisanen Titos, und bleibt auch nach Kriegsende in Zagreb, wo sie für eine staatliche Puppenbühne als Schneiderin arbeitet.

Erst 1955 kehrt sie nach Berlin zurück und wagt im Alter von 72 Jahren einen Neubeginn. Er wird ihr nicht leicht gemacht. Zwar wird sie mit Ehrungen und Auszeichnungen überhäuft, aber kein Ensemble nimmt sie auf, kein Intendant bindet sie fest an sein Haus. Darum macht sie Wandertheater wie einst die Virtuosen des 19. Jahrhunderts (siehe Friedrich Haase!). 1968 gastiert sie in Berlin, im Hansa-Theater in Moabit, spielt in Marguerite Duras’ Stück „Ganze Tage in den Bäumen“. Und Friedrich Luft schreibt:

„Eine Schauspielerin, die in der Bleibtreustraße als ständig wohnhaft und zur Ehre der Stadt gemeldet ist, muß, da ihr am Ort ausreichend Beschäftigung nicht gewährt wird, auf dem Umweg über eine Tournee sich hierorts produzieren. (…) Die Frau wird in zwei Jahren 90. Und spielt immer noch – und spielt richtig gut, spielt eigentlich phänomenal. Sie ist zum Ende hin, ist nach mehr als zwei Stunden schwerer Darstellungsarbeit, eigentlich viel besser noch als zu Beginn. Man versteht’s nicht. Der Jubel war gewaltig.“

Tilla Durieux starb 5 Monate und 3 Tage nach ihren ersten 90 Jahren. Beigesetzt wurde sie neben dem Mann ihres Lebens. Ihr schlichter Feldstein wirkt verloren neben Cassirers, von dem Bildhauer Georg Kolbe gestaltetes Grabmal (mit dem Goethe-Wort: „Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt.“). Wie der Professorentitel, der ihr 1967 in Nordrhein-Westfalen zu ihrem 65. Bühnenjubiläum verliehen wurde und auf den sie zu Lebzeiten keinen Wert legte, auf ihren Grabstein gekommen ist, bleibt ein Rätsel.

erika babatz 2014 tila durieux

Das Grab Durieuxs © Erika Babatz 2014

Was erinnert sonst noch an sie? Eine Gedenktafel an ihrer letzten Wohnung in der Bleibtreustraße und ein kleiner Park in der Nähe des Potsdamer Platzes. Sie selbst, um nicht vergessen zu werden, stiftete den „Tilla-Durieux-Schmuck“, der für jeweils 10 Jahre an eine hervorragende Vertreterin der deutschen Schauspielkunst verliehen wird. Zur Zeit trägt ihn Judith Hofmann vom Deutschen Theater. Das wäre nun nach Iffland- und Eysoldt-Ring das dritte Schmuckstück.

Text: Gerold Ducke; Fotos: Erika Babatz

Auszug aus ihrem Vortrag „Friedhof der Schauspieler“, gehalten Im Rahmen der Vortragsreihe des Vereins für die Geschichte Berlins am 3. September 2014